Behandelter Abschnitt 3Mo 4,11
Der Körper des Opfers wird außerhalb des Lagers verbrannt
Nachdem wir gesehen haben, was mit dem Blut und mit dem Fett des Sündopfers geschehen musste, wollen wir noch betrachten, was mit dem Fleisch des Sündopfers gemacht wurde. „Und die Haut des Stieres und all sein Fleisch . . . Den ganzen Stier soll er hinausbringen außerhalb des Lagers an einen reinen Ort, zum Schutthaufen der Fettasche, und soll ihn auf Holzscheiten mit Feuer verbrennen; auf dem Schutthaufen der Fettasche soll er verbrannt werden“ (Kap. 4,11.12). In dieser Handlung erblicken wir die Hauptkennzeichen des Sündopfers, durch die es sich sowohl vom Brandopfer als auch vom Friedensopfer unterschied. Sein Fleisch wurde nicht, wie beim Brandopfer, auf dem Altar geräuchert noch wurde es, wie beim Friedensopfer, von dem Priester oder von dem Anbeter gegessen. Es wurde gänzlich außerhalb des Lagers verbrannt9. „Alles Sündopfer, von dessen Blut in das Zelt der Zusammenkunft gebracht wird, um im Heiligtum Sühnung zu tun, soll nicht gegessen werden; es soll mit Feuer verbrannt werden“ (Kap. 6,23). „Denn von den Tieren, deren Blut für die Sünde in das Heiligtum hineingetragen wird durch den Hohenpriester, werden die Leiber außerhalb des Lagers verbrannt“ (Heb 13,11).
Der Wert des Blutes Christi
Bei einem Vergleich dessen, was mit dem Blut und was mit dem Fleisch oder dem Leib des Opfertieres geschah, treten zwei wichtige Dinge in unseren Gesichtskreis, nämlich Anbetung und Jüngerschaft. Das ins Heiligtum gebrachte Blut ist die Grundlage der Anbetung und der außerhalb des Lagers verbrannte Leib die Grundlage der Jüngerschaft. Bevor wir mit ruhigem Gewissen und in Freimütigkeit des Herzens anbeten können, müssen wir, gestützt auf die Autorität des Wortes und durch die Kraft des Heiligen Geistes, wissen, dass die Sündenfrage durch das Blut des göttlichen Sündopfers für immer geregelt, dass sein Blut vor den Herrn gesprengt, und dass allen Forderungen Gottes sowie allen unseren Bedürfnissen als verlorene und schuldige Sünder für immer begegnet worden ist. Das gibt vollkommenen Frieden, und im Genuss dieses Friedens beten wir Gott an.
Wenn ein Israelit damals sein Sündopfer dargebracht hatte, so war sein Gewissen zur Ruhe gebracht, insoweit das Opfer Ruhe geben konnte. Freilich war es, als die Frucht eines zeitlichen Opfers, nur eine zeitliche Ruhe. Aber welche Art von Ruhe das Opfer auch zu schenken vermochte, der Opfernde durfte sie genießen. Da nun unser Opfer ewig und göttlich ist, so ist auch unsere Ruhe ewig und göttlich. Wie das Opfer, so ist auch die darauf gegründete Ruhe. Ein Jude hatte niemals ein für ewig gereinigtes Gewissen, weil er eben kein ewig wirksames Opfer hatte. Er konnte in einem gewissen Sinn sein Gewissen für einen Tag, für einen Monat oder für ein Jahr gereinigt haben, aber niemals für immer. „Christus aber – gekommen als Hoherpriester der zukünftigen Güter, in Verbindung mit der größeren und vollkommeneren Hütte, die nicht mit Händen gemacht, das heißt nicht von dieser Schöpfung ist, auch nicht mit Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blut – ist ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte. Denn wenn das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh, auf die Unreinen gesprengt, zur Reinheit des Fleisches heiligt, wie viel mehr wird das Blut des Christus, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, um dem lebendigen Gott zu dienen“ (Heb 9,11-14).
Hier haben wir die volle, bestimmte Lehre des Neuen Testaments. Das Blut von Böcken und Kälbern verschaffte eine zeitliche Erlösung. Dem Blut Christi verdanken wir eine ewige Erlösung. Das Erstere reinigte äußerlich, das Letztere innerlich. Jenes reinigte das Fleisch für eine Zeit, dieses das Gewissen für immer. Es handelt sich hier nicht um den Charakter oder den Zustand des Opfernden, sondern um den Wert des Opfers. Es handelt sich durchaus nicht darum, ob ein Christ ein besserer Mensch ist als ein Jude, sondern ob das Blut Christi besser ist als das Blut eines Stieres. Der Sohn Gottes teilt den ganzen Wert seiner göttlichen Person dem Opfer mit, das Er dargebracht hat, und wenn das Blut eines Stieres das Fleisch für ein Jahr reinigte, „wie viel mehr“ wird dann das Blut des Sohnes Gottes das Gewissen für immer reinigen! Wenn jenes Blut einige Sünden wegnahm, wie viel mehr wird dann dieses alle wegnehmen!
Wodurch aber war ein Israelit, nachdem er sein Sündopfer dargebracht hatte, innerlich zur Ruhe gebracht? Wie wusste er, dass die besondere Sünde, für die er geopfert hatte, vergeben war? Weil Gott gesagt hatte: „Es wird ihm vergeben werden“ (Kap. 5,10). Der Friede seines Herzens bezüglich jener besonderen Sünde ruhte auf dem Zeugnis des Gottes Israels und auf dem Blut des Schlachtopfers. Ebenso ruht auch jetzt der Friede des Gläubigen bezüglich aller Sünden auf der Autorität des Wortes Gottes und auf dem kostbaren Blut Christi. Wenn ein Jude gesündigt hatte und sein Sündopfer darzubringen vernachlässigte, so musste er „aus seinen Völkern ausgerottet werden“. Wenn er aber seinen Platz als Sünder einnahm, wenn er seine Hand auf den Kopf eines Sündopfers legte, so wurde das Opfer an seiner statt „ausgerottet“ und er war insoweit frei. Das Opfer wurde behandelt nach dem Verdienst des Opfernden, und deshalb würde dieser, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, dass seine Sünden vergeben seien, Gott zu einem Lügner gemacht und das Blut des göttlich verordneten Sündopfers für nichts geachtet haben.
Und wenn das schon für jemand galt, der nur das Blut eines Bockes als Ruhestätte für sein Gewissen hatte, „wie viel mehr“ findet das dann Anwendung auf alle, die in dem kostbaren Blut Christi Ruhe gefunden haben! Der Gläubige schaut in Christus den, der für alle seine Sünden gerichtet worden ist, den, der, als Er am Kreuz hing, die ganze Last seiner Sünden trug, den, der sich für jede Sünde verantwortlich gemacht hat und nun sicher nicht zur Rechten Gottes sitzen könnte, wenn die ganze Frage der Sünde nicht gemäß allen Anforderungen der Gerechtigkeit Gottes in Ordnung gebracht worden wäre. So bedingungslos nahm Christus auf dem Kreuz den Platz des Gläubigen ein, so gänzlich war dieser mit ihm einsgemacht, und so völlig wurde Christus dort die Sünde des Gläubigen zugerechnet, dass jede Frage von Verantwortlichkeit für den Gläubigen, jeder Gedanke an seine Schuld, jede Befürchtung, dem Gericht und Zorn bloßgestellt zu werden, für ewig beseitigt ist.
Auf dem Fluchholz wurde alles zwischen der göttlichen Gerechtigkeit und dem fleckenlosen Schlachtopfer geordnet, und nun ist der Gläubige so vollkommen mit Christus auf dem Thron eins gemacht, wie es Christus mit dem Gläubigen auf dem Kreuz war. Die Gerechtigkeit hat gegen den Gläubigen keine Anklage vorzubringen, weil sie keine Anklage gegen Christus vorzubringen hat. Und dabei bleibt es für immer. Könnte noch eine Anklage gegen den Gläubigen erhoben werden, so wäre sowohl die Wahrheit des Einsgemachtseins Christi mit ihm auf dem Kreuz, als auch die Vollkommenheit des um seinetwillen vollbrachten Werkes Christi infrage gestellt. Wenn damals ein Anbeter, nachdem er sein Sündopfer dargebracht hatte, auf dem Heimweg von irgendjemand wegen der besonderen Sünde, für die sein Opfer geblutet hatte, angeschuldigt worden wäre, was würde seine Antwort gewesen sein? Die Sünde ist durch das Blut des Schlachtopfers weggetan worden, und der Herr hat gesagt: „Es wird ihm vergeben werden“ (4,26). Das Schlachtopfer war an seiner Stelle gestorben, und er lebte anstelle des Schlachtopfers.
Christus gestorben und auferweckt
So war es bei dem alttestamentlichen Bild. Und wenn bei dem Gegenbild das Auge des Glaubens auf Christus als dem Sündopfer ruht, so schaut es in ihm den, der vollkommen sein vollkommenes menschliches Leben, das Er angenommen hatte, auf dem Kreuz dahingab, weil ihm dort und nur dort die Sünde zugerechnet wurde. Aber es schaut in ihm auch den, der im Besitz der Macht des göttlichen und ewigen Lebens aus dem Grab auferstand und jetzt dieses sein göttliches und ewiges Auferstehungsleben allen denen mitteilt, die an seinen Namen glauben. Die Sünde ist verschwunden, weil das Leben, an das sie geknüpft wurde, verschwunden ist, und anstatt eines mit der Sünde verbundenen Lebens besitzen jetzt alle wahren Gläubigen ein Leben, mit dem die Gerechtigkeit verbunden ist.
In Bezug auf das siegreiche Auferstehungsleben Christi kann von Sünde nicht mehr die Rede sein, und gerade dieses Leben ist es, das die Gläubigen besitzen. Es gibt kein anderes Leben. Alles außer ihm ist der Tod, weil alles unter der Macht der Sünde ist. „Wer den Sohn hat, hat das Leben“ (1Joh 5,12), und wer das Leben hat, hat auch die Gerechtigkeit. Die beiden Dinge sind untrennbar miteinander verbunden, weil Christus beides, das eine wie das andere ist. Waren das Gericht und der Tod Christi am Kreuz Wirklichkeiten, dann sind auch das Leben und die Gerechtigkeit des Gläubigen Wirklichkeiten. War die Zurechnung der Sünde für Christus eine Wirklichkeit, so ist auch die Zurechnung der Gerechtigkeit für den Gläubigen eine Wirklichkeit. Das eine ist so wahr und so wirklich wie das andere. Wenn es nicht so wäre, dann wäre Christus vergeblich gestorben. Der wahre und unumstößliche Grund des Friedens besteht darin, dass den Forderungen der Natur Gottes bezüglich der Sünde vollkommen entsprochen worden ist.
Der Tod Jesu hat sie alle befriedigt, auf ewig befriedigt. Und worin findet das erwachte Gewissen einen vollgültigen Beweis hierfür? In der Tatsache der Auferstehung. Die Auferstehung Christi bestätigt die völlige Erlösung des Glaubenden, seine vollkommene Befreiung von jeder nur möglichen Forderung. Er ist „unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden“ (Röm 4,25). Wenn ein Christ nicht weiß, dass seine Sünde weggetan, und zwar für immer weggetan ist, so bedeutet das eine Geringschätzung des Blutes seines göttlichen Sündopfers. Er leugnet damit die vollkommene Darbringung, das siebenmalige Sprengen des Blutes vor dem Auge Gottes.
Bevor wir weitergehen, noch eine persönliche Frage: Weißt du, ob deine Sünden vergeben sind? Hast du im Glauben deine Hand auf den Kopf des wahren Sündopfers gelegt? Oder klagt dein Gewissen dich noch an? Jeder Christ, auch der schwächste, darf sich aufgrund des Erlösungswerkes Christi der vollen und ewig gültigen Vergebung seiner Sünden erfreuen. Wer anders lehrt, erniedrigt das Opfer Christi auf das Niveau von „Böcken und Stieren“. Wenn wir nicht wissen können, ob uns unsere Sünden vergeben sind, wo bleibt dann die frohe Botschaft des Evangeliums? Sollte ein Christ in der Frage der Sündenvergebung gegenüber einem Juden benachteiligt sein? Der Jude wusste wenigstens, dass ihm durch das alljährliche Opfer für ein Jahr vergeben war.
Das Bewusstsein der vollen Vergebung ist grundlegend wichtig für die Anbetung. Es bewirkt nicht Selbstzufriedenheit, sondern Preis und Dank; es führt nicht zur Freude und zum Wohlgefallen an uns selbst, sondern zur Freude und zum Wohlgefallen an Christus. Wenn wir das Kreuz vor Augen behalten, können wir nicht oberflächlich oder leichtfertig gegenüber der Sünde werden. Hat der Heilige Geist uns die Gewissheit geschenkt, dass die Sünden gesühnt sind, dann ist die Folge tiefer Abscheu vor der Sünde und eine echte Liebe zu Christus, seinem Volk und seiner Sache.
9 Dies bezieht sich jedoch nur auf die Sündopfer, deren Blut ins Heiligtum getragen wurde. Es gab Sündopfer, von denen Aaron und seine Söhne aßen (vgl. das Gesetz des Sündopfers im 6. Kapitel und 4. Mose 18,9.10).↩︎