Behandelter Abschnitt 2. Mose 14,1-12
Der Durchzug durch das Rote Meer
Eine ausweglose Lage
„Die sich auf Schiffen aufs Meer hinabbegeben, auf großen Wassern Handel treiben, diese sehen die Taten des Herrn und seine Wunderwerke in der Tiefe“ (Ps 107,23.24). Vor diesen „großen Wassern“ schrecken wir leicht zurück. Wir ziehen eine Aktivität vor, die mehr an der Oberfläche bleibt, und deshalb merken wir nichts von den „Wunderwerken“ unseres Gottes; denn diese können nur „in der Tiefe“ gesehen werden.
Wenn man in Schwierigkeiten kommt, erfährt man, was für ein Glück es ist, auf Gott rechnen zu dürfen. Wenn alles leicht vonstatten geht, dann meint man, auf die Wirklichkeit und Gegenwart des Herrn nicht so angewiesen zu sein. Der Herr hat uns nicht verheißen, dass wir von Prüfungen und Leiden verschont bleiben sollen. Er sagt uns im Gegenteil, dass wir Trübsalen und Schwierigkeiten begegnen werden. Aber zugleich verheißt Er uns, in den Schwierigkeiten mit uns zu sein, und das ist unendlich viel besser als eine Verschonung von Trübsal. Es ist viel tröstlicher, sein Mitgefühl zu erfahren als seine Macht und Hilfe. Die Gegenwart des Herrn bei seinen treuen Dienern, als sie durch den Feuerofen gingen, war weit besser als die Entfaltung seiner Macht, um sie vor ihm zu bewahren (Dan 3). Wir wünschen uns oft einen Weg ohne Trübsal, aber die Erfüllung dieses Wunsches wird ein großer Verlust für uns sein. Die Gegenwart des Herrn ist nie wohltuender als in Augenblicken großer Schwierigkeiten.
Das erfuhren auch die Israeliten, als es Gott gefiel, sie in eine scheinbar unüberwindliche Schwierigkeit zu bringen. Nachdem der Pharao seine Zustimmung zu ihrem Auszug aus seinem Land bereut hatte, fasste er den Entschluss, sie durch eine letzte, verzweifelte Anstrengung wieder zurückzuführen. „Und er spannte seinen Wagen an und nahm sein Volk mit sich. Und er nahm sechshundert auserlesene Wagen und alle Wagen Ägyptens und Wagenkämpfer auf jedem von ihnen . . . Und als der Pharao näher kam, da erhoben die Kinder Israel ihre Augen, und siehe, die Ägypter zogen hinter ihnen her; und die Kinder Israel fürchteten sich sehr und schrien zu dem Herrn „ (V. 6.7.10).
Das war in der Tat eine schwere Prüfung, in der alle menschlichen Anstrengungen nutzlos waren. Vor ihnen war das Meer, hinter ihnen die Kriegsheere des Pharaos, und auf beiden Seiten erhoben sich die Berge. Und alles war von Gott zugelassen und angeordnet. Er hatte ihnen „bei Pi-Hachiroth, zwischen Migdol und dem Meer, vor Baal-Zephon“ (V.2) ihr Lager angewiesen. Er erlaubte dem Pharao, sie zu verfolgen. Und warum? Um gerade in der Errettung seines Volkes und in der Vernichtung seiner Feinde seine Macht zu offenbaren. „Den, der das Schilfmeer in zwei Teile zerteilte, denn seine Güte währt ewig, und Israel mitten hindurchgehen ließ, denn seine Güte währt ewig, und den Pharao und sein Heer ins Schilfmeer stürzte, denn seine Güte währt ewig“ (Ps 136,13-15).
Das Ziel Gottes
Auf dem ganzen Weg der Erlösten durch die Wüste gibt es keinen einzigen Abschnitt, der nicht in Weisheit und Liebe von Gott vorgeplant wäre. Jede Situation, in die wir kommen, hat ihren Sinn und ihren Einfluss auf uns. Die Orte wie „Pi-Hachiroth“ und „Migdol“ stehen jeweils in Verbindung mit unserem moralischen Zustand und zugleich mit dem Charakter Gottes. Der Unglaube lässt wohl oft die Frage aufkommen: „Warum ist dies oder jenes so?“ Gott weiß es; und zweifellos wird Er diese Frage beantworten, wenn es zu seiner Verherrlichung und zum Wohl seines Volkes dient. Wie oft entsteht bei uns die Frage, warum wir in diese oder jene Umstände gebracht werden. Wie oft mühen wir uns ab, die Ursache von Prüfungen zu erforschen, denen wir ausgesetzt sind. Wie viel besser aber wäre es, wenn wir demütig und vertrauensvoll sagen würden: „Es wird so am besten sein“! Wenn Gott uns in eine Situation bringt, dann können wir sicher sein, dass sie mit Weisheit gewählt und heilsam für uns ist; und selbst wenn wir sie in törichter und eigenwilliger Weise selbst gewählt haben, wird Gott dennoch in seinem Erbarmen unsere Torheit zum Guten wenden und die Folgen unseres selbst gewählten Weges zu unserem geistlichen Wohl mitwirken lassen.
Gerade in den größten Schwierigkeiten können wir die Herrlichkeit Gottes und die Herrlichkeit seiner Wege mit uns erkennen; und Gott führt uns deshalb oft in schwere Prüfungen, damit Er sich umso herrlicher offenbaren kann. Er hätte Israel durch das Rote Meer führen und vor den Kriegsheeren des Pharaos in Sicherheit bringen können, noch bevor diese von Ägypten aufbrachen. Aber dann wäre sein Name nicht so wunderbar verherrlicht und der Feind nicht so vollständig vernichtet worden. Nur zu oft verlieren wir diese große Wahrheit aus dem Auge; und die Folge davon ist, dass wir in Zeiten der Trübsal leicht ermatten. Wenn wir eine schwere Krise nur als eine Gelegenheit zur Entfaltung der Gnade Gottes betrachteten, so würden unsere Seelen im Gleichgewicht bleiben und selbst in den schwierigsten Prüfungen würden wir Gott verherrlichen.
Mangel an Glauben bei den Israeliten
Die Worte der Israeliten bei dieser Gelegenheit erscheinen uns vielleicht erstaunlich und unerklärlich; aber je mehr wir unsere eigenen ungläubigen Herzen kennen, umso mehr finden wir, wie groß die Ähnlichkeit zwischen uns und diesem Volk ist. Sie schienen die so kurz vorher erlebte Entfaltung der Macht Gottes ganz und gar vergessen zu haben. Vor ihren Augen waren die Götter Ägyptens gerichtet worden, die Macht Ägyptens war vernichtet und die Ketten ihrer Sklaverei zerbrochen. Sobald aber eine dunkle Wolke am Horizont erschien, schwand ihr Vertrauen und ihr Unglaube fand seinen Ausdruck in den Worten: „Hast du uns darum, weil in Ägypten keine Gräber waren, weggeholt, damit wir in der Wüste sterben? Was hast du uns da angetan, dass du uns aus Ägypten herausgeführt hast? . . . Denn besser wäre es uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben“ (V. 11.12).
Der Unglaube ist blind und beurteilt die Wege Gottes immer falsch. Das ist zu allen Zeiten so. Der Unglaube verleitete David in einer bösen Stunde, zu sagen: „Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich schnell in das Land der Philister entkomme“ (1Sam 27,1). Und was geschah wirklich? Saul fiel auf dem Gebirge Gilboa und der Thron Davids wurde für immer aufgerichtet. Derselbe Unglaube verleitete Elia in einem Augenblick tiefer Niedergeschlagenheit, sich durch die Flucht vor den Drohungen Isebels in Sicherheit zu bringen.
Und wie endete alles? Isebel wurde auf das Pflaster hinabgestürzt und Elia in einem feurigen Wagen in den Himmel entrückt.
So war es auch mit dem Volk Israel bei der ersten Prüfung, die in der Wüste über sie kam. Sie glaubten wirklich, dass der Herr sie nur deshalb mit solcher Mühe aus Ägypten befreit habe, um sie in der Wüste sterben zu lassen. Sie bildeten sich ein, nur deshalb durch das Blut des Passahlammes vor dem Tod bewahrt worden zu sein, um in der Wüste ihr Grab zu finden. So urteilt der Unglaube! Anstatt die Schwierigkeit im Licht Gottes zu betrachten, deutet er die Gedanken Gottes angesichts der Schwierigkeit. Der Glaube sieht über die Schwierigkeit hinaus und sieht die Treue, Liebe und Macht Gottes. Ein Gläubiger kann ständig in der Gegenwart Gottes sein. Das Blut des Herrn Jesus Christus hat ihn in diese Stellung gebracht und er sollte sich durch nichts von dort verdrängen lassen. Die Stellung selbst kann er niemals verlieren, da Christus, sein Haupt und Stellvertreter, sie für ihn eingenommen hat; aber wie schnell kann er die Freude und die Kraft dieser Stellung verlieren!
Sooft seine Schwierigkeiten sich zwischen ihn und den Herrn drängen, genießt er nicht die Gegenwart des Herrn, sondern er leidet angesichts der Schwierigkeiten; es ist so, als wenn eine Wolke zwischen uns und die Sonne tritt und uns für eine Zeit von ihr trennt. Die Wolke verhindert nicht das Leuchten der Sonne, aber sie nimmt uns die Freude an ihren Strahlen. Genauso ist es, wenn wir den Trübsalen und Sorgen des Lebens erlauben, sich zwischen uns und das Angesicht unseres Vaters zu drängen, der mit unveränderlicher Liebe und Güte auf uns blickt. Es gibt keine Schwierigkeit, die für unseren Gott zu groß wäre. Im Gegenteil, je größer die Schwierigkeit ist, umso mehr bietet sich ihm die Gelegenheit, seine Macht und Gnade zu erweisen. Das Volk Israel war hier allerdings in einer sehr schwierigen und für Fleisch und Blut völlig ausweglosen Lage. Aber auch der Schöpfer des Himmels und der Erde war da, und Israel hätte die Möglichkeit gehabt, seine Kraft einfach in Anspruch zu nehmen.
Doch wie schnell ermatten wir, wenn es gilt, sich in einer Prüfung zu bewähren! Es lässt sich von diesen Dingen so leicht reden und schreiben; und sie sind auch wahr – Gott sei dafür gepriesen! Aber es geht darum, sie auch praktisch auszuführen, wenn die Gelegenheit kommt. Nur in ihrer Verwirklichung erweist sich ihre Kraft und ihr Segen. „Wenn jemand seinen Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist“ (Joh 7,17).