Behandelter Abschnitt 1Mo 3,9
Wo bist du?
Doch Gott sei gepriesen! Es gibt noch etwas anderes als das Bewusstsein von dem, was ich bin. Es ist die Offenbarung dessen, was Gott ist, und dies ist durch den Fall des Menschen ans Licht gebracht worden. Gott hatte sich in der Schöpfung nicht ganz offenbart. Gott hatte seine „ewige Kraft und Göttlichkeit“ gezeigt, aber Er hatte nicht alle tiefen Geheimnisse seiner Natur und seines Charakters mitgeteilt. Deshalb machte Satan einen großen Fehler, als er kam, um sich in die Schöpfung Gottes einzumischen. Er erwies sich nur als das Werkzeug zu seiner Niederlage und seinem Verderben, und seine Gewalttat wird für immer auf seinen eigenen Kopf zurückkehren.
Seine Lüge gab nur den Anlass zur Entfaltung der ganzen Wesensart Gottes. Die Schöpfung hätte nie offenbaren können, was Gott ist. Es gibt unendlich mehr in ihm als Macht und Weisheit. In ihm ist Liebe, Erbarmen, Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte, Zärtlichkeit, Langmut. Wo sonst hätten sich alle diese Eigenschaften entfalten können als in einer Welt von Sündern? Zuerst kam Gott als Schöpfer, und dann, als die Schlange sich anmaßte, sich in die Schöpfung einzumischen, kam Er als Erretter. Dies zeigen uns die ernsten Worte, die Gott der Herr nach dem Fall des Menschen sprach „Und Gott der Herr rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du?“ (V. 9).
Diese Frage bewies zwei Dinge. Sie bewies, dass der Mensch verloren war, und dass Gott gekommen war, um zu suchen. Sie bewies die Sünde des Menschen und die Gnade Gottes. „Wo bist du?“ Welch eine Treue und Gnade! Die Treue zeigte sich, da schon durch die Frage selbst der Zustand des Menschen aufgedeckt wurde. Die Gnade lag darin, dass Gott eine solche Frage überhaupt stellte, wodurch sein wahrer Charakter und seine wahre Stellung gegenüber dem gefallenen Menschen offenbart wurde. Der Mensch war verloren, aber Gott war gekommen, um sich nach ihm umzusehen und ihn aus seinem Versteck herauszuführen, damit er in der glücklichen Zuversicht des Glaubens in ihm einen Bergungsort finden möchte. Das war Gnade. D
en Menschen aus dem Staub der Erde zu erschaffen, war Macht, aber ihn in seinem verlorenen Zustand zu suchen, war Gnade. Doch wer kann alles das ausdrücken, was in dem Gedanken eingeschlossen liegt, dass Gott ein suchender Gott ist? Gott sucht den Sünder. Was konnte Er im Menschen entdecken, das ihn bewog, ihn zu suchen? Dasselbe, was der Hirte in dem verlorenen Schaf, oder was der Vater in dem verlorenen Sohn entdeckte. Der Sünder ist wertvoll für Gott. Warum? Die Ewigkeit allein wird es klarmachen.
Der Mensch vor Gott
Wie aber beantwortete der Sünder die treue und gnädige Frage Gottes? Die Antwort verdeutlicht nur, wie tief das Böse war, in das er gefallen war. „Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, denn ich bin nackt, und ich versteckte mich. Und Er sprach: Wer hat dir mitgeteilt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir geboten habe, nicht davon zu essen? Und der Mensch sagte: Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß“ (V. 10-12).
Der Mensch schob also die Schuld seines traurigen Falls auf die Umstände, in die ihn Gott gestellt hatte, und somit indirekt auf Gott selbst. So macht es der gefallene Mensch immer. Er beschuldigt alle und alles, nur nicht sich selbst. Wo Aufrichtigkeit vorhanden ist, zeigt sich das Gegenteil. „Bin ich es nicht, der gesündigt hat?“, fragt eine wirklich demütige Seele. Hätte Adam sich selbst gekannt, so hätte er ganz andere Worte geredet! Aber er kannte weder sich selbst noch Gott, und deshalb warf er die Schuld auf Gott, anstatt sie allein auf sich zu nehmen.
Das war also die schreckliche Lage des Menschen. Er hatte alles verloren. Seine Herrschaft, seine Würde, sein Glück, seine Reinheit, seinen Frieden, alles war für immer dahin, und das Schlimmste war, dass er Gott die Schuld gab. Da stand er, ein verlorener, verdorbener und schuldiger Sünder, der trotzdem sich selbst rechtfertigte und darum Gott anklagte.
Der Mensch klagt Gott nicht nur als Urheber seines Falls an, sondern er tadelt ihn auch, weil Er ihn nicht wiederhergestellt hat. Wie oft hört man Personen sagen, dass sie nicht glauben könnten, wenn Gott ihnen nicht die Kraft zum Glauben gäbe, und dass sie nicht errettet werden könnten, wenn sie nicht Gegenstände des ewigen Ratschlusses Gottes seien.
Nun kann zwar kein Mensch dem Evangelium glauben, als nur durch die Kraft des Heiligen Geistes, und es ist auch wahr, dass alle, die dem Evangelium glauben, die glücklichen Gegenstände der ewigen Ratschlüsse Gottes sind. Aber setzt dies alles die Verantwortlichkeit des Menschen beiseite, dem einfachen, klaren Zeugnis zu glauben, das ihm das Wort Gottes vor Augen stellt? Nein. Vielmehr zeigt es, dass das Böse im Menschenherzen ihn verleitet, das deutlich offenbarte Zeugnis Gottes zu verwerfen und als Grund dafür den Ratschluss Gottes vorzuschieben, jenes tiefe und nur von ihm selbst gekannte Geheimnis. Doch solche Ausflüchte sind nutzlos, denn wir lesen in 2. Thessalonicher 1,8.9, dass diejenigen, „die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen, Strafe leiden werden, ewiges Verderben“.
Die Menschen sind verantwortlich, dem Evangelium zu glauben, und sie werden bestraft werden, wenn sie nicht glauben. Sie sind nicht verantwortlich, irgendetwas von den Ratschlüssen Gottes zu wissen, insofern diese nicht offenbart sind, und darum kann ihnen wegen einer Unwissenheit in dieser Hinsicht keine Schuld zur Last gelegt werden. Der Apostel konnte zu den Thessalonichern sagen: „wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung“. Wie kannte er sie? Hatte er etwa Zutritt zu den Büchern der geheimen und ewigen Ratschlüsse Gottes? Keineswegs. Aber er sagt: „Denn unser Evangelium war nicht bei euch im Wort allein, sondern auch in Kraft“ (1Thes 1,4.5). Das ist der Weg, zu wissen, ob jemand auserwählt ist. Wo das Evangelium sich in Kraft erweist, da liegt ein klarer Beweis der Auserwählung Gottes vor.
Doch ich zweifle nicht daran, dass diejenigen, die aus den Ratschlüssen Gottes eine Entschuldigung für die Verwerfung des göttlichen Zeugnisses ableiten, nur nach einem Grund suchen, um in der Sünde weiterleben zu können. Sie wollen Gott nicht, und sie wären weit ehrlicher, wenn sie dies klar aussprächen, anstatt ihre Zuflucht zu einer Ausrede zu nehmen, die nicht nur töricht und vergeblich, sondern geradezu gotteslästerlich ist. Eine solche Ausrede wird ihnen inmitten der Schrecken des nahe bevorstehenden Tages des Gerichts nichts nützen.
Aber gerade jetzt begann Gott, sich selbst und die Absichten seiner erlösenden Liebe zu offenbaren, und darin liegt die wahre Grundlage des Friedens und der Segnung des Menschen. Erst wenn der Mensch mit sich selbst zu Ende gekommen ist, kann Gott zeigen, was Er ist. Der Platz muss von dem Menschen und von allen seinen Anmaßungen, leeren Prahlereien und gotteslästerlichen Vernunftschlüssen gereinigt sein, bevor Gott sich offenbaren kann oder will.
Dass das Gewissen den Menschen nicht in Frieden und mit Vertrauen in die Gegenwart Gottes führen kann, ist bereits bemerkt worden. Das Gewissen trieb Adam hinter die Bäume des Gartens. Die Offenbarung brachte ihn in die Gegenwart Gottes. Das Bewusstsein von dem, was er war, erschreckte ihn, die Offenbarung dessen, was Gott war, beruhigte ihn. Das ist trostreich für ein Sünden beladenes Herz. Die Wirklichkeit dessen, was Gott ist, begegnet der Wirklichkeit dessen, was ich bin, und das ist die Errettung.
Es gibt einen Punkt, wo Gott und der Mensch sich begegnen müssen, sei es in Gnade, sei es im Gericht, und dieser Punkt ist da, wo beide offenbart werden, wie sie sind. Glückselig diejenigen, die diesen Punkt in Gnade, aber wehe denen, die ihn im Gericht erreichen! Gott beschäftigt sich mit dem, was wir sind in Übereinstimmung mit dem, was Er ist. Am Kreuz sehe ich Gott in Gnade in die Tiefen meines Zustandes als Sünder hinabsteigen. Diese Erkenntnis gibt mir völligen Frieden. Wenn Gott mir in meinem tatsächlichen Zustand begegnet ist, indem Er selbst ein angemessenes Heilmittel verordnet hat, so ist alles für ewig in Ordnung gebracht. Aber alle, die Gott nicht auf diese Weise im Glauben am Kreuz erblicken, werden ihm einmal im Gericht begegnen müssen, wo Er gemäß dem, was Er ist, sich mit dem, was sie sind, beschäftigen wird.
Von dem Augenblick an, da ein Mensch seinen wirklichen Zustand erkennt, kann er keine Ruhe finden, bis er Gott am Kreuz gefunden hat, und dann ruht er in Gott selbst. Gott ist, gepriesen sei sein Name, die Ruhe und der Bergungsort der gläubigen Seele. Das stellt alle menschlichen Werke und die menschliche Gerechtigkeit an den ihnen gebührenden Platz. Diejenigen, die auf solche Dinge vertrauen, können unmöglich zu einer wahren Erkenntnis über sich selbst gelangt sein. Es ist unmöglich, dass ein lebendig gemachtes Gewissen in irgendetwas anderem Ruhe findet, als in dem vollkommenen Opfer des Sohnes Gottes. Jede Anstrengung, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten, kann nur aus der Unkenntnis über die Gerechtigkeit Gottes hervorgehen.
Adam konnte im Licht des göttlichen Zeugnisses über den „Nachkommen der Frau“ die Wertlosigkeit seines Schurzes aus Feigenblättern erkennen. Die Größe des Werkes, das vollbracht werden musste, erwies die völlige Unfähigkeit des Sünders, es vollbringen zu können. Die Sünde musste weggetan werden. Vermochte das der Mensch, durch den sie gekommen war? Der Kopf der Schlange musste zertreten werden. Vermochte das der Mensch? Nein, er war ein Sklave der Schlange geworden. Die Ansprüche Gottes mussten befriedigt werden. Vermochte das der Mensch? Nein, er hatte sie bereits mit Füßen getreten.
Der Tod musste abgeschafft werden. Vermochte das der Mensch? Nein, er hatte ihn durch die Sünde eingeführt und ihm seinen schrecklichen Stachel verliehen.
Von welcher Seite wir diesen Gegenstand auch betrachten, wir sehen immer die völlige Unfähigkeit des Sünders und folglich die törichte Anmaßung derer, die versuchen, Gott in dem Erlösungswerk behilflich zu sein. In dieser Weise sind alle tätig, die auf einem anderen Weg als nur „durch die Gnade, mittels des Glaubens“ (Eph 2,8) errettet zu werden meinen.
Obwohl Adam, durch die Gnade geleitet, erkennen und fühlen mochte, dass er alles das, was geschehen musste, nie erfüllen konnte, so offenbarte Gott sich doch als der, der im Begriff stand, jedes Jota davon durch den Nachkommen der Frau zu vollbringen. Wir sehen, dass Er gnädig die ganze Sache in seine Hand nahm und sie zu einer Frage zwischen sich und der Schlange machte. Denn obwohl beide, Mann und Frau, berufen wurden, auf verschiedene Weise die bitteren Früchte ihrer Sünden zu ernten, so war es dennoch die Schlange, zu der Gott der Herr sagte: „Weil du dieses getan hast“ (V. 14).
Die Schlange war die Quelle des Verderbens, und der Nachkomme der Frau sollte die Quelle der Erlösung werden. Adam hörte dieses alles und glaubte es, und in der Kraft dieses Glaubens gab er „seiner Frau den Namen Eva, denn sie war die Mutter aller Lebenden“ (V. 20). Das war eine kostbare Frucht des Glaubens an die Offenbarung Gottes. Von einem natürlichen Gesichtspunkt aus betrachtet, hätte Eva die „Mutter aller Sterblichen“ genannt werden müssen. Aber nach dem Urteil des Glaubens war sie die Mutter aller Lebendigen. „Seine Mutter gab ihm den Namen Benoni (Sohn meiner Not); sein Vater aber nannte ihn Benjamin (Sohn des Glücks oder der Rechten)“ (1Mo 35,18).
Die erhaltende Kraft des Glaubens befähigte Adam, die schrecklichen Folgen seiner Tat zu ertragen. Das Erbarmen Gottes erlaubte ihm, die an die Schlange gerichteten Worte anzuhören, bevor er darauf achten musste, was Gott selbst ihm zu sagen hatte. Wäre das nicht so gewesen, so hätte er verzweifeln müssen. Es führt zur Verzweiflung, wenn ich aufgefordert werde, mich selbst anzuschauen, ohne die Möglichkeit zu haben, auf Gott zu blicken, wie Er sich am Kreuz offenbart hat, um mich zu erlösen. Kein Nachkomme des gefallenen Adam würde es ertragen können, mit geöffneten Augen die Wirklichkeit dessen zu sehen, was er ist und was er getan hat, wenn er nicht zu dem Kreuz seine Zuflucht nehmen könnte. Deshalb kann bis zu jenem Ort, wo schließlich alle, die Christus verwerfen, ihr Teil finden werden, kein Hoffnungsstrahl dringen. Dort werden die Augen der Menschen geöffnet werden, aber es wird ihnen nicht möglich sein, Hilfe und Zuflucht in Gott zu finden. Dann wird die Erkenntnis dessen, was Gott ist, hoffnungslose Verdammnis bedeuten, während diese Erkenntnis jetzt ewige Seligkeit umfasst. Die Heiligkeit Gottes wird dann ewig gegen jene Verlorenen sein, während jetzt alle Gläubigen berufen sind, sich ihrer zu erfreuen. Je mehr ich die Heiligkeit Gottes jetzt verstehe, desto mehr erkenne ich meine Sicherheit, aber für die Verlorenen wird gerade jene Heiligkeit die Bestätigung ihrer ewigen Pein sein. Ernster Gedanke!