Vers 23: „Ich in ihnen, und du in mir, auf daß sie vollkommen seien in eins" — nicht nur in gewissen Punkten—sondern es soll völlige Einheit herrschen, Einheit des Zieles, der Anbetung, der Willigkeit, einander zu dienen, einer den andern höher achtend als sich selbst. Das ist wahre Vollendung: aus aller Entzweiung heraus in diese göttliche Einheit. Das ist dann auch die wirksamste Evangelisation, eine Offenbarung Gottes wie keine andere.
„Auf daß die Welt erkenne, du habest mich gesandt." Da geht der Welt ein Neues auf; sie bekommt eine Ahnung von dem Wesen Gottes. „Seht, wie sie einander so lieb haben!", hieß es von der ersten Christengemeinde. Das war eine Offenbarung Gottes vor der Welt, wie sie keine weltliche Verbrüderung und Vereinigung zustande bringt. Das ist Geistesmacht — das ist das Testament unseres Heilandes, daß die Gemeinde vollendet werde in eine göttliche, unteilbare Einheit, welche siegt über alle Finsternis, alle Sympathien und Antipathien, alle Bitterkeit — alles, was zu tragen und zu vergeben ist. Die Liebe hat göttliche Tragkraft; sie läßt sich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem. Wie gesagt, das ist dann die direkteste, wirksamste Evangelisation, über der der Welt ein neues Licht aufgeht — ein neues Licht über Gott und das Wesen Gottes durch Seine Jünger, durch die Gemeinde, durch die Gemeinschaft der Heiligen. Damit ist der Welt gegenüber ein Siegel gedrückt auf des Herrn Sendung und auf die Liebe Gottes zu den Seinen. „Auf daß die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebst."
Mit der gleichen Liebe, mit der der Vater den Sohn geliebt hat, liebt Er mich und dich, Bruder und Schwester, und dadurch, daß Er Seine Liebe in uns ausgegossen hat, haben wir Macht, einander zu lieben und zu tragen.
Vers 24: „Vater, ich will..." Ist diese Sprache nicht anmaßend vom Sohne dem Vater gegenüber? Da steht es schwarz auf weiß — und dieses „Ich will" zeigt uns, wieviel unserem Heiland daran liegt, daß Nachstehendes in Erfüllung gehe. Er kann nicht anders sprechen; denn Er hat sich zusammengeschlossen mit den Seinen. Des Sohnes innere Stellung war: „Herr, nicht mein, sondern dein Wille geschehe." Hier aber durfte Er so kühn vor den Vater treten, weil Er wußte, Er berührte sich hier mit dem innersten Wesen des Vaters. Aus dem Herzen des Vaters heraus hat Er dieses bestimmte Verlangen an den Vater gerichtet, daß die, die Er Ihm gegeben hatte, bei Ihm seien.
„Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war." Das Haupt kann nicht sein ohne die Glieder — das ist gar nicht möglich. Im Augenblick, wo unser Heiland im Begriff war, von der Erde zu scheiden, öffnet sich Ihm der Blick weit in die Ewigkeit zurück. Ehe Gott sprach: „Es werde Licht", ruhte der Sohn im Schoße des Vaters, und durch den Sohn ist die Welt und sind auch wir geschaffen.