Behandelter Abschnitt Tit 1,1-4
Einleitung
Mit Recht wurde schon darauf hingewiesen, dass der erste Brief an Timotheus, wie auch der Brief an Titus, jeder durch den Auftrag, womit der Apostel seine beiden Vertreter und Mitarbeiter im Werke betraut hat, seinen Charakter erhielt. Timotheus sollte über die gesunde Lehre wachen (1Tim 1,3-4), Titus über die Ordnung im Hause Gottes (Tit 1,5).
Wir wollen uns hier aber nicht mit dem beschäftigen, worin sich diese beiden Briefe unterscheiden – andere haben dies schon getan – sondern uns im Laufe dieser Betrachtung auf ihre Berührungspunkte begrenzen, um so in unserem schwachen Masse zum Verständnis dieses wichtigen Gegenstandes beizutragen.
Der Brief an Titus, der wie der erste Timotheusbrief nachdrücklich auf der Lehre oder der Belehrung unter den Gläubigen [1,9; 2,1.3.7.10; 1Tim 1,10; 2,7; 4,6.13.16; 5,17; 6,1.3 .] besteht, indem er sie der Unterweisung der falschen Lehrer gegenüberstellt, verweilt mehr bei den fundamentalen Wahrheiten des Christentums. Er zeigt die Früchte dieser Wahrheiten, die aus dem praktischen Leben der Gläubigen hervorgehen sollen, damit eine schöne Ordnung das Haus Gottes kennzeichnen und eine gute Harmonie zwischen allen Gliedern bestehen kann.
Die «gesunde Lehre» umfasst die göttlichen Grundsätze, die in den drei Hauptteilen dieses Briefes dargelegt werden.
Wir finden in der ersten dieser Stellen (Tit 1,1-4), die Lehre des Christentums, zusammengefasst in den grossen Wahrheiten, die es charakterisieren; in der zweiten (Tit 2,11-14), die Summe des Christentums, nicht mehr in ihren typischen Wahrheiten, sondern in ihrer praktischen Verwirklichung in unserem Wandel und in unserem Verhalten; die dritte schliesslich (Tit 3,4-7) unterweist uns über das Werk Gottes in uns und über die Mittel, deren es sich bedient hat, um uns zu Ihm zu führen und uns das Heil zu erwerben.
Wir werden Gelegenheit haben, auf alle diese Stellen im einzelnen zurückzukommen und sie zu erläutern. Aber bevor wir dazu übergehen, drängt sich eine Bemerkung auf: In den Tagen, durch die wir gehen, ist es von allergrösster Wichtigkeit, auf dieser grossen Wahrheit zu bestehen: Die Praxis des christlichen Lebens ist untrennbar von der gesunden Lehre. Tatsächlich, man begegnet heute immer mehr der Meinung, man könne die Christen trotz ungesunder Lehren, welche die Wahrheiten, oft die fundamentalsten des Christentums, verändern oder verderben, gleichwohl dazu bringen, gottgemässe Früchte zu tragen. Damit wertet man die Heiligen Schriften ab, die einzige und unfehlbare Sammlung dieser Wahrheiten. Indem aber dem christlichen Leben seine absolute Grundlage – das inspirierte Wort – entzogen wird, vergisst man, dass nicht ohne den Baum, der sie trägt, Früchte produziert werden können.
Der gefallene Mensch kann aus sich selbst überhaupt keine Früchte für Gott hervorbringen, so wenig wie ein schlechter Baum gute Früchte tragen kann. Indem man aus dem Worte Gottes einen Führer macht, der zwar mit einer höheren Moralität ausgestattet ist, aber unter dem Einfluss der Irrtümer und Vorurteile seiner verschiedenen Schreiber verfasst wurde, vergisst man ferner, dass selbst ein guter Baum, durch die Verstümmelung seiner Rinde des ihn nährenden Saftes beraubt, unfähig ist, eine genügende Ernte oder überhaupt eine Ernte zu bringen.
Die enge Verbindung zwischen der Lehre und dem praktischen Leben findet sich in der Schrift auf Schritt und Tritt. Der 119. Psalm zeigt uns, dass der Pfad des Gerechten allein durch das Wort vorgezeichnet und erleuchtet wird. Der Gläubige bekennt, dass er ohne die Unterweisung der Schrift «umherirrte wie ein Schaf». Die beiden Briefe an Timotheus sind voll von dieser Wahrheit.
In 2. Timotheus 3,16 wird gesagt, dass es die von Gott inspirierten Schriften sind, die uns bezüglich der praktischen Gerechtigkeit in unserem ganzen Wandel belehren und unterweisen. Das zweite Kapitel unseres Briefes genügte schon allein, um uns von dieser wichtigen Wahrheit zu überzeugen und uns zu ersparen, weitere Beispiele anzuführen. Erinnern wir uns ferner daran, dass selbst der Christ, der ein völliges Vertrauen in die absolute Autorität des geschriebenen Wortes besitzt, immer wieder sehen wird, wie die Gesundheit seines praktischen Lebens von dem Masse abhängt, in welchem er sich von den Schriften nährt, mit ihnen in Kontakt bleibt und sich ihrer Unterweisung unterwirft.
Kapitel 1
«Paulus, Knecht Gottes, aber Apostel Jesu Christi, nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und nach der Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, in der Hoffnung des ewigen Lebens, welches Gott, der nicht lügen kann, verheissen hat vor den Zeiten der Zeitalter, zu seiner Zeit aber sein Wort geoffenbart hat durch die Predigt, die mir anvertraut worden ist nach dem Befehl unseres Heiland-Gottes, – Titus meinem echten Kinde nach unserem gemeinschaftlichen Glauben: Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und Christo Jesu, unserem Heilande!» (V. 1–4).
Das ist die erste Hauptstelle in unserem Brief. Wie wir schon gesagt haben, wird in diesen vier Versen in gedrängter Kürze das unerschöpfliche Thema der grossen Wahrheiten des Christentums zusammengefasst.
Wir lernen zuerst, dass die Quelle dieser Segnungen sich in Gott selbst befindet. Er wird uns in erster Linie in Seinem absoluten Charakter als Gott vorgestellt; dann als der wahre Gott, der nicht lügen kann; hierauf als der Heiland-Gott, der sich Verlorenen gegenüber als solcher offenbart; schliesslich als Gott, der Vater, als Gott der Liebe. Doch haben wir in Christo Jesu, unserem Heilande die Offenbarung alles dessen, was Gott für uns ist.
Der Apostel Paulus ist das Werkzeug dieser Offenbarung. Er nennt sich Knecht Gottes. Diesem Titel begegnen wir in den Briefen nur zweimal (hier und in Jakobus 1,1) und etliche Male in der Offenbarung, während der Ausdruck Knecht Christi öfters vorkommt. Ein Knecht Gottes zu sein, setzt eine völlige Abhängigkeit voraus, Furcht und Zittern in seinen Tätigkeiten, Achtung vor jedem Wort, das aus dem Munde Gottes hervorgegangen ist, tiefes Bewusstsein unserer Verantwortung.
Gleichzeitig wird der grosse Apostel der Nationen durch seine Eigenschaft als Knecht in die geringste und bescheidenste Stellung versetzt. Diese Haltung sollte Titus zum Beispiel sein, der soeben berufen worden war, einen Ehrenplatz einzunehmen: Wenn der Apostel selbst eine so bescheidene und abhängige Stellung einnahm, wieviel mehr sollte dies bei seinem Jünger der Fall sein!
Als Knecht oder Sklave Gottes gehörte sich Paulus nicht selber an. Was Gott von Seinem Knecht erwartet, ist vorbehaltloser Gehorsam, eine gewissenhafte Treue in der Ausrichtung der Botschaft, die der Meister, dem er angehört, ihm anvertraut hat. Aber diese ernste Botschaft hat nichts Erschreckendes an sich und enthält keinerlei Drohung; denn der, welcher sie zu andern trägt, ist Knecht des «Heiland-Gottes».
Daher nennt sich Paulus auch «Apostel Jesu Christi». Wenn Gott ihm die Wahrheit in die Hände gegeben hat, so sendet ihn Christus aus, um sie bekanntzumachen und sie zu verbreiten. Dieser Auftrag versetzt Paulus in eine besondere Beziehung zu Christo, als Sein Apostel, durch Ihn ausgesandt, um der Welt die Wahrheiten zu bringen, die Gott von Ewigkeit her in Aussicht hatte, Wahrheiten, die den Menschen als solche angeboten wurden, die ihr Teil sein würden, auf Grund des Werkes Christi. Daher konnte Paulus sagen: «Christus Jesus, unser Heiland»; der Urheber des Heils, das zu aller Zeit zum Ratschluss des Gottes der Liebe uns gegenüber gehörte. Von diesem Heil redet Paulus als ihm selbst angehörend. Er kann sagen: Christus ist nicht nur der Heiland, Er ist auch der meinige und aller derer, die an Ihn glauben: unser Heiland. Das Heil ist uns durch Jesum Christum erworben worden. Er selbst ist Knecht Gottes geworden, um es uns zu erwerben, und uns zum Diener, um es auf uns anzuwenden, nachdem Er es vollbracht hat (Phil 2,6-8).
Kapitel 1,1–4
Betrachten wir jetzt, worin der Dienst des Apostels bestand:
Sein Apostelamt hat mit den Grundsätzen des Judentums nichts gemein. Es ist völlig unabhängig vom Gesetz. Es ist «nach dem Glauben der Auserwählten Gottes».
Es richtet sich weder an das Fleisch, noch an den Willen des Menschen, sondern an den Glauben, im Gegensatz zum Gesetz. Ferner schliesst es den jüdischen Grundsatz eines Volkes, das auf eine fleischliche Herkunft gegründet ist, gänzlich aus. Gewiss, diese Abstammung war ursprünglich von dem Glauben des einen Abraham abgeleitet, indem sie aber die Beziehungen nach dem Fleische zu dem aus ihm hervorgegangenen Volke bestehen liess. Aber dieses Volk nach dem Fleische, berufen, sich dem Gesetz zu unterwerfen, hat durch seinen Ungehorsam jedes Recht verloren, als das Volk Gottes anerkannt zu werden. Es wird später diesen Anspruch – gleichwie wir – nur auf dem Boden des Glaubens der Auserwählten wiederfinden.
Das Apostelamt des Paulus richtet sich an den individuellen Glauben und nicht an ein bevorzugtes Volk, hervorgegangen aus einer irdischen Abstammung. Die diesen Glauben empfingen, waren Auserwählte Gottes, die Er von Ewigkeit her auserkoren hatte, Ihm anzugehören, und die, durch Glauben errettet, fortan durch ihre Vereinigung ein himmlisches Volk bildeten.
Diese beiden Dinge, der Glaube und die Auserwählung, kennzeichnen das Christentum in einer absoluten Weise, im Gegensatz zum Judentum. Das eine wie das andere ist ausschliesslich von der Gnade und nicht vom Gesetz abhängig.
Der zweite Gegenstand des Apostelamtes des Paulus war «die Erkenntnis der Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist».
Es war die Wahrheit, die ganze Wahrheit, die er bekannt machte, nichts weniger als das! Was ist denn Wahrheit? Sie ist die volle Offenbarung dessen, was Gott ist (Seine Natur), was Er sagt (Sein Wort) und was Er denkt (Sein Geist); mit andern Worten: die Offenbarung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Was Gott ist, wurde uns in Christo geoffenbart, in welchem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt (Kol 2,9). In Christo erkennen wir Gott als Den, der Licht ist und der Liebe ist.
Wahrheit ist sodann auch, was Gott sagt, also Sein Wort. Jesus sagt: «Dein Wort ist Wahrheit» (Joh 17,17). Dieses Wort ist uns durch Christum gebracht worden. Er ist also gleichzeitig das, was Gott ist und was Gott sagt. Im Evangelium Johannes, das Ihn als «Sohn Gottes» vorstellt, sagt Er immer wieder: «Ich bin». Wenn die Juden Ihn fragen: «Wer bist du?», antwortet Er ihnen: «Durchaus das, was ich auch zu euch rede» (Joh 8,25). Die absolute Vereinigung dieser beiden Seiten der Wahrheit in Christo – was Gott ist und was Er sagt, Seine Natur und Sein Wort – wird uns in dieser Stelle vorgestellt. In Christo («im Sohne») hat Gott zu uns geredet, im Gegensatz zu der bruchstückhaften Weise, in der Er einst durch die Propheten geredet hatte (Heb 1,1), indem Er durch jene gewisse Seiten der Wahrheit vorstellte, während Gott sie jetzt in Christo, welcher das Wort ist, in ihrer Fülle bekanntmacht.
Das Christentum ist der erhabene und einzig vollständige Ausdruck der Wahrheit, weil die Wahrheit darin «im Sohne» zu uns redet. Sie ist durch Ihn geworden, nicht durch Mose, weil sie in einer Person gekommen ist, welche die Wahrheit selbst ist, so wie das Wort sie uns enthüllt.
Die Wahrheit ist schliesslich der Gedanke Gottes über alle Dinge. Dieser Gedanke ist in Christo, und der Geist gibt Zeugnis davon, denn «der Geist ist die Wahrheit» (1Joh 5,6). Er gibt Zeugnis davon, dass das ewige Leben in Christo ist und uns durch Sein Opfer erworben wurde.
Die Wahrheit findet also in Christo ihren vollkommenen Ausdruck, denn Er selbst ist die Wahrheit: «Ich bin die Wahrheit», sagt Er (Joh 14,6).
Unter der Herrschaft des Gesetzes offenbarte Gott keineswegs Seinen ganzen Gedanken über irgend etwas. Er liess sich nicht als der Gott der Liebe erkennen: Die Offenbarung Seiner selbst, die Jehova unter dem Gesetz gab, war höchstens von der Ausrufung Seiner Barmherzigkeit begleitet (2. Mose 34,6).
Unter dem Gesetz offenbarte Gott auch nicht, dass der Mensch verloren ist, denn das Gesetz setzte für den Menschen die Möglichkeit voraus, durch Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes das Leben zu erlangen. Jehova offenbarte darin auch nicht Seinen Gedanken über die Welt, denn unter Gesetz wurde die Welt noch nicht dargestellt, als endgültig Satan unterworfen und gerichtet. Es bezeugte auch nicht Gottes Gedanken über den Himmel; denn da der Mensch ein Sünder war, blieb ihm der Himmel verschlossen, und das Gesetz konnte ihm nur eine irdische Segnung verheissen. Auch Gott selbst war unter dem Gesetz nicht geoffenbart; Er blieb hinter dem Vorhang in tiefer Dunkelheit verborgen. Unter dem Gesetz war auch die Frage eines Opfers ungeklärt, das die Sünden hinwegzunehmen und den Sünder ein für allemal mit Gott versöhnen konnte.
Kurz, die Erkenntnis der Wahrheit blieb unter dem Gesetz unbekannt, oder sie war nur stückweise erkennbar. Diese Erkenntnis ist in ihrer Fülle ausschliesslich dem Christentum eigen.
Aber beachten wir hier einen zweiten Punkt: diese Erkenntnis der Wahrheit ist «nach der Gottseligkeit».
Die Gottseligkeit ist die Aufrechterhaltung der innigen Beziehungen zwischen unserer Seele und Gott, welche aus der Erkenntnis der Wahrheit hervorgeht. Das «Geheimnis der Gottseligkeit» in 1. Timotheus 3,16 ist nichts anderes; es ist das Geheimnis, wodurch Gottseligkeit hervorgebracht wurde, mittels welcher die Seele dazu geführt wird, ihre Beziehungen mit Gott zu geniessen und darin zu bleiben.
Die ganze Wahrheit ist, wie wir gesehen haben, in einer einzigen Person zusammengefasst, in Jesus, Gott geoffenbart im Fleische. Er allein hat uns Gott erkennen lassen und bringt uns in Beziehung zu Ihm. Darum ist das grosse «Geheimnis der Gottseligkeit» in der Erkenntnis Christi allein zusammengefasst: «Gott ist geoffenbart worden im Fleische, gerechtfertigt im Geiste, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit» (1Tim 3,16). Die Erkenntnis der Wahrheit, wenn sie nicht die Gottseligkeit zum Ergebnis hat, würde den Menschen zu seiner ewigen Verdammung führen, denn sie vermöchte ihn nie in Beziehung zu Gott zu bringen. Statt die Wahrheit, die nach der Gottseligkeit ist, zu haben, kann man sie «in Ungerechtigkeit besitzen» (Röm 1,18), und der Mensch, der sie in dieser Weise besitzt, ist ein Gegenstand des Zornes Gottes, statt ein Gegenstand Seiner Gunst.
Das dem Paulus anvertraute Apostelamt hatte «die Hoffnung des ewigen Lebens» zur Grundlage. Diese Hoffnung ist eine Gewissheit, die nichts Unbestimmtes, Unsicheres an sich hat, wie die menschliche Hoffnung, denn sie gehört dem Glauben an. Das ewige Leben ist von Gott selbst verheissen worden, vor ewigen Zeiten, und wie hätte Gott gegenüber Seiner eigenen Verheissung der Ewigkeit lügen können? Hatte Er nicht gesagt: «Ich bin Gott, und gar keiner wie ich; der ich von Anfang an das Ende verkünde, und von alters her, was noch nicht geschehen ist; der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen»? (Jes 46,9.10).
Die «Auserwählten Gottes» besitzen dieses Leben jetzt schon, durch den Glauben an einen gestorbenen Christus (Joh 6,54). «Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben.» Wer an Ihn glaubt, hat dieses Leben, nicht ein menschliches, vergängliches Leben, sondern ein geistliches Leben ohne Ende, das Leben Gottes selbst, ein Leben, fähig, Gott zu erkennen, Ihn zu geniessen, Gemeinschaft mit Ihm, dem Vater, und mit Seinem Sohne Jesus Christus zu haben. Solcherart ist «das ewige Leben». Solange der Christ hienieden ist, wird der Genuss dieses Lebens ohne Zweifel unvollkommen sein. Aber bald werden wir den ganzen Wert dieses Lebens in der Herrlichkeit verwirklichen; wenn wir Ihn, unser Leben, sehen und Ihm gleich sein werden; wenn wir erkennen werden, wie wir erkannt worden sind; wenn wir die unaussprechliche Wonne einer vollkommenen und ununterbrochenen Gemeinschaft mit Ihm, dem Gegenstand unserer Hoffnung, geniessen.
Das ist die christliche Lehre, das eigentliche Wesen des Christentums. Gewiss, wir können mit dem Apostel ausrufen: «O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!» Ja, welch unermesslicher Reichtum! Welch einen Gegenstand gibt uns das Christentum! Welche Sicherheit! Welchen gegenwärtigen Genuss! Welche Glückseligkeit und welchen Frieden in unseren Beziehungen mit Gott! Welch völlige Freude in Seiner Gemeinschaft! Welche Gewissheit für die Zukunft! Gibt es eine Erkenntnis, die mit der verglichen werden kann, die das Evangelium uns bringt?
«Zu seiner Zeit aber (hat es) sein Wort geoffenbart.» Im Gegensatz zu den «ewigen Zeiten» gibt es ein «seiner Zeit». In dieser Zeit sind wir jetzt; es ist der heutige Tag, an welchem Gott den ganzen Ratschluss Seiner Gnade, von welchem wir reden, völlig geoffenbart hat. Dieses «seiner Zeit», das Gott zum voraus festgesetzt hatte, ist jetzt erschienen. Diese Zeit ist durch eine in der Geschichte einzigartige Tatsache eingeführt worden, deren Auswirkung ebensowenig ein Ende hat, wie die Ewigkeit selbst: das Kreuz Christi und die Auferstehung des Sohnes Gottes aus den Toten. Da war es, wo der Ratschluss Gottes in Bezug auf uns völlig geoffenbart worden ist. Der Vorhang, der uns von Gott trennte, ist zerrissen, der Zugang zu Ihm in dem vollen Licht aufgetan, die Beziehung zu Ihm, als unserem Vater, auf immerdar festgemacht, das Erbteil, als unser Teil mit Christo in der Herrlichkeit, testamentiert – und alles das durch Ihn und in Ihm.
Nichts von all dem war vordem angekündigt und bekannt gewesen. Das Wort des Gottes, der nicht lügen kann, ist jetzt geoffenbart. Die ewigen Gedanken Gottes bestanden bis dahin in dem Verborgenen Seiner Ratschlüsse, jetzt aber sind sie bekannt, und die Predigt dieses Wortes ist Paulus anvertraut worden. Welch ungeheure Bedeutung hatte also sein Apostelamt! Seitdem ist das Wort der Wahrheit vollendet (Kol 1,25). Seine Predigt war ein Gebot, und wir wissen, wie der Apostel ihm gehorcht hat. Aber dieses Gebot hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Gesetz, denn es war nicht Jehova, der Gott vom Sinai, sondern der Heiland-Gott, der sich zu gegebener Zeit durch das Wort offenbarte, dessen Predigt dem Apostel anvertraut war.
Paulus richtete seinen Brief an Titus (V. 4). Dieser war das echte Kind des Apostels. Er war nach der Wahrheit gezeugt worden und hatte sie auf dem gleichen Boden empfangen wie sein geistlicher Vater: auf dem Boden des Glaubens. Dieser Glaube war also Paulus und Titus, dem Juden und dem Heiden, gemeinsam, aber Paulus war das Werkzeug gewesen, um ihn dem Titus mitzuteilen.
Gott, der Vater, und Christus Jesus, unser Heiland, die göttliche Liebe und die göttliche Gnade vereinigen sich, um Titus eine frohe Botschaft der Gunst und des Friedens als gegenwärtige Segnungen zu überbringen, die sein Teil waren, wie auch das des Apostels, welcher denselben Heiland hatte wie sein Jünger.