Die Zeit der Drangsal und der treue Überrest
„Und in jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes steht; und es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie sie nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird“ (12,1).
Bezugnehmend auf die am Ende des letzten Kapitels aufgeworfene Frage, ob das Ende des Königs des Nordens in Vers 45 das endgültige Gericht über die Assyrer darstellt, gibt der erste Vers dieses Kapitels Aufschluss. Die Worte „und zu jener Zeit wird Michael aufstehen“ beziehen sich auf die Zeitperiode, die in Daniel 11,36-45 beschrieben wird, denn auf sie folgt die Beschreibung: „. . . und es wird eine große Drangsal sein“ – die Zeit unaussprechlichen Leidens für die Juden im Land vor der Wiederkunft Christi. Dann wird gesagt: „Und zu jener Zeit wird dein Volk errettet werden.“ Wie wir aus der Schrift wissen, bezieht sich dies auf das Ende der Drangsalszeit, und demnach auf die Zeit nach der Vernichtung des Antichristen und des Assyrers. Dieser einleitende Vers enthält drei wichtige Dinge. Das erste ist das Verhalten Michaels. Wir haben in Daniel 10,21 gesehen, dass dieses hochgestellte Wesen nach göttlicher Vorsehung eine besondere Verbindung zu den Juden hatte. Daher wird er durch den Engel, als dieser zu Daniel spricht, „Michael, euer Fürst“ genannt. Was auch immer seine besondere Rolle bis zu dieser Zeitperiode gewesen ist, so sehen wir jetzt, dass er zu dem in Vers 1 angegebenen Zeitpunkt damit beginnt, aktiver zu handeln, indem er mit Macht für das ihm anvertraute Volk eingreift. Können wir irgendwie ableiten, was genau Michael tut, wenn über ihn geschrieben wird: „Und zu jener Zeit wird Michael aufstehen“ ?
In Offenbarung 12 lesen wir: „Und es entstand ein Kampf in dem Himmel: Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel; und sie siegten nicht ob, auch wurde ihre Stätte nicht mehr in dem Himmel gefunden. Und es wurde geworfen der große Drache . . . geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm hinabgeworfen.“ Darauf gab es einen lautstarken Ausbruch der Freude im Himmel, „denn hinabgeworfen ist der Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor unserem Gott verklagte“ (Off 12,7–10). Zweifellos ist dies der Beginn der Handlungen des Erzengels, wenn er für Daniels Volk aufstehen wird.
Diese Schlussfolgerung wird durch die Tatsache gestützt, dass die Zeit unvergleichlicher Drangsal folgt, was sich mit dem deckt, was wir in der Offenbarung finden: „Wehe der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er wenig Zeit hat“ (Off 12,12). Im nächsten Vers lesen wir: „Und als der Drache sah, dass er auf die Erde geworfen war, verfolgte er die Frau, die das männliche Kind [Christus] geboren hatte“ (Off 12,13). Auch ist in Bezug auf dieses Thema die Tatsache von Bedeutung, dass der Frau Kraft verliehen wird, um ihrem Feind zu entkommen, und „sie ernährt wird eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit, fern von dem Angesicht der Schlange“, und dass der Drache zornig über die Frau wird, als er in seinem Versuch, sie zu vernichten, gehindert wird, „und [er] ging hin, Krieg zu führen mit den übrigen ihrer Nachkommen, die die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben“ (Off 12,14–17).
Wenn diese Deutung stimmt, ist der nächste Teil des Verses leicht zu verstehen. Es heißt: „Und es wird eine Zeit der Drangsal sein, dergleichen nicht gewesen ist, seitdem eine Nation besteht bis zu jener Zeit.“ Es gibt zwei weitere bemerkenswerte Hinweise auf eben diese Zeit der Not und der Drangsal.
In Jeremia lesen wir: „Denn so spricht der Herr: Eine Stimme des Schreckens haben wir gehört; da ist Furcht und kein Friede. Fragt doch und seht, ob ein Mann gebiert? Warum sehe ich eines jeden Mannes Hände auf seinen Lenden, einer Gebärenden gleich, und jedes Angesicht in Blässe verwandelt? Wehe! Denn groß ist jener Tag, ohnegleichen, und es ist eine Zeit der Drangsal für Jakob; doch wird er aus ihr gerettet werden“ (Jer 30,5-7). Der nächste Vers beschreibt seine Rettung durch den Herrn selbst, genau wie in Daniel die Drangsalszeit von eine Rettung gefolgt wird. Unser Herr hat zudem folgendermaßen von dieser Zeitperiode gesprochen: „Denn dann wird große Drangsal sein, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird. Und wenn jene Tage nicht verkürzt würden, so würde kein Fleisch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen werden jene Tage verkürzt werden“ (Mt 24,21-22). Um jeglicher Möglichkeit eines Irrtums bezüglich dieser Drangsalszeit vorzubeugen, verbindet der Herr sie ausdrücklich mit der Aufrichtung des „Gräuel der Verwüstung, von dem durch Daniel, den Propheten, geredet ist . . . an heiligem Ort“ (Mt 24,15).
Wir erinnern uns daran, was über die siebzigste Woche in Daniel 9 gesagt wird, nämlich dass dieses Ereignis in der Mitte dieser Woche stattfinden wird. Diese Zeit der Drangsal ist demnach die letzte Hälfte – die „Zeit und Zeiten“ aus Daniel 7,25, die „eine Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit“ aus Vers 7 dieses Kapitels, und die 1.260 Tage bzw. 42 Monate aus der Offenbarung. Satan ist der Anstifter der Drangsal; doch seine Mitarbeiter, wie anderer Stelle sehen, werden die zwei großen Feinde des gläubigen Überrests unter den Juden sein, die zwei Tiere aus Offenbarung 13, sowie ihr Feind von außen, der Assyrer.
Doch während Satan die treibende Kraft hinter all der Drangsal ist, durch die das Volk Daniels wird gehen müssen, so muss doch im Gedächtnis behalten werden, dass Gott es als Stab seines Gerichts benutzt, um sein Volk für ihre krönende Sünde der Verwerfung ihres Messias zu strafen. Nachdem das Volk nach der babylonischen Gefangenschaft wieder in seinem Land zusammengeführt wurde, kam Christus in der Fülle der Zeiten, in Bethlehem geboren, nach der Vorhersage ihrer Propheten. Sein Vorläufer, Johannes der Täufer, kündigte seine Ankunft an; doch als Er in das Seine kam, nahmen die Seinen Ihn nicht an, sie lehnten Ihn ab und verwarfen Ihn, indem sie sogar so weit gingen zu sagen: „Wir haben keinen König, als nur den Kaiser.“ Auch nahmen sie die Schuld seines Todes auf sich, indem sie riefen: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ Gott konnte nicht anders, als die schuldige Nation zu züchtigen, und diese „Zeit der Drangsal“ ist die Zeit, während der sein Stab, ungeachtet der Werkzeuge, in aufeinanderfolgenden und immer härter werdenden Schlägen niedergehen wird, bis „bis der Zorn vollendet ist“ (11,36).
Doch in der Mitte des Zorns wird Er Barmherzigkeit zeigen, denn wenn diese Tage nicht (wie wir gesehen haben) verkürzt würden, würde kein Fleisch gerettet werden. Doch um der Auserwählten willen werden diese Tage verkürzt werden. Dementsprechend lesen wir am Ende von Vers 1: „Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird.“ Die Zeit, auf die sich hier bezogen wird, ist natürlich das Ende der „Zeit der Drangsal“. Wie wir tatsächlich aus anderen Propheten wissen, wird dies in dem Augenblick sein, wenn es scheinen wird, als sei alle Hoffnung verloren. Genau dann, wenn der Kiefer des brüllenden Löwen im Begriff steht, seine Beute zu zerschmettern – dann wird der Herr plötzlich zur Hilfe und Rettung seines armen und bedrängten Volkes erscheinen (siehe Sach 12-14; Jes 25,26, etc.).
Es ist interessant, dass hier eine Unterscheidung zwischen der Masse des Volkes und dem auserwählten Überrest gemacht wird. Es werden nicht alle befreit werden, sondern „jeder, der im Buch geschrieben gefunden wird“. Daher wird sehr deutlich, dass Gott seine Auserwählten unter seinem irdischen Volk hat, genau wie sein himmlisches Volk der Gegenstand seiner ewigen Auserwählung in Christus ist. Es wird auch in Offenbarung erwähnt, wo wir nach der Beschreibung des gotteslästerlichen Verhaltens des ersten Tieres lesen: „Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es anbeten, jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an“ (Off 13,8).
Gott hatte also bereits von Grundlegung der Welt an – nicht vor Grundlegung der Welt, wie die himmlischen Heiligen nach Epheser 1,4 – seinen Überrest auserwählt, der seine Auserwählung beweisen würde, indem er sich weigert, das Bild des Tieres anzubeten (vgl. 1Thes 1,4-5). Von diesen sagt der Engel, dass sie gerettet werden sollen. Einige werden in der Tat ihre Treue mit dem Märtyrertod besiegeln – doch sie werden eine umso größere Errettung erlangen, denn sie werden den himmlischen Segnungen vorbehalten sein und in der ersten Auferstehung teilhaben. Doch ob sie sterben oder, wie die 144.000 auf dem Berg Zion, durch die Drangsalszeit hindurchkommen werden, so werden alle gleichermaßen aus der Hand ihrer Feinde durch die Treue und Macht ihres Gottes gerettet werden.