Das Speisopfer
Christus in seinem Leben
Wir kommen jetzt zur Betrachtung des Speisopfers, das den „Menschen Christus Jesus“ darstellt. So wie das Brandopfer Christus im Tod darstellt, so stellt das Speisopfer ihn im Leben dar. Weder bei dem einen noch bei dem anderen handelt es sich um die Frage des Sündentragens. Im Brandopfer sehen wir die Versöhnung, aber weder das Tragen der Sünde noch die Zurechnung der Sünde noch auch ein Ausschütten des Zorns der Sünde wegen. Woher können wir das wissen? Weil alles auf dem Altar verzehrt wurde. Hätte es sich beim Brandopfer in irgendeiner Weise um das Tragen der Sünde gehandelt, so würde es außerhalb des Lagers verbrannt worden sein (vgl. 3Mo 4,11.12 mit Heb 13,11).
Im Speisopfer aber finden wir nicht einmal ein Blutvergießen. Es ist vielmehr ein herrliches Vorbild auf Christus, wie Er hier auf der Erde lebte und diente.
Das Menschsein Christi
Die Lehre von dem Menschsein Christi ist ungeheuer wichtig. Sie bildet die eigentliche Grundlage des Christentums, und eben darum hat Satan von jeher mit allem Eifer danach getrachtet, die Menschen nach dieser Seite hin irrezuleiten. Fast alle Irrlehren, die ihren Weg in die bekennende Christenheit gefunden haben, verraten die satanische Absicht, die Wahrheit bezüglich der Person Christi zu untergraben. Und selbst wenn ernste, gottesfürchtige Männer sich bemüht haben, jene Irrlehren zu bekämpfen, sind sie in vielen Fällen in entgegengesetzte Irrtümer verfallen. Wie nötig ist es daher, sich genau an die Worte zu halten, deren sich der Heilige Geist bei der Enthüllung dieses tiefen und heiligen Geheimnisses bedient hat!
Unterwürfigkeit unter die Autorität der Heiligen Schrift sowie die Kraft des göttlichen Lebens in der Seele werden sich in jedem Fall als die wirksamsten Schutzmittel gegen jede Art von Irrtum erweisen. Es sind keine hohen theologischen Ehrentitel nötig, um eine Seele bezüglich der Lehre Christi vor Irrtümern zu bewahren. Wenn nur „das Wort des Christus reichlich in uns wohnt“ und der Geist Christi mit Macht in der Seele wirkt, dann bleibt für Satan mit seinen finsteren Verführungen kein Raum. Wenn das Herz sich des Christus erfreut, den die Schrift uns offenbart, so wird es sicher vor dem falschen Christus zurückschrecken, den Satan zu bringen trachtet. Wenn wir uns von der Wirklichkeit Gottes nähren, so werden wir die Nachbildung Satans ohne Weiteres zurückweisen. Das ist der sicherste Weg, um den Verstrickungen des Irrtums in jeder Form und jedem Charakter zu entgehen. „Die Schafe hören seine Stimme und . . . folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen“ (Joh 10,3-5). Es ist gar nicht nötig, mit der Stimme eines Fremden bekannt zu sein. Alles, was wir nötig haben, ist, die Stimme des „guten Hirten“ zu kennen. Das wird uns sicherstellen vor dem verstrickenden Einfluss jeder fremden Stimme.
Sehr oft sind wir uns viel zu wenig bewusst, dass wir mit unserem Herrn Jesus als dem vollkommenen Menschen in einer lebendigen Gemeinschaft stehen sollten. Daher kommt es auch, dass wir so viel an innerer Dürre, Unruhe und Verirrungen leiden. Würden wir mit einem einfältigeren, kindlicheren Glauben uns die Wahrheit zu eigen machen, dass sich zur Rechten der Majestät in den Himmeln ein wirklicher Mensch befindet, ein Mensch, dessen Mitgefühl vollkommen, dessen Liebe unergründlich, dessen Macht allgewaltig, dessen Weisheit unendlich, dessen Mittel unerschöpflich, dessen Reichtümer unerforschlich sind, dessen Ohr für jeden Seufzer geöffnet und dessen Hand für alle unsere Bedürfnisse aufgetan ist – wie viel glücklicher würden wir sein, und wie viel unabhängiger von menschlichen Strömen, durch welchen Kanal diese auch fließen mögen!
Es gibt kein Bedürfnis des Herzens, das in dem Herrn Jesus nicht Befriedigung fände. Sehnen wir uns nach wahrem Mitgefühl? Wo anders könnten wir das finden, als bei ihm, der mit den trauernden Schwestern von Bethanien Tränen vergoss? Sehnen wir uns nach dem Genuss einer aufrichtigen Zuneigung? Nur in seinem Herzen können wir sie finden, das seine Liebe durch sein eigenes Blut besiegelte. Suchen wir den Schutz einer wirklichen Macht? Wir brauchen nur emporzublicken zu ihm, der die Welten gemacht hat. Fühlen wir das Bedürfnis, von einer nie irrenden Weisheit geleitet zu werden? Wenden wir uns zu ihm, der die Weisheit in Person ist und der uns „zur Weisheit geworden ist von Gott“ (1Kor 1,30). – Mit einem Wort, wir haben alles in Christus. Gott selbst hat in dem „Menschen Christus Jesus“ vollkommene Befriedigung gefunden, und wirklich, wenn die Person Christi Gott vollkommen befriedigen kann, so wird in ihm auch das sein, was uns befriedigen sollte und befriedigen wird in demselben Maß, wie wir durch die gnädige Wirksamkeit des Heiligen Geistes in Gemeinschaft mit Gott leben.
Der vollkommene Mensch
Der Herr Jesus Christus war der einzige vollkommene Mensch, der je diese Erde betrat. Er war ganz und gar vollkommen: vollkommen in seinen Gedanken, Worten und Werken. In ihm begegneten sich alle moralischen Eigenschaften in göttlichem und darum vollkommenem Verhältnis. Kein einziger Zug überragte die anderen. In ihm war eine überwältigende Majestät mit einer Güte verbunden, die eine vollkommene Freimütigkeit in seiner Gegenwart verlieh. Die Schriftgelehrten und Pharisäer traf sein vernichtender Tadel, während die arme Samariterin und die „große Sünderin“ sich in einer unerklärlichen, unwiderstehlichen Weise zu ihm hingezogen fühlten. Nicht ein Charakterzug verdrängte den anderen. Alles befand sich in einem schönen und angemessenen Ebenmaß. Wir können dies in jedem Abschnitt seines Lebens wahrnehmen. Er konnte bezüglich der hungernden Volksmenge sagen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Mt 14,16), und dann, als sie gesättigt waren: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verdirbt!“ (Joh 6,12). Freigebigkeit und Sparsamkeit sind hier beide vollkommen.
Die eine tut der anderen keinen Abbruch. Die Hungrigen konnte Er nicht ungesättigt fortschicken noch konnte Er zugeben, dass ein einziges Bröckchen von der Gabe Gottes verschwendet würde. Mit freigebiger Hand begegnet Er den Bedürfnissen der menschlichen Familie, aber war dieses geschehen, so wollte Er jedes Krümchen aufgelesen wissen. Dieselbe Hand, die für alle menschliche Not geöffnet war, war fest geschlossen gegen jede Art von Verschwendung.
Welch eine Lektion für uns! Wie leicht artet unsere Freigebigkeit in Verschwendung aus, und wie oft äußert sich andererseits in unserer Sparsamkeit Geldliebe und ein habsüchtiger Geist! Oft verschließen wir unsere Herzen vor offenbaren Bedürfnissen, während wir zu anderer Zeit auf unbesonnene und leichtfertige Art das verschleudern, was manchen unserer Not leidenden Mitmenschen hätte helfen können. Lasst uns sorgfältig das göttliche Gemälde betrachten, das uns in dem Leben des „Menschen Christus Jesus“ vor Augen gestellt wird!
Betrachte ihn im Garten Gethsemane! Dort kniet Er in der Tiefe einer Demut, die niemand außer ihm zur Schau tragen konnte. Aber gegenüber der Bande des Verräters zeigt Er eine Majestät, vor der die Feinde zurückweichen und zu Boden stürzen. Sein Verhalten Gott gegenüber ist Unterwürfigkeit, sein Verhalten seinen Richtern und Anklägern gegenüber unbeugsame Würde. Alles ist vollkommen. Die Selbstverleugnung und die Autorität, die Erniedrigung und die Würde, alles ist göttlich. Dieselbe Vollkommenheit finden wir, wenn wir die Harmonie in seinen Beziehungen zu Gott und zu den Menschen betrachten. Er konnte sagen: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Und zu derselben Zeit konnte Er mit nach Nazareth hinabgehen und dort ein Beispiel vollkommener Unterwürfigkeit unter die elterliche Autorität geben (s. Lk 2,49-51). Er konnte zu seiner Mutter sagen: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?“ (Joh 2,4), und doch mitten in den Qualen des Kreuzes diese Mutter zärtlich der Fürsorge seines geliebten Jüngers anbefehlen. Im ersten Fall sonderte Er sich im Geist eines vollkommenen Nasiräertums ab, um den Willen seines Vaters zu erfüllen, während Er im letzten den zärtlichen Gefühlen seines vollkommenen menschlichen Herzens Ausdruck gab. Die Widmung des Nasirs und die Liebe des Menschen, beides war vollkommen. Keines beeinträchtigte das andere. Jedes leuchtete mit ungetrübtem Glanz in dem ihm eigenen Bereich.
Nun, den Schatten oder das Bild dieses vollkommenen Menschen erblicken wir in dem „Feinmehl“ (V. 1), das die Grundlage des Speisopfers bildete. Nicht ein einziges grobes Körnchen war in dem Mehl zu finden. Da war nichts uneben, nichts ungleich, nichts erschien rau bei der Berührung. Welcher Druck auch von außen kommen mochte, immer blieb die Außenseite glatt. Keine Umstände, keine Verwicklungen der schwierigsten Art vermochten den Herrn je aus der Fassung zu bringen. Er brauchte niemals einen Schritt zurückzugehen oder ein Wort zu widerrufen. Er begegnete allem, was auch kommen mochte, mit jener Gleichmäßigkeit, die so treffend durch das „Feinmehl“ dargestellt wird.
Es ist kaum nötig, zu bemerken, dass Er in dem allem einen entschiedenen Gegensatz zu seinen geehrtesten und ergebensten Dienern bildete. So z. B. redete Mose, obwohl er „sehr sanftmütig war, mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren“ (4Mo 12,3), dennoch „unbedacht mit seinen Lippen“ (Ps 106,33). Wir finden bei Petrus zu gewissen Zeiten einen übertriebenen Eifer und zu anderer Zeit eine Feigheit, die vor einem klaren Zeugnis und der Schmach zurückschreckte. Er rühmte sich einer Ergebenheit, die ihn, wenn die Zeit des Handelns kam, im Stich ließ. Johannes, der in so reichem Maß die Atmosphäre der unmittelbaren Gegenwart Christi einatmete, zeigte zuweilen einen unduldsamen Geist. Auch in Paulus, dem ergebenen Diener, bemerken wir beträchtliche Ungleichheiten. Er ließ sich vor dem Hohenpriester zu Worten hinreißen, die er widerrufen musste. Er sandte den Korinthern einen Brief, über den er zuerst Reue fühlte, der ihn aber nachher nicht gereute. In allen finden wir irgendein Gebrechen, ausgenommen in dem „Ausgezeichneten vor Zehntausenden“, „an dem alles lieblich ist“ (Hld 5,10.16).