Behandelter Abschnitt 3Mo 1,4
Der Opfernde macht sich eins mit seinem Opfer
„Und er soll seine Hand auf den Kopf des Brandopfers legen, und es wird wohlgefällig für ihn sein, um Sühnung für ihn zu tun“ (V. 4). Die Handlung des Handauflegens war der Ausdruck eines völligen Sicheinsmachens. Diese Handlung machte den Opfernden und das Opfer zu einer Einheit und übertrug so auf den Opfernden die volle Annehmlichkeit seines Opfers. Die Anwendung hiervon auf Christus und den Gläubigen stellt eine kostbare Wahrheit dar, eine Wahrheit, die im Neuen Testament ausführlich entwickelt ist, nämlich das ewige Einssein des Gläubigen mit Christus und seine Annahme in Christus. „Wie er ist, sind auch wir in dieser Welt.“ – „Wir sind in dem Wahrhaftigen“ (1Joh 4,17; 5,20). Etwas Geringeres als das würde uns nichts nützen.
Der Mensch, der nicht in Christus ist, befindet sich noch in seinen Sünden. Einen Mittelweg gibt es hier nicht. Du bist entweder in Christus oder du bist nicht in ihm. Teilweise in ihm zu sein, ist unmöglich. Wenn nur eine Haarbreite zwischen dir und ihm ist, so stehst du noch unter dem Zorn und der Verdammnis. Aber andererseits, wenn du in ihm bist, so bist du „wie er ist“ vor Gott und wirst trotz Gottes unendlicher Heiligkeit von ihm so betrachtet. Das ist die einfache Belehrung des Wortes Gottes. „Ihr seid vollendet in ihm“, „begnadigt in dem Geliebten“, „Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen.“ – „Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm“ (Kol 2,10Eph 1,6; 5,30; 1Kor 6,17). Es ist nicht möglich, dass das Haupt auf einer Stufe der Huld Gottes steht und die Glieder auf einer anderen.
Nein, das Haupt und die Glieder sind eins. Gott betrachtet sie als eins, und darum sind sie eins. Diese Wahrheit bildet gleichzeitig die Grundlage des höchsten Vertrauens und der tiefsten Demut. Sie gibt die volle Gewissheit der „Freimütigkeit am Tag des Gerichts“ (1Joh 4,17), weil es unmöglich ist, dass ihm, mit dem wir einsgemacht sind, irgendetwas zur Last gelegt werden könnte. Sie verleiht uns ein tiefes Gefühl von unserem eigenen Nichts, weil unsere Vereinigung mit Christus auf den Tod der Natur und auf die gänzliche Vernichtung aller ihrer Forderungen und Ansprüche gegründet ist.
Da nun also das Haupt und die Glieder in derselben Stellung unendlicher Gunst und Huld vor Gott betrachtet werden, so ist es vollkommen klar, dass sich alle Glieder in derselben Huld, in derselben Errettung, in demselben Leben und in derselben Gerechtigkeit befinden. Es gibt keine Grade oder Stufen in der Rechtfertigung. Das Kind in Christus steht in derselben Rechtfertigung wie der Gläubige, der auf eine fünfzigjährige Erfahrung zurückblicken kann. Der eine wie der andere befindet sich in Christus, und so wie dies der einzige Grund des Lebens ist, so ist es auch der einzige Grund der Rechtfertigung. Es gibt weder zwei Arten des Lebens noch zwei Arten der Rechtfertigung. Freilich gibt es verschiedene Grade im Genuss dieser Rechtfertigung, verschiedene Grade in der Erkenntnis ihrer Fülle und Tragweite und verschiedene Stufen in der Fähigkeit, ihre Kraft auf Herz und Leben anzuwenden. Diese Dinge werden oft mit der Rechtfertigung selbst verwechselt, die, da sie göttlich ist, notwendigerweise auch ewig, unumschränkt und unveränderlich sein muss und durch die Unbeständigkeit menschlicher Gefühle und Erfahrungen durchaus nicht erschüttert werden kann.
Es gibt ferner keinen Fortschritt in der Rechtfertigung. Der Gläubige ist heute nicht mehr gerechtfertigt, als er es gestern war, noch wird er es morgen mehr sein, als er es heute ist. Ja eine Seele, die „in Christus Jesus“ ist, ist so vollkommen gerechtfertigt, als wenn sie schon vor dem Thron Gottes stände. Sie ist „vollendet in Christus“. Sie ist „wie“ Christus. Sie ist nach Christi eigener Erklärung „ganz rein“ (Joh 13,10). Was könnte sie diesseits der Herrlichkeit mehr sein? Sie kann und wird, wenn sie im Geist wandelt, in dem Gefühl und in dem Genuss dieser herrlichen Wirklichkeiten Fortschritte machen. Aber was die Sache selbst betrifft, so geht der Gläubige in demselben Augenblick, da er durch die Kraft des Heiligen Geistes dem Evangelium glaubt, aus dem Zustand der Ungerechtigkeit und der Verdammnis in den Zustand der Gerechtigkeit und der Gunst Gottes über. Alles gründet sich auf die göttliche Vollkommenheit des Werkes Christi, genau wie beim Brandopfer der Anbeter durch und in seinem Opfer angenommen wurde und Gott wohlgefällig war. Es handelte sich nicht um das, was er war, sondern einfach um das, was sein Opfer war. „Es wird wohlgefällig für ihn sein, um Sühnung für ihn zu tun.“