Behandelter Abschnitt 3Mo 1,3
Christus opfert sich selbst Gott
In dem Brandopfer, mit dem unser Buch beginnt, haben wir ein Bild von Christus als dem, der „sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat“ (Heb 9,14). Daher räumt der Heilige Geist ihm diesen bevorzugten Platz ein. Als der Herr Jesus Christus erschien, um das Werk der Erlösung zu vollbringen, war die Verherrlichung Gottes sein erhabenster Zweck. „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“, war der große Wahlspruch, der in jeder Handlung und in allen Umständen seines Lebens zum Ausdruck kam, aber nirgends ausgeprägter als in dem Werk am Kreuz. Was der Wille Gottes auch sein mochte – Er kam, um ihn zu tun. Wir wissen, was uns durch die Erfüllung dieses Willens zuteilgeworden ist, denn durch ihn sind wir „geheiligt durch das ein für alle Mal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Heb 10,7.10).
Dennoch war die erste und vornehmste Richtung des Werkes Christi zu Gott hin. Es war für ihn eine unaussprechliche Wonne, den Willen Gottes auf dieser Erde zu erfüllen. Niemand hatte dies je zuvor getan. Wohl hatten einige durch die Gnade getan, „was recht war in den Augen Gottes“, aber niemals hatte jemand vollkommen, unveränderlich, von Anfang bis Ende, ohne Zögern und ohne Abweichen den Willen Gottes erfüllt. Das aber war es, was der Herr Jesus tat. „Er wurde gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). „Er stellte sein Angesicht fest, nach Jerusalem zu gehen“ (Lk 9,51). Und als Er aus dem Garten Gethsemane zum Kreuz auf Golgatha ging, drückte sich die völlige Ergebenheit seines Herzens in den Worten aus: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh 18,11).
Die Vorbilder im dritten Buch Mose
Wirklich, in all dieser selbstverleugnenden Hingabe an Gott gab es einen köstlichen Wohlgeruch. Ein vollkommener Mensch auf der Erde, der den Willen Gottes selbst im Tod erfüllte, war für den Himmel ein Gegenstand von größtem Interesse. Wer als nur Gott konnte die Tiefen jener Hingabe am Kreuz ergründen? In dieser, wie in jeder anderen Beziehung steht es fest, dass „niemand den Sohn erkennt als nur der Vater“ (Mt 11,27). Der Verstand des Menschen kann zu einem gewissen Grad irgendeinen Gegenstand des Wissens „unter der Sonne“ erfassen.
Menschliche Wissenschaft kann von menschlichem Verstand erfasst werden, aber niemand erkennt den Sohn, als nur insoweit der Vater ihn durch die Kraft des Heiligen Geistes mittels des geschriebenen Wortes offenbart. Der Heilige Geist liebt es, den Sohn zu offenbaren – von den Dingen Jesu zu nehmen und sie uns zu verkünden. Diese Dinge besitzen wir in ihrer ganzen Fülle und Schönheit im Wort. Es kann keine neue Offenbarung stattfinden, weil der Heilige Geist „alles den Aposteln in Erinnerung“ brachte und sie in „alle Wahrheit“ leitete. Über „alle Wahrheit“ hinaus kann es nichts geben, und deshalb bedeutet jeder Anspruch auf eine neue Offenbarung und die Enthüllung einer neuen sogenannten Wahrheit, die in dem inspirierten Wort nicht enthalten ist, nur eine Anstrengung von menschlicher Seite, dem noch etwas beizufügen, was Gott „alle Wahrheit“ nennt. Ohne Zweifel kann der Heilige Geist eine im Wort enthaltene Wahrheit mit neuer Kraft entfalten und anwenden, aber das ist etwas ganz anderes, als außerhalb des Bereichs göttlicher Offenbarung Grundsätze, Gedanken oder Lehrsätze entdecken zu wollen, die das Gewissen beherrschen sollen. Das kann nur als eine gottlose Vermessenheit betrachtet werden.
In den Evangelien finden wir Christus in den verschiedenen Seiten seines Charakters, seiner Person und seines Werkes dargestellt. Zu diesen kostbaren Schriften hat sich das Volk Gottes zu allen Zeiten hingewandt, um sich zu erfreuen an den himmlischen Offenbarungen des Gegenstandes ihrer Liebe und ihres Vertrauens, dem sie alles für Zeit und Ewigkeit zu verdanken haben. Aber es sind nur verhältnismäßig wenige dahin geleitet worden, die Satzungen und Gebräuche der levitischen Haushaltung zu betrachten, die eine so reiche, bis in die kleinsten Einzelheiten gehende Belehrung über dasselbe erhabene Thema bieten.
So sind z. B. die Opfer des dritten Buches Mose meist nur als veraltete Urkunden jüdischer Gebräuche betrachtet worden, die für unsere Ohren eine unverständliche Sprache reden und unserem Verständnis kein geistliches Licht bringen können, während doch zugegeben werden muss, dass diese scheinbar dunklen Berichte ebenso gut ihren Platz unter den „Dingen, die zuvor geschrieben sind“, einnehmen wie die erhabenen Gesänge eines Jesaja und dass sie deshalb „zu unserer Belehrung“ (Röm 15,4) bestimmt sind. Freilich haben wir nötig, diese Urkunden, wie die ganze Heilige Schrift, mit einem demütigen Geist, frei von Anmaßung und Dünkel zu lesen, in ehrerbietiger Abhängigkeit von der Unterweisung dessen, der sie in seiner Gnade für uns hat aufzeichnen lassen, sowie unter aufmerksamer Beachtung des allgemeinen Zwecks, der Bedeutung und inneren Übereinstimmung der gesamten göttlichen Offenbarung; schließlich müssen wir die eigene Einbildungskraft zügeln, damit sie uns nicht in eine unheilige Schwärmerei führt. Wenn wir aber so durch die Gnade die Erforschung der Bilder des dritten Buches Mose beginnen, so finden wir in ihm eine Ader des reinsten Goldes.
Die Herrlichkeit und Würde Christi
Setzen wir jetzt die Untersuchung des Brandopfers fort. Wie bereits bemerkt, stellt es Christus als den dar, der „sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat“ (Heb 9,14). „Wenn seine Opfergabe ein Brandopfer vom Rindvieh ist, so soll er sie darbringen, ein Männliches ohne Fehl“ (V. 3). Die Herrlichkeit und Würde der Person Christi bilden die Grundlage des Christentums. Er teilt diese Herrlichkeit und Würde allem mit, was Er tut, jedem Amt, das Er bekleidet. Kein Amt könnte irgendwie die Herrlichkeit dessen erhöhen, der „Gott ist über alles, gepriesen in Ewigkeit“ (Röm 9,5), „Gott, offenbart im Fleisch“ (1Tim 3,16), der „Emmanuel: Gott mit uns“ (Mt 1,23), das ewige Wort, der Schöpfer und Erhalter des Weltalls. Welches Amt könnte der Würde des über alles Erhabenen noch etwas hinzufügen? Tatsächlich wissen wir, dass alle seine Ämter mit der Tatsache in Verbindung stehen, dass Er Mensch wurde; Er kam hernieder aus jener Herrlichkeit, die Er beim Vater hatte, ehe die Welt war. So sehr erniedrigte Er sich, um Gott vollkommen zu verherrlichen, und zwar inmitten einer Szene, wo ihm alles feindselig gegenüberstand. Er kam, um „verzehrt“ zu werden von einem heiligen, unauslöschlichen Eifer für die Herrlichkeit Gottes und für die Ausführung seiner ewigen Ratschlüsse.
Der Wert des Kreuzes Christi für Gott
Das „Männliche ohne Fehl“ war ein Hinweis auf den Herrn Jesus, wie Er sich selbst opfert für die vollkommene Erfüllung des Willens Gottes. Nichts, was Schwachheit oder Unvollkommenheit ausdrückte, durfte vorhanden sein. „Ein Männliches ohne Fehl“ wurde geopfert. Bei der Betrachtung der anderen Opfer werden wir sehen, dass in einzelnen Fällen ein „weibliches Tier“ erlaubt war. Obwohl dies keineswegs einen Mangel in dem Opfer selbst andeutete, weil es in dem einen wie in dem anderen Fall „ohne Fehl“ sein musste, so diente es doch zum Ausdruck der Unvollkommenheit des Verständnisses des Anbeters. Hier aber sehen wir ein Opfer von der höchsten Ordnung. Es ist Christus, der sich selbst Gott als Opfer darbringt.
Im Brandopfer war Christus ausschließlich für das Auge und das Herz Gottes bestimmt. Dieser Punkt muss gut erkannt und verstanden werden. Gott allein vermochte die Person und das Werk Christi wahrhaft zu schätzen. Er allein konnte das Kreuz in seiner ganzen Fülle würdigen, als den Ausdruck der völligen Hingabe Christi. Das Kreuz, wie es im Brandopfer bildlich dargestellt wird, enthielt ein Element, das nur der göttliche Geist erfassen konnte. Es hatte solch unendliche Tiefen, dass weder ein Sterblicher noch ein Engel sie zu ergründen vermochte. Es redete eine Sprache, die nur für das Ohr des Vaters bestimmt und berechnet war. Es bestanden Verbindungen zwischen dem Kreuz auf Golgatha und dem Thron Gottes, die das höchste Verständnis aller geschaffenen Wesen weit, weit übersteigen. „Am Eingang des Zeltes der Zusammenkunft soll er sie darbringen, zum Wohlgefallen für ihn vor dem Herrn“ (V. 3).
Das Wort „Wohlgefallen“ bringt den erhabenen Gedanken in dem Brandopfer klar ans Licht. Es leitet uns dahin, das Kreuz von einem Gesichtspunkt aus zu betrachten, der selten genügend erfasst wird. Wir sind nur zu sehr geneigt, das Kreuz als die Stätte zu betrachten, wo zwischen der ewigen Gerechtigkeit und dem fleckenlosen Opfer die große Frage der Sünde behandelt und geordnet, wo unsere Schuld gesühnt und Satan siegreich überwunden wurde. Nun, das Kreuz war die Stätte, wo alle diese herrlichen Dinge zu Tatsachen wurden. Aber es war weit mehr als das. Es war auch die Stätte, wo die Liebe Christi zum Vater in einer Sprache Ausdruck fand, die nur der Vater hören und verstehen konnte. Und von dieser Seite wird das Kreuz im Brandopfer dargestellt und deshalb finden wir hier das Wort „Wohlgefallen“. Handelte es sich nur um die Frage der Sündenzurechnung und des Ertragens des Zorns Gottes der Sünde wegen, so würde ein solcher Ausdruck nicht am Platz sein.
Der Herr Jesus konnte, als „zur Sünde gemacht“ (2Kor 5,21), genau genommen, auf kein „Wohlgefallen“ rechnen. Vielmehr war der Zorn und das Verbergen des Angesichtes Gottes sein Teil, und aus dieser einen Tatsache sehen wir deutlich, dass das Brandopfer Christus auf dem Kreuz nicht als den Träger der Sünden, sondern als den Erfüller des Willens Gottes darstellt. Dass Christus selbst das Kreuz von diesen beiden Gesichtspunkten aus betrachtet hat, geht klar aus seinen eigenen Worten hervor. Wenn Er auf das Kreuz als die Stätte des Sündentragens blickt und deshalb die damit verbundenen Schrecken im Voraus empfindet, so lautet sein Notschrei: „Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg . . . “ (Lk 22,42). Er bebte zurück vor dem, was für ihn als den Sündenträger sein Werk in sich schloss. Sein reiner und heiliger Sinn konnte nur mit Schaudern an die Berührung mit der Sünde denken, und sein Herz erzitterte bei dem Gedanken, auch nur für einen Augenblick das Licht des Angesichtes Gottes zu verlieren.
Doch das Kreuz hatte noch eine andere Seite. Es war der Platz, wo Er die tiefen Geheimnisse seiner Liebe zum Vater völlig zum Ausdruck bringen konnte – eine Stätte, wo Er freiwillig und zum „Wohlgefallen“ den Kelch, den der Vater ihm gab, nehmen und bis aufs Letzte leeren konnte. Natürlich war das ganze Leben Christi ein duftender Wohlgeruch, der allezeit zum Thron des Vaters emporstieg. Er tat immer, was dem Vater wohlgefiel, und vollbrachte stets den Willen Gottes. Aber nicht in seinem Leben, so kostbar über alle Begriffe hinaus auch jede Handlung seines Lebens war, stellt ihn das Brandopfer dar, sondern in seinem Tod, und zwar nicht als den, der „ein Fluch für uns geworden ist“ (Gal 3,13), sondern als den, der dem Herzen des Vaters zum unvergleichlichen Wohlgeruch war.
Diese Wahrheit verleiht dem Kreuz von Golgatha eine ganz besondere Anziehungskraft für das geistliche Verständnis. Sie gibt den Leiden unseres Herrn eine Bedeutung, wie sie tiefer nicht gedacht werden könnte. Ohne Zweifel findet der schuldbeladene Sünder in dem Kreuz die Antwort Gottes auf das Sehnen seines Herzens und Gewissens. Der wahre Gläubige entdeckt in dem Kreuz etwas, das jede Zuneigung seines Herzens gefangen nimmt und sein ganzes sittliches Sein fesselt. Für die Engel ist es ein Gegenstand endloser Bewunderung. Alles das ist wahr. Aber es gibt in dem Kreuz noch etwas, das die höchsten Begriffe der Heiligen oder Engel weit übersteigt, nämlich die tiefe Ergebenheit des Sohnes, dargebracht dem Herzen des Vaters und von ihm allein gewürdigt. Das ist die erhabenste Seite des Kreuzes, und sie wird so treffend im Brandopfer bildlich dargestellt.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Schönheit des Brandopfers gänzlich preisgegeben wird, wenn wir der Vorstellung Raum geben, als ob Christus während seines ganzen Lebens Sündenträger gewesen sei.
Ein freiwilliges Opfer
Das Wort „Wohlgefallen“ würde dann ohne Kraft, ohne Wert und Bedeutung sein. Wäre Christus während seines Lebens Sündenträger gewesen und so durch seine eigene Stellung gezwungen worden, sein Leben hinzugeben, so wäre sein Tod eine notwendige, nicht aber eine freiwillige Handlung gewesen. Es gibt in der Tat kein Opfer, dessen Schönheit durch die Behauptung, es habe der Herr Jesus während seines ganzen Lebens die Sünden getragen, nicht zerstört, und dessen Vollkommenheit nicht geschmälert werden würde. Vor allem ist dies bei dem Brandopfer der Fall, weil es sich hier durchaus nicht um das Sündentragen oder um das Ertragen des Zorns Gottes handelt, sondern allein um die freiwillige Hingabe, offenbart in dem Tod am Kreuz. Im Brandopfer erkennen wir ein Vorbild auf Christus, der durch den Heiligen Geist den Willen Gottes, des Vaters, erfüllte. Dies tat Er freiwillig zum Wohlgefallen. „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, damit ich es wiedernehme“ (Joh 10,17).
Hier haben wir den Tod Christi in der Bedeutung des Brandopfers. Andererseits sagt der Prophet, wenn er ihn als das Sündopfer betrachtet: „Sein Leben wird von der Erde weggenommen“ (Apg 8,33). Wiederum sagt Christus: „Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst“ (Joh 10,18). War Er ein Sündenträger, als Er dies sagte? Beachten wir seine Worte! Er sagt: „Niemand“ – weder Mensch noch Engel noch Teufel noch sonst jemand. Es war seine eigene, freiwillige Handlung, sein Leben zu lassen, um es wiederzunehmen. „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust“ (Ps 40,9). Das war die Sprache des göttlichen Brandopfers, die Sprache dessen, der seine unaussprechliche Freude darin fand, sich selbst ohne Flecken Gott zu opfern (Heb 9,14).
Es ist daher sehr wichtig, den vornehmsten Zweck des Herzens Christi in dem Werk der Erlösung klar zu erfassen. Es dient dies zur Befestigung des Friedens des Gläubigen. Die Erfüllung des Willens Gottes, die Bestätigung der Ratschlüsse und Entfaltung der Herrlichkeit Gottes nahmen den höchsten Platz in jenem ergebenen Herzen ein, das alles in Beziehung zu Gott betrachtete und schätzte. Nie beschäftigte sich der Herr Jesus mit der Frage, inwieweit irgendeine Handlung oder irgendein Umstand ihn selbst treffen würde. „Er erniedrigte sich selbst.“ – „Er machte sich selbst zu nichts“ (Phil 2,7.8). Er gab alles auf. Und darum konnte Er am Ende seines Weges auf alles zurückblicken und die Augen gen Himmel richten und sagen: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“ (Joh 17,4).
Es ist unmöglich, das Werk Christi von diesem Gesichtspunkt aus zu betrachten, ohne dass das Herz mit inniger Zuneigung zu seiner Person erfüllt wird. Die Erkenntnis, dass Er auch auf dem Kreuz Gott zu seinem vornehmsten Gegenstand machte, kann unser Bewusstsein von seiner Liebe zu uns nicht im Geringsten beeinträchtigen. Ganz im Gegenteil, denn seine Liebe zu uns und unsere Errettung in ihm konnten nur auf die durch ihn bestätigte Herrlichkeit Gottes gegründet werden. Diese Herrlichkeit muss die unerschütterliche Grundlage von allem bilden. „So wahr ich lebe, soll die ganze Erde von der Herrlichkeit des Herrn erfüllt werden“ (4Mo 14,21). Aber wir wissen, dass die ewige Herrlichkeit Gottes und die ewige Segnung des Geschöpfes in den göttlichen Ratschlüssen untrennbar miteinander verbunden sind, so dass, wenn die Erstere gesichert ist, auch notwendigerweise die Letztere es sein muss.