Behandelter Abschnitt 3Mo 1,5
Die Stellung des Priesters
„Und er soll das junge Rind schlachten vor dem Herrn; und die Söhne Aarons, die Priester, sollen das Blut herzubringen und das Blut ringsum an den Altar sprengen, der am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft ist“ (V. 5). Beim Betrachten der Lehre von dem Brandopfer müssen wir uns immer wieder daran erinnern, dass der wichtige Punkt, um den es sich handelt, nicht der ist, dem Bedürfnis des Sünders zu begegnen, sondern Gott das darzubringen, was ihm unendlich wohlgefällig war.
Christus, wie Er in dem Brandopfer dargestellt wird, ist nicht für das Gewissen des Sünders, sondern für das Herz Gottes. Ferner ist das Kreuz im Brandopfer nicht die Darstellung der Hassenswürdigkeit der Sünde, sondern der unerschütterlichen und unwandelbaren Hingabe Christi an den Vater. Auch ist es nicht der Schauplatz des über Christus, den Sündenträger, ausgegossenen Zorns Gottes, sondern des unvermischten Wohlgefallens des Vaters an Christus als dem freiwilligen und herrlich duftenden Opfer. Schließlich ist die im Brandopfer dargestellte „Versöhnung“ nicht nur den Forderungen des menschlichen Gewissens angemessen, sondern auch dem Verlangen des Herzens Christi, den Willen Gottes zu erfüllen und die Ratschlüsse Gottes zu bestätigen – ein Verlangen, das ihn drängte, sein fleckenloses, kostbares Leben als ein „freiwilliges Opfer zum lieblichen Geruch“ hinzugeben.
Keine Macht der Erde oder der Hölle, der Menschen oder der Teufel vermochte ihn in der Ausführung dieses Verlangens zu erschüttern. Als Petrus in seiner Unwissenheit ihm durch die Worte falscher Zärtlichkeit: „Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren!“, abzuraten suchte, den Weg der Schande und der Erniedrigung bis ans Kreuz zu gehen, lautete die Antwort des Herrn „Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist“ (Mt 16,22.23). Ebenso sagt Er bei einer anderen Gelegenheit zu seinen Jüngern: „Ich werde nicht mehr vieles mit euch reden, denn der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber damit die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat“ (Joh 14,30.31). Diese und viele andere verwandte Schriftstellen zeigen uns das Werk Christi von dem Gesichtspunkt des Brandopfers aus. Der erste Gedanke ist hier, dass Christus „sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat“.
In völliger Übereinstimmung mit allem, was bezüglich dieser besonderen, im Brandopfer dargestellten Wahrheit angeführt worden ist, steht die Stellung, die den Söhnen Aarons angewiesen war, sowie die ihnen aufgetragenen Verrichtungen. Sie „sprengen das Blut“, sie „legen das Feuer auf den Altar“, sie „richten das Holz zu auf dem Feuer“, und sie „richten die Stücke, den Kopf und das Fett zu auf dem Holz über dem Feuer, das auf dem Altar ist“ (V. 5–8). Das sind bedeutsame Handlungen, und sie bilden einen beachtenswerten Zug des Brandopfers, im Gegensatz zum Sündopfer, bei dem die Söhne Aarons gar nicht erwähnt werden. „Die Söhne Aarons“ stellen die Versammlung dar, jedoch nicht als den „einen Leib“, sondern als ein priesterliches Haus. Das ist leicht zu verstehen. Wenn Aaron ein Bild von Christus war, so war das Haus Aarons ein Bild von dem Haus Christi.
Wir lesen daher in Hebräer 3,6: „Christus aber als Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind . . . “ Und wiederum: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat“ (Heb 2,13). Es ist das Vorrecht der Versammlung, geleitet und belehrt durch den Heiligen Geist, diese Seite der Person Christi, die am Anfang des dritten Buches Mose bildlich dargestellt wird, zu betrachten und sich daran zu erfreuen. „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater“ (1Joh 1,3), der uns in seiner Huld einlädt, seine Gedanken über Christus zu teilen. Freilich können wir uns niemals zu der Höhe jener Gedanken erheben, aber durch die Kraft des in uns wohnenden Heiligen Geistes können wir mit Gott Gemeinschaft darin haben. Es handelt sich hier nicht um die Beruhigung des Gewissens durch das Blut Christi als des Sündenträgers, sondern um die Gemeinschaft mit Gott im Blick auf die vollkommene Hingabe Christi am Kreuz. „Die Söhne Aarons, die Priester, sollen das Blut herzubringen und das Blut ringsum an den Altar sprengen, der am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft ist“ (V. 5).
Hier haben wir ein Bild von der Versammlung, die ein vollbrachtes Opfer in Erinnerung bringt und es an der Stätte eines persönlichen Hinzunahens zu Gott darbringt. Doch müssen wir uns erinnern, dass es das Blut des Brandopfers und nicht das des Sündopfers ist. Es ist die Versammlung, die in der Kraft des Heiligen Geistes die erhabene vollkommene Hingabe Christi an Gott betrachtet, nicht ein überführter Sünder, der beginnt, den Wert des Blutes des Sündenträgers zu erkennen. „Die Söhne Aarons“ stellen nicht überführte Sünder, sondern anbetende Heilige dar. Als Priester haben sie es mit dem Brandopfer zu tun. Viele irren in diesem Punkt. Sie meinen dass, wenn man – eingeladen durch die Gnade Gottes und fähig gemacht durch das Blut Christi – den Platz eines Anbeters einnimmt, man sich dadurch weigere, sich als einen armen, unwürdigen Sünder zu erkennen. Das ist ein großer Irrtum. Der Gläubige ist in sich selbst gar nichts, aber in Christus ist er ein gereinigter Anbeter. Nicht als ein schuldiger Sünder, sondern als ein anbetender Priester steht er im Heiligtum, und zwar bekleidet mit „Kleidern zur Herrlichkeit und zum Schmuck“ (2Mo 28,2). In Gottes Gegenwart mit meiner Schuld beschäftigt zu sein ist nicht Demut, sondern Unglaube im Blick auf das Opfer.
Sühnung
Der Gedanke des Sündentragens, der Zurechnung der Sünde und des Zorns Gottes kommt also in dem Brandopfer durchaus nicht zum Ausdruck. Zwar lesen wir: „Es wird wohlgefällig für ihn sein, um Sühnung für ihn zu tun“ (V. 4). In diesem Fall ist es nicht nur eine Sühnung im Blick auf die Tiefe und Größe der menschlichen Schuld, sondern gemäß der Vollkommenheit der Hingabe Christi an Gott und der Größe der Freude Gottes an Christus. Das ist der höchste Begriff der Versöhnung. Wenn ich Christus als das Sündopfer betrachte, so sehe ich eine Sühnung vollbracht gemäß den Ansprüchen der göttlichen Gerechtigkeit hinsichtlich der Sünde. Betrachte ich aber die Sühnung in dem Brandopfer, so entspricht sie dem Maß der Willigkeit und Fähigkeit Christi, den Willen Gottes zu erfüllen, sowie dem Maß des Wohlgefallens Gottes an Christus und seinem Werk. Wie vollkommen muss eine Versöhnung sein, die die Frucht der Hingabe Christi an Gott ist! Könnte es etwas Höheres geben? Sicher nicht. Gerade die Brandopferseite des Versöhnungswerkes ist es wohl, welche die priesterliche Familie in den Vorhöfen des Hauses Gottes für immer beschäftigen wird.