Behandelter Abschnitt 4. Mose 14,39-45
Vertrauen auf eigene Kraft
Der letzte Abschnitt unseres Kapitels (V. 39–45) gibt uns eine andere wichtige Belehrung. Als die Israeliten aufgefordert wurden, in der Kraft des Glaubens hinaufzuziehen und das Land in Besitz zu nehmen, schraken sie zurück und weigerten sich, zu ziehen. Sie fielen nieder und weinten, als sie hinaufziehen und erobern sollten. Vergebens versicherte ihnen der gläubige Kaleb, der Herr werde sie führen und auf dem Berg seines Erbteils wohnen lassen. Sie wollten nicht hinaufziehen, weil sie nicht auf Gott vertrauen konnten. Und jetzt wollten sie in Anmaßung und Selbstvertrauen hinaufziehen, anstatt ihr Haupt zu beugen und die Regierungswege Gottes anzunehmen.
Aber, wie vergeblich war es, aufzubrechen, ohne dass der lebendige Gott in ihrer Mitte war! Ohne ihn konnten sie nichts tun. Und doch – als Er mit ihnen sein wollte, fürchteten sie sich vor den Amalekitern, und jetzt maßen sie sich an, eben diesem Volk ohne Gott entgegenzutreten! „Hier sind wir und wollen zu dem Ort hinaufziehen, von dem der Herr geredet hat“ (V. 40). Es ist sehr merkwürdig, dass Mose ihnen jetzt dieselben Schwierigkeiten vorstellt, auf die sie hingewiesen hatten, als sie sich weigerten, in der Kraft des Glaubens zu handeln. Er sagte ihnen: „Die Amalekiter und die Kanaaniter sind dort vor euch.“
Das ist sehr lehrreich. Sie hatten durch ihren Unglauben Gott ausgeschlossen, und daher handelte es sich jetzt lediglich um eine Frage zwischen Israel und den Kanaanitern, während der Glaube die Sache zu einer Frage zwischen Gott und den Kanaanitern gemacht hätte. Das war gerade die Art und Weise, in der Josua und Kaleb die Sache betrachtet hatten, als sie sagten: „Wenn der Herr Gefallen an uns hat, so wird er uns in dieses Land bringen und es uns geben, ein Land, das von Milch und Honig fließt. Nur empört euch nicht gegen den Herrn; und fürchtet ja nicht das Volk des Landes, denn unser Brot werden sie sein. Ihr Schirm ist von ihnen gewichen, und der Herr ist mit uns; fürchtet sie nicht!“ (V. 9).
Hier lag das große Geheimnis verborgen. Die Gegenwart des Herrn bei seinem Volk sicherte ihm den Sieg über alle seine Feinde. Aber wenn Er nicht mit dem Volk war, so waren sie wie Wasser, das auf den Boden geschüttet ist. Die zehn ungläubigen Kundschafter hatten erklärt, sie seien vor den Riesen wie Heuschrecken gewesen. Indem Mose sie nun beim Wort nimmt, sagt er ihnen gewissermaßen, dass Heuschrecken es mit Riesen nicht aufnehmen können. Wenn es einerseits wahr ist: „Euch geschehe nach eurem Glauben“, so ist andererseits auch wahr: „Euch geschehe nach eurem Unglauben.“
Das Volk aber war jetzt voller Anmaßung. Sie meinten, etwas zu sein, da sie doch nichts waren. Israel verließ Gott in seinem Unglauben, und Er verließ sie in ihrer Anmaßung. Sie wollten nicht im Glauben mit ihm gehen, und Er konnte nicht in ihrem Unglauben mit ihnen ziehen. „Die Lade des Bundes des Herrn und Mose wichen nicht aus der Mitte des Lagers“ (V. 44). Die Israeliten gingen ohne Gott, und deshalb flohen sie vor ihren Feinden.
So wird es immer sein. Es ist völlig nutzlos, Kraft zur Schau zu tragen und zu meinen, man sei etwas. Wenn Gott nicht mit uns ist, so sind wir wie die Morgenwolke vor der aufgehenden Sonne. Aber das müssen wir praktisch lernen. Wir müssen bis auf den Grund alles dessen kommen, was in uns selbst ist, um zu erfahren, wie gänzlich wertlos es alles ist. Die Wüste mit all ihren verschiedenen Situationen und ihren zahlreichen Übungen führt uns zu diesem Ergebnis, zu dieser praktischen Erfahrung. Da lernen wir, was das Fleisch ist. Da zeigt sich die Natur in all ihren Formen, zuweilen voll zaghaften Unglaubens, zu anderen Zeiten voll von falschem Vertrauen. Heute weigert sie sich, zu gehen, wenn sie dazu aufgefordert wird, und morgen besteht sie darauf, es zu tun, wenn ihr das Gegenteil befohlen wird.
Doch gibt es hier eine besondere Belehrung, die wir zu begreifen versuchen sollten, bevor wir Horma verlassen: dass es nämlich außerordentlich schwer ist, demütig und geduldig den Weg zu gehen, den uns unser eigenes Versagen eingebracht hat. Der Unglaube Israels, der sich in seiner Weigerung, in das Land zu ziehen, kundgab, führte nach den Regierungswegen Gottes dazu, dass sie wieder umkehrten und vierzig Jahre lang in der Wüste umherziehen mussten. Jedoch, sie wollten sich diesem Ausspruch nicht unterwerfen. Sie leisteten Widerstand. Sie konnten ihren Nacken nicht unter das Joch beugen, das so nötig für sie war.
Sich beugen unter die Hand Gottes
Wie oft verfallen wir in denselben Fehler! Wir straucheln, machen irgendwelche Fehltritte und kommen dadurch in schwierige Umstände, und dann werden wir widerspenstig, anstatt uns demütig unter die Hand Gottes zu beugen und mit ihm in Demut und mit einem gebrochenen Geist unseren Weg zu gehen. Wir hadern mit den Umständen, anstatt uns selbst zu richten, und suchen in unserem Eigenwillen diesen Umständen zu entfliehen, anstatt sie als die gerechte und nötige Folge unseres Betragens anzunehmen. Aber ein stolzer Geist muss früher oder später gebeugt werden, und alle angemaßte Kraft muss zusammenbrechen. Wenn kein Glaube da ist, um das verheißene Land in Besitz zu nehmen, dann bleibt nichts anderes übrig, als in Sanftmut und Demut durch die Wüste zu gehen.
Und Gott sei gepriesen, Er wird auf dieser Reise durch die Wüste immer mit uns gehen, während das auf unserem selbstgewählten Weg des Stolzes und der Anmaßung nicht der Fall sein kann. Der Herr weigerte sich, Israel auf das Gebirge der Amoriter zu begleiten; aber Er war in seiner Geduld und Gnade bereit, mit ihnen umzukehren und sie auf allen ihren Wanderungen durch die Wüste zu begleiten. Wenn Israel nicht mit dem Herrn in das Land Kanaan einziehen wollte, so wollte Er mit Israel in die Wüste zurückkehren. Welch eine Gnade! Hätte Gott mit ihnen nach Verdienst gehandelt, so hätten sie zum wenigsten allein in der Wüste umherziehen müssen. Aber sein großer Name sei ewig gepriesen, Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unseren Ungerechtigkeiten. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege.
Trotz all des Unglaubens, des Undanks und der Herausforderung seitens der Kinder Israel und obwohl ihre Rückkehr in die Wüste die Folge ihres eigenen Verhaltens war, kehrte der Herr dennoch in seiner herablassenden Gnade und geduldigen Liebe mit ihnen zurück, um während vierzig langer und trüber Jahre ihr Reisebegleiter in der Wüste zu sein.
Wenn daher die Wüste zeigt, was der Mensch ist, so zeigt sie aber auch, was Gott ist, und außerdem offenbart sie, was der Glaube ist. Josua und Kaleb mussten mit der ganzen Gemeinde ihrer ungläubigen Brüder zurückkehren und vierzig Jahre lang außerhalb ihres Erbes bleiben, obwohl sie selbst durch die Gnade völlig bereit waren, in das Land hinaufzuziehen. Der Natur mag es als ein großes Unrecht erscheinen, dass zwei Männer des Glaubens um des Unglaubens anderer willen leiden mussten. Aber der Glaube kann geduldig warten. Und überdies, wie konnten sich Josua und Kaleb über die verlängerte Reise beklagen, wenn sie sahen, dass der Herr im Begriff war, mit ihnen zu ziehen?
Unmöglich! Sie waren bereit, auf die von Gott bestimmte Zeit zu warten; denn der Glaube hat es niemals eilig. Der Glaube der Knechte konnte durch die Gnade des Meisters gestärkt werden.