Behandelter Abschnitt 3Mo 4,12
Zu ihm hinausgehen außerhalb des Lagers
Betrachten wir jetzt, was mit dem Fleisch oder dem Leib des Opfertieres geschah, worin, wie bereits bemerkt, die wahre Grundlage der Jüngerschaft vorgebildet ist. „Den ganzen Stier soll er hinausbringen außerhalb des Lagers an einen reinen Ort, zum Schutthaufen der Fettasche, und soll ihn auf Holzscheiten mit Feuer verbrennen; auf dem Schutthaufen der Fettasche soll er verbrannt werden“ (Kap. 4,12). Diese Handlung ist von zwei Seiten zu betrachten. Zunächst bezeichnet sie den Platz, den der Herr Jesus als Träger unserer Sünden einnahm, und dann die Stätte, wohin ihn die Welt in ihrem Hass verstieß. Auf diesen letzten Punkt möchte ich hier aufmerksam machen.
Die Anwendung, die der Apostel in Hebräer 13 von der Tatsache macht, dass Christus „außerhalb des Tores gelitten hat“, ist praktisch sehr wichtig. „Deshalb lasst uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“ (V. 13). Wenn die Leiden Christi uns den Eingang in den Himmel gesichert haben, so drückt die Stätte, wo Er gelitten hat, unsere Verwerfung von Seiten der Welt aus. Sein Tod hat uns droben eine Stadt verschafft. Die Stätte seines Leidens nimmt uns eine Stadt auf der Erde10. Er litt „außerhalb des Tores“ und zeigte dadurch, dass Er Jerusalem als den damaligen Mittelpunkt des göttlichen Handelns beiseitegesetzt hatte. Es gibt jetzt keinerlei geweihte Stätte mehr auf der Erde. Christus hat als Dulder seinen Platz außerhalb des Bereichs der Religion dieser Welt eingenommen, außerhalb ihrer Politik und alles dessen, was ihr angehört. Die Welt hat ihn gehasst und verworfen. Darum heißt es: „Lasst uns hinausgehen.“ Das ist der Wahlspruch in Bezug auf alles, was der Mensch hier in der Form eines „Lagers“, von welcher Art dieses auch sei, aufrichten mag. Wenn Menschen eine „heilige Stadt“ bauen, so musst du einen verworfenen Christus „außerhalb des Tores“ suchen.
Wenn Menschen, unter welchem Namen es auch sei, ein religiöses Lager aufrichten, so musst du aus ihm „hinausgehen“, um einen verworfenen Christus zu finden. Der blinde Aberglaube sucht freilich unter den Ruinen Jerusalems eifrig nach irgendwelchen Reliquien von Christus. Er trachtet danach, die Stätte seines Kreuzes und seines Grabes zu entdecken und ihr Ehre zu erweisen. Die Habsucht der menschlichen Natur hat aus dem Aberglauben Nutzen gezogen und seit Jahrhunderten einen einträglichen Handel getrieben unter dem listigen Vorwand, die sogenannten heiligen Stätten des Altertums zu verehren. Doch ein einziger Lichtstrahl von dem himmlischen Leuchter der Offenbarung reicht hin, um dir die Notwendigkeit zu zeigen, dass du aus diesem allem „hinausgehen“ musst, wenn du mit dem verworfenen Christus Gemeinschaft haben willst.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die feierliche Aufforderung zum „Hinausgehen“ weit mehr in sich schließt als ein bloßes Sichabwenden von den Ungereimtheiten eines unwissenden Aberglaubens oder den listigen Plänen menschlicher Habsucht. Es gibt viele, die die genannten Dinge in ihrem wahren Licht darstellen können, die aber weit von dem Gedanken entfernt sind, der Aufforderung des Apostels Folge zu leisten. Wenn Menschen ein „Lager“ aufrichten und sich um ein Banner scharen, das mit irgendeinem wichtigen Lehrsatz oder einer wertvollen Verordnung geziert ist, wenn sie sich auf ein orthodoxes Glaubensbekenntnis, auf ein klares Lehrsystem, auf feierliche religiöse Gebräuche berufen können, die das fromme Sehnen der Natur des Menschen befriedigen, so erfordert es viel geistliche Einsicht, um die wahre Tragweite der Worte „Lasst uns hinausgehen!“ zu verstehen sowie viel geistliche Entschiedenheit, um dieser Aufforderung zu folgen.
Es lohnt sich, sie zu verstehen und demgemäß zu handeln, denn es ist gewiss, dass die Atmosphäre eines Lagers (mag seine Grundlage und sein Banner bestehen, worin es will) für eine persönliche Gemeinschaft mit einem verworfenen Christus verderblich ist, und keine der sogenannten religiösen Vorteile können den Verlust dieser Gemeinschaft ersetzen. Unser Herz neigt stets dazu, in kalte Formen zu verfallen. Diese Neigung hat sich von jeher in der bekennenden Christenheit gezeigt. Jene Formen mögen ihren Ursprung in wirklicher Kraft gehabt haben; aber die Versuchung liegt nahe, die bloße Form festzuhalten, während der Geist und die Kraft längst geschwunden sind. Grundsätzlich heißt das nichts anderes als ein Lager aufrichten. Das jüdische System konnte sich eines göttlichen Ursprungs rühmen. Ein Israelit konnte auf den Tempel mit seinem Gottesdienst, seinem Priestertum, seinen Opfern und seinen ganzen Einrichtungen hinweisen und sagen, dass dies alles so von dem Gott Israels angeordnet worden sei. Er konnte, wie wir sagen, Kapitel und Vers für alles anführen, was mit dem System, zu dem er sich bekannte, in Verbindung stand. Wo ist ein System, sei es aus dem Altertum, dem Mittelalter oder der neueren Zeit, das solch hohe Ansprüche erheben oder mit einem solchen Gewicht von Autorität auf das Herz einwirken könnte? Und dennoch wurde gerade den gläubigen Hebräern gesagt: „Lasst uns hinausgehen!“
Das ist eine äußerst ernste Sache. Sie geht uns alle an, weil wir alle die Neigung haben, uns aus der Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus zu entfernen und in tote Formen zu versinken. Daher die praktische Kraft der Worte: „Lasst uns zu ihm hinausgehen!“ Es heißt nicht: „Lasst uns von einem System zu einem anderen, von einer Art von Meinungen zu einer anderen gehen.“ Nein, wir sollen vielmehr von allem, was den Namen eines Lagers verdient, „zu ihm“ hinausgehen, der „außerhalb des Tores gelitten hat“. Der Herr Jesus ist heute ebenso außerhalb des Tores wie vor neunzehn Jahrhunderten, als Er dort litt. Was brachte ihn in diese Stellung? Die religiöse Welt jener Zeit. Und die damalige religiöse Welt ist nach Gesinnung und Grundsatz die religiöse Welt unserer Tage. Die Welt ist und bleibt die Welt. „Es gibt gar nichts Neues unter der Sonne“ (Pred 1,9). Christus und die Welt sind nie eins. Die Welt hat sich in den Mantel des Christentums gehüllt, aber nur, um unter ihm ihren Hass gegen Christus in noch tödlicheren Formen zu entfalten.
Täuschen wir uns nicht! Wollen wir mit einem verworfenen Christus unseren Weg gehen, so müssen wir ein verworfenes Volk sein. Hat unser Herr „außerhalb des Tores“ gelitten, so können wir nicht erwarten, innerhalb des Tores zu herrschen. Wenn wir in seinen Fußstapfen wandern, wohin werden sie uns führen? Ganz sicher nicht zu den Höhen dieser gottlosen, christuslosen Welt!
Unser Herr ist ein verachteter Christus, ein verworfener Christus, ein Christus außerhalb des Lagers. Darum gilt es, „zu ihm hinauszugehen, seine Schmach tragend“! Diese Welt hat den Geliebten gekreuzigt und hasst mit demselben ungeschwächten Hass noch heute ihn, dem wir alles, unser gegenwärtiges und ewiges Glück, zu verdanken haben und der uns mit einer Liebe liebt, die große Wasser nicht auszulöschen vermögen. Lasst uns daher nicht eine Sache anerkennen, die sich nach seinem heiligen Namen nennt, aber in Wirklichkeit seine Person, seine Wahrheit, ja selbst die bloße Erwähnung seiner Wiederkunft hasst.
Lasst uns unserem abwesenden Herrn treu sein und ihm leben, der für uns gestorben ist! Möchten wir ihn, während unser Gewissen auf seinem vollbrachten Werk ruht, von ganzem Herzen lieben, damit unsere Trennung von dem „gegenwärtigen bösen Zeitlauf“ nicht nur eine Sache kalter Grundsätze, sondern die Entscheidung eines Herzens ist, das den Gegenstand seiner Liebe auf der Erde nicht findet! Möge der Herr uns befreien von dem Einfluss der heutzutage so verbreiteten, sich heilig dünkenden, weltklugen Selbstsucht, die nicht ohne Religion sein möchte, die aber das Kreuz Christi hasst! Um dieser schrecklichen Form des Bösen mit Erfolg entgegenzutreten, bedarf es nicht besonderer Ansichten, Grundsätze und Lehren, sondern einer tiefen Hingebung an die Person des Sohnes Gottes. Möchten wir uns nach Leib, Seele und Geist seinem Dienst weihen und aufrichtig nach seiner herrlichen Wiederkunft verlangen!
10 Der Epheserbrief liefert uns die erhabenste Beschreibung von dem Platz der Versammlung droben, nicht nur betreffs des Anrechts auf ihn, sondern auch betreffs der Art und Weise, wie er ihr zuteil geworden ist. Das Anrecht gründet sich ohne Frage nur auf das Blut. Die Art und Weise wird mit den Worten beschrieben: „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, hat auch uns, als wir in den Vergehungen tot waren, mit dem Christus lebendig gemacht – durch Gnade seid ihr errettet –, und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (Eph 2,4-6).↩︎