Behandelter Abschnitt 3. Mose 1,6-8
Die Zubereitung des Opfers
„Und er soll dem Brandopfer die Haut abziehen und es in seine Stücke zerlegen“ (V. 6). Die zeremonielle Handlung des „Hautabziehens“ ist besonders bezeichnend. Es war die Wegnahme der äußeren Hülle, um das Innere vollständig bloßzulegen. Es genügte nicht, dass das Äußere des Opfers „fehlerlos“ war, auch die „verborgenen Teile“ mussten enthüllt werden, damit jede Sehne und jedes Glied gesehen werden konnte. Nur bei dem Brandopfer wird diese Handlung besonders genannt. Es steht dies in Übereinstimmung mit seinem Charakter und dient dazu, die Tiefe der Hingabe Christi an den Vater darzustellen. Es war bei ihm kein oberflächliches Werk. Je mehr die Geheimnisse seines inneren Lebens entfaltet und die Tiefen seines Wesens erforscht wurden, umso klarer trat es ans Licht, dass reine Ergebung in den Willen des Vaters und ernstes Verlangen, ihn zu verherrlichen, die Quellen des Handelns in dem großen Gegenbild des Brandopfers waren. Er war in der Tat ein ganzes Brandopfer. „Und er soll es in seine Stücke zerlegen.“ Diese Handlung stellt uns eine ähnliche Wahrheit vor Augen wie die, welche uns in dem „wohlriechenden, kleingestoßenen Räucherwerk“ gelehrt wird (3Mo 16,12).
Es ist die Freude des Heiligen Geistes, bei der Lieblichkeit und dem Wohlgeruch des Opfers nicht nur als Ganzes, sondern auch in seinen kleinsten Einzelheiten betrachtet, zu verweilen. Beschäftigen wir uns mit dem Brandopfer als einem Ganzen, so sehen wir es „ohne Fehl“, betrachten wir es in seinen einzelnen Teilen, so finden wir dasselbe. So war Christus, und so wird Er uns in diesem wichtigen Bild vor Augen geführt. „Und die Söhne Aarons, die Priester, sollen Feuer auf den Altar legen und Holz auf dem Feuer zurichten; und die Söhne Aarons, die Priester, sollen die Stücke, den Kopf und das Fett auf dem Holz zurichten über dem Feuer, das auf dem Altar ist“ (V. 7.8). Das war in der Tat eine hohe Stellung für die priesterliche Familie. Das Brandopfer wurde ganz und gar Gott geopfert. Alles wurde auf dem Altar verbrannt1. Der Mensch hatte keinen Anteil daran, aber die Söhne Aarons, des Priesters, die selbst auch Priester waren, sieht man hier um den Altar Gottes stehen, um die Flamme eines ihm wohlgefälligen Opfers als einen lieblichen Wohlgeruch zu ihm aufsteigen zu lassen.
Das war eine hohe Stellung, eine hohe Art von Gemeinschaft, eine hohe Ordnung des priesterlichen Dienstes, ein treffendes Bild der Versammlung, wie sie Gemeinschaft hat mit Gott bezüglich der vollkommenen Erfüllung seines Willens im Tod Christi. Als überführte Sünder schauen wir auf das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus und erblicken darin das, was unserem Bedürfnis völlig entspricht, und von dieser Seite betrachtet, gibt das Kreuz dem Gewissen vollkommenen Frieden. Dann aber, als Priester, als gereinigte Anbeter, als Glieder der priesterlichen Familie, können wir das Kreuz in einem anderen Licht betrachten, nämlich als die Vollendung des Vorsatzes Christi, den Willen des Vaters selbst bis zum Tod zu erfüllen. Als überführte Sünder stehen wir an dem ehernen Altar und finden Frieden durch das Blut der Versöhnung, aber als Priester stehen wir an ihm, um die Vollkommenheit jenes Brandopfers, die vollkommene Hingabe und Darbringung des einen Fleckenlosen an Gott, zu betrachten und zu bewundern.
Wir würden ein sehr unvollkommenes Verständnis von dem Geheimnis des Kreuzes haben, wenn wir in ihm nur das sehen würden, was die Bedürfnisse des Menschen als Sünder befriedigen kann. Es waren Tiefen in diesem Geheimnis, die nur der Geist Gottes ergründen konnte. Wenn der Heilige Geist uns eine bildliche Darstellung von dem Kreuz gibt, so zeigt diese zuerst das Kreuz in seiner Bedeutung für Gott. Das allein schon wäre genügend, uns zu überzeugen, dass im Kreuz Höhen und Tiefen enthalten sind, die der Mensch nie erreichen kann. Er mag sich jener wunderbaren Quelle der Freude nahen und unaufhörlich trinken, er mag das höchste Sehnen seines Geistes stillen, er mag das Kreuz mit der ganzen Kraft der erneuerten Natur erforschen – und doch gibt es im Kreuz etwas, das nur Gott allein zu erkennen und zu würdigen vermag. Daher kommt es, dass das Brandopfer den ersten Platz einnimmt.
Es stellt den Tod Christi dar, so wie er von Gott allein geschaut und geschätzt wird. Und sicher könnten wir ein solches Bild nicht entbehren, denn es gibt uns nicht nur die höchste Sicht von dem Tod Christi, sondern auch einen sehr schönen Gedanken bezüglich des besonderen Interesses Gottes an diesem Tod. Schon die Tatsache, dass Er ein Bild vom Tod Christi einsetzte, das ausschließlich die Bedeutung dieses Opfers für ihn zum Ausdruck bringt, könnte ein ganzes Buch voll Belehrung für ein geistlich gesinntes Herz füllen.
Doch obwohl weder Mensch noch Engel die Tiefen der Geheimnisse des Todes Christi völlig zu ergründen vermögen, so können wir doch wenigstens einige Züge darin erkennen, die ihn dem Herzen Gottes über alle Maßen kostbar machen mussten. Am Kreuz sammelte Gott die reichsten Früchte der Herrlichkeit ein. Auf keine andere Weise hätte Er so verherrlicht werden können wie durch den Tod Christi. In Christi freiwilliger Hingabe in den Tod strahlt die göttliche Herrlichkeit in ihrem vollen Glanz. Auch wurde hierdurch die unerschütterliche Grundlage zur Ausführung aller göttlichen Ratschlüsse gelegt. Wie trostreich ist diese Wahrheit! Die Schöpfung hätte niemals eine solche Grundlage bieten können. Überdies schuf das Kreuz einen Kanal, durch den die göttliche Liebe fließen kann, ohne dass der Gerechtigkeit Gottes Abbruch geschieht.
Endlich ist auch Satan durch das Kreuz auf ewig zuschanden gemacht, Fürstentümer und Gewalten sind öffentlich zur Schau gestellt worden (Kol 2,15). Das sind herrliche, durch das Kreuz hervorgebrachte Früchte, und wenn wir daran denken, so können wir auch verstehen, warum eine bildliche Darstellung des Kreuzes ausschließlich im Hinblick auf Gottes Ansprüche und Gottes Wohlgefallen gegeben worden ist und warum dieses Bild den vornehmsten Platz einnehmen musste.
1 Es mag bei dieser Gelegenheit gut sein, zu bemerken, dass das hebräische, hier durch „räuchern“ übersetzte Wort ein ganz anderes ist, als das beim Sündopfer gebrauchte. Da der Gegenstand von besonderem Interesse ist, möchte ich auf einige Stellen hinweisen, in denen jenes Wort vorkommt. Das beim Brandopfer gebrauchte Wort bezeichnet „Weihrauch“ oder „Weihrauchverbrennen“, „räuchern“, und kommt an vielen Stellen in der einen oder anderen Form vor. So z. B. 2. Mose 30,1: „Und du sollst einen Altar machen zum „Räuchern des Räucherwerks.“ Psalm 66,15: „samt Räucherwerk von Widdern.“ Jeremia 44,21: „Das Räuchern, womit ihr in den Städten Judas . . . geräuchert habt.“ Hohelied 3,6: „wie Rauchsäulen, durchduftet von Myrrhe und Weihrauch.“ Eine ganze Reihe ähnlicher Fälle könnte noch angeführt werden, aber diese werden genügen, um den Gebrauch des Wortes zu zeigen. Das Wort dagegen, das in Verbindung mit dem Sündopfer gebraucht und dort durch „verbrennen“ übersetzt ist, bezeichnet ein Verbrennen im Allgemeinen und kommt u. a. in folgenden Stellen vor: 1. Mose 11,3: „Wohlan, lasst uns Ziegel streichen und hart brennen.“ 3. Mose 10,16: „Und Mose suchte eifrig den Bock des Sündopfers, und siehe, er war verbrannt.“
2. Chronika 16,14: „Und man veranstaltete für ihn einen sehr großen Brand.“ Das Sündopfer wurde also nicht nur an einem besonderen Platz verbrannt, sondern es ist auch durch den Heiligen Geist ein besonderes Wort gewählt worden, um sein Verbrennen auszudrücken↩︎