Nadab und Abihu opfern fremdes Feuer
Der Mensch verdirbt, was Gott eingesetzt hat
Die Geschichte der Menschheit bildet von Anfang bis zu Ende ein Verzeichnis von Fehlern und Sünden. Inmitten all der Freuden Edens lauscht der Mensch auf die Lüge des Versuchers (1Mo 3). Durch die Hand einer auserwählenden Liebe gegen das Gericht geschützt und zum Herrn einer wiederhergestellten Erde eingesetzt, macht er sich der Sünde der Unmäßigkeit schuldig (1Mo 9).
Durch den ausgestreckten Arm des Herrn in das Land Kanaan gebracht, verlässt er den Herrn und dient dem Baal und den Astarot (Ri 2,13). Auf den Gipfel irdischer Macht und Herrlichkeit geführt, im Besitz unermesslicher Reichtümer und mit allen Hilfsquellen der Welt zu seiner Verfügung, schenkt er sein Herz dem unbeschnittenen Fremden (1Kön 11). Kaum sind in späteren Tagen die Segnungen des Evangeliums angekündigt, so sieht sich der Heilige Geist gezwungen, in prophetischer Weise von „verderblichen Wölfen“, von „Abfall“ und von allerlei Arten von Sünde zu reden (Apg 20,29; 1Tim 4,1-3; 2Tim 3,1-5; 2Pet 2; Jud). Und um allem die Krone aufzusetzen, wird uns in der Offenbarung der Abfall des aus dem vollen Glanz tausendjähriger Herrlichkeit kommenden Menschen vorausgesagt (Off 20,7–10).
So verdirbt der Mensch alles. Bekleide ihn mit der höchsten Würde und er wird sich selbst erniedrigen. Beschenke ihn mit den reichsten Vorrechten und er wird sie missbrauchen. Schütte eine Fülle von Segnungen über ihn aus und er wird sich undankbar erweisen. Gib ihm Anordnungen, die geeignet sind, den tiefsten Eindruck auf ihn zu machen, und er wird sie verderben. So ist der Mensch. So ist die Natur in ihren schönsten Formen und unter den günstigsten Umständen.
Wir sind daher einigermaßen auf die Worte vorbereitet, mit denen unser Kapitel beginnt: „Und die Söhne Aarons, Nadab und Abihu, nahmen ein jeder seine Räucherpfanne und taten Feuer hinein und legten Räucherwerk darauf und brachten fremdes Feuer vor dem Herrn dar, das er ihnen nicht geboten hatte“ (V. 1). Welch ein Gegensatz zu der Szene, mit der das neunte Kapitel schließt! Dort geschah alles, „wie der Herr es geboten hatte“, und die Offenbarung der Herrlichkeit war die Folge. Hier geschieht etwas, das „der Herr nicht geboten hatte“, und das Gericht ist die Folge. Kaum ist der Siegesjubel verhallt, so zeigen sich auch schon die Grundzüge eines falschen Gottesdienstes. Kaum ist die göttliche Stellung eingenommen, so wird sie schon wieder durch die Vernachlässigung des göttlichen Gebotes verlassen. Kaum sind Nadab und Abihu als Priester geweiht, so sündigen sie auch schon auf die traurigste Weise in der Erfüllung ihres priesterlichen Dienstes.
Und worin bestand ihr Vergehen? Waren sie falsche Priester? Hatten sie sich widerrechtlich in dieses Amt eingedrängt? Keineswegs. Sie waren wirkliche Söhne Aarons, wahre Glieder der priesterlichen Familie, gesetzmäßig verordnete Priester. Auch ihre Geräte für den Dienst und ihre priesterlichen Gewänder scheinen ganz in Ordnung gewesen zu sein. Worin bestand denn ihre Sünde? „Sie brachten fremdes Feuer vor dem Herrn dar, das er ihnen nicht geboten hatte.“ Ja, das war ihre Sünde. Sie wichen von dem einfachen Wort des Herrn ab, das ihnen klar und deutlich die Art und Weise ihres Gottesdienstes vorgezeichnet hatte. Wir haben bereits darauf hingewiesen, wie das Wort des Herrn für jeden Zweig des priesterlichen Dienstes voll und ganz genügte.
Für den Menschen war kein Raum gelassen, um noch etwas hinzuzufügen, das er als wünschenswert oder nützlich hätte betrachten können. „Dies ist es, was der Herr geboten hat“ – das genügte vollkommen. Das Wort des Herrn machte alles klar und einfach. Vonseiten des Menschen war nichts weiter nötig als ein Geist unbedingten Gehorsams gegenüber dem Gebot Gottes. Aber hierin fehlten sie. Der Mensch hat sich ja stets abgeneigt gezeigt, den schmalen Pfad strenger Unterwürfigkeit unter das Wort zu gehen. Der Seitenweg scheint von jeher einen unwiderstehlichen Reiz für das arme menschliche Herz gehabt zu haben. „Gestohlene Wasser sind süß, und heimliches Brot ist lieblich“ (Spr 9,17).
Das ist die Sprache des Feindes, aber das einfältige, gehorsame Herz weiß sehr wohl, dass der Pfad der Unterwerfung unter das Wort Gottes der einzige ist, der zu wirklich „süßen Wassern“ und „lieblichem Brot“ führt. Nadab und Abihu mochten das eine Feuer für ebenso gut halten wie das andere, aber es war nicht ihre Sache, hierüber zu urteilen. Sie hätten nach dem Wort des Herrn handeln sollen, aber stattdessen gingen sie ihren eigenen Weg und ernteten dessen schreckliche Früchte. „Und er weiß nicht, dass dort die Schatten sind, in den Tiefen des Scheols ihre Geladenen“ (Spr 9,18).