Behandelter Abschnitt Pred 12,1-8
Nach den ernsten Worten über die Eitelkeit der Jugend erhebt sich die Sprache und wird äußerst feierlich: „Und gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugendzeit, ehe die Tage des Übels kommen“ (Vers 1). Diese Wahrheit ist von grundlegender Bedeutung, wie überhaupt das ganze Buch. Es handelt sich hier nur um die Beziehungen des Menschen zu seinem Schöpfer, nicht um die des Israeliten zu Jehova, dem Bundesgott, und noch weniger um die des Kindes Gottes zu seinem Vater.
Wir haben hier eine der grundlegendsten Wahrheiten über die Beziehungen des Menschen zu Gott, wie sie uns in Epheser 4,6 dargestellt wird; „Ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle.“ Jüngling, der du noch in der Morgenröte der Jugend stehst, vergiß nicht, daß der Zeitpunkt des körperlichen Verfalls kommt, wo dir alles schwer und mühevoll wird und dein Geist, wenn unvermutet der Tod kommt, zu Gott zurückkehrt, um Ihm Rechenschaft über dein Leben zu geben!
Dieser Vers ermahnt den Menschen einerseits, schon in seiner Jugend Gott vor sein Herz zu stellen, und sich auf der anderen Seite der überaus großen Hinfälligkeit des unter die Folgen der Sünde geknechteten Menschen bewußt zu sein und an sein schließliches Ende, den Tod und das Gericht, zu denken.
Die Beschreibung der Beschwernisse eines hohen Alters (Verse 2–7) ist überaus treffend. Es hat Gott gefallen, sich in Seinem Wort aller Ausdrucksarten zu bedienen, die die Literatur der Völker zu besitzen sich rühmt und pflegt. Wir können auf diese Weise den Abstand zwischen den göttlichen Gedanken und dem Einfallsreichtum des Menschen ermessen. Welche dichterische Form der Geist Gottes auch gebrauchen mag (hier ist es die Allegorie, die sinnbildliche Darstellung), Er bleibt stets wahr, selbst in den zartesten Abstufungen Seiner Gedanken.
Das vermag der poetische Geist des natürlichen Menschen niemals, weil er von Lügen lebt. Denken wir an die wunderbare lyrische Poesie der Psalmen, an die Poesie Jesajas, die Symbolik der Propheten, die die erhabene Sprache ewiger Poesie gebrauchen. Aber das Wort Gottes überrascht auch auf anderen Gebieten als dem der Lyrik. Ob es sich um die Hirtendichtungen im 1. Buch Mose handelt, ob um das lyrische Drama in Hiob, die Idylle im Buche Ruth, die Kriegslieder Davids oder Deboras, die Wechselgesänge der Liebe im Lied der Lieder oder um die poetischen Sprüche, wo finden wir in der menschlichen Literatur etwas, was diesen Zeugnissen an Erhabenheit, Kraft, Gnade und Wahrheit ähnlich ist? Es ist eine Tatsache, daß das Wort Gottes, durch den Geist Gottes diktiert, selbst in der äußeren Form nicht seinesgleichen hat. Warum aber zieht dieses Wort den Menschen nicht an? Nun, weil die Wahrheit ihn abstößt, weil die Finsternis das Licht nicht erfaßt.
O, wie notwendig ist es, seines Schöpfers zu gedenken, ehe „die Jahre herannahen, von welchen du sagen wirst: Ich habe kein Gefallen an ihnen; – ehe sich verfinstern die Sonne und das Licht und der Mond und die Sterne, und die Wolken nach dem Regen wiederkehren“ (Verse 1–2)! Das heißt, ehe die aus Gottes Händen hervorgegangene Schöpfung, deren wunderbare Schönheit so überwältigend ist, dem Greise gleichgültig geworden ist und alle Dinge in der Natur eine trübe, glanzlose Farbe angenommen haben, den Wolken gleich, die nach dem Regen wiederkehren.
Dann werden die Hände zittern, der Rücken ist gebeugt, der zahnlose Mund kann die Nahrung nicht mehr kauen und die Augen werden die Gegenstände nicht mehr klar unterscheiden können. „Die Türen werden nach der Straße geschlossen“, das heißt, das Bedürfnis, die Lippen zum Sprechen zu gebrauchen, um sich außerhalb des Familienkreises hören zu lassen, wird abnehmen. Das Ohr wird schwerfällig und vermag nicht mehr die das Haus erfüllenden Geräusche wahrzunehmen.4 Der Schlaf flieht unser Lager, das wir bei dem geringsten Vorwand verlassen, alle Worte werden schwach und undeutlich, und das Ersteigen eines Abhanges wird zur Anstrengung, weil der Atem fehlt.
Alle diese Gebrechen zusammen machen das Gehen beschwerlich und verursachen Furcht; weißes Haar krönt das Haupt „und die Heuschrecke schleppt sich hin“, es fehlt an Spannkraft, um sich erheben oder hinzusetzen. „Die Kaper ist wirkungslos“ geworden, das heißt, nichts kann mehr den Appetit oder die Sinne anregen. „Denn der Mensch geht hin zu seinem ewigen Hause, und die Klagenden ziehen umher auf der Straße.“ Alle diese Anzeichen verraten das nahe Ende.
4 Der Mühlstein zum Mahlen des Kornes, der von zwei Mägden be¬tätigt wurde, war im Hause und gehörte zu den Haushaltsgegenständen.↩︎