Behandelter Abschnitt Kapitel 3Mo 3,1-16
Das Friedensopfer
Je eingehender wir die Opfer betrachten, umso deutlicher erkennen wir, dass ein einzelnes Opfer allein kein vollständiges Bild von Christus geben kann. Nur in ihrer Gesamtheit geben sie uns eine einigermaßen richtige Vorstellung.
Unterschiede zwischen dem Brandopfer und dem Friedensopfer
Beim Vergleich des Friedensopfers mit dem Brandopfer finden wir, dass beim Friedensopfer die dreifache Handlung des „Hautabziehens“, des „Zerstückens“ und des „Waschens des Eingeweides und der Beine“ fehlt. Das entspricht durchaus seinem Charakter. Im Brandopfer sehen wir Christus sich selbst Gott opfern und von Gott angenommen, und daher musste die Vollkommenheit seiner Selbstübergabe sowie die gründliche Prüfung, der Er sich unterwarf, bildlich gezeigt werden. Beim Friedensopfer ist die Gemeinschaft des Anbeters mit Gott der Hauptgedanke. Hier ist es nicht Christus, wie Er in seiner Hingabe ausschließlich durch Gott genossen wird, sondern Christus, genossen durch den Anbeter in Gemeinschaft mit Gott. Darum erreicht auch die ganze Handlung nicht die Höhe wie beim Brandopfer. Kein Herz, so stark seine Liebe auch sein mag, wäre imstande, sich einigermaßen zu der Höhe der Hingabe Christi an Gott oder der Annahme Christi von Seiten Gottes zu erheben, und darum war ein Bild nötig, um diese Seite des Todes Christi, seine vollkommene Hingabe an Gott, darzustellen. Dieses Bild besitzen wir im Brandopfer, und hier allein finden wir die oben erwähnte dreifache Handlung.
Auch im Blick auf die Art des Opfers sehen wir einen Unterschied. Im Brandopfer musste es ein „Männliches“ ohne Fehl sein, während es im Friedensopfer ein „Männliches oder ein Weibliches“, allerdings ebenfalls „ohne Fehl“, sein durfte. Die Natur Christi, mögen wir ihn als ausschließlich durch Gott oder durch den Anbeter in Gemeinschaft mit Gott genossen betrachten, ist stets dieselbe. Hierin kann niemals eine Wandlung stattfinden. Ein „Weibliches“ war nur deshalb im Friedensopfer gestattet, weil es sich hier um die Fähigkeit des Anbeters handelte, den Hochgelobten zu genießen, der in sich selbst derselbe ist gestern und heute und in Ewigkeit (Heb 13,8).
Beim Brandopfer lesen wir: „Der Priester soll das Ganze räuchern“, während beim Friedensopfer nur ein Teil geräuchert wurde, nämlich die Nieren, das Fett und das Netz. Dies macht die Sache außerordentlich einfach. Der beste Teil des Opfers wurde auf den Altar Gottes gelegt. Die inneren Teile, die verborgenen Kräfte, die zärtlichen Gefühle des hochgelobten Herrn wurden Gott als dem Einzigen gewidmet, der sie vollkommen genießen konnte. Aaron und seine Söhne nährten sich von der „Brust des Webopfers“ und von dem „Schenkel des Hebopfers“4 (vgl. sorgfältig Kap. 7,28–36). Alle Glieder der priesterlichen Familie hatten in Gemeinschaft mit ihrem Haupt ihr besonderes Teil an dem Friedensopfer. Und jetzt können sich alle wahren Gläubigen, durch die Gnade zu Priestern Gottes gemacht, von den Zuneigungen und der Kraft des wahren Friedensopfers nähren und die glückselige Zuversicht genießen, sein Herz voller Liebe und seine starke Schulter beständig zu ihrem Trost und ihrer Stütze zu haben5. „Das ist das Salbungsteil Aarons und das Salbungsteil seiner Söhne von den Feueropfern des Herrn an dem Tag, als man sie herzutreten ließ, um dem Herrn den Priesterdienst auszuüben, das der Herr geboten hat, ihnen zu geben von Seiten der Kinder Israel, an dem Tag, als man sie salbte: eine ewige Satzung bei ihren Geschlechtern“ (Kap. 7,35.36).
Ein gemeinsames Teil mit Gott
In diesen Dingen sehen wir wichtige Unterschiede zwischen dem Brandopfer und dem Friedensopfer, die uns, wenn wir sie zusammen betrachten, die beiden Opfer mit größerer Klarheit erkennen lassen. Im Friedensopfer finden wir etwas mehr als die Hingabe Christi in den Willen Gottes. Der Anbeter ist da, und zwar nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Teilhaber, nicht nur um anzubeten, sondern auch um zu genießen. Das verleiht diesem Opfer einen ganz besonderen Charakter. Wenn ich den Herrn Jesus im Brandopfer betrachte, so erkenne ich ihn als den, dessen Herz dem einen Zweck gewidmet war, Gott zu verherrlichen und den Willen Gottes zu erfüllen. Wenn ich ihn dagegen im Dank- oder Friedensopfer schaue, so finde ich einen, der in seinem Herzen voller Liebe und auf seiner kräftigen Schulter einen Platz hat für einen unwürdigen, hilflosen Sünder.
Beim Brandopfer wurden Brust und Schultern, Schenkel und Eingeweide, Kopf und Fett auf dem Altar verbrannt – alles stieg als ein lieblicher Wohlgeruch zu Gott empor. Im Friedensopfer aber bleibt gerade das für mich übrig, was meinen Bedürfnissen entspricht. Auch bin ich nicht alleingelassen, um mich einsam von dem zu nähren, was ich nötig habe. Keineswegs. Ich genieße es in Gemeinschaft – in Gemeinschaft mit Gott und in Gemeinschaft mit meinen Mitpriestern. Ich genieße es mit der völligen und beglückenden Einsicht, dass dasselbe Opfer, das meine Seele nährt, schon das Herz Gottes erquickt hat, und zugleich, dass dasselbe Teil, das mich nährt, auch meinen Mitarbeitern zur Speise dient. Hier geht es um Gemeinschaft, Gemeinschaft mit Gott, Gemeinschaft mit den Heiligen. Im Friedensopfer hatte Gott sein Teil, und auch die priesterliche Familie.
Ebenso ist es beim Gegenbild des Friedensopfers. Derselbe Jesus, der der Gegenstand der Wonne des Himmels ist, ist auch die Quelle der Freude, der Kraft und des Trostes für jedes gläubige Herz, und nicht nur für jedes Herz im Einzelnen, sondern auch gemeinschaftlich für die ganze Versammlung Gottes. Gott hat in seiner unaussprechlichen Gnade seinem Volk dasselbe Kleinod gegeben, das Er selbst besitzt. „Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (1Joh 1,3). Freilich können sich unsere Gedanken über den Herrn Jesus nie zu der Höhe der Gedanken Gottes erheben. Unsere Wertschätzung Christi wird immer weit hinter seiner zurückbleiben. Darum konnte hier auch das Haus Aarons kein Teil an dem „Fett“ haben. Aber obwohl wir uns niemals zu der Höhe der göttlichen Wertschätzung der Person und des Opfers Christi erheben können, sind wir dennoch mit demselben Gegenstand beschäftigt, und darum bekam das Haus Aarons „die Brust des Webopfers“ und „den Schenkel des Hebopfers“. Wie ist das alles voll Trost und Freude für das Herz!
Der Herr Jesus, Er, „der tot war und lebendig ist von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 1,18), ist jetzt der ausschließliche Gegenstand für das Auge und die Gedanken Gottes, und in seiner Gnade hat Gott auch uns ein Teil an dieser gesegneten Person gegeben. Christus ist auch das Zentrum für unsere Herzen und für unser Lob, „indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes“ (Kol 1,20). Er ist gen Himmel gefahren und hat den Heiligen Geist herniedergesandt, jenen „anderen Sachwalter“, durch dessen machtvollen Dienst wir uns von der „Brust“ und dem „Schenkel“ unseres göttlichen Friedensopfers nähren. Er ist in Wahrheit unser Friede, und es ist unsere höchste Freude, zu wissen, dass das Wohlgefallen Gottes an der Gründung unseres Friedens so groß ist und dass der Wohlgeruch unseres Friedensopfers sein Herz erquickt hat.
Diese Tatsache verleiht diesem Bild eine ganz besondere Schönheit. Christus als Brandopfer ruft die Bewunderung des Herzens wach. Christus als Friedensopfer befestigt den Frieden des Gewissens und begegnet den tiefen und vielerlei Bedürfnissen der Seele. Die Söhne Aarons mochten den Altar des Brandopfers umringen. Sie mochten die Flammen dieses Opfers zu dem Gott Israels emporsteigen sehen. Sie mochten sehen, wie das Opfer selbst in Asche verwandelt wurde. Sie mochten beim Anschauen all dieser Vorgänge ihr Haupt neigen und anbeten – aber für sich selbst trugen sie nichts davon. Beim Friedensopfer war es anders. Da schauten sie nicht nur das, was seinen Wohlgeruch zu Gott emporsandte, sondern auch das, was ihnen einen wesentlichen Anteil gab, wovon sie sich in glückseliger und heiliger Gemeinschaft nähren konnten.
Freude in der Gemeinschaft
Es erhöht sicher den Genuss jedes wahren Priesters, wenn er weiß, dass, bevor er die Brust und den Schenkel erhält, Gott (um in der Sprache unseres Bildes zu reden) seinen Teil bereits empfangen hat. Der Gedanke daran verleiht der Anbetung und Gemeinschaft Ausdruck und Kraft, Salbung und Erhabenheit. Er entfaltet die bewundernswerte Gnade dessen, der uns an demselben Gegenstand und an derselben Freude mit sich teilnehmen lässt. Nichts Geringeres, nichts weniger als das konnte ihn zufriedenstellen. Es ist der Wille des Vaters, dass der verlorene Sohn in Gemeinschaft mit ihm das gemästete Kalb genießt. Er will ihm keinen geringeren Platz anweisen als den an seinem Tisch und auch kein anderes Teil als das, was Er selbst genießt.
Die Sprache des Friedensopfers ist: „Man musste doch fröhlich sein und sich freuen“ (Lk 15,32) – „lasst uns essen und fröhlich sein!“ (Lk 15,23). Das ist kostbare Gnade Gottes. Ohne Zweifel haben wir als Teilhaber einer solchen Gnade alle Ursache, fröhlich zu sein, aber wenn wir Gott sagen hören: „Lasst uns essen und fröhlich sein!“, so sollte das in unseren Herzen ununterbrochen Lob und Dank hervorrufen. Die Freude Gottes an dem Heil der Sünder und seine Freude an der Gemeinschaft der Heiligen wird sicher während der ganzen Ewigkeit die Bewunderung von Menschen und Engeln wachrufen.
4 Die „Brust“ und „der Schenkel“ sind Sinnbilder der Liebe und Macht, der Zuneigung und Kraft.↩︎
5 Es liegt viel Kraft und Schönheit in dem 31. Vers des 7. Kapitels: „Die Brust soll Aaron und seinen Söhnen gehören.“ Es ist das Vorrecht aller wahren Gläubigen, sich zu nähren von den Zuneigungen Christi, von der unwandelbaren Liebe jenes Herzens, das ununterbrochen für sie schlägt.↩︎