Behandelter Abschnitt 5. Mose 1,19-23
Die Aussendung der Kundschafter
„Und wir brachen auf vom Horeb und zogen durch diese ganze große und schreckliche Wüste, die ihr gesehen habt, den Weg zum Gebirge der Amoriter, so wie der Herr, unser Gott, uns geboten hatte; und wir kamen bis Kades-Barnea. Und ich sprach zu euch: Ihr seid bis zum Gebirge der Amoriter gekommen, das der Herr, unser Gott, uns gibt. Siehe, der Herr, dein Gott, hat das Land vor dich gestellt; zieh hinauf, nimm in Besitz, so wie der Herr, der Gott deiner Väter, zu dir geredet hat; fürchte dich nicht und verzage nicht!“ (Verse 19–21).
Das war ihre Garantie, dass sie ihren Besitz sofort antreten konnten. Der Herr, ihr Gott, hatte ihnen das Land gegeben. Es war ein Geschenk seiner großen Gnade aufgrund des Bundes, den Er mit ihren Vätern gemacht hatte. Es war sein Wille, das Land Kanaan den Nachkommen Abrahams, seines Freundes, zu geben. Das hätte das Volk beruhigen sollen bezüglich der Art des Landes und seiner Einnahme. Die Kundschafter hätten nicht ausgesandt zu werden brauchen. Der Glaube kundschaftet nicht aus, was Gott gegeben hat. Der Glaube sagt: „Was Gott gibt, muss wertvoll genug sein, und Er ist auch in der Lage, in das einzuführen, was seine Gnade für mich bereitet hat.“ Israel hätte wissen können: Derselbe Gott, der uns durch die „große und schreckliche Wüste“ geleitet hat, kann uns auch in unser verheißenes Erbe bringen.
Diesen Schluss hätte der Glaube gezogen, denn er beurteilt die Umstände immer von Gott aus, nie aber beurteilt er Gott nach den Umständen. „Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?“ (Röm 8,31). „Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun?“ (Heb 13,6). Wenn ich im Glauben auf Gott blicke, so beschäftige ich mich wenig mit den Schwierigkeiten. Sie werden entweder gar nicht gesehen oder nur als eine Gelegenheit zur Entfaltung der Macht Gottes betrachtet.
Doch das Volk glaubte bei dieser Gelegenheit nicht, sondern nahm Zuflucht zu den Kundschaftern. Hieran erinnert sie Mose: „Und ihr tratet alle zu mir und spracht: Lasst uns Männer vor uns hersenden, damit sie uns das Land erkunden und uns Bericht erstatten über den Weg, auf dem wir hinaufziehen, und über die Städte, zu denen wir kommen sollen“ (V. 22).
Hätten sie nicht Gott vertrauen können? Gott hatte sie aus Ägypten herausgeführt, einen Weg für sie durch das Meer gebahnt und sie durch die dürre, schreckliche Wüste geführt. War Er nicht imstande, sie nun auch in das Land zu bringen? Aber nein, sie wollten Kundschafter aussenden, weil ihre Herzen Gott nicht vertrauten.
Im vierten Buch Mose hatte der Herr selbst Mose den Auftrag gegeben, Kundschafter auszusenden. Doch warum tat Mose das? Wegen des niedrigen Zustandes des Volkes. Von neuem sehen wir den charakteristischen Unterschied und doch auch die Übereinstimmung in den beiden Büchern. Das vierte Buch teilt uns die allgemeine Geschichte mit, das fünfte Buch dagegen die verborgene Ursache der Sendung der Kundschafter. Ein Bericht ergänzt den anderen. Wir würden die Begebenheiten nicht so gut verstehen können, wenn wir nur einen Bericht hätten.
Vielleicht fragt jemand, wie es denn unrecht sein konnte, die Kundschafter auszusenden, wo doch der Herr es befohlen hatte. Das Unrecht bestand nicht in der Sendung der Männer, nachdem der Herr einmal den Auftrag dazu gegeben hatte, sondern in dem Wunsch des Volkes, sie überhaupt zu senden. Dieser Wunsch war eine Frucht des Unglaubens, und der Befehl erfolgte nur wegen dieses Unglaubens. Etwas Ähnliches finden wir in Matthäus 19, wo der Herr mit den Pharisäern über die Bestimmungen des Gesetzes bezüglich der Ehescheidung spricht (V. 3–8).
Eine Ehescheidung ist nicht in Übereinstimmung mit den Gedanken Gottes. Ein Mann sollte seine Frau nicht entlassen. Doch war die Ehescheidung gestattet worden wegen der Herzenshärtigkeit des Menschen. Ähnlich war es bei der Begebenheit mit den Kundschaftern. Israel hätte nicht nötig gehabt, die Kundschafter auszusenden. Ein einfältiger Glaube hätte nie daran gedacht. Aber der Herr sah, wie die Dinge lagen und gab dann entsprechende Anordnungen. So gebot Er auch später Samuel, dem Volk einen König zu geben, als Er sah, dass das Volk einen König begehrte (1Sam 8,7-9).
Die Erfüllung eines Wunsches ist kein Beweis dafür, dass er auch den Gedanken Gottes entspricht.
Die Aussendung der Kundschafter war ein vollständiger Fehlschlag und brachte nur Enttäuschungen. Es konnte nicht anders sein, da ihre Sendung eine Folge des Unglaubens war. Allerdings sagte Mose, indem er sich zu dem niedrigen Zustand des Volkes herabließ und dem Plan zustimmte: „Und die Sache war gut in meinen Augen; und ich nahm von euch zwölf Männer, je einen Mann für den Stamm“ (V. 23). Aber dies beweist durchaus nicht, dass der Plan auch den Gedanken Gottes entsprach. Gott kann uns in unserem Unglauben entgegenkommen, selbst wenn Er dadurch betrübt und verunehrt wird. Aber Er hat seine Freude nur an einem ungekünstelten Glauben. Solch ein Glaube räumt Gott den Platz ein, der ihm gebührt. Wenn daher Mose zu dem Volk sagt: „Siehe, der Herr, dein Gott, hat das Land vor dich gestellt; zieh hinauf, nimm in Besitz, so wie der Herr, der Gott deiner Väter, zu dir geredet hat; fürchte dich nicht und verzage nicht!“ – so hätten sie besser antworten sollen: „Hier sind wir, führe uns, allmächtiger Herr! Führe uns zum Siege! Du bist genug. Haben wir dich zum Führer, so folgen wir mit freudigem Vertrauen. Schwierigkeiten sind kein Hindernis für dich, und darum auch nicht für uns. Wir brauchen allein dein Wort und deine Gegenwart.“
Das wäre die Sprache des Glaubens gewesen. Aber Israel sprach anders. Gott war nicht genug für sie. Sie waren nicht zufrieden mit dem, was Er ihnen von dem Land gesagt hatte. Sie wollten Kundschafter senden. Der Mensch versucht alles andere, bevor er auf den lebendigen Gott vertraut. Und doch ist nichts gesegneter als ein Leben des Glaubens. Der Glaube muss Wirklichkeit sein und nicht ein totes Bekenntnis. Es ist zwecklos, von einem Leben aus Glauben zu reden, wenn man im Geheimen auf menschlichen Stützen ruht. Der Gläubige hat es ausschließlich mit Gott zu tun. In ihm findet er alle seine Quellen. Das heißt nicht, dass er die Werkzeuge, die Gott nach seinem Ermessen gebraucht, gering achtet. Er schätzt sie als die Mittel, die Gott zu seiner Hilfe und zum Segen für andere benutzt. Aber er stellt sie nicht an den Platz, der allein Gott zukommt. Seine Sprache ist: „Nur auf Gott vertraut still meine Seele, von ihm kommt meine Rettung“ (Ps 62,2).
Es liegt eine besondere Kraft in dem Wörtchen „nur“. Es erforscht das Herz von Grund auf. Wenn wir etwas von einem Geschöpf erwarten, so haben wir uns schon von dem Leben aus Glauben entfernt. Außerdem bringt es Enttäuschungen aller Art mit sich. Menschliche Stützen zerbrechen, und menschliche Hilfsmittel versagen. Wer aber auf den Herrn vertraut, wird nie beschämt und nie zu kurz kommen. Hätte Israel auf den Herrn vertraut, statt Kundschafter auszusenden, so hätte die Sache eine andere Wendung genommen. Aber sie wollten Kundschafter aussenden, und alles endete für sie in einem erniedrigenden Fehlschlag.