Behandelter Abschnitt 1Phil 1,20-30
Phil 1,20-30: … 20 nach meiner sehnlichen Erwartung und Hoffnung, dass ich in nichts werde zuschanden werden, sondern mit aller Freimütigkeit, wie allezeit, so auch jetzt Christus erhoben werden wird an meinem Leib, sei es durch Leben oder durch Tod. 21 Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn. 22 Wenn aber das Leben im Fleisch mein Los ist – das ist für mich der Mühe wert, und was ich erwählen soll, weiß ich nicht. 23 Ich werde aber von beidem bedrängt, indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser; 24 das Bleiben im Fleisch aber ist nötiger um euretwillen. 25 Und in dieser Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen bleiben werde zu eurer Förderung und Freude im Glauben, 26 damit euer Rühmen in Christus Jesus meinethalben überströme durch meine Wiederkunft zu euch. 27 Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus, damit, sei es, dass ich komme und euch sehe oder abwesend bin, ich von euch höre, dass ihr feststeht in einem Geist, indem ihr mit einer Seele mitkämpft mit dem Glauben des Evangeliums 28 und euch in nichts erschrecken lasst von den Widersachern; was für sie ein Beweis des Verderbens ist, aber eures Heils, und das von Gott. 29 Denn euch ist es im Blick auf Christus geschenkt worden, nicht allein an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden, 30 da ihr denselben Kampf habt, wie ihr ihn an mir gesehen habt und jetzt von mir hört.
Der Apostel vertraute auch dem Herrn – es war seine „sehnliche Erwartung und Hoffnung“ -, dass die Gnade, die ihn bis jetzt erhalten hatte, ihn bis zum Ende erhalten würde. Seine Zuversicht war, dass er in keiner Hinsicht beschämt werden, sondern dass Christus an seinem Leib erhoben werden würde, ob durch sein Weiterleben oder durch seinen Märtyrertod. „Denn“, sagt er, „das Leben ist für mich Christus und das Sterben Gewinn.“ So völlig stand Christus vor seinem Blick und so völlig war er Ihm mit Leib und Seele hingegeben, dass er völlig einverstanden war, zu leben oder zu sterben, wie es den Absichten des Herrn am meisten entsprach und zu seiner Verherrlichung diente. An einer solchen Sprache erkennen wir, wie das Ich völlig beiseitegesetzt ist und der Herr – seine Herrlichkeit und der Dienst für Ihn – den Blick und das Herz in Beschlag genommen hat. Christus war das einzige Anliegen des Apostels: Noch weiter hier zu leben bedeutete, weiter für die Ehre seines Namens zu arbeiten und noch tiefer mit Ihm vertraut zu werden. Aber auch zu sterben war ein Gewinn für den leidenden Apostel, denn dann würde er bei Christus sein – „einheimisch bei dem Herrn“. Wie schmerzlich war es für einen so Treuen, schreiben zu müssen: „Alle suchen das Ihre, nicht das, was Jesu Christi ist“ (Phil 2,21). Nur wenige führten ihr Glaubensleben wie er und Timotheus; bei den meisten vermischten sich eigene Interessen mit dem Dienst für den Herrn, und das schon in seiner damaligen Zeit.
So wollte Paulus gern bleiben, aber auch gern abscheiden; er fühlte sich im Widerstreit zwischen beidem. Doch er dachte an die Versammlung, deren Diener er in einer besonderen Weise war. Sie trug er auf dem Herzen und er nahm teil an den Zuneigungen und Empfindungen des Hauptes für seine Glieder, und das machte die Sache schwierig. Für ihn selbst wäre es besser gewesen, abzuscheiden und alle Leiden und Bedrängnisse hinter sich zu lassen, „das Bleiben im Fleisch aber ist nötiger um euretwillen“. Wir müssen im Auge behalten, dass schon zu dieser frühen Zeit auf allen Seiten der Niedergang einsetzte: Böse Männer waren schon am Werk und suchten das Zeugnis des Herrn zu verderben und die Gläubigen zu verführen. Paulus wusste, dass das Böse sich weiter ausbreiten würde; das hatte er den Ältesten von Ephesus schon einige Zeit vor der Abfassung des Philipperbriefes gesagt (Apg 20). Deshalb wollte er gern noch bleiben und das Boot der Versammlung etwas länger über das unruhige Meer geleiten. Und erfüllt mit diesem Wunsch und dem Vertrauen, dass sein Bleiben im Fleisch nötig war, wusste er, dass er bleiben und mit den Gläubigen weitergehen würde zu ihrer Förderung und Freude im Glauben.
Beachten wir die ruhige Würde dieses Mannes! Vom menschlichen Standpunkt aus lag es in den Händen des Kaisers, ob er blieb oder nicht; aber er blickte nicht auf den Menschen, ob hoch, ob niedrig, sondern regelte seinen Fall lieber vor dem Herrn. Für die Gläubigen war es nötig, dass er eine Zeitlang bleiben würde, und das konnte weder der Hass der Juden noch die Laune des Kaisers verhindern. Er war überzeugt, dass er seine geliebten Philipper wiedersehen würde, und rechnete mit ihrer Liebe, so dass bei ihrem Wiedersehen ihre Freude in Christus Jesus überströmen würde.
Beachten wir auch, dass er „zu ihrer Förderung und Freude im Glauben“ zu bleiben wünschte. Was für eine liebliche und schlichte Sprache für einen Apostel – jemand, der vom Herrn mit Autorität ausgestattet war! Paulus vermied es so weit irgend möglich, Autorität zur Schau zu tragen, und war damit in seinem Geist weit entfernt von solchen, die gern über Gottes Besitz herrschen wollten. Er sagte lieber: „Nicht, dass wir über euren Glauben herrschen, sondern wir sind Mitarbeiter an eurer Freude; denn ihr steht durch den Glauben“ (2Kor 1,24). Doch ob er nun kam oder nicht, sein Wunsch war, dass der Lebenswandel der Gläubigen gut war: „Wandelt nur würdig des Evangeliums des Christus.“ Darin bestand seine Freude, wie er den Thessalonichern sagte: „Denn jetzt leben wir, wenn ihr feststeht im Herrn“ (1Thes 3,8), und wie Johannes sagt: „Ich habe keine größere Freude als dies, dass ich höre, dass meine Kinder in der Wahrheit wandeln“ (3Joh 4). Ein solches Einssein mit der Herrlichkeit Christi ist doch etwas Kostbares!
Paulus begehrte zweierlei für die Philipper: Erstens sollten sie „feststehen in einem Geist, indem sie mit einer Seele mitkämpften mit dem Glauben des Evangeliums“, und zweitens sollten sie sich „in nichts erschrecken lassen von den Widersachern“.
Praktische Einheit ist etwas sehr Kostbares und von höchster Wichtigkeit, wie der Apostel in Philipper 2,1-4 noch ernstlich betonen wird. „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ (Ps 133). Der Heilige Geist ist das Band der Einheit und auch ihre Kraft. Wenn Er in den Herzen der Gläubigen wirkt, stellt er ihnen ein Ziel vor Augen und fügt sie zusammen zu einem Entschluss und einer Absicht. Das darf man nicht mit äußerlicher Übereinstimmung verwechseln. Die kann auch durch eine allgemeine Zustimmung zu einem Glaubensbekenntnis bewirkt werden oder dadurch, dass man sich einem Gesetzbuch unterwirft oder gar einer Person wie beim Papsttum. Aber die Einheit des Sinnes, die der Heilige Geist bewirkt und aufrechterhält, ist etwas unvergleichbar Höheres und Gesegneteres. „Mit dem Glauben des Evangeliums mitkämpfen“ ist, wie ich es verstehe, etwas anderes, als „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen“ (Jud 3). Das Letzte hat zu tun mit Verderbnis von innen, das Erste mit einer feindlichen und im Fall der Philipper heidnischen Welt. Sie sollten sich durch ihre Widersacher nicht erschrecken lassen, da sie wussten, dass der, der in ihnen war, größer war als der, der in der Welt war (vgl. 1Joh 4,4). Sie sollten dem Verfolger mutig die Stirn bieten. Dieser ruhige Mut, den die Gnade uns schenkt, wirkt in zwei entgegengesetzten Richtungen: Für den Feind ist er ein offenbares Zeichen seines Verderbens, für die leidenden Gläubigen ist er eine Zusicherung des Heils, und das von Gott. Die Feinde kommen dahin, zu erfahren, dass der Christ unbesiegbar ist und dass auch das Schlimmste nur seine Glückseligkeit vertieft. So kann er die Gewissensregung nicht unterdrücken, dass er gegen Gott kämpft, was nur zu seinem Verderben führen kann, wie es denn „bei Gott gerecht ist, denen, die euch bedrängen, mit Drangsal zu vergelten“ (2Thes 1,6). Auf der anderen Seite empfindet der Gläubige, dass die Gnade, die ihn durch den Feuerofen hindurch bewahrt, ihn auch bis zum Ende aufrechterhalten wird. Und weil er so gleichsam den Helm des Heils trägt, geht er unverzagt und mit heiliger Ruhe voran. Zu leiden ist ein Vorrecht, sagt uns der Apostel Paulus (vgl. Mk 10,35-40).
Es besteht ein Unterschied zwischen dem Leiden mit Christus und dem Leiden für Ihn. Das Erste ist die notwendige Frucht davon, dass man seine Natur hat, und ist damit in höherem oder geringerem Maß das Teil jedes Christen; das Zweite ist das Ergebnis der Einsmachung mit Ihm und seiner Sache in der Welt. In diesem Sinn hatte Paulus in Philippi gelitten und litt er nun in Rom. Die Philipper schmeckten jetzt denselben Kelch. Aber es war „für ihn“, und das versüßte alles – wie damals in Mara, als Israel das bittere Wasser nicht trinken konnte, aber Gott Mose ein Holz zeigte, das ihnen das Wasser süß machte.