Behandelter Abschnitt Nehemia 11,1-2
Einleitung
Bevor wir in dieses Kapitel einsteigen, mag es hilfreich sein, dem Leser die Gesamtstruktur dieses Buches deutlich zu machen. Bis Nehemia 7,5 finden wir Nehemias persönliche Erzählung von dem Moment an, als er zum ersten Mal von der Bedrängnis und der Schmach des Überrestes in Juda sowie dem beklagenswerten Zustand Jerusalems gehört hatte, bis zur Vollendung des Mauerbaus. Der Rest von Kapitel 7 beinhaltet „das Geschlechtsverzeichnis derer, die zuerst heraufgezogen waren“ (7,5). Der Teil, der in Nehemia 8-10 berichtet wird, gibt die Lesung des Gesetzes durch Esra und dessen Wirkung wieder, die in dem Bekenntnis der Sünden und dem Schließen eines Bundes sowie im Halten des Gesetzes und aller Vorschriften des Hauses Gottes gesehen werden kann. Dieser Teil des Buches, wenn er denn von Nehemia selbst geschrieben wurde, ist nicht wie der vorherige Teil in der ersten Person Singular sondern wird in der Wir-Form geschrieben (siehe 10,31.33.35).
Wenn wir nun zu Nehemia 11 kommen, finden wir eine Beschreibung dessen, wie das Volk sowohl in Jerusalem als auch in den Städten Judas verteilt wurde, als auch ihre Geschlechtsregister. Dem folgt in Nehemia 12,1-26 eine Liste der Priester, die mit Serubbabel und Jeschua hinaufzogen, sowie der Leviten, die in bestimmten Zeiten als Häupter der Väter aufgezeichnet wurden. In Nehemia 12,27-43 finden wir die Einweihung der Mauer. Das Kapitel schließt mit der Berufung einiger Männer „über die Vorratskammern“ (12,44) sowie mit einer Beschreibung der Abgaben zur Erhaltung der Sänger und Torhüter. Das letzte Kapitel (Neh 13) beginnt mit einer Beschreibung der Missstände, die Nehemia bei seiner Rückkehr nach Jerusalem von einem Besuch beim König von Babylon fand. Zudem wird von den eifrigen Anstrengungen berichtet, die er zu ihrer Korrektur unternahm, sowie von der Zeremonie der Einweihung der Mauer. Dieses Kapitel ist von Nehemia selbst geschrieben, denn es ist ein Bericht dessen, was er selbst sah und tat.
Wenn wir nun zu Kapitel 11 zurückkehren, beobachten wir, dass die ersten beiden Verse für sich stehen – sie sind in sich vollständig.
„Und die Obersten des Volkes wohnten in Jerusalem. Und das übrige Volk warf Lose, um je einen von zehn kommen zu lassen, damit er in Jerusalem, der heiligen Stadt, wohne, die neun anderen Teile aber in den Städten blieben. Und das Volk segnete alle Männer, die sich freiwillig erboten, in Jerusalem zu wohnen“ (11,1–2).
„Die Stadt“, wie wir bereits gelesen haben, „war geräumig und groß, und das Volk darin spärlich, und keine Häuser waren gebaut“ (7,4). In Wirklichkeit war es zu diesem Zeitpunkt kaum etwas anderes als ein trostloser Trümmerhaufen, und daher gab es für den größten Teil des Volkes dort keine Existenzgrundlage. Doch da es immer der Sitz der Autorität gewesen und noch immer „die heilige Stadt“ war, würden die Regierenden, die auch wohlhabende Männer sein würden, ihren Wohnsitz selbstverständlich innerhalb seiner heiligen Mauern bestimmen müssen. Denn wären sie Männer des Glaubens gewesen, so hätten sie die Stadt nicht so gesehen, wie sie augenblicklich vor ihren Augen stand, sondern so, wie sie in Zukunft sein würde – als „die Stadt des großen Königs“ – und als solche „der Schönheit Vollendung, eine Freude der ganzen Erde“ (Klgl 2,15). Dennoch brauchte es sowohl Menschen als auch Herrscher, und so warf das übrige Volk „Lose, um je einen von zehn kommen zu lassen, damit er in Jerusalem, der heiligen Stadt, wohne, die neun anderen Teile aber in den Städten blieben“.
Doch neben diesen gab es andere, „die sich freiwillig erboten, in Jerusalem zu wohnen“. Von diesen wird gesagt, dass das Volk sie segnete. Die, auf welche das Los fiel, gingen aus reiner Notwendigkeit. Doch die, die sich willig anboten, gingen aus einer freien Entscheidung und Zuneigung heraus. Dieses freiwillige Angebot konnte nur aus Liebe zu dem Ort hervorspringen, den Gott als seine Wohnung gewünscht und auserwählt hatte. Daher war es ein Beweis dessen, dass sie in gewisser Weise in die Gedanken und das Herz Gottes eingedrungen waren. „Es gehe wohl denen“, schreibt der Psalmist, „die dich lieben“ (Ps 122,6) – Jerusalem –, denn in der Tat zeigte dies ein Herz, das in Übereinstimmung mit dem Herzen Gottes war. So war es auch mit diesen Männern, die sich selbst anboten, denn für den Herrn war die Stadt in den Tagen ihrer Zerstörung genauso wertvoll wie in denen ihrer Blüte und Pracht, obgleich Er Nebukadnezar gesandt hatte, um sie niederzureißen. Es war zur Zeit Nehemias sowie in der Zeit Salomos genauso wahr: „Der Herr liebt die Tore Zions mehr als alle Wohnungen Jakobs“ (Ps 87,2).
Und deshalb muss es dem Herrn wohlgefällig gewesen sein, als diese Männer ihren Wunsch ausdrückten, in Jerusalem zu wohnen. Das Volk scheint dies verstanden zu haben, denn es segnete die, die sich auf diese Weise bereiterklärten. Wenn sie auch nicht selbst die Kraft hatten, es ihnen gleich zu tun, so konnten sie doch nicht anders, als die zu bewundern, die sie aufbrachten. Sie erkannten das Vorrecht, das sie genießen würden, und waren dadurch gezwungen, sie zu segnen. Sie mögen sich an die Worte ihrer eigenen Psalmen erinnert haben: „Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist, in deren Herzen gebahnte Wege sind! Wenn sie durchs Tränental gehen, machen sie es zu einem Quellenort, ja, mit Segnungen bedeckt es der Frühregen. Sie gehen von Kraft zu Kraft; sie erscheinen vor Gott in Zion“ (Ps 84,6-8). Wie oft wird es auch heute noch gesehen, dass es Gläubige gibt, die den Segen der Hingabe an Christus und seine Interessen bewundern können, ohne das Herz oder den Mut zu haben, selbst den gleichen Weg zu beschreiten!