Behandelter Abschnitt 4. Mose 24,1-13
Der dritte Spruch
„Und als Bileam sah, dass es in den Augen des Herrn gut war, Israel zu segnen, so ging er nicht wie die anderen Male auf Wahrsagerei aus [was für eine schreckliche Enthüllung ist das!], sondern wandte sein Angesicht zur Wüste. Und Bileam erhob seine Augen und sah Israel, gelagert nach seinen Stämmen; und der Geist Gottes kam über ihn. Und er hob seinen Spruch an und sprach: Es spricht Bileam, der Sohn Beors, und es spricht der Mann geöffneten Auges. Es spricht, der die Worte Gottes hört, der ein Gesicht des Allmächtigen sieht, der niederfällt und enthüllter Augen ist: Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel! Wie Täler breiten sie sich aus, wie Gärten am Strom, wie Aloebäume, die der Herr gepflanzt hat, wie Zedern am Gewässer!
Wasser wird fließen aus seinen Eimern, und seine Saat wird in großen Wassern sein; und sein König wird höher sein als Agag, und sein Königreich wird erhaben sein. Gott hat ihn aus Ägypten herausgeführt; sein ist die Stärke des Wildochsen. Er wird die Nationen, seine Feinde, fressen [schreckliche Ankündigung für Balak!] und ihre Gebeine zermalmen und sie mit seinen Pfeilen zerschmettern. Er duckt sich, er legt sich nieder wie ein Löwe und wie eine Löwin; wer will ihn aufreizen? Die dich segnen, sind gesegnet, und die dich verfluchen, sind verflucht!“ (Kap. 24,1–9). „Höher und immer höher!“, ist hier das Motto. „Immer herrlicher!“, mögen wir wohl ausrufen, wenn wir auf den Gipfel der Felsen steigen und auf die herrlichen Worte hören, die der falsche Prophet aussprechen muss. Die Sache wird immer besser für Israel und immer schlechter für Balak. Er muss nicht nur hören, wie Israel gesegnet, sondern auch, wie er selbst verflucht wird, weil er das Volk hatte verfluchen wollen.
Beachten wir besonders die reiche Gnade, die wir in diesem dritten Spruch sehen! „Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel!“ Wenn jemand hinabgestiegen wäre und sich diese Zelte und Wohnungen angesehen hätte, dann wären sie ihm wohl „schwarz wie die Zelte Kedars“ (Hld 1,5) erschienen, aber „in dem Gesicht des Allmächtigen“, waren sie schön, und wer dies nicht erkennen konnte, hatte nötig, dass ihm „geöffnete Augen“ gegeben wurden. Wenn ich die Kinder Gottes „vom Gipfel der Felsen“ aus betrachte, so werde ich sie sehen, wie Gott sie sieht, werde sehen, dass sie mit der ganzen Schönheit Christi bekleidet sind, vollkommen in ihm, begnadigt in dem Geliebten. Das wird mich befähigen, mit ihnen auszukommen, Gemeinschaft mit ihnen zu haben, ihre Flecken und Fehler, ihre Gebrechen und Schwachheiten zu übersehen14. Wenn ich sie nicht von diesem hohen, göttlichen Standpunkt aus betrachte, dann wird mein Auge mit Sicherheit an irgendeinem kleinen Fehler hängen bleiben. Das wird meine Gemeinschaft beeinträchtigen und meine Zuneigung schwächen.
Was Israel betrifft, so werden wir schon im nächsten Kapitel sehen, in was für eine schreckliche Sünde es fiel. Änderte dies das Urteil Gottes? Gewiss nicht! „Er ist nicht ein Menschensohn, dass er bereue“ (Kap. 23,19). Er richtete und züchtigte sie um ihrer Sünde willen, weil Er heilig ist und in seinem Volk nie etwas dulden kann, was seiner Natur widerspricht. Aber Er konnte niemals sein Urteil über sie widerrufen. Er kannte sie völlig. Er wusste, was sie waren und was sie tun würden; aber dennoch sagte Er: „Ich erblicke keine Ungerechtigkeit in Jakob und sehe kein Unrecht in Israel. Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel!“ Bedeutete das, ihre Sünde zu verharmlosen? Nein! Er konnte sie wegen ihrer Sünden züchtigen; aber sobald ein Feind auftritt, um sie zu verfluchen oder anzuklagen, steht Er vor seinem Volk und sagt: „Ich sehe kein Unrecht“ – „wie schön sind deine Zelte!“
Aber nicht nur die Zelte Israels sind schön in den Augen des Herrn, sondern auch das Volk selbst wird vorgestellt als ein Volk, das nahe bei den Quellen der Gnade und des lebendigen Dienstes bleibt, die sich in Gott finden. „Wie Täler breiten sie sich aus, wie Gärten am Strom, wie Aloebäume, die der Herr gepflanzt hat, wie Zedern am Gewässer!“ Wie unendlich schön! Und was für ein Gedanke, dass wir diese erhabenen Aussprüche dem gottlosen Bündnis zwischen Balak und Bileam zu verdanken haben!
Doch das ist noch nicht alles. Wir sehen nicht nur Israel selbst an den ewigen Quellen der Gnade und des Heils trinken, sondern es wird auch, wie dies immer der Fall sein muss, zu einem Kanal des Segens für andere. „Wasser wird fließen aus seinen Eimern.“ Es ist der feste Plan Gottes, dass die zwölf Stämme Israels zu einem Mittel reichen Segens für alle Enden der Erde werden sollen. Wir sehen das in Schriftstellen wie Hesekiel 47 und Sacharja 14, die die wunderbare Fülle und Schönheit dessen zeigen, was die herrlichen Sprüche Bileams andeuten. Man kann mit großem geistlichen Nutzen über diese und ähnliche Schriftstellen nachdenken; nur muss man sich vor der verhängnisvollen falschen Vergeistlichung der Weissagungen hüten, die vor allem darin besteht, dass man den besonderen Segen des Hauses Israel auf die Versammlung überträgt und Israel nur die Flüche eines gebrochenen Gesetzes lässt. Israel ist geliebt um der Väter willen und „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“ (Röm 11,29).
14 Diese Behauptung berührt in keiner Weise die Frage der Zucht im Haus Gottes. Wir sind verpflichtet, sittlich Böses und Irrtum in der Lehre zu richten (1Kor 5,12.13).↩︎