Behandelter Abschnitt 4. Mose 16,1-3
Die Empörung Korahs, Dathans und Abirams
Neid
Das Kapitel, über das wir soeben gesprochen haben, kann – mit Ausnahme des kurzen Abschnittes über den Sabbatschänder – als eine Abschweifung von der Geschichte des Wüstenlebens Israels betrachtet werden. Es lässt uns in die Zukunft schauen, wenn Israel trotz all seiner Sünde und Torheit, seines Murrens und seiner Empörung das Land Kanaan besitzen und dem Gott seines Heils Friedensopfer und Lobgesänge darbringen wird. Es offenbart, wie der Herr sich weit über all den Unglauben und Ungehorsam, Stolz und Eigenwillen, der sich in den Kapiteln 13 und 14 gezeigt hat, erhebt, und wie Er auf die völlige Erfüllung seiner ewigen Ratschlüsse am Ende der Tage und auf die Verwirklichung der Verheißungen blickt, die Er dem Abraham, Isaak und Jakob gegeben hat.
Im 16. Kapitel wird die Geschichte der Wüste wieder aufgenommen, die so traurig und demütigend hinsichtlich des Menschen, aber so lichtvoll und segensreich im Blick auf die unerschöpfliche Geduld und schrankenlose Gnade Gottes ist. Das sind die beiden großen Lehren der Wüste, die wir im vierten Buch Mose immer nebeneinander finden. Kapitel 14 zeigt den Menschen und seine Wege, Kapitel 15 Gott und seine Wege, Kapitel 16 kommt auf den Menschen und seine Wege zurück. „Und Korah, der Sohn Jizhars, des Sohnes Kehats, des Sohnes Levis, unternahm es, und mit ihm Dathan und Abiram, die Söhne Eliabs, und On, der Sohn Pelets, die Söhne Rubens, und sie standen auf gegen Mose, mit 250 Männern von den Kindern Israel, Fürsten der Gemeinde, Berufenen der Versammlung, Männern von Namen. Und sie versammelten sich gegen Mose und gegen Aaron und sprachen zu ihnen: Lasst es genug sein! Denn die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig, und der Herr ist in ihrer Mitte! Und warum erhebt ihr euch über die Versammlung des Herrn?“ (V. 1–3)
Hier kommen wir also zu dem ernsten Ereignis, das der Heilige Geist im Judasbrief den „Widerspruch Korahs“ (V. 11) nennt; denn Korah war das religiöse Haupt der Empörung. Er scheint genug Einfluss besessen zu haben, um eine große Anzahl hoch angesehener Männer, „Fürsten der Gemeinde, Berufene der Versammlung, Männer von Namen“ um sich zu sammeln. Es war eine schreckliche Empörung, und wir tun gut daran, ihre Quelle und ihre moralischen Merkmale genau zu prüfen.
Es ist immer ein kritischer Augenblick, wenn sich in einer Versammlung ein Geist der Unzufriedenheit offenbart; denn wenn ihm nicht in der rechten Weise begegnet wird, so sind die schlimmsten Folgen unausbleiblich. Es gibt fast in jeder Versammlung solche, die einer Einwirkung von außen leicht zugänglich sind; und es braucht nur ein unruhiger und herrschsüchtiger Geist aufzustehen, um das Feuer, das im Verborgenen glimmt, zu einer verzehrenden Flamme anzufachen.
Hunderte und Tausende sind bereit, sich um das Banner der Empörung zu scharen, sobald es einmal aufgepflanzt ist – Menschen, die selbst nie die Kraft und den Mut gehabt hätten, es zu entfalten. Nicht den ersten Besten wird Satan in einem solchen Fall als Werkzeug benutzen. Er braucht dazu einen scharfsinnigen, gewandten und energischen Mann, der auf seine Umgebung Einfluss hat und einen eisernen Willen besitzt, um seine Pläne zu verfolgen. Satan teilt den Menschen, die er zu seinen teuflischen Unternehmungen verwendet, zweifellos viel von diesen Dingen mit. Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass die Leiter aufrührerischer Bewegungen gewöhnlich Männer von hervorragendem Geist waren, fähig, die wankelmütige Menge, die wie das Meer von jedem Sturm bewegt wird, nach ihrem Willen zu leiten und zu beherrschen. Angeblich bedrohte Freiheiten und Rechte des Volkes sind in der Regel die Dinge, durch die sie die Massen am wirksamsten in Bewegung setzen können. Wenn es ihnen nur gelingt, das Volk zu überzeugen, dass seine Freiheiten und Rechte in Gefahr sind, so wird es ihnen nicht schwer werden, eine große Zahl unruhiger Geister um sich zu sammeln und viel Unheil anzurichten.
So war es auch bei Korah und seinen Genossen. Sie suchten dem Volk einzureden, Mose und Aaron spielten sich als Herren über ihre Brüder auf und hinderten sie, ihre Rechte und Vorrechte als Glieder einer heiligen Versammlung auszuüben, in der nach ihrem Urteil alle auf demselben Boden standen und alle das gleiche Recht hatten, etwas zu tun. „Ihr habt zu viel auf euch genommen!“, steht in der englischen Bibelübersetzung für: „Lasst es genug sein!“ So lautet die Anklage gegen den „sanftmütigsten Mann auf dem Erdboden“. Aber, was hatte denn Mose zu viel auf sich genommen? Gewiss, ein kleiner Blick auf die Geschichte dieses geliebten Dieners hätte genügt, um jeden Unparteiischen zu überzeugen, dass er weit davon entfernt war, Würden und Verantwortlichkeiten auf sich zu laden. Er hatte sich vielmehr als ein solcher erwiesen, der zurückschreckte, wenn sie ihm angeboten wurden, und der unterlag, wenn man sie ihm auferlegte. Wer daher Mose anklagen konnte, er sei nicht zufrieden mit dem, was Gott auf ihn gelegt habe, und er geize nach mehr Ehre und Würde – wer das sagen konnte, zeigte damit, dass er über den Geist und Charakter dieses Mannes ganz und gar unwissend war. Dem Mann, der zu Josua sagen konnte: „Eiferst du für mich? Möchte doch das ganze Volk des Herrn Propheten sein, dass der Herr seinen Geist auf sie legte!“, sah es gewiss nicht ähnlich, dass er jemals zu viel für sich verlangen würde.
Wenn aber andererseits Gott einen Menschen auszeichnet, wenn Er ihn zu einem Werk beruft und befähigt und ihm einen besonderen Platz anweist – wer sind dann wir, um gegen die göttliche Gabe und Bestimmung zu reden? „Ein Mensch kann nichts empfangen, wenn es ihm nicht aus dem Himmel gegeben ist“ (Joh 3,27).
Korah und seine Rotte stritten daher gegen Gott und nicht gegen Mose und Aaron. Diese waren von Gott berufen worden, eine besondere Stellung einzunehmen und ein einzigartiges Werk zu tun, und wehe ihnen, wenn sie sich ihrem Auftrag widersetzt hätten! Nicht sie waren es, die nach der Stellung getrachtet oder sich das Werk angemaßt hatten: Sie waren von Gott dazu bestimmt worden. Das war entscheidend und für alle bindend, ausgenommen für unruhige, von sich selbst eingenommene Empörer, die die wahren Knechte Gottes zu stürzen suchten, um sich selbst erheben zu können. So ist es immer mit den Anstiftern von Aufruhr oder Unzufriedenheit. Ihr eigentliches Ziel ist, aus sich selbst etwas zu machen. Sie reden laut von Wahrheit, von den gemeinsamen Rechten und Vorrechten des Volkes Gottes; aber in Wirklichkeit streben sie nach einer Stellung, für die sie keineswegs befähigt sind, und nach Vorrechten, auf die sie keinen Anspruch haben.
In Wirklichkeit ist die Sache sehr einfach. Wer wollte bestreiten, dass Gott dem Menschen einen Platz gegeben hat, den er ausfüllen, ein Werk, das er tun soll? Nun, dann versuche jeder, seinen Platz zu erkennen und ihn auszufüllen, sein Werk zu verstehen und es zu tun. Es ist unsinnig, die Stellung eines anderen einnehmen oder das Werk eines anderen verrichten zu wollen. Wir haben das bei der Betrachtung der Kapitel 3 und 4 dieses Buches bereits gesehen. Korah und Mose – jeder hatte sein Werk. Warum sollte einer den anderen beneiden? Es ist Unvernunft, einen von Christus begabten Knecht anzuklagen, weil er der Verantwortlichkeit zu entsprechen sucht, die ihm seine Gabe unstreitig auferlegt.
Dieser Grundsatz ist äußerst wichtig, und zwar in jeder Versammlung und unter allen Umständen, da, wo irgend Christen berufen sind, miteinander zu wirken. Es ist eine irrige Ansicht, wenn man denkt, alle Glieder des Leibes Christi seien an hervorragende Plätze berufen oder es könne irgendein Glied seinen Platz am Leib selbst wählen. Das ist ganz und gar Sache der göttlichen Bestimmung, wie wir aus 1. Korinther 12 so klar ersehen: „Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht Hand bin, so bin ich nicht von dem Leib – ist er deswegen nicht von dem Leib? Und wenn das Ohr spräche: Weil ich nicht Auge bin, so bin ich nicht von dem Leib – ist es deswegen nicht von dem Leib? Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? Wenn ganz Gehör, wo der Geruch? Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, jedes einzelne von ihnen an dem Leib, wie es ihm gefallen hat“ (V. 14–18).
Hier ist die wahre, die einzige Quelle des Dienstes in der Versammlung Gottes, dem Leib Christi: „Gott hat die Glieder gesetzt.“ Nicht ein Mensch setzt den anderen ein und noch weniger ein Mensch sich selbst. Entweder ist es göttliche Einsetzung, oder es ist gar nichts – ja schlimmer noch: es ist ein Eingriff in die Rechte Gottes.
Wenn wir nun diesen Gegenstand im Licht von 1. Korinther 12 betrachten, können wir die Frage stellen: Welchen Sinn hätte es, wenn die Füße die Hände oder die Ohren die Augen anklagen wollten, dass sie zu viel auf sich nähmen? Wäre es nicht ganz widersinnig und dumm? Allerdings nehmen diese Glieder einen hervorragenden Platz am Leib ein, aber warum? Weil Gott sie dahin gesetzt hat, „wie es ihm gefallen hat“. Und was tun sie an diesem hervorragenden Platz? Sie tun das Werk, das Gott ihnen zu tun angewiesen hat. Und zu welchem Zweck? Zum Wohl des ganzen Leibes. Es gibt kein einziges Glied, so verborgen es auch sein mag, das nicht Nutzen zöge aus dem, was ein hervorragendes Glied zu tun hat, wenn es das nur in der richtigen Weise tut, und andererseits hat das hervorragende Glied Vorteile von dem, was das verborgene tut. Wenn die Augen ihre Sehkraft verlieren, so wird jedes Glied es fühlen, und wenn es in den Funktionen des unbedeutendsten Gliedes eine Störung gibt, so wird das geehrteste Glied darunter leiden.
Es handelt sich also nicht darum, ob wir zu viel oder zu wenig auf uns nehmen, sondern, ob wir das uns bestimmte Werk tun und den uns angewiesenen Platz ausfüllen. Wenn alle Glieder nach ihrem Maß kräftig zusammenwirken, dient das der Erbauung des ganzen Leibes. Wenn die Wahrheit nicht erfasst und praktisch verwirklicht wird, wird die Erbauung nicht gefördert, sondern behindert werden. Der Heilige Geist wird betrübt und ausgelöscht, die Rechte Christi werden verleugnet, und Gott wird verunehrt. Jeder Christ ist verantwortlich, nach diesem göttlichen Grundsatz zu handeln und gegen alles zu zeugen, was ihn in der Praxis verleugnet. Die Tatsache des Verfalls der Versammlung ist kein Grund, die Wahrheit Gottes zu verlassen oder ihre Verleugnung gutzuheißen. Der Christ ist immer verpflichtet, sich den offenbarten Gedanken Gottes zu unterwerfen. Die Umstände als eine Entschuldigung für das Böse oder für die Vernachlässigung einer Wahrheit Gottes zu gebrauchen, ist nichts anderes, als die göttliche Autorität für nichts zu achten und Gott zum Urheber unseres Ungehorsams zu machen. Korah und seine Rotte lernten sehr bald die Torheit und Sünde ihrer Empörung kennen.