Behandelter Abschnitt 4. Mose 16,4-11
Die Haltung Moses
Als Mose, der treue Knecht Gottes, ihre aufrührerischen Worte hörte, „fiel er auf sein Angesicht“ (V. 4). Das war die wirksamste Art, Aufrührern zu begegnen. Es nützt nicht viel, mit ruhelosen und unzufriedenen Leuten zu streiten. Viel besser ist es, sie der Hand des Herrn zu übergeben; denn in Wirklichkeit streiten sie gegen ihn. Wenn Gott jemandem einen Platz anweist und ihm ein Werk aufträgt, und die anderen meinen, mit ihm streiten zu müssen einzig deshalb, weil er diese Stellung einnimmt und dieses Werk tut, so ist ihr Kampf tatsächlich gegen Gott gerichtet; Gott aber weiß, wie Er den Streit beilegen soll, und Er wird es nach seiner Weise und zu seiner Zeit tun.
Diese Zuversicht verleiht dem Knecht des Herrn Ruhe und Erhabenheit, sooft sich neidische und aufrührerische Geister gegen ihn erheben mögen. Es ist kaum möglich, dass jemand im Dienst einen hervorragenden Platz einnimmt oder von Gott auf eine besondere Weise gebraucht wird, ohne dass er irgendwann einmal den Angriffen wühlerischer und unzufriedener Menschen ausgesetzt wäre, die es nicht ertragen können, dass jemand mehr geehrt wird als sie. Doch der richtige Weg, solchen zu begegnen, ist, dass man in Demut den niedrigsten Platz einnimmt und den Strom der Unzufriedenheit über sich hingehen lässt. „Als Mose es hörte, fiel er auf sein Angesicht. Und er redete zu Korah und zu seiner ganzen Rotte und sprach: Am Morgen, da wird der Herr [nicht Mose] kundtun, wer sein ist und wer heilig ist, dass er ihn zu sich nahen lasse; und wen er erwählt, den wird er zu sich nahen lassen. Dies tut: Nehmt euch Räucherpfannen, Korah und seine ganze Rotte, und morgen tut Feuer hinein und legt Räucherwerk darauf vor dem Herrn; und es soll geschehen, der Mann, den der Herr erwählen wird, der sei der Heilige. Lasst es genug sein, ihr Söhne Levis“ (V. 4–7).
Das hieß die Angelegenheit in die rechten Hände legen. Mose stellt die unumschränkten Rechte des Herrn an die erste Stelle. „Der Herr wird kundtun“, und „der Herr wird erwählen.“ Er sagt keine Silbe von sich oder von Aaron. Die ganze Frage hängt von der Wahl und Entscheidung des Herrn ab. Die zweihundertundfünfzig Empörer werden dem lebendigen Gott gegenübergestellt. Sie werden aufgefordert, mit ihren Räucherpfannen in der Hand in die Gegenwart Gottes zu treten, damit die ganze Angelegenheit vor jenem hohen Gerichtshof geprüft und geordnet werde, gegen dessen Entscheidung keine Berufung mehr erfolgen kann. Es hätte offenbar nichts genützt, wenn Mose und Aaron versucht hätten, ein Urteil zu fällen, da sie selbst die Angeklagten waren. Aber Mose war bereit, beide Parteien in die Gegenwart Gottes zu berufen, damit hier ihre Streitsache geprüft und geordnet werde.
Das war wahre Demut und wahre Weisheit. Wenn jemand eigenwillig einen bestimmten Platz einzunehmen sucht, so ist es immer gut, ihm das zu lassen, wonach sein Herz begehrt; denn ganz sicher wird gerade der Platz, nach dem er törichterweise getrachtet hat, der Ort seiner Niederlage und Beschämung werden. Man begegnet bisweilen Menschen, die andere wegen eines Dienstes beneiden und die diesen Dienst gern selbst übernehmen möchten. Nun, mögen sie es versuchen! Sie werden sicher am Ende zusammenbrechen und sich mit Scham und Schande zurückziehen müssen.
Der Herr wird gewiss alle solche beschämen, und daher ist es für alle, die sich neidischen Angriffen ausgesetzt sehen, stets das Beste, wenn sie vor dem Herrn auf ihr Angesicht fallen und es ihm überlassen, die Frage mit den Unzufriedenen zu lösen. Er wird es in seiner vollkommenen Weise tun. „Und Mose sprach zu Korah: Hört doch, ihr Söhne Levis! Ist es euch zu wenig, dass der Gott Israels euch aus der Gemeinde Israel ausgesondert hat, um euch zu sich nahen zu lassen, damit ihr den Dienst der Wohnung des Herrn verrichtet und vor der Gemeinde steht, um sie zu bedienen, dass er dich und alle deine Brüder, die Söhne Levis, mit dir hat herzunahen lassen? Und ihr trachtet auch nach dem Priestertum! Darum rottet ihr euch zusammen, du und deine ganze Rotte, gegen den Herrn; denn Aaron, was ist er, dass ihr gegen ihn murrt?“ (V. 8–11).
In diesen Worten werden Wurzel und Ursache der Verschwörung bloßgelegt. Wir sehen den Mann, der sie veranlasste, und das Ziel, das er erstrebte. Mose wendet sich an Korah und klagt ihn an, er trachte nach dem Priestertum. Es ist wichtig, zu verstehen, was Korah war, worin sein Werk bestand und welches Ziel sein rastloser Ehrgeiz verfolgte. Sonst wird die wahre Kraft und Bedeutung des Ausdrucks nicht verstanden, den Judas gebraucht: „in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen“ (V. 11).
Wer war denn Korah? Er war ein Levit und als solcher berechtigt, zu dienen und zu lehren. „Sie werden Jakob lehren deine Rechte, und Israel dein Gesetz“ (5Mo 33,10). „Der Gott Israels hat euch aus der Gemeinde Israel ausgesondert, um euch zu sich nahen zu lassen, damit ihr den Dienst der Wohnung des Herrn verrichtet und vor der Gemeinde steht, um sie zu bedienen.“ Und wonach trachtete er? Nach dem Priestertum.
Einem oberflächlichen Beobachter wäre es wohl entgangen, dass Korah etwas für sich selbst suchte. Er schien für die Rechte der ganzen Versammlung zu kämpfen. Aber durch den Geist Gottes entlarvt Mose diesen Mann und zeigt, dass er unter dem Vorwand, für die gemeinsamen Rechte der Gemeinde einzustehen, für sich selbst nach dem Priestertum trachtet. Es ist gut, das zu beachten. Man wird gewöhnlich finden, dass solche, die gern und laut von den Freiheiten, Rechten und Vorrechten des Volkes Gottes sprechen, in Wirklichkeit nur ihre eigene Erhebung und ihren eigenen Vorteil suchen. Nicht zufrieden mit dem ihnen von Gott angewiesenen Werk, suchen sie einen Platz, der ihnen nicht zukommt. Das ist nicht immer offensichtlich, aber Gott wird es gewiss früher oder später offenbar machen; denn „von ihm werden die Taten gewogen“. Nichts ist hässlicher, als wenn jemand für sich einen hervorragenden Platz sucht. Möchten wir doch alle in Demut, Ruhe und Einfalt den uns angewiesenen Dienst tun! Korah hatte das nicht gelernt. Er war mit dem ihm von Gott zugeteilten Platz und Dienst nicht zufrieden, sondern trachtete nach etwas, das ihm mit Sicherheit nicht gehörte. Er wollte Priester werden. Er empörte sich gegen den Hohenpriester Gottes. Das war „der Widerspruch Korahs“.
Verschiedene Dienste und das Priestertum
Unstreitig hat jedes Glied des Leibes Christi irgendeinen Dienst zu erfüllen, irgendein Werk zu tun. Das begreift jeder verständige Christ. Außerdem ist es klar, dass die Auferbauung des Leibes nicht nur durch einige hervorragende Gaben geschieht, sondern durch die Wirksamkeit aller Glieder an dem ihnen zugewiesenen Platz, wie wir im Epheserbrief lesen: „. . . sondern die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus dem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maß jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (Kap. 4,15.16). Was die besonderen Gaben betrifft wie diejenigen eines Evangelisten, Hirten, Propheten oder Lehrers, so ist es Christus allein, der sie gibt, und ihr Besitz macht jemanden ohne das Zutun eines anderen zum Diener (vgl. Eph 4,11.12; 1Kor 12,11).
Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen Dienst und Priestertum. Korah trachtete nicht danach, ein Diener zu werden, denn das war er. Er wollte Priester werden, was er nicht sein konnte. Mit dem Priestertum waren Aaron und seine Familie betraut. Jeder andere, der es wagte, Opfer darzubringen oder einen priesterlichen Dienst zu tun, – ganz gleich, wer er war – handelte in frecher Anmaßung. Aaron aber war ein Bild von unserem großen Hohenpriester, der in die Himmel eingegangen ist, von Jesus, dem Sohn Gottes. Der Himmel ist der Bereich seines Dienstes. „Wenn er nun auf der Erde wäre, so wäre er nicht einmal Priester“ (Heb 8,4). „Denn es ist offenbar, dass unser Herr aus Juda entsprossen ist, einem Stamm über den Mose in Bezug auf Priester nichts geredet hat“ (Heb 7,14).
Es gibt jetzt kein Priestertum auf der Erde außer in dem Sinn, dass alle Gläubigen Priester sind. So lesen wir in 1. Petrus 2,9: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft.“ In diesem Sinn ist jeder Christ ein Priester. Der schwächste Heilige in der Versammlung Gottes ist ebenso ein Priester, wie Paulus es war. Es handelt sich dabei nicht um Fähigkeit oder geistliche Kraft, sondern einfach um die Stellung. Alle Gläubigen sind Priester und als solche nach Hebräer 13,15.16 berufen, geistliche Opfer darzubringen. „Durch ihn nun lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Das Wohltun aber und Mitteilen vergesst nicht, denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen.“
Das ist das christliche Priestertum. Wenn man nach einer anderen Art des Priestertums strebt, wenn man eine andere priesterliche Funktion sich anmaßt oder eine bestimmte priesterliche Klasse einrichtet, d. h. eine Anzahl von Menschen dazu bestimmt, dass sie zugunsten ihrer Mitmenschen tätig sein oder priesterlichen Dienst für sie vor Gott tun sollen – so ist das, dem Grundsatz nach, die Sünde Korahs.9
9 Ausdrücklich sei betont, dass hier nur von dem Grundsatz, nicht von Personen die Rede ist.↩︎