In Verbindung damit, dass der Messias weggetan sein wird, wird gesagt: „Und das Volk des kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören, und das Ende davon wird durch die überströmende Flut sein; und bis ans Ende: Krieg, Festbeschlossenes von Verwüstungen“ (Vers 26). Wenn wir diese Schriftstelle und ihre Bedeutung verstehen wollen, müssen wir mit größter Aufmerksamkeit die genauen Worte beachten, die verwendet werden. Es mag hilfreich sein, wenn wir uns ein oder zwei Fakten ins Gedächtnis rufen. Wir haben in den vorherigen Kapiteln bereits gesehen, dass das vierte Königreich – welches auf das Griechische Reich folgt und die Zeit der Nationen erfüllen wird – Rom ist. Wir haben auch gesehen, dass dieses Reich keinen irdischen Nachfolger haben wird, sondern dass es in der Tat durch das Königreich des Sohnes des Menschen abgelöst werden wird.
Dann wird das westliche Römische Reich entsprechend den Lehren der Schriften wieder auferweckt werden, auch wenn es für Außenstehende so aussieht, als wäre es für immer Vergangenheit (siehe Offenbarung 13 und 17). Es wird die Form von zehn Königreichen annehmen, vereint unter einem kaiserlichen Haupt, dem kleinen Horn aus Daniel 7 oder dem ersten Tier aus Offenbarung 13. Darüber hinaus kam der Herr Jesus in der Zeit des vierten Reiches auf diese Erde, und es war ein römisches Gericht mit Pilatus als Richter, welches Ihn zum Tod am Kreuz verurteilte. Diese Tatsache ist in der Geschichte bekannt und in den Schriften bezeugt. Diese Dinge haben höchste Bedeutung für die Aussagen unserer Schriftstelle.
Er wird nicht gesagt, dass der „kommende Fürst“ die Stadt und das Heiligtum zerstören wird, sondern dass „das Volk des kommenden Fürsten“ dies tun wird. Mit anderen Worten ausgedrückt, handelt es sich bei dem „kommenden Fürsten“ um einen zukünftigen Fürsten – das kaiserliche Haupt des wiederauferstandenen Römischen Reiches der letzten Tage, wie wir im nächsten Vers sehen werden. Das „Volk“ wird mit ihm identifiziert. Es sind Römer, die aus dem gleichen Reich kommen, das noch einmal wieder erscheinen wird und wovon dieser Fürst Oberhaupt und Anführer sein wird. In diesem Abschnitt sehen wir die Zerstörung Jerusalems durch die Römer als Gericht Gottes über die Juden wegen der Kreuzigung ihres Messias und seiner Ablehnung nach seinem Tod. Unser Herr selbst sprach häufig von diesem traurigen Ereignis. Er verknüpfte es immer mit seiner Verwerfung (siehe Mt 22,7; Lk 19,41-44 etc.).
Der schreckliche Charakter dieses Gerichtes wird in den abschließenden Worten dieses Verses ausgedrückt: „. . . und das Ende davon wird durch die überströmende Flut sein.“ Und „bis ans Ende“ wird es Kriege geben, um den Willen Gottes durch die Verwüstung der heiligen Stadt zu erfüllen, denn der Herr selbst hat gesagt: „Und sie (die Juden) werden fallen durch die Schärfe des Schwertes und gefangen weggeführt werden unter alle Nationen; und Jerusalem wird von den Nationen zertreten werden, bis die Zeiten der Nationen erfüllt sind“ (Lk 21,24; siehe auch Off 11,2).
Es scheint nun offensichtlich, warum die letzte der 70 Wochen von den 62 Wochen getrennt ist. In der einen Woche (7 Jahre), in der Christus auf die Erde kam, nahmen die siebzig Wochen, von denen Gabriel sprach, ihren Lauf, und wenn die Juden Jesus von Nazareth als ihren Messias angenommen hätten, hätte Er sofort sein Königreich aufgerichtet und damit alle Segnungen, die in Vers 24 damit verbunden werden. Doch sie erkannten die Zeit ihrer Heimsuchung nicht. Als Konsequenz darauf wurden die siebzig Wochen unterbrochen. Gott zählt die Zeit nicht weiter, in der sich sein ehemaliges irdisches Volk außerhalb des Erbes aufhält und über den Erdboden zerstreut ist. Es gibt also sozusagen eine Lücke in der jüdischen Geschichte, einen Zeitabschnitt, in dem dieses Volk keine anerkannte Beziehung zu Gott hat, obwohl weiter über sie gewacht wird.47 Aber, und sein Name sei gepriesen,
„durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden, um sie zur Eifersucht zu reizen“ (Römer 11,11). Es gefiel Gott in dem Reichtum seiner Weisheit und seiner Erkenntnis, diesen Zwischenraum dafür zu benutzen, seinen ewigen Ratschluss in Christus im Blick auf die Heiligen zu entfalten, die in Christus zu seinen Erben verbunden werden und seinen Leib und seine Braut bilden. Es ist genau dieser Zeitabschnitt, der außerhalb der Zeitrechnung liegt, welcher die Zeit der Kirche, Gemeinde oder Versammlung bildet. Wenn dieser – zu einem dem Herrn angemessenen Zeitpunkt – endet, wird Gott sich wieder für die Segnungen seines auserwählten irdischen Volkes einsetzen. Dann werden sie mit überströmenden Herzen singen: „Preist den Herrn, denn er ist gut, denn seine Güte währt ewig! So sollen die Erlösten des Herrn sagen, die er aus der Hand des Bedrängers erlöst hat und die er gesammelt hat aus den Ländern, von Osten und von Westen, von Norden und vom Meer“ (Psalm 107,1-3).
Auch zwischen Vers 26 und 27 wird ein gewaltiger Zeitabschnitt eingeschoben. Vers 26 bezieht sich auf den Tod des Christus und das Gericht Gottes über Jerusalem gute dreißig Jahre danach, während Vers 27 zu einer Zeit übergeht, in welcher die der Kirche, Gemeinde oder Versammlung abgeschlossen ist und die Juden wieder in ihrem Land wohnen werden, wenn auch im Unglauben. Wenn jemand diese Interpretation als weit hergeholt betrachtet, sollte er bedenken, dass solche Umstände in den prophetischen Schriften sehr üblich sind. Zum Beispiel sagt Petrus, wenn er Psalm 34,17 zitiert: „Das Angesicht des Herrn ist gegen die, die Böses tun“, aber er fügt nicht den zweiten Teil hinzu: „. . . um ihr Gedächtnis von der Erde auszurotten“, denn obwohl es nach wie vor wahr ist, dass sein Angesicht gegen solche ist, die Böses tun, wird Er sie nicht von der Erde ausrotten, bis das Königreich des Christus aufgerichtet ist, da Gott nun durch Gnade handelt. In anderen Worten ausgedrückt muss die gegenwärtige Haushaltung, die Zeit der Gnade, zwischen die zwei Teile des gleichen Verses eingeschoben werden.48
47 Während dieser Zeit wird der Bund zwischen Gott und Israel durch den Glauben des Überrestes, der im ersten Teil dieses Buches durch Daniel und seine Freunde beispielhaft dargestellt wird, aufrechterhalten.↩︎
48 Eine weitere beachtenswerte Darstellung des gleichen Gedankens kann der Leser finden, wenn er Lukas 4,18 und 19 mit der korrespondierenden Stelle (Jesaja 61,1ff.) vergleicht. Er wird sehen, dass der Herr nicht die Worte „und den Tag der Rache unseres Gottes“ zitiert, denn dieser wird nicht kommen, bis „das angenehme Jahr des Herrn“ – was die ganze Zeit der Gnade beinhaltet – zu Ende ist.↩︎