Behandelter Abschnitt 3. Mose 10,2-3
Das Gericht Gottes in seinem Haus
„Da ging Feuer von dem Herrn aus und verzehrte sie, und sie starben vor dem Herrn“ (V. 2). Wie furchtbar! Der Herr wohnte in der Mitte seines Volkes, um nach den Anforderungen seiner Natur zu herrschen, zu richten und zu handeln. Am Ende des neunten Kapitels lesen wir: „Und es ging Feuer aus von dem Herrn und verzehrte das Brandopfer und die Fettstücke auf dem Altar.“ Das war des Herrn Annahme eines wahren Opfers. Aber im zehnten Kapitel sehen wir sein Gericht über die irrenden Priester. Es ist eine zweifache Wirkung desselben Feuers. Das Brandopfer stieg als ein Wohlgeruch empor, das „fremde Feuer“ wurde als ein Gräuel verworfen. Im Brandopfer wurde der Herr verherrlicht, aber die Annahme des „fremden Feuers“ wäre eine Unehre für ihn gewesen. Die göttliche Gnade nahm mit Wonne das an, was ein Vorbild auf das kostbare Opfer Christi war.
Die göttliche Heiligkeit verwarf das, was sich als die Frucht des verdorbenen Willens des Menschen erwies – eines Willens, der nie abscheulicher und hässlicher ist, als wenn er sich mit göttlichen Dingen befasst. „Und Mose sprach zu Aaron: Dies ist es, was der Herr geredet hat, indem er sprach: In denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor dem ganzen Volk will ich verherrlicht werden“ (V. 3). Die Würde und Herrlichkeit der ganzen Haushaltung hing von der strengen Aufrechterhaltung der gerechten Forderungen des Herrn ab. Wurden diese gering geschätzt, so war alles verloren. Wenn sich der Mensch erlaubte, das Heiligtum der göttlichen Gegenwart durch „fremdes Feuer“ zu entehren, so war alles vorbei. Nichts anderes durfte aus der priesterlichen Räucherpfanne emporsteigen als der Rauch des auf dem Altar Gottes angezündeten und durch „fein zerstoßenes Räucherwerk“ unterhaltenen, reinen Feuers – das herrliche Vorbild auf den wahren Gottesdienst der Heiligen, dessen Gegenstand der Vater, dessen Inhalt Christus und dessen Kraft der Heilige Geist ist. Es ist dem Menschen nicht gestattet, seine eigenen Einfälle und Gedanken in den Dienst Gottes hineinzubringen. Alle seine Anstrengungen können nur auf die Darbringung eines „fremden Feuers“, eines unheiligen Räucherwerks und eines falschen Gottesdienstes hinauslaufen.
Ich spreche hier nicht von den aufrichtig gemeinten Anstrengungen ernster Seelen, die nach Frieden mit Gott suchen, auch nicht von dem Streben eines aufrichtigen, obschon nicht erleuchteten Gewissens, um durch Gesetzeswerke oder durch die Erfüllung religiöser Vorschriften das Bewusstsein der Sündenvergebung zu erlangen. Alle solche Seelen werden ohne Zweifel durch die große Güte Gottes zu dem bewussten Genuss der Errettung gelangen. Ihre Anstrengungen bewiesen deutlich, dass sie ernsthaft Frieden suchen, aber zugleich auch, dass sie diesen Frieden noch nicht gefunden haben. Jeder, der dem Lichtschimmer, der in seine Seele gefallen ist, aufrichtig gefolgt ist – mag das Licht auch noch so schwach sein – wird zu seiner Zeit mehr empfangen. „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden“, und: „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr 4,18).
Dies alles ist ebenso klar wie ermutigend, hat aber mit dem menschlichen Willen und seinen verkehrten Handlungen in Verbindung mit dem Dienst Gottes gar nichts zu tun. Alle solche Handlungen müssen unvermeidlich das ernste Gericht des gerechten Gottes nach sich ziehen, der nicht dulden kann, dass mit seinen heiligen Forderungen gespielt wird. „In denen, die mir nahen, will ich geheiligt, und vor dem ganzen Volk will ich verherrlicht werden.“ Jeder wird nach seinem Bekenntnis behandelt werden. Wenn jemand aufrichtig sucht, so wird er sicherlich finden. Wenn aber jemand als Anbeter naht, so kann er nicht mehr als ein Suchender betrachtet werden, sondern als einer, der bereits gefunden zu haben bekennt. Und wenn seine priesterliche Räucherpfanne von fremdem Feuer raucht, wenn er Gott die Grundstoffe eines falschen Gottesdienstes darbringt, wenn er die Vorhöfe Gottes ungewaschen, ungeweiht und mit einem ungebrochenen Willen betritt, wenn er endlich die Wirkungen seines eigenen verderbten Willens auf den Altar Gottes bringt – was muss dann die Folge sein? Das Gericht. Es mag zögern, aber es wird kommen. Und nicht nur wird schließlich das Gericht kommen, sondern jetzt schon wird im Himmel jeder Gottesdienst verworfen, der nicht den Vater zum Gegenstand, Christus zu seinem Inhalt und den Heiligen Geist zu seiner Kraft hat.
Die Heiligkeit Gottes verwirft ebenso schnell jedes „fremde Feuer“, wie seine Gnade bereit ist, die schwächsten Kundgebungen eines aufrichtigen Herzens entgegenzunehmen. Sein gerechtes Gericht muss über jeden falschen Gottesdienst ergehen, aber „ein geknicktes Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“ (Mt 12,20). Dieser Gedanke ist sehr ernst, wenn man an die vielen Tausende von Räucherpfannen denkt, die in dem weiten Bereich des Christentums mit fremdem Feuer angefüllt sind. Möge der Herr in seiner reichen Gnade die Zahl der wahren Anbeter, die „den Vater in Geist und Wahrheit anbeten“ (Joh 4,24), vermehren! Jeder, der aus Gnaden die Vergebung seiner Sünden durch das Sühnungsblut Jesu kennt, kann den Vater in Geist und Wahrheit anbeten. Er kennt den wahren Boden und den wahren Gegenstand der Anbetung und ist fähig gemacht, sie darzubringen.
Diese Dinge können jedoch nur auf göttliche Weise erkannt werden. Sie gehören weder der Natur noch der Erde an. Sie sind geistlich und himmlisch. Sehr vieles von dem, was bei Menschen als wahrer Gottesdienst durchgeht, ist im Grunde nichts anderes als „fremdes Feuer“. Ihm fehlt sowohl das reine Feuer als der reine Weihrauch. Deshalb kann der Himmel ihn nicht annehmen. Und wenn auch das göttliche Gericht über diejenigen, die einen solchen Gottesdienst üben, nicht in derselben Weise hereinbricht, wie einst über Nadab und Abihu, so hat dies nur darin seinen Grund, dass „Gott in Christus war, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend“ (2Kor 5,19). Mit anderen Worten, es beweist nicht, dass Gott Wohlgefallen an einem solchen Gottesdienst hat, sondern dass Er gnädig ist. Doch bald wird der Tag anbrechen, wo das „fremde Feuer“ für immer ausgelöscht und wo der Thron Gottes nicht länger durch Wolken unreinen Weihrauchs, dargebracht durch unreine Anbeter, verhöhnt wird, sondern wo alles Unechte und Falsche verschwinden und das ganze Weltall wie ein herrlicher und großer Tempel dastehen wird, in welchem dem einen wahren Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – Anbetung dargebracht werden wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Es liegt etwas ungemein Rührendes in der Art und Weise, in der Aaron den schweren Schlag des göttlichen Gerichts aufnahm. „Und Aaron schwieg“ (V. 3). Es war eine feierliche Szene. Seine beiden Söhne lagen verzehrt durch das Feuer des göttlichen Gerichts an seiner Seite.14
14 Sollte irgendeinem meiner Leser die Frage bezüglich der Seelen Nadabs und Abihus Schwierigkeiten machen, so möchte ich darauf hinweisen, dass eine solche Frage nicht erhoben werden sollte. In allen solchen Fällen, wie Nadab und Abihu hier in 3. Mose 10, bei Korah und seiner Rotte (4. Mose 15), bei der ganzen Gemeinde, deren Leiber (Josua und Kaleb ausgenommen) in der Wüste fielen (4. Mose 14; Heb 3), bei Achan und seinem Geschlecht (Jos 7), bei Ananias und Saphira (Apg 5) sowie bei denen, die wegen des Missbrauchs des Tisches des Herrn gerichtet wurden (1Kor 11) – in allen solchen Fällen, sage ich, kommt die Frage der Errettung der Seelen nicht in Betracht. Wir erkennen in ihnen die ernsten Regierungswege Gottes inmitten seines Volkes. Das beseitigt alle Schwierigkeiten. Der Herr wohnte vor alters zwischen den Cherubim, um sein Volk in allem zu richten, und Gott, der Heilige Geist, wohnt jetzt in der Versammlung, um zu leiten und zu regieren gemäß der Vollkommenheit seiner Gegenwart. Er war so wirklich und persönlich gegenwärtig, dass Ananias und Saphira ihn belügen und Er das Gericht an ihnen ausüben konnte. Dies war eine ebenso bestimmte Darstellung seiner Regierung, wie wir sie bei Nadab, Abihu, Achan und anderen finden.↩︎