Behandelter Abschnitt Gal 2,14-18
„Aber als ich sah, dass sie nicht den geraden Weg nach der Wahrheit des Evangeliums wandelten, sprach ich zu Kephas vor allen: Wenn du, der du ein Jude bist, wie die Nationen lebst und nicht wie die Juden, wie zwingst du denn die Nationen, jüdisch zu leben? Wir, von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nationen, aber wissend, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus, auch wir haben an Christus Jesus geglaubt, damit wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt würden und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerechtfertigt werden wird. Wenn wir aber, indem wir in Christus gerechtfertigt zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden worden sind – ist also Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, so erweise ich mich selbst als Übertreter“ ( Gal 2,14-18).
Es mag uns sehr merkwürdig vorkommen, dass die Einnahme einer Mahlzeit mit bestimmten Personen die Wahrheit des Evangeliums verletzen sollte. Doch die wichtigsten Grundsätze stehen oft mit in sich sehr unscheinbaren Handlungen in Verbindung. So war es auch hier. Hatte das Blut Jesu die Gläubigen aus den Nationen mit einer Reinigung gewaschen, die alle jüdischen Riten vorschatten, sie aber nicht bewirken konnten? Hatte Gott ihnen eine Gerechtigkeit verliehen, zu dessen Erhabenheit gesetzliche Gerechtigkeit nicht hingelangen konnte?
Dann war die Vermeidung des Umgangs mit diesen Heiden auf der Grundlage zeremonieller Unreinheit, um den Juden zu gefallen, in der Tat ein Untergraben der Wahrheit des Evangeliums. Doch der Apostel führt an, wozu sowohl Petrus als auch er selbst durch Gottes Gnade zu tun verpflichtet waren, um die Falschheit des damaligen Verhaltens des Petrus aufzuzeigen: „Wir, von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nationen.“ Auch das ist ein hartes Wort. Niemand ist von Natur aus Christ. Er mag in ein christliches Elternhaus hineingeboren worden, unter christlicher Erziehung aufgewachsen sein und an christlichen Ordnungen festhalten. Doch wenn er nicht aus Gott geboren ist, erscheinen ihm all diese äußerlichen Privilegien nichtig. Die ist der wahre Punkt: Wie wenige fragen sich dies: Bin ich in Christus?
Nun hatte der Jude natürliche, geerbte Privilegien. Er war als Jude geboren, und die Juden waren „Kinder des Königreichs“, „Kinder der Propheten“ und „Kinder des Bundes“; doch sie waren verstoßen. Ein Jude von Natur hatte daher eine bestimmte privilegierte Stellung gegenüber einem Heiden von Natur.
Der Heide war dem Volk Israel ein Fremdling. Er wird nur als ein „Sünder aus den Nationen“ bezeichnet. Wie schwer ist es, unseren Platz als solche einzunehmen, die vor Gott keinen Anspruch erheben und anbetend darin frohlocken können, dass Christus in die Welt gekommen ist, um Sünder zu retten. Doch das Argument des Apostels ist sehr überzeugend: „Wir, die Kinder des Königreiches und der Propheten, waren gezwungen, uns auf Christus zu stützen, damit wir durch den Glauben Christi gerechtfertigt wurden, und nicht durch Gesetzeswerke; denn durch Gesetzeswerke kann kein Fleisch gerechtfertigt werden“ (vgl. 2,16).
Kein Fleisch – das ist ein sehr verständlicher Ausdruck, und er kann entweder moralisch, intellektuell oder religiös gesehen werden. Das Paradebeispiel ist der religiöse Jude, der unter dem Gesetz Gottes gezwungen ist, Befreiung davon durch den Glauben an Christus zu suchen.
Petrus stellt in dem denkwürdigen Konzil genau dieselbe Argumentationskette wie Paulus hier vor: „Sondern wir glauben durch die Gnade des Herrn Jesus, in derselben Weise errettet zu werden wie auch jene [die Sünder aus den Nationen]“ (Apg 15,11). In Antiochien handelte Petrus, als ob die aus den Nationen durch Judaisierung gerettet werden müssten.
In Jerusalem war sein Zeugnis, dass Jude und Heide auf einer gemeinsamen Stufe stehen. Sowohl Petrus als auch Paulus müssen als Übertreter verurteilt werden, wenn sie nach der Verkündigung des Glaubens an Christus, weil das Gesetz nicht rechtfertigen kann, dieses als Mittel der Rechtfertigung wieder aufrichten. Wenn das Gesetz rechtfertigen konnte, so mussten sie sich zu Beginn bei der Verkündigung, dass Christus allein rechtfertigt, geirrt haben.
Wenn Christus nicht alles getan hätte, was nötig war, um die Sünde wegzutun und ewige Gerechtigkeit zu bringen, sodass der Gläubige in heiliger Zuversicht in Gottes Gegenwart treten kann, was hat Er dann überhaupt getan? Wagen wir es, das Gesetz als ergänzend zu Christus aufzuerlegen, und so etwas von der Herrlichkeit Christi wegzunehmen, der die einzige Erlösung Gottes ist?
Die Sprache des Apostels ist sehr stark; doch genau dies ist die Neigung aller unserer Herzen. Wir schaudern bei den Gedanken, Christus zum Diener der Sünde zu machen – doch genau das tun wir, wenn wir das wieder aufbauen, wovon wir entkommen sind, nämlich das Gesetz, um durch dieses gerettet zu werden oder Hilfe daraus zu erfahren. Wenn wir dies tun, so werden wir zu Übertretern; denn wir hätten es dann nie verlassen dürfen. Die Gnade und das Gesetz, als die Grundlage unserer Erlösung, können nicht zusammenstehen – das Ruhen auf dem einen muss die Aufgabe des anderen bedeuten.