Behandelter Abschnitt 5. Mose 5,12-15
Die besondere Stellung des Sabbats
Der Leser wird auf den ersten Blick den Unterschied zwischen diesen beiden Stellen erkennen. In 2. Mose 20 gründet sich das Gebot, den Sabbat zu halten, auf die Schöpfung, hier in unserem Kapitel dagegen auf die Erlösung, ohne irgendeinen Hinweis auf die Schöpfung. Der Unterschied ist, wie auch an früheren Stellen, begründet durch den besonderen Charakter, den jedes der beiden Bücher trägt.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Einsetzung des Sabbats völlig auf der unmittelbaren Autorität des Wortes Gottes beruht. Andere Gebote stellen bestimmte sittliche Pflichten vor. Jedermann weiß, dass Töten und Stehlen schlecht ist, aber die Beobachtung des Sabbats würde niemand als eine Pflicht betrachtet haben, wenn sie nicht durch göttliche Autorität deutlich so bezeichnet worden wäre. Das macht die außerordentliche Bedeutung des Sabbats aus. Sowohl in unserem Kapitel als auch in 2. Mose 20 steht er auf gleicher Linie mit all den großen sittlichen Pflichten, die von dem menschlichen Gewissen allgemein anerkannt werden. Und nicht allein das, sondern wir finden in verschiedenen anderen Stellen, dass der Sabbat besonders hervorgehoben und als ein bedeutendes Bindeglied zwischen dem Herrn und Israel dargestellt wird, als ein Siegel des Bundes zwischen ihm und dem Volk und als ein Prüfstein seines Gehorsams dem Herrn gegenüber. Jedermann war imstande, das Böse eines Diebstahls oder eines Mordes zu erkennen, aber nur solche, die den Herrn und sein Wort liebten, die ehrten und liebten auch den Sabbat (vgl. 2. Mose 16,22-30).
Ausschließlich für Israel
Am Schluss von 2. Mose 31 finden wir eine andere bemerkenswerte Stelle, die zeigt, wie wichtig der Sabbat ist und welch ein Interesse er in den Gedanken Gottes hat (vgl. V. 12–17). Diese Stelle beweist eindeutig den unveränderlichen Charakter des Sabbats. Die hier von Gott gebrauchten Ausdrücke: „ein Zeichen zwischen mir und den Kindern Israel auf ewig“, „ein ewiger Bund“, „ein Zeichen auf ewig“, beweisen ausreichend, dass der Sabbat für Israel war und dass er ferner nach den Gedanken Gottes eine bleibende Einrichtung sein sollte. Er wird nachdrücklich ein Zeichen zwischen dem Herrn und seinem Volk Israel genannt. Man findet nicht die geringste Andeutung in der Schrift, dass auch die Nationen den Sabbat halten sollten. Wir werden zwar weiterhin sehen, dass er zugleich ein Vorbild von der Zeit der Wiederherstellung aller Dinge ist, wovon Gott von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten geredet hat, doch das berührt in keiner Weise die Tatsache, dass er eine ausschließlich jüdische Einrichtung ist. Man hat aus 1. Mose 2,2.3 zu beweisen versucht, dass der Sabbat mehr umfassen müsse als nur die jüdische Nation. Doch diese Stelle sagt: „Und Gott hatte am siebten Tag sein Werk vollendet, das er gemacht hatte; und er ruhte am siebten Tag von all seinem Werk, das er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte er von all seinem Werk, das Gott geschaffen hatte, indem er es machte.“
Der Mensch wird hier überhaupt nicht erwähnt. Es wird auch nicht gesagt, dass der Mensch am siebten Tag ruhte. Man kann diesen Schluss vielleicht ziehen, aber die Stelle selbst sagt nichts davon. Wir suchen im ganzen ersten Buch Mose vergeblich nach irgendeinem Hinweis auf den Sabbat. Die erste Erwähnung des Sabbats in Verbindung mit dem Menschen finden wir in der angeführten Stelle in 2. Mose 16. Und diese Stelle zeigt deutlich, dass der Sabbat Israel gegeben wurde als einem Volk, das in Bundesbeziehung zu dem Herrn stand. Dass Israel die Bedeutung des Sabbats nicht verstand und ihn in seinem Wert nicht würdigte, ist ebenso klar. Doch wir reden jetzt davon, was der Sabbat in den Gedanken Gottes war, und Gott sagt uns, dass er ein Zeichen zwischen ihm und seinem Volk Israel sein sollte, ein Prüfstein für ihre sittliche Stellung und für den Zustand ihrer Herzen zu ihm hin. Der Sabbat war nicht nur ein Teil des Gesetzes, der unlösbar damit verbunden war, sondern immer wieder wird auf ihn hingewiesen als auf eine Einrichtung, die einen besonderen Platz in den Gedanken Gottes einnahm (vgl. auch Jes 56,2-7; 58,13.14).
Der Sabbat – unverstanden und entartet
Zum Schluss möchten wir noch auf eine Stelle hinweisen, die mit unserem Gegenstand in Verbindung steht: „Und der Herr redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Die Feste des Herrn, die ihr als heilige Versammlungen ausrufen sollt, meine Feste sind diese: Sechs Tage soll man Arbeit tun; aber am siebten Tag ist ein Sabbat der Ruhe, eine heilige Versammlung; keinerlei Arbeit sollt ihr tun; es ist ein Sabbat dem Herrn in allen euren Wohnsitzen“ (3Mo 23,1-3).
Hier steht der Sabbat am Anfang der von dem Herrn angeordneten Feste, in denen wir die ganze Geschichte der Handlungen Gottes mit seinem Volk Israel vorgebildet finden. Der Sabbat ist der Ausdruck der ewigen Ruhe Gottes, in die Er nach seinem Vorsatz sein Volk noch einführen wird, wenn alle seine Arbeit und Mühe, seine Prüfungen und Trübsale vorüber sind, ein schönes Vorbild von der gesegneten Sabbatruhe, die für das Volk Gottes übrig bleibt. Auf mancherlei Weise hat Gott diese herrliche Ruhe seinem Volk vorzustellen gesucht. Der siebte Tag, das siebte Jahr, das Jubeljahr, alle diese Sabbatzeiten waren dazu bestimmt, die gesegnete Zeit vorzubilden, in der Israel wieder gesammelt und in sein eigenes, geliebtes Land gebracht sein wird, um den Sabbat der Ruhe zu feiern, wie er nie gefeiert worden ist.
Das bringt uns zu dem zweiten Punkt, zu der Beständigkeit des Sabbats. Ausdrücke wie „immer während“, „ein Zeichen auf ewig“, „bei allen Geschlechtern“, sind nicht auf eine zeitweilige Einrichtung anwendbar. Leider hat Israel nie den Sabbat Gott gemäß gehalten. Das Volk verstand nie seine Bedeutung und Segnung. Es brüstete sich nur damit als einer nationalen Einrichtung und missbrauchte ihn zu seiner Selbsterhebung; aber nie feierte es ihn in Gemeinschaft mit Gott. Wir reden natürlich von der Nation in ihrer Gesamtheit. Ohne Zweifel gab es zu allen Zeiten fromme Juden, die im Verborgenen sich des Sabbats freuten und die Gedanken Gottes darüber verstanden. Aber als Volk hat Israel den Sabbat nie in einer Gott wohlgefälligen Weise gefeiert. Darum ruft auch der Herr dem Volk durch den Mund des Propheten zu: „Bringt keine wertlose Opfergabe mehr! Räucherwerk ist mir ein Gräuel. Neumond und Sabbat, das Berufen von Versammlungen: Frevel und Festversammlung kann ich nicht ertragen“ (Jes 1,13).
Die schöne Einrichtung des Sabbats, den Gott dem Volk als ein Zeichen seines Bundes gegeben hatte, war also in ihren Händen zu einem verabscheuungswürdigen Gräuel geworden. Und wenn wir das Neue Testament öffnen, so finden wir die Obersten und Führer des jüdischen Volkes in fortwährendem Streit mit dem Herrn Jesus über den Sabbat.
In Lukas 6,1-11 gewinnen wir einen tiefen Einblick in die Hohlheit und Wertlosigkeit der Sabbatfeier des Menschen. Die religiösen Pharisäer hätten lieber gesehen, dass die Jünger vor Hunger umgekommen wären, als dass ihr Sabbat verletzt wurde. Es wäre ihnen lieber gewesen, wenn der Mensch seine dürre Hand bis zu seinem Ende getragen hätte, als dass er an ihrem Sabbat geheilt wurde. Ach, es war in der Tat ihr, nicht Gottes Sabbat. Seine Ruhe konnte sich nicht vertragen mit Hunger und dürren Händen. Die Schriftgelehrten verstanden nicht, dass alle gesetzlichen Anordnungen weichen müssen, sobald die göttliche Gnade der menschlichen Not begegnen will.
Die Gnade erhebt sich in ihrer Herrlichkeit über alle gesetzlichen Schranken, und der Glaube erfreut sich daran. Äußere Religiosität aber stößt sich an den Handlungen der Gnade und der Unerschrockenheit des Glaubens. Die Pharisäer wussten nicht, dass der Mensch mit der dürren Hand ein Bild von dem sittlichen Zustand des ganzen Volkes war, ein lebendiger Beweis, dass sie von Gott entfernt waren. Wären sie in einem richtigen, Gott wohlgefälligen Zustand gewesen, so hätte es in ihrer Mitte keine dürre Hand zu heilen gegeben. Aber sie waren vollständig von Gott abgewichen, und daher war ihr Sabbat eine leere Form, eine kraftlose Regel.
Ein anderes Beispiel finden wir in Lukas 13,10-16, in der Geschichte der Frau, die „achtzehn Jahre einen Geist der Schwäche hatte“.
Welch ein vernichtender Tadel! Welch eine Bloßstellung der Verderbtheit des ganzen jüdischen Systems! Man beachte nur den auffallenden Gegensatz: ein Sabbat und eine achtzehn Jahre von der grausamen Hand Satans gebundene Tochter Abrahams! Es gibt nichts, was den Geist so verblendet, das Herz so verhärtet und den ganzen Menschen so verdirbt wie eine Religion ohne Christus. Die täuschende und erniedrigende Macht einer solchen Religion kann nur im Licht der Gegenwart Gottes richtig erkannt werden. Was kümmerte den Synagogenvorsteher jene arme Frau? Sie mochte seinetwegen ihr Leben lang krank und ein trauriges Zeugnis von der Macht Satans sein. Er war zufrieden, wann er nur seinen Sabbat halten konnte. Nicht die Macht Satans rief seine Entrüstung hervor, sondern die Macht Christi, die sich in der Befreiung der Frau aus der Gefangenschaft Satans offenbarte. Aber die Antwort des Herrn war passend und niederschmetternd. „Und als er dies sagte, wurden alle seine Widersacher beschämt, und die ganze Volksmenge freute sich über all die herrlichen Dinge, welche durch ihn geschahen“ (Lk 13,17). Welch ein Gegensatz!
Auf der einen Seite werden die Verfechter einer wertlosen Religion entlarvt, beschämt und verwirrt, auf der anderen Seite freut sich die Volksmenge über die herrlichen Werke des Sohnes Gottes, der in ihre Mitte gekommen war, um sie zu befreien aus der Verderben bringenden Macht Satans und um ihre Herzen mit Freude über die Erlösung Gottes und ihren Mund mit seinem Preis zu füllen!
Die wichtige Frage bezüglich des Sabbats wird auch in Johannes 5 berührt. Dort wird uns in treffender Weise der damalige Zustand Israels geschildert. Der Teich Bethesda zeigte deutlich das ganze Elend, in das der Mensch allgemein, und insbesondere Israel, versunken war. In seinen fünf Säulenhallen „lag eine Menge Kranker, Blinder, Lahmer, Dürrer, die auf die Bewegung des Wassers warteten“. Eine treffende Darstellung des sittlichen Zustandes des Menschen vom göttlichen Standpunkt aus gesehen! „Blind, lahm und dürr“, das ist der wirkliche Zustand des Menschen.
Unter diesen vielen Kranken lag ein Mensch, so schwach und hilflos, dass selbst das Wasser von Bethesda seinem Elend nicht abhelfen konnte. „Es war aber ein gewisser Mensch dort, der achtunddreißig Jahre mit seiner Krankheit behaftet war. Als Jesus diesen daliegen sah und wusste, dass es schon lange Zeit so mit ihm war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?“ – Welch eine Fülle von Gnade und Macht liegt in dieser Frage! Sie ging weit über die Gedanken des armen Kranken hinaus. Er dachte nur an menschliche Hilfe oder an seine eigene Fähigkeit, in den Teich hinabzusteigen. Er wusste nicht, dass der, der mit ihm sprach, mehr Macht hatte als der Teich mit seiner gelegentlichen Bewegung, dass Er über allem Dienst der Engel, über allen menschlichen Hilfsquellen stand, ja, dass Er alle Macht im Himmel und auf der Erde besaß. Deshalb antwortete er ihm: „Herr, ich habe keinen Menschen, dass er mich, wenn das Wasser bewegt worden ist, in den Teich wirft; während ich aber komme, steigt ein anderer vor mir hinab.“
Das ist ein genaues Bild von denen, die ihr Heil in äußeren Einrichtungen und Gebräuchen suchen. Jeder denkt nur an sich und sucht sich so gut wie möglich zu helfen. Keiner denkt an den anderen. Jeder hat mit sich selbst genug zu tun. Wie ganz anders handelt die Gnade: „Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett auf und geh umher! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett auf und ging umher. Es war aber an jenem Tag Sabbat.“
Hier begegnen wir wieder dem Sabbat des Menschen. Es war gewiss nicht Gottes Sabbat. Die Menge der Elenden, die sich in den Hallen von Bethesda drängten, bewies nur zu deutlich, dass Gottes vollkommene Ruhe noch nicht gekommen und das herrliche Gegenbild des Sabbats noch nicht über dieser sündigen Welt angebrochen war. Wenn dieser gesegnete Tag kommt, dann wird es keine Blinden, Lahmen und Dürren mehr unter dem Volk geben. Gottes Sabbat und menschliches Elend sind unvereinbar miteinander.
Der Sabbat war nicht mehr das Zeichen des Bundes zwischen Gott und die Nachkommen Abrahams, wie er es einst gewesen war und in Zukunft sein wird, sondern das Merkmal der Selbstgerechtigkeit des Menschen. „Die Juden nun sagten zu dem Geheilten: Es ist Sabbat, und es ist dir nicht erlaubt, dein Bett zu tragen . . . Und darum verfolgten die Juden Jesus und suchten ihn zu töten, weil er dies am Sabbat tat.“ Welch ein Schauspiel!
Die religiöse Menge, sogar die Leiter und Führer des bekennenden Volkes Gottes, suchen den Herrn des Sabbats zu töten, weil Er einen Menschen am Sabbat gesund gemacht hatte! Doch was antwortet ihnen der Herr? Seine Worte sind sehr beachtenswert. Er sagt: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“ (Joh 5,10-18). Diese Antwort legt die Wurzel der ganzen Sache bloß. Sie zeigt uns den traurigen Zustand der menschlichen Gesellschaft, stellt uns aber auch das Geheimnis des Lebens und des Dienstes unseres Herrn vor. Er kam nicht in diese Welt, um zu ruhen. Wie konnte Er ruhen? Wie hätte die göttliche Liebe angesichts eines solchen Zustandes der Dinge ruhen können? Unmöglich! Auf dem Schauplatz der Sünde und des Elends kann die Liebe nicht anders als tätig sein. Sobald der Mensch fiel, begann der Vater zu wirken. Dann erschien der Sohn, um das Werk fortzusetzen, und jetzt ist der Heilige Geist wirksam. In einer Welt wie diese ist nicht Ruhe, sondern Wirken die göttliche Ordnung. „Also bleibt eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig“ (Heb 4,9).
Unser Herr ging umher und tat Gutes am Sabbat wie an jedem anderen Tag, und nachdem Er sein Werk der Erlösung vollendet hatte, brachte Er den Sabbat im Grab zu, aus dem Er am ersten Tag der Woche, als der Erstgeborene aus den Toten und als Haupt der neuen Schöpfung, auferstand. In dieser neuen Schöpfung sind alle Dinge von Gott, und wir dürfen wohl hinzufügen, dass auf die neue Schöpfung Begriffe wie „Tage und Monate und Zeiten und Jahre“ nicht angewendet werden können. Wer die Bedeutung des Todes und der Auferstehung Christi versteht, wird die Beobachtung von Tagen nicht anerkennen. Der Tod Christi machte dieser ganzen Ordnung ein Ende, und seine Auferstehung führt uns in einen ganz neuen Bereich ein, wo es unser großes Vorrecht ist, in dem Licht und der Macht der ewigen Wirklichkeiten zu leben, die in Christus Jesus unser sind und die in krassem Gegensatz stehen zu den abergläubischen Gebräuchen und Zeremonien einer fleischlichen und weltlichen Religiosität.
Der Sabbat und das Christentum
Wir kommen jetzt zu einem anderen höchst interessanten Punkt, der mit diesem Gegenstand in Verbindung steht, nämlich zu dem Unterschied zwischen dem Sabbat und dem Tag des Herrn oder dem ersten Tag der Woche.
Es ist bereits erwähnt worden, dass unser Herr den Sabbat im Grab zubrachte. Das ist eine bedeutungsvolle Tatsache. Sie zeigt, dass der alte Zustand der Dinge beseitigt und dass es unmöglich ist, in einer Welt der Sünde und des Todes einen Sabbat zu halten. Die Liebe konnte in einer solchen Welt nicht ruhen. Sie konnte nur wirken und sterben. Das ist die Überschrift über der Gruft, in der der Herr des Sabbats begraben lag.
Aber was bedeutet der erste Tag der Woche? Ist er nicht der Sabbat auf einer neuen Grundlage, der christliche Sabbat? Im Neuen Testament wird er nie genannt. In der Apostelgeschichte werden diese beiden Tage deutlich unterschieden. Am Sabbat finden wir die Juden in ihren Synagogen versammelt, um das Gesetz und die Propheten zu lesen, und am ersten Tag der Woche die Christen zum Brechen des Brotes. Diese beiden Dinge sind so klar voneinander unterschieden wie Judentum und Christentum.
Die Schrift bietet nicht den geringsten Anlass zu dem Gedanken, dass der Sabbat auf den ersten Tag der Woche verlegt worden sei. Der Sabbat ist nicht bloß irgendein siebter, sondern der siebte Tag. Das ist wohl zu beachten, da manche meinen, es sei im Alten Bund eben nur ein Siebtel der Zeit zur leiblichen Ruhe und zur öffentlichen Ausübung der religiösen Satzungen vorgesehen worden, und es tue gar nichts zur Sache, welchen Tag man dazu benutze. Wir brauchen nicht zu sagen, dass dies verkehrt ist.
Der Sabbat im Paradies war der siebte Tag, und der Sabbat für Israel war ebenfalls der siebte Tag. Aber der achte Tag lenkt unsere Gedanken vorwärts in die Ewigkeit, und im Neuen Testament wird er „der erste Tag der Woche“ genannt, um den Anfang jener neuen Ordnung der Dinge zu bezeichnen, von der das Kreuz die Grundlage und der auferstandene Christus das verherrlichte Haupt ist. Diesen Tag etwa den „christlichen Sabbat“ zu nennen, heißt, irdische und himmlische Dinge miteinander zu vermengen, den Christen aus seiner erhabenen Stellung, als vereinigt mit einem auferstandenen und verherrlichten Haupt in den Himmeln, herabzuziehen und ihn mit der abergläubischen Beobachtung von Tagen zu beschäftigen, einer Sache, die der Apostel an den Galatern so ernst rügt.
Die Versammlung, obwohl auf der Erde, ist nicht von dieser Welt, wie auch Christus nicht von dieser Welt ist. Ihr Ursprung ist himmlisch; und darum sind auch ihr Charakter, ihre Grundsätze, ihr Wandel und ihre Hoffnung himmlisch. Sie steht gleichsam zwischen dem Kreuz und der Herrlichkeit. Die beiden Eckpunkte ihres Bestehens auf der Erde sind der Pfingsttag, an dem der Heilige Geist herniederkam und sie bildete, und die Ankunft des Herrn, um sie aufzunehmen.
Alles das ist im Wort Gottes klar und verständlich dargestellt. Jeder Versuch, der Versammlung Gottes die gesetzliche oder abergläubische Beachtung von „Tagen und Monaten und Zeiten und Jahren“ vorzuschreiben, ist eine Verfälschung der christlichen Stellung, ein Angriff auf die Vollständigkeit der göttlichen Offenbarung und eine Beraubung des Christen, denn dadurch werden ihm der Platz und das Teil genommen, die ihm durch die unendliche Gnade Gottes und das vollbrachte Werk Jesu Christi gehören. Dass dieses Urteil nicht zu hart und zu streng ist, beweist die bekannte Stelle aus Kolosser 2,16-23, die mit unauslöschlicher Schrift in unser aller Herzen eingegraben sein sollte.
Das Verständnis dieser Schriftstelle wirft nicht nur Licht auf den Charakter des Sabbats, sondern auch auf das ganze System, das damit zusammenhängt. Wenn ein Christ seine Stellung wirklich versteht, so ist er für immer fertig mit allen Fragen über Speise und Trank, Tage und Monate, Zeiten und Jahre. Er weiß nichts von besonderen Zeiten und Orten. Er ist mit Christus den Elementen der Welt gestorben und deshalb befreit von allen Satzungen einer überlieferten Religion. Er gehört zum Himmel, wo von Neumonden, besonderen Tagen und Sabbaten keine Rede mehr ist. Er gehört der neuen Schöpfung an, in der alle Dinge von Gott sind. Worte wie: „berühre nicht, koste nicht, betaste nicht“ haben für ihn keine Bedeutung mehr. Für uns gilt vielmehr: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so sucht, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott. Wenn der Christus, unser Leben, offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbart werden in Herrlichkeit. Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind“ (Kol 3,1-5).
Das ist wirkliches, lebendiges Christentum. Das christliche Leben besteht nicht im Halten gewisser Regeln, Gebote und Überlieferungen der Menschen, sondern darin, dass Christus im Herzen wohnt und im täglichen Leben gesehen wird durch die Kraft des Heiligen Geistes. Es ist der neue Mensch, der gebildet ist nach dem Vorbild Christi selbst und der sich in den kleinen Dingen des täglichen Lebens offenbart, in der Familie, im Beruf, in unserem Umgang mit anderen und in unserem Wesen, in unserer Unterhaltung und unseren Verhaltensweisen. Es ist nicht eine Sache bloßen Bekenntnisses oder wechselnder Meinungen und Gefühle. Es ist eine unveränderliche, lebendige Wirklichkeit. Es ist gleichsam das in dem Herzen aufgerichtete Reich Gottes, das seinen belebenden und gesegneten Einfluss ausübt auf unser ganzes Wesen und Denken sowie auf die Umwelt, in der wir uns täglich bewegen müssen. Es ist der Christ, der in den Fußstapfen Christi geht, der nicht für sich selbst, sondern für andere lebt, dessen Freude es ist, zu dienen, zu geben und Mitgefühl zu zeigen und Trost zu bringen, wo immer es nötig ist.
Der Sabbat und der Tag des Herrn
Bevor wir nun diesen interessanten Gegenstand verlassen, wollen wir noch einige Worte über den Platz sagen, den der Tag des Herrn oder der erste Tag der Woche im Neuen Testament einnimmt. Wenn er auch nichts mit dem Sabbat, besonderen Tagen und Neumonden zu tun hat, so nimmt er doch einen bedeutenden Platz im Christentum ein, was viele Stellen in den Schriften des Neuen Testaments beweisen.
An diesem Tag ist unser Herr aus den Toten auferstanden. An diesem Tag erschien Er wiederholt seinen Jüngern. An diesem Tag kamen der Apostel Paulus und die Brüder in Troas zusammen, um das Brot zu brechen (Apg 20,7). Der Apostel belehrt die Korinther und alle, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen, dass sie an jedem ersten Wochentag etwas für die Kollekte zurücklegen sollen, und zeigt uns somit deutlich, dass der erste Tag der Woche der besondere Tag war, an dem das Volk des Herrn sich versammelte, um das Abendmahl des Herrn zu feiern, und dass die Anbetung, die Gemeinschaft und der Dienst zur Auferbauung mit diesem Tag in Verbindung stehen. Der Apostel Johannes sagt uns ausdrücklich, dass er an diesem Tag im Geist war und die wunderbare Offenbarung empfing, die den Schluss des göttlichen Buches bildet.
Der erste Tag der Woche ist also für den wahren Christen weder der jüdische Sabbat noch der heidnische Sonntag, sondern der Tag des Herrn, an dem sich sein Volk dankbar an seinem Tisch versammelt, um das bedeutsame Fest zu feiern, durch das sie seinen Tod verkünden, bis Er kommt. Mit dem ersten Tag der Woche ist nicht eine Spur gesetzlicher Knechtschaft verbunden. Wir haben kein ausdrückliches Gebot, das uns die Beachtung dieses Tages zur Pflicht macht; aber die oben angeführten Schriftstellen werden jeden geistlich gesinnten Christen überzeugen, und die göttliche Natur wird ihn anleiten, den Tag des Herrn zu lieben, zu ehren und ihn von den übrigen Tagen zu unterscheiden, weil er zur Anbetung und zur eigenen Auferbauung bestimmt ist. Kann jemand bekennen, Christus zu lieben und dabei den Tag des Herrn zu allerlei unnötigen Geschäften und Verrichtungen benutzen? Wir halten es für ein besonderes Vorrecht, uns so viel wie möglich von den Zerstreuungen der alltäglichen und irdischen Dinge zurückzuziehen und die Stunden am Tag des Herrn ihm selbst und seinem Dienst zu weihen.
Jemand könnte einwenden, dass der Christ doch jeden Tag dem Herrn weihen solle. Das ist sicher wahr, denn wir gehören dem Herrn, ja, alles, was wir haben und sind, gehört ihm. Wir sind berufen, alles in seinem Namen und zu seiner Verherrlichung zu tun. Wir sollten die ganze Woche hindurch nichts anfangen, wozu wir nicht den Segen des Herrn erflehen könnten. Trotzdem aber werden wir im Neuen Testament belehrt, dass der Tag des Herrn einen besonderen Platz einnimmt und dass er eine Bedeutung hat, die auf keinen anderen Tag der Woche übertragen werden kann. Wir halten es daher für unsere heilige Pflicht, uns am Tag des Herrn von allen Beschäftigungen zurückzuziehen, soweit sie nicht unvermeidlich sind, und wir dürfen es gewiss mit Dank gegen Gott anerkennen, dass der Tag des Herrn schon durch menschliche Gesetze angeordnet wird.
Welch ein Geschenk ist der Tag des Herrn, an dem wir uns gänzlich von weltlichen Dingen abwenden können! Welch eine gesegnete Unterbrechung der mühsamen Beschäftigungen der Woche! Wie erfrischend sind die ruhigen Stunden für ein geistliches Gemüt! Wie erhaben die Versammlung um den Tisch des Herrn zu seinem Gedächtnis, um seinen Tod zu verkünden und ihm Preis und Anbetung darzubringen! Wie erfreulich sind die verschiedenen Dienste am Tag des Herrn, seien es die der Evangelisten, der Hirten, der Lehrer, der Sonntagschulhalter oder der Kolporteure! Wer ermisst, wie groß Wert und Nutzen dieser Dienste sind? Der Tag des Herrn ist für seine Diener mehr als ein Tag körperlicher Ruhe. Er ist in Wirklichkeit oft anstrengender als jeder andere Tag der Woche. Aber es ist eine gesegnete Anstrengung, die ihren herrlichen Lohn empfangen wird in der Ruhe, die dem Volk Gottes noch bleibt.
Abschließend sei noch einem Einwand begegnet, den man heute oft hört: „Da wir nicht mehr unter Gesetz sind, so besteht auch keine Verpflichtung für uns, den Sonntag zu halten.“ Eine große Menge bekennender Christen nimmt diesen Standpunkt ein und verteidigt ihre Sonntagsvergnügungen als erlaubte Erholungen. Man will das Gesetz beseitigen, um sich Freiheiten zur Befriedigung des Fleisches zu verschaffen. Man versteht nicht, dass der einzige Weg zur Befreiung vom Gesetz darin besteht, dass man ihm gestorben ist, und wenn man dem Gesetz gestorben ist, muss man auch zwangsläufig der Sünde und der Welt gestorben sein.
Der Christ ist, Gott sei Dank, frei vom Gesetz, aber nicht, um sich am Tag des Herrn oder an einem anderen Tag zu vergnügen und sich selbst zu befriedigen, sondern um Gott zu leben. „Denn ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe“ (Gal 2,19). Das ist die christliche Grundlage. Auf dieser Grundlage stehen nur die, die aus Gott geboren sind. Und doch sind die Völker und auch der Einzelne so weit verantwortlich, wie ihr Bekenntnis geht. Die Völker, die das christliche Bekenntnis tragen, werden nicht nach dem Zeugnis, das durch die Schöpfung vorhanden ist, oder nach dem Gesetz gerichtet werden, sondern nach dem vollen Licht des Christentums, nach all den Wahrheiten, die in dem gesegneten Buch, der Bibel, enthalten sind. Die Heiden werden entsprechend dem Zeugnis von Gott durch die Schöpfung, die Juden aufgrund des Gesetzes, und die Namenschristen aufgrund der christlichen Wahrheiten gerichtet werden.
Das macht die Verantwortung aller bekennenden christlichen Völker sehr groß. Gott wird entsprechend ihrem Bekenntnis mit ihnen handeln. Es nützt nichts, zu sagen, dass sie nicht verstehen, was sie bekennen.
Warum bekennen sie denn, was sie nicht verstehen noch glauben? Tatsache ist, dass sie bekennen zu verstehen und zu glauben, und danach werden sie gerichtet werden. Wie ernst ist der Gedanke, nach dem Maßstab des Wortes Gottes gerichtet zu werden! Welch ein Gericht wird sie treffen! Was wird ihr Ende sein!