Behandelter Abschnitt Mt 9,18-26Mk 5,22-43.
Was uns in besonderer Weise in der Geschichte der Auferweckung von Jairi Töchterlein entgegentritt, ist, dass der Heiland nie zu spät kommt, dass nie eins über das andere zurückgesetzt wird, und dass wir nichts dadurch verlieren, wenn er uns warten lässt und andere zuerst heilt. Der Oberste der Schule war in äusserster Not. Es war nicht übertrieben, wenn er sagt: „Herr, meine Tochter ist jetzt gestorben . . ." Natürlich kam unter diesen Umständen für den Vater alles darauf an, dass der Herr so geschwind wie möglich kam; darum sagt der Oberste auch: „Komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig." Liegt jemand einmal in den letzten Zügen, so ist das ein starker Glaube — wie vielmehr, wenn ein Vater sagen kann meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig."
Der Herr ist in der Tat an nichts gebunden. Aber da kommt ein Zwischenfall. Während Jesus dem Kinde zu Hilfe eilt, drängt sich ein Weib durch die Menge hindurch, das schon seit zwölf Jahren schwerkrank war. Dieses Weib hatte viel erlitten von den Ärzten, und es war eher schlimmer als bester mit ihr geworden, heisst es in Markus Z. Nun hört sie von Jesu. Es gibt nichts, was der Herr nicht zu heilen vermag — ja, er kann selbst Tote auferwecken.
Das Weib hat sich durch die Volksmenge hindurchzudrängen gewusst, und es ist ihr gelungen, sein Kleid anzurühren, wir können ihm sein Wort vorhalten und warten auf sein Heil. Sie wäre am liebsten verborgen geblieben, aber Jesus will sie nicht so ohne weiteres gehen lasten. Er war sich bewusst geworden, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war. Ihr Glaube hatte ihr geholfen. Markus 5,30 heisst es: „Jesus fühlte alsbald an sich selbst die Kraft, die von ihm ausgegangen war . . ." Die Geheilte darf sich mit ihrer Heilung nicht verbergen — sie soll Zeugnis ablegen von dem, was der Herr an ihr getan hat. „Er wendet sich zum Volke und fragt: „Wer hat mich angerührt?" Und er sah sich um nach der, die das getan hatte.
Nun muss das Weib dem Herrn vor die Augen treten, zu dem sie sich hingedrängt hatte. Vers 33: „Das Weib aber fürchtete sich und zitterte — denn sie wusste, was an ihr geschehen war, — kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sprach zu ihr: „Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen, bat dich gesund gemacht; gehe hin mit Frieden und sei gesund von deiner Plage." Das war ein Siegel, das der Herr auf die Heilung legte. Es war nicht nur eine momentane Heilung, sondern eine dauernde. Wenn wir in unserem äusseren oder inneren Leben etwas von göttlicher Handreichung erfahren, so wollen wir uns nicht nur einfach davonmachen, sondern beim Herrn bleiben und uns nur umso enger mit ihm verbinden. Und nun, was geschah?
Über der Begegnung mit dem Weiblein ging Zeit hin, und die Tochter des Obersten war mittlerweile gestorben. Markus 5,35 heisst es: „Da Jesus noch also — zu dem Weibe redete — kamen etliche vom Gesinde des Obersten der Schule, und sprachen: Deine Tochter ist gestorben, was bemühest du weiter den Meister?" Sobald Jesus diese Rede gehört hatte, sprach er zu dem Obersten der Schule: „Fürchte dich nicht, glaube nur!" Und dasselbe sagt er uns, wenn uns jemand aufhalten will, und wenn Zweifel und Unglaube sich in unser Herz einschleichen wollen. Daraufhin nimmt der Herr die drei Jünger, die ihm besonders nahe gestanden haben, und geht mit ihnen in das Haus des Obersten, wo bereits ein grosses Getümmel war — ein grosses Weinen und Heulen.
Gottlob und Dank, dass das bei uns nicht mehr Brauch ist! Wir brauchen uns nicht mehr so zu gebärden, unseren Schmerz in dieser Weise zur Schau zu tragen — damals aber gehörte das zur Totenklage. Der Herr tritt in das Totenzimmer und gebietet Schweigen. Er sagt nicht, dass das Mägdlein gestorben sei, sondern er sagt: „Es schläft." Wenn die Menschen meinen, es sei alles aus, ist damit nicht gesagt, dass der Herr es auch so ansieht. Für ihn ist auch der Tod als solcher aufgehoben und ist nur ein Schlaf, aus dem er wecken kann, wie er dereinst auferwecken wird, die in ihm entschlafen sind, um dann die ganze Gemeinde zu sich hinaufzunehmen.
Der Herr lässt das Zimmer raumen. Er will mit den Eltern allein sein. Bei diesem Eingreifen in die Totenwelt soll nicht die Menge dabei sein. Als er mit den Eltern des Kindes, und den ihn begleitenden Jünger allein war, geht er hinein, wo das Kind lag, „und ergriff das Kind bei der Hand und sprach zu ihr: „Talitha kumi — das ist verdolmetscht: Mägdlein, ich sage dir: stehe auf!" Und alsbald stund das Mägdlein auf und wandelte." „Es war aber zwölf Jahre alt. Und sie entsetzten sich über die Massen . . . und sagte, sie sollten ihr zu essen geben." Er sorgt auch für die materiellen Bedürfnisse derer, die sich ihm anvertrauen.
Das Grosse, das er in der Kraft seines Vaters hatte tun dürfen, macht ihn nicht blind für das verhältnismässig Kleine. So sorgt er auch für unser neues geistliches Leben Tag für Tag. Wie er damals sorgte, so sorgt er heute für das innere Leben der Wiedergeborenen, für seine ganze Gemeinde. „Gebt ihr ihnen zu essen aus dem geschriebenen Wort." „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Worte, das durch den Mund Gottes geht." Die Speise hat ihre volle Kraft nur, so weit der Herr sie segnet. So möge er seinen Segen geben aus Gnaden zur Auferbauung des neuen Menschen, und so möge er besonders auch diese Tage der Stille gesegnet sein lassen, dass jedes tiefer als bisher eindringe in das Wesen des Heiles, das der Herr bereitet hat.