„Au derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu mit der Frage: Wer ist doch der Grösste im Himmelreich?" Das ist eine merkwürdige Frage, gerichtet an den, der von der höchsten Höhe heruntergestiegen ist und unser Fleisch an sich genommen, der hienieden in Niedrigkeit gewandelt hat, und sich dann ans Kreuz erhöhen liess, nachdem er zu seinen Jüngern gesagt hatte: „Wenn ich erhöhet sein werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen", — d. h. zuerst in seine Nachfolge und dann sich nach ans Kreuz, als Mitgekreuzigte.
Die Welt ist voller Selbstsucht. Wenn man in dem Worte Selbstsucht einen einzigen Buchstaben verändert, so heisst es Selbstzucht. Der natürliche Mensch hat nicht Macht, sich in Zucht zu halten. Wenn er eine gute Erziehung erhalten hat, so tut er es bis zu einem gewissen Grade und bringt es auch bis zu einem gewissen Grade fertig, wenigstens in der Gesellschaft. Er lässt nicht heraus, was in ihm ist, ist bescheiden um des guten Tones willen — aber demütig ist er damit nicht. Wahre Demut, die nichts gellen will, die sich im Schatten wohl fühlt und gern im Schalten bleibt, hat nur der Herr Jesus gekannt, und die lernt man nur von ihm. Er hat gesagt: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig." Wie gesagt, es gibt auch eine Scheindemut — eine anerzogene Bescheidenheit, die zum guten Ton gehört.
Wahrhaftig demütig sein kann nur ein Kind Gottes — solche wahre Demut lernt und bekommt man nur in der Schule Jesu durch den Heiligen Geist. Da steigt man hinunter, wo man vorher immer hoch hinaus und hoch hinauf wollte. Nur wer klein geworden und heruntergestiegen ist, wird den Kleinen kein Ärgernis geben. Demut und Keuschheit — Reinheit besteht darin, dass man nicht etwas in den Gesichtskreis der Kinder stellt, was sie nicht zu wissen brauchen und was sie aus der Einfalt herausbringt. Die Welt ist der Ärgernisse voll — da können den Menschen nicht Ärgernisse erspart werden, wie schon Adam und Eva im Garten Eden die Probe nicht erspart werden konnte. Immer wieder treten Sachen irgend welcher Art an den Menschen heran, die ihm Ärgernisse in den Weg legen, mögen sie aus seiner Stellung oder aus seiner Aufgabe in der Welt erwachsen. Und was tut man dann?