Behandelter Abschnitt 3Mo 3,2
Vergleich: Friedensopfer und Speisopfer
Werfen wir jetzt noch einen Blick auf das Friedensopfer in Verbindung mit dem Speisopfer. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Opfern besteht darin, dass bei dem ersten Blut vergossen wurde, während das beim Speisopfer nicht geschah. Beide waren Opfer „lieblichen Geruchs“, und wie wir aus Kapitel 7,12 ersehen, waren beide eng miteinander verbunden. Doch sowohl die übereinstimmenden als auch die unterschiedlichen Merkmale sind voller Belehrung.
Nur in Gemeinschaft mit Gott kann die Seele an der Betrachtung des vollkommenen Menschen Jesus Christus ihre Wonne haben. Gott, der Heilige Geist, muss das Auge, durch das wir den „Menschen Christus Jesus“ schauen, sowohl geben als auch durch das Wort leiten. Er mochte „in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“ offenbart sein (Röm 8,3). Er mochte auf dieser Erde leben und wirken, Er mochte inmitten der Finsternis dieser Welt all den Glanz himmlischer Schönheit ausstrahlen – dennoch hätte Er während der ganzen Zeit außerhalb des Fassungsbereichs des Sünders bleiben können.
Der Mensch konnte nicht in die tiefe Freude der Gemeinschaft mit all diesem eintreten, einfach weil kein Grund gelegt war, auf dem diese Gemeinschaft bestehen konnte. Im Friedensopfer sehen wir diese Grundlage: „Und er soll seine Hand auf den Kopf seines Opfers legen und es schlachten am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft; und die Söhne Aarons, die Priester, sollen das Blut an den Altar sprengen ringsum“ (Kap. 3,2). Hier haben wir das, was das Speisopfer nicht bietet, nämlich eine feste Grundlage für die Gemeinschaft des Anbeters mit der Fülle, Kostbarkeit und Schönheit Christi, insoweit er durch die Wirkung des Heiligen Geistes befähigt wird, in diese Dinge einzudringen. Auf dem Boden, den „das kostbare Blut Christi“ (1Pet 1,19) uns anweist, können wir mit beruhigtem Herzen und anbetendem Geist bei all den wunderbaren Szenen verweilen, die uns den Herrn als den vollkommenen Menschen zeigen. Würden wir Christus nur als Speisopfer kennen, so hätten wir kein Recht, ihn zu betrachten und zu genießen. Hätte kein Blutvergießen stattgefunden, so gäbe es für den Sünder weder ein Anrecht noch einen Boden, auf dem er stehen könnte. Aber 3. Mose 7,12 verbindet das Speisopfer mit dem Friedensopfer und belehrt uns auf diese Weise, dass, wenn unsere Seelen Frieden gefunden haben, wir uns erfreuen können in ihm, der Frieden gemacht hat und der unser Friede ist.
Vergessen wir jedoch nicht, dass im Friedensopfer vom Sündentragen durchaus keine Rede ist, wenn auch das Blut des Opfertieres vergossen und gesprengt wurde. Betrachten wir Christus im Friedensopfer, so steht Er nicht vor uns als der Träger unserer Sünden wie in den Sünd- und Schuldopfern, sondern (indem Er sie getragen hat) als der Grund unserer friedvollen und glücklichen Gemeinschaft mit Gott. Wenn es sich um Sündentragen handelte, so könnte nicht gesagt werden: „Es ist ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Herrn“ (vgl. Kap. 3,5 mit Kap. 4,10–12). Doch obgleich hier kein Gedanke an Sündentragen ist, so ist dennoch reichliche Vorsorge für den getroffen, der sich als Sünder kennt. Anders könnte er kein Teil daran haben. Um Gemeinschaft mit Gott zu haben, müssen wir „in dem Licht“ sein, und wie ist das möglich? Nur aufgrund der Wahrheit, dass das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, uns von aller Sünde reinigt (1Joh 1,7). Je mehr wir in dem Licht bleiben, umso tiefer werden wir fühlen, was dem Licht zuwider ist, und wir werden den Wert des Blutes höher schätzen, das uns berechtigt, dort zu sein. Je inniger wir mit Gott unseren Weg gehen, umso mehr werden wir „den unergründlichen Reichtum des Christus“ (Eph 3,8) kennenlernen.
Es ist notwendig, in der Wahrheit befestigt zu sein, dass wir nur als Teilhaber des göttlichen Lebens und als solche, die in der göttlichen Gerechtigkeit stehen, in der Gegenwart Gottes weilen können. Der Vater konnte den verlorenen Sohn nicht anders an seinem Tisch haben als bekleidet mit dem „besten Gewand“ und in der ganzen Tragweite jener Beziehungen, in denen Er ihn betrachtete. Wäre der Sohn in seinen Lumpen geblieben oder hätte er als „ein Tagelöhner“ im Haus einen Platz gefunden, so würden wir nie die herrlichen Worte gehört haben: „Lasst uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden“ (Lk 15,23.24). So ist es mit allen wahren Gläubigen. Ihre alte Natur existiert nicht mehr vor Gott.
Gott hält sie für tot, und dasselbe sollen auch sie tun. Sie ist tot für Gott, tot für den Glauben. Nicht durch Veredelung unserer alten Natur, sondern als ein Besitzer einer neuen Natur sind wir in die Gegenwart Gottes gekommen. Der verlorene Sohn erhielt nicht durch Ausbesserung der Lumpen seines früheren Zustandes einen Platz am Tisch des Vaters, sondern dadurch, dass er mit einem Gewand bekleidet wurde, das er zuvor nie gesehen, an das er nie gedacht hatte. Er brachte dieses Kleid nicht mit aus dem „fernen Land“ noch hatte er es sich unterwegs besorgt. Der verlorene Sohn machte es nicht noch half er bei seiner Herstellung, sondern der Vater hatte es im Haus für ihn bereit und freute sich, ihn damit bekleidet zu sehen. Und dann setzten sie sich zusammen nieder, um in glücklicher Gemeinschaft das gemästete Kalb zu essen.
Im „Gesetz des Friedensopfers“ (Kap. 7,11–21) finden wir einige andere Besonderheiten von großem Interesse.
Die Sünde in uns und die Sünde auf uns
Zunächst ist es sehr wichtig, dass wir den Unterschied zwischen der Sünde im Fleisch und der Sünde auf dem Gewissen klar verstehen. Wenn wir diese beiden Dinge miteinander vermengen, so muss unser Friede und unsere Anbetung geschwächt werden. 1. Johannes 1,8-10 ist für das Verständnis dieser Fragen und der ganzen Lehre des Friedensopfers besonders wichtig. Niemand wird sich der in ihm wohnenden Sünde so bewusst sein wie der, der im Licht wandelt. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Im vorhergehenden Vers lesen wir: „Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“
In diesen Versen wird der Unterschied zwischen der Sünde in uns und der Sünde auf uns klar herausgestellt. Zu sagen, dass der Gläubige in der Gegenwart Gottes Sünde auf sich habe, hieße die reinigende Wirkung des Blutes Jesu infrage stellen und die Wahrheit des göttlichen Zeugnisses leugnen. Wenn das Blut Jesu vollkommen zu reinigen vermag, dann ist das Gewissen des Gläubigen vollkommen gereinigt. So spricht das Wort Gottes darüber, und es ist doch klar, dass wir nur von Gott selbst erfahren können, was die wirkliche Stellung des Gläubigen in seinen Augen ist. Von Natur aus neigen wir dazu, uns mit uns selbst zu beschäftigen und dann Gott zu sagen, was wir in uns selbst sind; aber es ist viel wichtiger, dass wir ihm erlauben, dass Er uns sagt, was wir vor ihm in Christus sind. Mit anderen Worten, wir bleiben so leicht bei dem stehen, was wir in uns selbst sehen an Schwachheit und Zukurzkommen; entscheidend aber ist das, was Gott von sich selbst offenbart. Sein Wort gibt den Ausschlag. Gott spricht zu uns aufgrund dessen, was Er in sich selbst ist und was Er in Christus vollendet hat. Das ist die Natur und der Charakter seiner Offenbarung, an die der Glaube sich klammert und die so die Seele mit Frieden erfüllt.
Dasselbe Wort aber, das uns sagt, dass wir vor Gott keine Sünde auf uns haben, sagt uns auch, dass wir Sünde in uns haben. „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1Joh 1,8). Jeder, der „Wahrheit“ in sich hat, wird wissen, dass auch „Sünde“ in ihm ist. Denn die Wahrheit offenbart alles, wie es ist. Was haben wir nun zu tun? Es ist unser Vorrecht, so in der Kraft der neuen Natur unseren Weg zu gehen, dass sich die „Sünde“, die in uns wohnt, nicht in der Form von „Sünden“ offenbart. Die Stellung des Christen vor Gott ist eine Stellung des Sieges und der Freiheit. Er ist nicht nur von der Schuld der Sünde, sondern auch von der Sünde als dem alles beherrschenden Prinzip in seinem Leben befreit. „Da wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen. Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde . . . Also herrsche nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib, um seinen Begierden zu gehorchen . . . Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,6-14).
Die Sünde ist da in ihrer ganzen ursprünglichen Hässlichkeit, aber der Gläubige ist für die Sünde tot. Wie ist das möglich? Er starb in Christus. Von Natur war er tot in Sünde. Durch die Gnade ist er der Sünde gestorben. Welche Forderungen könnte irgendetwas oder irgendjemand an einen toten Menschen stellen? Gar keine. Christus „ist ein für alle Mal der Sünde gestorben“, und der Gläubige starb mit ihm. „Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, da wir wissen, dass Christus, aus den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod herrscht nicht mehr über ihn. Denn was er gestorben ist, ist er ein für alle Mal der Sünde gestorben; was er aber lebt, lebt er Gott.“ Was folgt hieraus im Blick auf die Gläubigen? „So auch ihr, haltet dafür, dass ihr der Sünde tot seid, Gott aber lebend in Christus Jesus“ (Röm 6,8-11). Das ist die unwandelbare Stellung des Gläubigen vor Gott; es ist sein heiliges Vorrecht, Befreiung von der Sünde zu genießen; sie wohnt noch in ihm, aber sie herrscht nicht mehr über ihn.
Bekennen der Sünden
Wenn nun aber jemand sündigt, was ist dann zu tun? Der Heilige Geist gibt uns durch den Apostel die Antwort: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1Joh 1,9). Das Bekenntnis ist der Weg, auf dem das Gewissen frei erhalten wird. Der Apostel sagt nicht „Wenn wir um Verzeihung bitten, so ist Er gnädig und barmherzig, uns zu vergeben.“ Ohne Zweifel ist es immer beglückend für ein Kind, dem Vater seine Not ins Ohr flüstern, ihm von seiner Schwachheit erzählen, ihm seine Torheiten und Gebrechen bekennen zu können, und ebenso wahr ist es, dass unser Vater sehr gnädig und barmherzig ist und seinen Kindern in all ihrer Schwachheit und Unwissenheit entgegenkommt. Aber während das alles so ist, erklärt der Heilige Geist doch durch den Apostel, dass, „wenn wir bekennen“, Gott „treu und gerecht“ ist, die Sünden zu vergeben. Bekennen ist also der göttliche Weg. Ein Christ, der gefehlt hat, könnte Wochen, ja, monatelang um Vergebung bitten, ohne aus 1. Johannes 1,9 die Zuversicht zu erlangen, dass ihm vergeben ist; sobald er aber in Wahrheit seine Sünde vor Gott bekennt, ist es eine einfache Sache des Glaubens, zu wissen, dass ihm vergeben und dass er gereinigt ist.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem „Bitten um Vergebung“ und dem „Bekennen unserer Sünden“, ob wir die Sache nun in Beziehung zu dem Charakter Gottes oder zu dem Opfer Christi oder zu dem Zustand unserer Seele betrachten. Es ist sicher möglich, dass das Gebet eines Menschen das Bekenntnis seiner Sünde, welcher Art diese auch sein mag, in sich schließt und also die Sache auf eins hinausläuft. Aber es ist immer gut, uns in allem genau an das Wort Gottes zu halten. Wenn der Heilige Geist von Bekennen spricht, meint Er nicht Bitten. Das Bekennen enthält eben moralische Elemente und erzielt praktische Ergebnisse, die nicht zum Bitten um Vergebung gehören. Tatsächlich hat man oft gefunden, dass sich in der Gewohnheit, Gott um Vergebung der Sünden zu bitten, große Unwissenheit zeigte, sowohl hinsichtlich des Weges, in welchem Gott sich in der Person und dem Werk Christi offenbart hat, als auch betreffs des Verhältnisses, in welches das Opfer Christi den Gläubigen versetzt hat, sowie schließlich bezüglich der Weise Gottes, das Gewissen von der Last der Sünde zu befreien und von ihrer Befleckung zu reinigen.
Gott ist, was die Sünden des Gläubigen betrifft, durch „das Kreuz Christi“ vollkommen zufriedengestellt worden. An jenem Kreuz wurde für alle Art von Sünde, sei sie in der Natur des Gläubigen oder auf seinem Gewissen, ein vollkommenes Versöhnungswerk dargebracht. Gott bedarf keiner weiteren Sühne. Er bedarf keines Antriebs, um sein Herz zu dem Gläubigen hinzuneigen. Wir haben nicht nötig, ihn anzuflehen, „treu und gerecht“ zu sein, wenn seine Treue und Gerechtigkeit durch den Tod Christi so herrlich entfaltet und befriedigt worden sind. Unsere Sünden können nie in die Gegenwart Gottes kommen, weil Christus, der sie alle trug und hinwegtat, an ihrer Stelle dort ist. Wenn wir aber sündigen, so wird unser Gewissen es fühlen und muss es fühlen, ja, der Heilige Geist selbst wird dieses Gefühl in uns wachrufen. Er kann nicht erlauben, dass ein einziger leichtsinniger Gedanke ungerichtet bleibt. Und was dann? Hat sich unsere Sünde einen Weg in die Gegenwart Gottes gebahnt? Hat sie ihren Platz in dem ungetrübten Licht des inneren Heiligtums gefunden? O nein, „der Sachwalter“ ist dort, „Jesus Christus, der Gerechte“, um das Verhältnis, in dem wir stehen, unversehrt aufrechtzuerhalten.
Aber obgleich die Sünde die Gedanken Gottes in Bezug auf uns nicht zu verändern vermag, so kann sie doch unsere Gedanken in Bezug auf Gott verändern, und sie tut dies tatsächlich.6 Obschon sie sich keinen Weg in die Gegenwart Gottes zu bahnen und den Sachwalter nicht vor dem Auge Gottes zu verbergen vermag, so kann sie ihn doch unseren Blicken entziehen. Sie sammelt sich gleich einer dunklen, schweren Wolke an unserem geistlichen Horizont, so dass unsere Seelen sich nicht an dem Licht des Vaterantlitzes Gottes zu erfreuen vermögen. Sie kann unser Verhältnis zu Gott nicht antasten, aber sie kann unsere Freude an ihm sehr empfindlich stören. Was haben wir daher zu tun? Die Schrift antwortet: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit (1Joh 1,9). Durch das Bekenntnis wird unser Gewissen gereinigt, das liebliche Bewusstsein unseres Verhältnisses zum Vater wiederhergestellt, die dunkle Wolke zerstreut, und unsere Gedanken über Gott werden wieder zurechtgebracht. Das ist die Weise Gottes, mit uns zu handeln, und wir können in Wahrheit sagen, dass ein Herz, das einmal den Platz des Bekenntnisses kennengelernt hat, auch die göttliche Kraft der Worte des Apostels fühlen wird: „Meine Kinder, ich schreibe euch dies, damit ihr nicht sündigt“ (1Joh 2,1).
Weiterhin gibt es eine gewisse Art des Bittens um Vergebung, die beweist, dass man den vollkommenen, in dem Kreuzesopfer gelegten Grund der Vergebung aus den Augen verloren hat. Wenn Gott Sünden vergibt, so muss Er, indem Er es tut, „treu und gerecht“ sein. Es ist aber ganz klar, dass unsere Gebete, wie ernst und aufrichtig sie auch sein mögen, niemals die Grundlage der Treue und Gerechtigkeit Gottes bilden können, wenn Er uns unsere Sünden vergibt. Das Werk am Kreuz allein war dazu imstande. Dort fanden die Treue und die Gerechtigkeit Gottes ihre Bestätigung, und zwar sowohl in Beziehung zu unseren tatsächlichen Sünden als auch zu ihrer Wurzel in unserer Natur. Gott hat bereits „auf dem Holz“ unsere Sünden in der Person unseres Stellvertreters gerichtet, und durch unser Bekenntnis richten wir uns selbst. Dies ist im Blick auf göttliche Vergebung und Wiederherstellung sehr wichtig. Die kleinste, nicht bekannte, nicht gerichtete Sünde auf dem Gewissen wird und muss unsere Gemeinschaft mit Gott stören.
Nicht die Sünde in uns ist die Ursache dieser Störung. Wenn wir aber der Sünde gestatten, auf uns zu bleiben, so können wir keine Gemeinschaft mit Gott haben. Er hat unsere Sünden so völlig hinweggetan, dass Er uns einen Platz in seiner Gegenwart einräumen kann, und solange wir in seiner Gegenwart bleiben, wird uns die Sünde nicht beunruhigen. Sobald wir aber seine Gegenwart verlassen und, sei es auch nur in Gedanken, eine Sünde begehen, so muss notwendig unsere Gemeinschaft so lange unterbrochen sein, bis wir durch ein Bekenntnis wieder von der Sünde befreit worden sind. Ich brauche wohl kaum zu bemerken, dass sich alles dieses auf das Opfer und die Fürsprache des Herrn Jesus Christus gründet.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Bekennen der Sünde und dem Bitten um Vergebung im Blick auf den Zustand des Herzens vor Gott und auf unser Gefühl über die Hässlichkeit der Sünde. Es ist viel leichter, in einer allgemeinen Weise um Vergebung unserer Sünden zu bitten, als diese Sünden zu bekennen. Bekenntnis schließt Selbstgericht in sich. Ein Bitten um Vergebung tut das an und für sich nicht. Das allein würde schon genügen, um den Unterschied zu kennzeichnen. Das Selbstgericht ist eine der wertvollsten und heilsamsten Übungen des christlichen Lebens, und darum muss alles, was dem Selbstgericht dient, von jedem wahren Christen hoch geschätzt werden.
Der Unterschied zwischen einem bloßen „Bitten um Vergebung“ und einem ehrlichen „Bekennen der Sünde“ tritt uns im Verkehr mit Kindern stets sehr deutlich vor Augen. Wenn ein Kind sich irgendetwas hat zuschulden kommen lassen, so wird es ihm weit weniger schwer, seinen Vater um Vergebung zu bitten, als offen und rückhaltlos das Unrecht zu bekennen. Bei dem Bitten um Vergebung kann das Kind allerlei im Sinn haben, was das Gefühl über das Unrecht bei ihm vermindert. Es kann im Geheimen den Gedanken nähren, dass der begangene Fehler zwar nicht so tadelnswert sei, dass es sich aber doch gezieme, den Vater um Vergebung zu bitten, während bei einem Bekenntnis des begangenen Unrechts gerade jene so wichtige Sache, das Selbstgericht, vorhanden sein muss. Ferner kann das Kind bei der Bitte um Vergebung hauptsächlich durch den Wunsch geleitet werden, dadurch den Folgen seines Unrechtes zu entgehen, während verständige Eltern stets versuchen werden, ein wahres Gefühl über das begangene Böse hervorzurufen, und dieses Gefühl kann nur in Verbindung mit einem umfassenden Bekenntnis des Fehlers, in Verbindung mit Selbstgericht, vorhanden sein.
Genauso verhält es sich auch bezüglich der Handlungsweise Gottes mit seinen Kindern, wenn sie Unrecht tun. Er muss die ganze Sache ans Licht gebracht und völlig gerichtet sehen. Er will uns nicht nur dahin bringen, dass wir die Folgen der Sünde fürchten, sondern dass wir die Sache selbst hassen, weil sie hässlich ist in seinen Augen. Würden wir, nachdem wir gesündigt haben, bloß infolge unseres Bittens Vergebung erlangen, so würde unser Gefühl über die Sünde und unser Abscheu vor ihr bei Weitem nicht so groß und demzufolge auch unsere Wertschätzung der Gemeinschaft bei Weitem nicht so tief sein. Welch eine Wirkung dies alles auf unseren geistlichen Zustand sowie auf unseren ganzen Charakter und praktischen Wandel ausüben muss, wird jedem erfahrenen Christen einleuchten.7
Gesäuertes Brot als Opfergabe
Dieser ganze Gedankengang steht mit zwei in dem „Gesetz des Friedensopfers“ niedergelegten Grundsätzen in enger Verbindung.
In Kapitel 7,13 heißt es: „Zu den Kuchen soll man gesäuertes Brot als Opfergabe darbringen“, und doch lesen wir im 20. Vers desselben Kapitels: „Aber die Seele, die Fleisch von dem Friedensopfer isst, das dem Herrn gehört, und ihre Unreinheit ist an ihr, diese Seele soll ausgerottet werden aus ihren Völkern.“ Hier werden die beiden Dinge klar nebeneinandergestellt: Die Sünde in unserem Fleisch und die Sünde auf unserem Gewissen. Der „Sauerteig“ war gestattet wegen der Sünde in der Natur des Anbeters, aber „Unreinheit“ war verboten, weil keine Sünde auf dem Gewissen des Anbeters sein sollte.
Wenn Sünde auf dem Gewissen liegt, kann von Gemeinschaft keine Rede sein. Gott hat der Sünde gegenüber, die Er in uns erblickt, durch das Blut der Versöhnung geeignete Vorkehrungen getroffen, und darum lesen wir in Bezug auf das gesäuerte Brot im Friedensopfer: „Und man soll je eins davon, von der ganzen Opfergabe, dem Herrn als Hebopfer darbringen; dem Priester, der das Blut des Friedensopfers sprengt, ihm soll es gehören“ (Kap. 7,14). Mit anderen Worten: Dem „Sauerteig“ in der Natur des Anbeters war durch das „Blut“ des Opfers vollkommen begegnet. Der Priester, der das gesäuerte Brot empfing, musste zugleich das Blut sprengen. Gott hat unsere Sünde für immer aus seiner Gegenwart entfernt. Obwohl sie noch in uns ist, ist sie doch nicht der Gegenstand, auf dem sein Auge ruht. Er sieht nur das Blut, und darum kann Er mit uns vorangehen und uns die ungehinderte Gemeinschaft mit sich gestatten.
Aber wenn wir der in uns wohnenden „Sünde“ erlauben, sich in irgendeiner Form von „Sünden“ zu offenbaren, dann muss Bekenntnis, Vergebung und Reinigung stattfinden, bevor wir wieder von dem Fleisch des Friedens- oder Dankopfers essen dürfen. Das Ausrotten des Anbeters wegen Unreinheiten entspricht in unseren Tagen der Aufhebung der Gemeinschaft des Gläubigen wegen nicht gerichteter Sünde. Der Versuch, in unseren Sünden mit Gott Gemeinschaft zu haben, wäre Gotteslästerung, denn er würde die Möglichkeit voraussetzen, dass Gott in Gemeinschaft mit der Sünde sein könnte. „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit“ (1Joh 1,6).
Das bisher Gesagte lässt uns erkennen, dass wir uns sehr täuschen, wenn wir uns einbilden, ein Beschäftigtsein mit unseren Sünden sei ein Zeichen von Geistlichkeit. Könnten die Sünden oder die Sünde je die Grundlage oder den Gegenstand unserer Gemeinschaft mit Gott bilden? Nein. Wir haben im Gegenteil gesehen, dass, solange die Sünde uns beschäftigt, die Gemeinschaft unterbrochen sein muss. Die Gemeinschaft kann nur „im Licht“ sein, und sicher ist im Licht keine Sünde. Dort ist nichts zu sehen als das Blut, das unsere Sünden getilgt und uns nahe gebracht hat, sowie der Stellvertreter, der uns in dieser Stellung bewahrt. Die Sünde ist für immer von jenem Boden entfernt, auf dem Gott und der Anbeter sich in heiliger Gemeinschaft befinden. Was machte den Gegenstand der Gemeinschaft zwischen dem Vater und dem verlorenen Sohn aus? Waren es die Lumpen des Sohnes? Waren es die Futterpflanzen des „fernen Landes“? Keineswegs. Es war nicht irgendetwas, was der verlorene Sohn mitbrachte. Es war die reiche Vorsorge der väterlichen Liebe, „das gemästete Kalb“. Ebenso ist es mit Gott und jedem wahren Anbeter. Sie genießen miteinander in heiliger und erhabener Gemeinschaft ihn, dessen kostbares Blut sie in eine ewige Verbindung gebracht hat, und zwar in jenem Licht, in das keine Sünde je kommen kann.
Wir dürfen auch nicht denken, dass ein intensives Betrachten unserer Sünden oder ein Verweilen bei ihnen ein Zeichen wahrer Demut sei. Eine schwermütige Kopfhängerei mag dadurch hervorgerufen werden, aber wahre Demut entspringt aus einer ganz anderen Quelle. Wann war der verlorene Sohn am tiefsten gebeugt? Als er in dem fernen Land „zu sich selbst kam“ (Lk 15,17) oder als er sich in den Armen des Vaters befand und die Schwelle des Vaterhauses überschritt? Ist es nicht offenbar, dass die Gnade, die uns zu den Höhen der Gemeinschaft mit Gott erhebt, auch allein imstande ist, uns in die Tiefen einer aufrichtigen Demut zu führen? Ohne Zweifel.
Die Demut, die aus der Tilgung unserer Sünden entspringt, sollte stets tiefer sein als diejenige, welche aus der Entdeckung unserer Sünden hervorgeht. Ersteres verbindet uns mit Gott, Letzteres hat es mit dem eigenen Ich zu tun. Um wahrhaft demütig zu sein, müssen wir unseren Weg mit Gott gehen in der Erkenntnis und der Kraft des Verhältnisses, in das Er uns versetzt hat. Er hat uns zu seinen Kindern gemacht, und wenn wir uns nur als solche verhalten, so werden wir demütig sein.
Das Abendmahl des Herrn
Bevor wir diesen Abschnitt verlassen, möchte ich eine Bemerkung in Bezug auf das Abendmahl des Herrn machen, wo die Gemeinschaft der Versammlung in besonderer Weise zum Ausdruck kommt und das deshalb mit Recht in Verbindung mit der Lehre vom Dankopfer betrachtet werden kann. Wir können das Abendmahl nur dann einsichtsvoll feiern, wenn wir sehen, dass es ausschließlich um Danksagung geht. Es ist in ganz besonderem Sinn ein Fest der Danksagung, der Danksagung für eine vollbrachte Erlösung. „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?“ (1Kor 10,16). Steht jemand unter dem Gefühl der Last seiner Sünde, so kann er unmöglich das Mahl des Herrn mit geistlichem Verständnis feiern, da ja dieses Fest der Ausdruck der vollständigen Tilgung der Sünde durch den Tod Christi ist. „Ihr verkündigt den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1Kor 11,26).
In dem Tod Christi sieht der Glaube das Ende alles dessen, was unserer Stellung in der alten Schöpfung angehörte, und da das Mahl des Herrn diesen Tod verkündigt, so muss es auch als das Erinnerungszeichen der herrlichen Tatsache betrachtet werden, dass die Sündenlast des Gläubigen durch ihn getragen und für immer beseitigt worden ist. Ja, das Abendmahl erklärt uns, dass die Sündenketten, die uns ehedem gebunden und gefesselt hielten, durch den Tod Christi gesprengt worden sind und uns nie wieder fesseln können. Wir versammeln uns um den Tisch des Herrn in der vollen Freude von Überwindern. Wir blicken zurück auf das Kreuz, wo der Kampf gekämpft und der Sieg errungen wurde, und wir schauen vorwärts auf die Herrlichkeit, wo wir die ganze Tragweite des Sieges erkennen und genießen werden.
In der Tat, wir haben „Sauerteig“ in uns, aber keine „Unreinheiten“ auf uns. Wir haben daher nicht auf unsere Sünden, sondern auf ihn zu schauen, der sie auf dem Kreuz getragen und für immer weggetan hat. Wir dürfen uns freilich nicht „selbst betrügen“ durch die törichte Einbildung, dass wir „keine Sünde“ in uns hätten. Aber wir dürfen auch ebenso wenig die Wahrheit des Wortes Gottes und die Wirksamkeit des Blutes Christi leugnen, indem wir uns die Freude der köstlichen Wahrheit versagen, dass wir keine Sünde mehr auf uns haben, denn „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (1Joh 1,7).
Leider ist das Urteil vieler Christen über das Abendmahl des Herrn sehr unklar. Mehr als alles andere verrät dies die Größe der Unwissenheit, die bezüglich der einfachsten Grundwahrheiten des Evangeliums herrscht. Wenn das Mahl des Herrn auf einen anderen Boden als den eines bewussten Heils, einer empfangenen Vergebung und einer bewussten Befreiung gestellt wird, muss die Seele in einen undurchdringlichen Nebel gehüllt werden. Das, was uns nur als ein Gedächtnis an Christus dienen sollte, wird dazu benutzt, ihn beiseitezuschieben. Das, was eine vollbrachte Erlösung verherrlicht, wird als ein Mittel betrachtet, um die Erlösung zu erlangen. Auf diese Weise werden die Anordnungen Gottes missbraucht und die Seelen geraten in Verwirrung und Irrtum.
Wie sehr unterscheidet sich hiervon die schöne Einsetzung des Friedensopfers! Betrachten wir es in seiner bildlichen Bedeutung, so sehen wir, dass, sobald das Blut vergossen war, Gott und der Anbeter in friedlicher Gemeinschaft das Opfer genießen konnten. Nichts war weiter nötig. Der Friede war gemacht durch das Blut, und auf diesem Boden fand die Gemeinschaft statt. Ein Zweifel hinsichtlich der Frage, ob Friede gemacht ist, muss jede Gemeinschaft aufheben. Wenn wir uns mit dem fruchtlosen Versuch, Frieden mit Gott zu machen, beschäftigen, so sind uns Gemeinschaft oder Anbetung völlig fremde Dinge. Wenn das Blut des Friedensopfers nicht vergossen worden ist, so können wir uns unmöglich von der „Webebrust“ oder der „Hebeschulter“ nähren. Ist dagegen das Blut vergossen, dann ist der Friede bereits gemacht. Gott selbst hat ihn gemacht, und das ist für den Glauben genug. Und darum haben wir durch den Glauben Gemeinschaft mit Gott, und zwar in der Erkenntnis und der Freude der vollbrachten Erlösung. Wir genießen die Frische der Freude Gottes selbst in dem, was Er gewirkt hat, und nähren uns von Christus in der ganzen Fülle und Glückseligkeit der Gegenwart Gottes.
Gottesdienst in Verbindung mit dem Opfer
Dieser letzte Punkt steht mit einer anderen wichtigen Wahrheit, die im „Gesetz des Friedensopfers“ niedergelegt ist, in enger Verbindung. „Und das Fleisch seines Dank-Friedensopfers soll am Tag seiner Darbringung gegessen werden; er soll nichts davon liegen lassen bis zum Morgen“ (Kap. 7,15). Das bedeutet: Die Gemeinschaft des Anbeters darf nie von dem Opfer getrennt werden, auf das sie gegründet ist. Solange man geistliche Kraft besitzt, diese Verbindung aufrechtzuerhalten, werden auch Anbetung und Gemeinschaft erhalten bleiben, aber auch nicht länger. Wir müssen in unserem Geist, in den Zuneigungen unseres Herzens und in der Erfahrung unserer Seele ganz nahe bei dem Opfer bleiben. Das wird unserer Anbetung Kraft und Ausdauer verleihen.
Unsere Herzen mögen im Anfang irgendeiner gottesdienstlichen Handlung wohl mit Christus beschäftigt sein, aber noch ehe wir ihr Ende erreichen, richten sich unsere Gedanken vielleicht auf das, was wir tun oder sagen wollen, oder auf die Personen, die uns anhören, und wir fallen auf diese Weise in etwas, was als eine „Ungerechtigkeit der heiligen Dinge“ bezeichnet werden kann. Das ist sehr ernst und sollte uns zur Wachsamkeit anspornen. Wir können unsere Anbetung im Geist beginnen und im Fleisch enden. Es sollte daher stets unsere Sorge sein, dass wir über das Maß der Kraft, das der Geist uns zurzeit darreicht, nicht hinausgehen, denn der Geist wird uns stets unmittelbar mit Christus beschäftigt halten. Wenn der Heilige Geist „fünf Worte“ zur Anbetung oder zur Danksagung darreicht, so lasst uns diese fünf Worte sagen und dann still sein. Wenn wir weiter fortfahren, so essen wir das Fleisch unseres Opfers über die Zeit hinaus, und anstatt „angenehm“ zu sein, ist es in Wirklichkeit ein „Gräuel“. Lasst uns daran denken und wachsam sein. Es braucht uns nicht zu erschrecken. Gott will uns durch den Geist geleitet und bei all unserer Anbetung von Christus erfüllt sehen. Er kann nur das annehmlich finden, was göttlich ist, und darum will Er auch nur das von uns dargebracht sehen. „Und wenn das Schlachtopfer seiner Opfergabe ein Gelübde oder eine freiwillige Gabe ist, so soll es an dem Tag, da er sein Schlachtopfer darbringt, gegessen werden; und am nächsten Tag soll dann das, was davon übrig bleibt, gegessen werden“ (Kap. 7,16).
Wenn die Seele in „freiwilliger“ Anbetung Gott naht, so wird eine solche Anbetung das Ergebnis eines größeren Maßes geistlicher Kraft sein, als wenn sie bloß aus einem gelegentlichen Gnadenbeweis hervorgeht, den man gerade erfahren hat. Wenn jemand eine besondere Gunst aus der Hand des Herrn zuteilgeworden ist, so erhebt sich die Seele sogleich in Danksagung zu Gott. In diesem Fall ist die Anbetung durch jene Gunst hervorgerufen und steht mit ihr in Verbindung, und damit endet sie auch. Wo aber das Herz durch den Heiligen Geist zu einer „freiwilligen“ oder wohl bedachten Darbringung des Lobes geführt wird, da wird diese auch von länger dauernder Art sein. Immer aber wird alle wahre Anbetung mit dem kostbaren Opfer Christi in Verbindung stehen. „Und was vom Fleisch des Schlachtopfers am dritten Tag übrig bleibt, soll mit Feuer verbrannt werden. Und wenn irgend vom Fleisch seines Friedensopfers am dritten Tag gegessen wird, so wird es nicht wohlgefällig sein; wer es dargebracht hat, dem wird es nicht zugerechnet werden; ein Gräuel wird es sein; und die Seele, die davon isst, wird ihre Ungerechtigkeit tragen“ (Kap. 7,17.18).
Nach dem Urteil Gottes hat nichts Wert, was nicht unmittelbar mit Christus in Verbindung steht. Da mag vieles sein, was wie Anbetung aussieht, was sich aber bei einer genaueren Betrachtung nur als eine Äußerung der natürlichen Gefühle erweist. Die große Andacht, die vorhanden zu sein scheint, ist im Grunde vielleicht nichts als fleischliche Frömmigkeit. Viele Dinge können in religiöser Beziehung auf die Natur einwirken, wie z. B. ein schönes Gepränge, Zeremonien, Musik, Ornate, eine ansprechende Liturgie samt all den Reizen eines glänzenden Ritus, während wahre Anbetung im Geist vollständig fehlt. Ja, man kann sagen, dass gerade die Wünsche und Neigungen, die durch die anziehenden Formen eines sogenannten Gottesdienstes hervorgerufen und befriedigt werden, meist eine passendere Nahrung in der Oper oder im Konzertsaal finden würden. Diesen Dingen gegenüber müssen alle wachsam sein, die festhalten: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten“ (Joh 4,24). Die sogenannte Religion hat die Auswüchse des Mittelalters hinter sich gelassen und schmückt sich mit Charme, mit Kultur, mit den Errungenschaften der modernen Welt.
Bildhauerkunst, Musik und Malerei stehen ihr zu Diensten, und so wiegt sie die gedankenlosen Massen in einen Schlummer, der erst durch die Schrecken des Todes, des Gerichts und des Feuersees sein Ende findet. Auch sie kann sagen: „Friedensopfer oblagen mir, heute habe ich meine Gelübde bezahlt . . . Mit Teppichen habe ich mein Bett bereitet, mit bunten Decken von ägyptischem Garn; ich habe mein Lager benetzt mit Myrrhe, Aloe und Zimt“ (Spr 7,14-17). So lockt die verdorbene, verweltlichte Religion alle, die nicht auf die Stimme der Weisheit, die vom Himmel her redet, hören wollen.
Lieber Leser, hüte dich vor diesem! Sieh zu, dass dein Gottesdienst untrennbar mit dem auf dem Kreuz vollbrachten Werk verbunden ist. Sieh zu, dass Christus die Grundlage und der Gegenstand und dass der Heilige Geist die Kraft deiner Anbetung ist. Trage Sorge, dass die äußere Kundgebung deiner Anbetung nicht über die innere Kraft hinausgeht. Es erfordert viel Wachsamkeit, um vor diesem Übel bewahrt zu bleiben. Wir mögen ein Lied im Geist wahrer Anbetung beginnen und können, noch ehe wir das Lied zu Ende gesungen haben, aus Mangel an geistlicher Kraft in jenes Übel verfallen, das in unserem Bild dem Essen von dem Fleisch des Friedensopfers am dritten Tag entspricht. Unsere einzige Sicherheit besteht darin, uns nahe zu Jesus zu halten. Wenn wir wegen eines besonderen Gnadenbeweises unsere Herzen in Danksagung erheben, so lasst es uns in der Kraft des Namens und des Opfers Christi tun. Wenn unsere Seelen in „freiwilliger“ Anbetung nahen, so möge es in der Kraft des Heiligen Geistes geschehen. Auf diese Weise wird unser Gottesdienst jene Frische, jenen Wohlgeruch, jene Tiefe und Erhabenheit offenbaren, die sich ergeben müssen, wenn der Vater der Gegenstand, der Sohn die Grundlage und der Heilige Geist die Kraft unserer Anbetung ist.
Anmerkung – Es ist beachtenswert, dass, obwohl das Friedensopfer als drittes in der Reihenfolge dasteht, uns sein „Gesetz“ zuletzt gegeben wird, und das ist nicht ohne Bedeutung. In keinem Opfer wird die Gemeinschaft des Anbeters so völlig entfaltet wie im Friedensopfer. Im Brandopfer ist es Christus, wie Er sich selbst Gott opfert. Im Speisopfer haben wir Christus als den vollkommenen Menschen. Dann zeigt uns das Sündopfer, dass der Sünde in ihrer Wurzel völlig begegnet ist, während wir im Schuldopfer die Antwort auf die im Leben geschehenen, tatsächlichen Sünden haben. Die Lehre von der Gemeinschaft des Anbeters mit Gott wird allein im Friedensopfer entwickelt, und darum steht nach meiner Meinung das Gesetz dieses Opfers zuletzt. Es bildet den Schluss von allem und belehrt uns dadurch, dass, wenn es sich darum handelt, dass die Seele sich von Christus nährt, es ein vollkommener Christus sein muss, und zwar gesehen in jeder Hinsicht seines Lebens, seines Charakters, seiner Person, seines Werkes und seiner Ämter, und dass ferner, wenn wir für immer mit der Sünde und den Sünden abgeschlossen haben werden, wir uns die ganze Ewigkeit hindurch an Christus erfreuen und uns von ihm nähren werden.
6 Der hier behandelte Gegenstand lässt die wichtige und praktische Wahrheit von Johannes 14,21-23 völlig unberührt, jene besondere Liebe des Vaters nämlich zu einem gehorsamen Kind, sowie die besondere Gemeinschaft eines solchen Kindes mit dem Vater und dem Sohn.↩︎
7Vielleicht hat ein Leser in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten im Blick auf den Fall von Simon dem Zauberer (Apg 8). Offensichtlich kann aber einer, der „in Galle der Bitterkeit und in Fesseln der Ungerechtigkeit“ (Apg 8,23) ist, nicht als Vorbild für Kinder Gottes hingestellt werden. Sein Fall widerspricht absolut nicht der Lehre von 1. Johannes 1,9. Er stand nicht im Kindesverhältnis, und deshalb kam für ihn die Sachwalterschaft Christi gar nicht infrage. – Ich möchte noch bemerken, dass die obigen Ausführungen sich nicht auf das sog. „Vaterunser“ beziehen; es gehört nicht direkt zu unserem Thema. Wir müssen uns in jedem Fall davor hüten, starre Regeln aufzustellen. Wenn jemand unter dem Druck irgendwelcher Umstände zu Gott ruft, – Er ist stets bereit zu hören und zu antworten