Behandelter Abschnitt 4. Mose 15,1-2
Verschiedene Unterweisungen
Wenn ihr in das Land kommt . . . !
Der Anfang dieses Kapitels ist besonders auffallend, wenn man ihn in Verbindung bringt mit dem Inhalt des 14. Kapitels. Dort schien alles finster und hoffnungslos zu sein. Mose musste dem Volk sagen: „Zieht nicht hinauf, denn der Herr ist nicht in eurer Mitte, dass ihr nicht vor euren Feinden geschlagen werdet.“ Und weiter hatte der Herr zu ihnen gesagt: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, wenn ich euch nicht so tun werde, wie ihr vor meinen Ohren geredet habt! In dieser Wüste sollen eure Leichname fallen . . . Wenn ihr in das Land kommen werdet, worin euch wohnen zu lassen ich meine Hand erhoben habe . . . Ihr aber, eure Leichname sollen in dieser Wüste fallen“ (14,28–32).
Aber kaum werfen wir einen Blick in das 15. Kapitel, so ist es, als sei gar nichts geschehen und als sei alles so ruhig und gewiss, wie nur Gott es machen kann. Wir lesen: „Und der Herr redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land eurer Wohnsitze kommt, das ich euch geben werde“ usw. Das ist eine der bemerkenswertesten Stellen in diesem Buch. Es gibt kaum eine Stelle, die charakteristischer wäre – nicht nur für das vierte Buch Mose, sondern für die ganze Bibel – als diese. Wenn wir den feierlichen Urteilsspruch lesen: „Ihr werdet nicht in das Land kommen“, und uns fragen, was das uns zu sagen hat, so erkennen wir: Der Mensch ist völlig nichtig und wertlos, alles Fleisch ist wie Gras“ – eine Lehre, die wir alle so langsam lernen.
Finden wir andererseits die Worte: „Wenn ihr in das Land eurer Wohnsitze kommt, das ich euch geben werde“, so lesen wir daraus die wundervolle Lehre, dass von dem Herrn Rettung kommt. In dem einen Ausspruch erfahren wir von der Schwäche des Menschen, in dem anderen von Gottes Treue. Wenn wir die Seite des Menschen sehen, dann ist das Urteil: „Ihr werdet gewiss nicht in das Land kommen.“ Aber wenn wir bei dieser Sache die Seite Gottes sehen, können wir den Satz umdrehen und sagen: „Ihr werdet gewiss hineinkommen.“
Das wird in dem Abschnitt deutlich, den wir hier vor uns haben, und das wird in der ganzen Bibel von Anfang bis Ende deutlich. Der Mensch versagt, aber Gott ist treu. Der Mensch verwirkt alles; aber Gott macht alles wieder gut. „Was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott“ (Lk 18,27). Müssen wir die ganze Heilige Schrift durchgehen, um das zu erklären und zu beweisen? Muss man auf die Geschichte Adams im Paradies hinweisen? Auf die Geschichte Noahs nach der Sintflut? Auf die Geschichte Israels in der Wüste, im Land Kanaan, unter dem Gesetz, unter dem levitischen Zeremoniell? Sollen wir uns bei dem Versagen des Menschen hinsichtlich des prophetischen, priesterlichen und königlichen Dienstes aufhalten? Sollen wir auf das Versagen der Versammlung als eines auf der Erde verantwortlichen Gefäßes hinweisen? Hat nicht der Mensch immer und in allem gesündigt? Leider ja!
Das ist die eine Seite des Gemäldes, die finstere und demütigende Seite. Aber Gott sei gepriesen, es gibt auch eine lichtvolle und ermutigende Seite. Wenn es heißt: „Ihr werdet gewiss nicht“, so heißt es auch: „Ihr werdet gewiss.“ Und warum? Weil Christus auf diese Erde gekommen ist, und in ihm ist für die Verherrlichung Gottes und für das ewige Glück des Menschen alles gesichert. Es ist Gottes ewiger Ratschluss, „alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus“ (Eph 1,10). Worin auch immer der erste Mensch versagt hat – es gibt nichts, was der zweite Mensch nicht wiedergutmachen wird. Er ist das Haupt der neuen Schöpfung und der Erbe aller Verheißungen, die dem Abraham, Isaak und Jakob im Blick auf das Land und die dem David in Bezug auf den Thron gegeben worden sind. Die Herrschaft wird auf seinen Schultern ruhen. Er wird der Träger der Herrlichkeit sein. Er ist der Prophet, der Priester und der König. Mit einem Wort, Christus stellt alles wieder her, was Adam verloren hat, und bringt noch viel mehr, als Adam je besaß. Wenn wir also den ersten Adam und seine Werke betrachten, so heißt das Urteil: „Ihr werdet gewiss nicht“; ihr werdet nicht im Paradies bleiben, ihr werdet nicht die Regierung behalten, ihr werdet nicht die Verheißung erlangen, ihr werdet nicht in das Land hineinkommen, ihr werdet nicht den Thron einnehmen, ihr werdet nicht das Reich betreten.
Doch wenn wir unseren Blick auf den zweiten Adam und seine Werke richten, so sehen wir, dass das „Nicht“ für immer aus jedem Satz verschwindet, denn in Christus Jesus sind alle Verheißungen Gottes Ja und Amen, „Gott zur Herrlichkeit durch uns“. Es gibt kein „Nein“, wenn es sich um Christus handelt. Alles ist „ja“, alles ist göttlich festgesetzt und geordnet, und weil es so ist, hat Gott sein Siegel darauf gedrückt, das Siegel seines Geistes, den alle Gläubigen jetzt besitzen. „Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, wurde nicht Ja und Nein, sondern es ist Ja in ihm. Denn so viele der Verheißungen Gottes sind, in ihm ist das Ja und in ihm das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns. Der uns aber mit euch befestigt in Christus und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt hat und das Pfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat“ (2Kor 1,19-22).
So müssen also die ersten Zeilen unseres Kapitels im Licht des ganzen Buches Gottes gesehen werden. Sie stimmen überein mit der gesamten Geschichte der Wege Gottes mit dem Menschen in dieser Welt. Israel hatte jedes Anrecht auf das Land verwirkt. Sie verdienten nichts Besseres, als dass ihre Leiber in der Wüste fielen. Und es ist die große und wunderbare Gnade Gottes, dass Er trotzdem mit ihnen davon sprechen konnte, dass sie in das Land kommen würden, und dass Er ihnen für ihr Leben und Handeln darin Anweisungen gab.
Nichts könnte gesegneter und ermutigender sein. Gott erhebt sich über alle Fehler und Sünden des Menschen. Unmöglich kann eine einzige Verheißung Gottes unerfüllt bleiben. Konnte das Betragen der Nachkommen Abrahams in der Wüste den ewigen Ratschluss Gottes vereiteln oder die Erfüllung der bestimmten und bedingungslosen Verheißung an die Väter verhindern? Unmöglich! Das hilft uns, den ersten Satz unseres Kapitels zu erklären, der mit bemerkenswerter Kraft und Schönheit auf die demütigenden Begebenheiten in Kapitel 14 folgt. Dort scheint die Sonne Israels hinter finsteren Wolken unterzugehen; hier aber geht sie mit vollem Glanz wieder auf, indem sie die große Wahrheit offenbart und bestätigt, dass die Gnadengaben und die Berufung Gottes unbereubar sind (Röm 11,29). Mag auch ein ungläubiges Geschlecht tausendmal murren und sich empören, so wird Gott doch erfüllen, was Er verheißen hat.
Hier ist zu allen Zeiten der göttliche Ruheort des Glaubens, der gewisse und sichere Hafen für die Seele inmitten des Schiffbruchs aller menschlichen Pläne und Unternehmungen. Alles zerfällt unter der Hand des Menschen in Stücke; aber Gott in Christus bleibt. Gott hat Christus auferweckt, und alle, die an ihn glauben, stehen auf einem neuen Boden. Sie sind mit dem auferstandenen und verherrlichten Haupt in Verbindung gebracht, und das ist ihr Platz für immer. Diese wunderbare Verbindung kann niemals aufgelöst werden. Alles ist gesichert auf einer Grundlage, die keine Macht der Erde oder der Hölle erschüttern kann.