Behandelter Abschnitt 5. Mose 10,16-19
Die Witwe, die Waise und der Fremde
„So beschneidet denn die Vorhaut eures Herzens und verhärtet euren Nacken nicht mehr! Denn der Herr, euer Gott, er ist der Gott der Götter und der Herr der Herren, der große, mächtige und furchtbare Gott, der keine Person ansieht und kein Geschenk annimmt; der Recht verschafft der Waise und der Witwe, und den Fremden liebt, so dass er ihm Brot und Kleider gibt“ (V. 16–18).
Hier redet Mose nicht nur von den Handlungen und Wegen Gottes, sondern auch von dem, was Er ist. Er ist höher als alles, mächtig und furchtbar. Aber Er hat ein Herz für die einsame Witwe und für die Waise, hilflose Wesen, die aller irdischen und natürlichen Stützen beraubt sind. Er denkt an sie und sorgt für sie ganz besonders. Sie haben ein besonderes Anrecht auf sein liebendes Herz und seine mächtige Hand. „Ein Vater der Waisen und ein Richter der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung“ (Ps 68,6). „Die aber, die wirklich Witwe und vereinsamt ist, hofft auf Gott und verharrt in dem Flehen und den Gebeten Nacht und Tag“ (1Tim 5,5). „Verlass deine Waisen, ich werde sie am Leben erhalten, und deine Witwen sollen auf mich vertrauen“ (Jer 49,11).
Welch eine Fürsorge für die Witwen und Waisen liegt in diesen Worten! Wie wunderbar sorgt Gott für sie! Wie mancher Witwe geht es nach dem Tod ihres Mannes besser als vorher, und wie viele Waisen sind später besser versorgt gewesen, als zur Zeit, da sie ihre Eltern noch hatten! Gott blickt auf sie. Nie enttäuscht Er diejenigen, die auf ihn vertrauen. Er bleibt seinem Namen immer treu, wie Er sich auch offenbaren mag. Mögen sich alle Witwen und Waisen zu ihrem Trost und zu ihrer Stärkung daran erinnern!
Und der arme Fremde? Auch er ist nicht vergessen. Gott liebt den Fremden und gibt ihm Brot und Kleidung. Unser Gott sorgt für alle, denen irdische Stützen und menschliche Hoffnungen fehlen. Er wird dem besonderen Anrecht, das sie alle auf ihn haben, nach der ganzen Liebe seines Herzens entsprechen. Die Witwe, die Waise und der Fremde sind die besonderen Gegenstände seiner Fürsorge. Sie alle sollten allein auf ihn schauen und dürfen sich in ihren Bedürfnissen an seine unerschöpflichen Quellen der Hilfe wenden.
Aber wenn man wirklich auf ihn vertrauen will, dann muss man ihn kennen. „Und auf dich werden vertrauen, die Deinen Namen kennen; denn du hast nicht verlassen, die dich suchen, Herr“ (Ps 9,11).
Wer Gott nicht kennt, wird ein festes Einkommen seinen Verheißungen vorziehen. Aber der wahre Gläubige sieht in diesen Verheißungen die Stütze seines Herzens, weil er den, der sie gegeben hat, kennt und ihm vertraut. Er freut sich bei dem Gedanken, auf Gott angewiesen und von ihm abhängig zu sein. Gerade das, was den Ungläubigen fast zur Verzweiflung bringen würde, ist für einen Christen, einen Mann des Glaubens, die größte Freude. Er kann immer sagen: „Nur auf Gott vertraue still meine Seele, denn von ihm kommt meine Erwartung. Nur er ist mein Fels“ (Ps 62,6.7).
Was verschafft Gott dem Fremden? „Nahrung und Kleidung“. Und das ist auch für einen wirklichen Fremdling genug, wie der Apostel in Timotheus schreibt: „Denn wir haben nichts in die Welt hereingebracht, so ist es offenbar, dass wir auch nichts hinausbringen können. Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen“ (1Tim 6,7.8).
Dieser Hinweis ist beachtenswert. Welch ein Heilmittel für die unersättliche Habgier und Ehrsucht unserer Zeit wird uns hier gegeben! Wenn wir mit dem, was Gott für den Fremdling vorgesehen hat, zufrieden wären, würden wir ganz andere Erfahrungen machen! Wie einfach wären dann unsere Gewohnheiten, wie frei von weltlicher Gesinnung wäre unser Verhalten dann! Wie hoch würde es uns über die Selbstgefälligkeit und Üppigkeit erheben, die unter den bekennenden Christen der heutigen Zeit so vorherrschend sind! Ja, wir sollten einfach essen und trinken zur Verherrlichung Gottes und um unserem Leib die notwendige Nahrung zuzuführen. Darüber hinausgehen heißt, den Begierden des Fleisches frönen, „welche gegen die Seele streiten“ (1Pet 2,11).
Leider versagen auch Christen in dieser Beziehung oft. Wenig wird oft das Wort des Apostels beachtet: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir . . . besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf!“ (Tit 2,11.12). Der Ausdruck „besonnen leben“ bezieht sich gewiss nicht allein auf Mäßigkeit im Essen und Trinken – aber ohne Zweifel sind sie einbegriffen; er umfasst vielmehr die völlige innere Selbstbeherrschung, die Beherrschung der Gedanken und der Zunge.
Es ist interessant, die Art und Weise zu sehen, wie Mose dem Volk das göttliche Beispiel als Muster vorstellt. Er sagt, dass der Herr „den Fremden liebt, so dass er ihm Brot und Kleider gibt“. – „Und ihr sollt den Fremden lieben; denn ihr seid Fremde gewesen im Land Ägypten“ (V. 19). Das Volk sollte nicht nur seine Augen auf das göttliche Vorbild richten, sondern es sollte sich auch seiner vergangenen Geschichte und der Erfahrungen erinnern, damit ihre Herzen mit Teilnahme und Mitleid gegen den armen, heimatlosen Fremden erfüllt würden.
Es war Pflicht und Vorrecht des Volkes Gottes, sich in die Situationen und Gefühle anderer zu versetzen. Sie sollten die Vertreter Gottes sein, dessen Volk sie waren und dessen Name über ihnen angerufen wurde. Sie sollten ihn nachahmen, indem sie den Bedürfnissen der Witwen, Waisen und Fremden entgegenkamen und sie so erfreuten. Wenn aber das irdische Volk Gottes zu solch einer schönen Handlungsweise berufen war, wie viel mehr wir, die wir „mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet sind in Christus“ (Eph 1,3)!