Behandelter Abschnitt 5. Mose 4,15-20
Warnung vor Götzendienst
In den folgenden Versen (15–20) wird uns eine wichtige Wahrheit vorgestellt: dass Israel sich selbst erniedrigte und verderben würde, wenn es sich irgendein Bild machte und sich vor ihm niederbeugte. Als das Volk das goldene Kalb gemacht hatte, sprach der Herr zu Mose: „Geh, steige hinab! Denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat sich verdorben.“ Es kann nicht anders sein. Der Anbeter nimmt einen geringeren Platz ein als der Gegenstand seiner Anbetung. Wenn Israel daher ein Kalb anbetete, so hatte es sich unter die unvernünftigen Tiere gestellt. „Dein Volk . . . hat sich verdorben. Sie sind schnell von dem Weg abgewichen, den ich ihnen geboten habe; sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und sich vor ihm niedergebeugt und haben ihm geopfert und gesagt: Das ist sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben“ (2Mo 32,7.8).
Aber hat das alles auch uns etwas zu sagen? Haben denn auch Christen etwas aus der Sache mit dem goldenen Kalb zu lernen? Ganz gewiss! „Denn alles, was zuvor geschrieben worden ist“ (2Mo 32 und 5Mo 4 miteingeschlossen), „ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben“ (Röm 15,4). Und wenn es darum geht, ob wir in der Lage sind oder in Gefahr stehen, die schlimme Sünde der Abgötterei zu begehen, so finden wir eine treffende Antwort in 1. Korinther 10, wo der Apostel gerade dieses traurige Schauspiel am Berg Horeb als Warnung für die Versammlung Gottes benutzt.
In den ersten elf Versen von 1. Korinther 10 wird uns deutlich gezeigt, dass es keine Sünde, keine Torheit, keine Form sittlicher Verderbtheit gibt, in die wir nicht hineinstürzen könnten, wenn uns nicht die Macht Gottes zurückhielte. Es gibt keine Sicherheit für uns, außer in dem Schutz der Gegenwart Gottes. Wir wissen, dass der Geist Gottes uns nicht vor etwas warnt, das gar keine Gefahr für uns ist. Das Wort würde uns nicht ermahnen: „Werdet auch nicht Götzendiener“, wenn wir nicht fähig wären, Götzendienst auszuüben.
Der Götzendienst nimmt die verschiedensten Formen an. Wir lesen zum Beispiel, dass die Habsucht Götzendienst und dass ein habsüchtiger, geiziger Mensch ein Götzendiener ist. Ein Mensch, der also mehr besitzen will, als Gott ihm gegeben hat, ist ein Götzendiener. Er macht sich tatsächlich der Sünde Israels am Berg Horeb schuldig. Darum sagt der Apostel den Korinthern und damit auch uns: „Meine Geliebten, flieht den Götzendienst!“ (1Kor 10,14). Ist diese Warnung überflüssig? Was bedeuten die Schlussworte im ersten Brief des Johannes: „Kinder, hütet euch vor den Götzen“? Sagen sie uns nicht deutlich, dass wir in Gefahr sind, in Götzendienst zu verfallen? Ganz gewiss. Wir sind immer geneigt, von dem lebendigen Gott abzuweichen und einen anderen Gegenstand der Verehrung neben ihm aufzustellen, und was ist das anderes als Götzendienst? Was auch immer unser Herz erfüllt, ist ein Abgott, seien es nun die Vergnügungen dieser Welt, sei es Geld, Ehre, Macht oder etwas dergleichen. Daher ist es nicht umsonst, wenn der Heilige Geist uns so oft und so eindringlich vor der Sünde der Abtrünnigkeit warnt.
Eine weitere, sehr bemerkenswerte Stelle finden wir im vierten Kapitel des Briefes an die Galater, wo der Apostel auf diese Dinge Bezug nimmt. Die Galater hatten als Heiden den Götzen gedient, waren dann aber durch das Evangelium von den Götzen bekehrt worden, um dem lebendigen Gott zu dienen. Eine Zeit lang liefen sie gut. Als aber Männer kamen und sie lehrten, dass sie nicht gerettet werden könnten, wenn sie sich nicht beschneiden ließen und das Gesetz hielten, hörten sie auf sie und wurden unsicher. Was sagt nun der Apostel? Er bezeichnet ihr Verhalten eindeutig als Abgötterei, als ein Zurückgehen in die Dunkelheit und die sittliche Verderbtheit ihrer früheren Tage, und das alles, nachdem sie das Evangelium von der freien Gnade in Christus gehört und angenommen hatten. „Aber damals freilich, als ihr Gott nicht kanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind; jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt, vielmehr aber von Gott erkannt worden seid, wie wendet ihr euch wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt? Ihr beobachtet Tage und Monate und Zeiten und Jahre. Ich fürchte um euch, dass ich etwa vergeblich an euch gearbeitet habe“ (Gal 4,8-11).
Die Galater waren nicht in die heidnische Anbetung der Götzen zurückgefallen. Wahrscheinlich hätten sie eine solche Anklage entrüstet zurückgewiesen. Trotzdem fragt sie der Apostel: „. . . wie wendet ihr euch wieder um?“ Welchen Sinn hatte diese Frage, wenn die Galater nicht im Begriff standen, zum Götzendienst zurückzukehren? Und was lernen wir aus dieser Stelle? Einfach das, dass die Wiedereinführung der Beschneidung und des Gesetzes, die Beobachtung von Tagen, Monaten, Zeiten und Jahren, im Grunde nichts anderes war, als ein Zurückkehren zu ihrer früheren Abgötterei. Das Hervorheben besonderer Tage, wie auch die Anbetung falscher Götter war ein Abweichen von dem lebendigen und wahren Gott, von seinem Sohn Jesus Christus, von dem Heiligen Geist und von all den Wahrheiten, die das Christentum ausmachen.
Das ist für alle Christen von entscheidender Bedeutung. Gott will an allen Orten die Herzen und Gewissen seines Volkes aufrütteln, damit es seine Stellung, seine Gewohnheiten, seine Wege und Verbindungen prüft und untersucht, wie weit es dem Beispiel der Versammlungen in Galatien gefolgt ist. Es kommt ein Tag, an dem Tausenden die Augen geöffnet werden und sie sehen, was diese Dinge im Licht Gottes wert sind. Dann werden sie erkennen, was sie heute nicht erkennen wollen, dass nämlich die gröbste und finsterste Form des Heidentums wieder aufgelebt ist unter dem Namen des Christentums und in Verbindung mit den erhabensten Wahrheiten, die je den menschlichen Verstand erleuchtet haben.
Mose warnt, von Gott selbst belehrt, das Volk sehr vor der Sünde der Abgötterei. Er lässt nichts unversucht, um die Herzen zu erreichen und wiederholt seine Ratschläge und Ermahnungen so eindringlich, dass für sie keine Entschuldigung blieb. Sie konnten nicht sagen, dass sie nicht gewarnt worden waren, bei dem Herrn zu verharren. Denken wir zum Beispiel an die Worte: „Euch aber hat der Herr genommen und euch herausgeführt aus dem eisernen Schmelzofen, aus Ägypten, damit ihr das Volk seines Erbteils seiet, wie es an diesem Tag ist“ (V. 20).
Der Herr hatte sie in seiner unendlichen Gnade aus dem Land der Finsternis herausgeführt und sie als ein erlöstes und befreites Volk zu sich selbst gebracht, damit sie ihm ein Eigentumsvolk sein sollten vor allen Völkern der Erde, ein Gegenstand seiner besonderen Freude und Wonne. Wie hätten sie sich von einem solchen Gott abwenden, wie seinen Bund und seine Gebote übertreten können? Ach, leider haben sie es getan! Sie machten ein Kalb und sprachen: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben“ (2Mo 32,4).
Sind wir besser als die Israeliten? Wir haben zwar mehr Licht und höhere Vorrechte; aber wir sind aus demselben Stoff gemacht, haben dieselben Neigungen und Veranlagungen. Unser Götzendienst mag eine andere Form haben; aber Götzendienst ist Götzendienst, mag er aussehen und sich nennen, wie er will. Je höher unsere Vorrechte sind, desto größer ist auch unsere Sünde. Wir wundern uns vielleicht, dass das Volk so töricht sein konnte, ein Kalb zu machen und es in lustigem Reigen zu umtanzen. Doch lasst uns nicht vergessen, dass ihre Torheit zu unserer Warnung niedergeschrieben ist und dass wir bei all unserer Erkenntnis, bei all unseren Vorrechten doch nötig haben, vor den Götzen gewarnt zu werden. Lasst uns Nutzen daraus ziehen! Unser ganzes Herz muss von Christus erfüllt sein. Dann haben wir keinen Raum für Götzen. Sobald wir uns aber von unserem teuren Heiland und Hirten entfernen, sind wir zu allen traurigen Dingen fähig. Licht, Erkenntnis, geistliche Vorrechte und kirchliche Stellung geben keine Sicherheit.
Nur die Gewissheit des Glaubens, dass Christus in unserem Herzen wohnt, kann uns sicher und glücklich erhalten. Bleiben wir in ihm und Er in uns, so kann uns der Böse nicht antasten. Wird aber diese persönliche Gemeinschaft unterbrochen, so sind wir den Versuchungen Satans und der Lust unseres Fleisches preisgegeben. Und je höher unsere Stellung ist, desto größer ist die Gefahr für uns und desto verhängnisvoller unser Fall. Es gab kein Volk, das so begünstigt und gesegnet war wie Israel am Berg Horeb, aber auch kein Volk, das sich tiefer erniedrigte und größere Schuld auf sich lud als Israel, als es sich vor dem goldenen Kalb beugte.