Behandelter Abschnitt 1. Mose 1,26-28
Mann und Frau - Christus und die Versammlung
Wir kommen jetzt zu dem Platz des Menschen, als gesetzt über die Werke der Hand Gottes. Nachdem alles geordnet war, brauchte die Schöpfung ein Haupt. „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserem Bild, nach unserem Gleichnis; und sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das sich auf der Erde regt! Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bild Gottes schuf er ihn; Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen“ (V. 26-28). Auffallend ist die Abwechslung in den Ausdrücken: „Er schuf ihn“ und „Er schuf sie“. Zwar wird uns erst im nächsten Kapitel die Erschaffung der Frau mitgeteilt, jedoch finden wir hier, dass Gott „sie“ segnet und ihnen gemeinschaftlich den Platz der Regierung über die Erde einräumt.
Alle niedrigeren Ordnungen der Schöpfung werden unter ihre vereinte Herrschaft gestellt. Eva empfing alle ihre Segnungen in Adam. In ihm erlangt sie auch ihre Würde. Obwohl sie noch nicht tatsächlich ins Dasein gerufen war, wurde sie doch in dem Ratschluss Gottes als ein Teil des Mannes betrachtet. „Meinen Keim sahen deine Augen, und in dein Buch waren sie alle eingeschrieben, die Tage, die entworfen wurden, als nicht einer von ihnen war“ (Ps 139,16).
Ebenso ist es mit der Versammlung, der Braut des zweiten Menschen. Sie wurde von Ewigkeit her in Christo, ihrem Haupt und Herrn, gesehen, wie wir in Epheser 1,4 lesen: „Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe“. Bevor noch ein einziges Glied der Versammlung lebte, waren alle schon nach Gottes ewigem Willen „zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein“ (Röm 8,29). Nach den Ratschlüssen Gottes ist die Versammlung notwendig zur Vollendung des geheimnisvollen Menschen. Darum ist sie berufen, „die Fülle dessen zu sein, der alles in allem erfüllt“ (Eph 1,23). Das ist ein wunderbarer Titel. Er enthält die Würde, die Wichtigkeit und die Herrlichkeit der Versammlung.
Man hat sich vielfach daran gewöhnt, die Segnung und Sicherheit einzelner Seelen als das einzige Ziel der Erlösung zu betrachten, aber wie gering und unvollständig ist eine solche Meinung von der Erlösung! Dass wir auch individuell vollkommen sichergestellt sind, unterliegt keinem Zweifel. Dennoch ist das der kleinste Teil der Erlösung. Die Herrlichkeit Christi ist in die Existenz der Versammlung eingeschlossen und damit verbunden, und das ist eine Tatsache von weit höherer Würde und Kraft. Wenn ich nach den Worten der Heiligen Schrift berechtigt bin, mich als einen Bestandteil von dem zu betrachten, was Christus unumgänglich bedarf, so kann ich an der völligen Vorsorge bezüglich meiner persönlichen Bedürfnisse nicht länger zweifeln. Und ist die Versammlung für Christus nicht unumgänglich nötig? Ohne Zweifel. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“ (Kap. 2,18). Und wiederum: „Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau vom Mann; denn der Mann wurde auch nicht um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen . . . Dennoch ist weder die Frau ohne den Mann, noch der Mann ohne die Frau im Herrn. Denn so wie die Frau vom Mann ist, so ist auch der Mann durch die Frau; alles aber von Gott“ (1Kor 11,8-12). Wie ohne Eva eine Lücke in der Schöpfung gewesen wäre, so wäre ohne die Braut, die Versammlung, eine Lücke in der neuen Schöpfung.
Lasst uns jetzt untersuchen, in welcher Weise Eva ins Dasein gerufen wurde. Wir müssen dabei auf den Inhalt des nächsten Kapitels vorgreifen. In der ganzen Schöpfung wurde keine Hilfe für Adam gefunden. Ein „tiefer Schlaf“ musste auf ihn fallen und eine Gefährtin aus ihm selbst gebildet werden, um seine Herrschaft und Segnung zu teilen. „Und Gott der Herr ließ einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er entschlief. Und er nahm eine von seinen Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch; und Gott der Herr baute3 aus der Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, eine Frau, und er brachte sie zu dem Menschen. Und der Mensch sprach: Diese ist nun Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch; diese soll Männin heißen, denn vom Mann ist diese genommen“ (Kap. 2,21-23).
Wenn wir nun Adam und Eva als ein Vorbild von Christus und der Versammlung betrachten, wozu uns die Schrift völlig berechtigt, so sehen wir, dass der Tod Christi eine vollendete Tatsache sein musste, bevor die Versammlung gebildet werden konnte, obwohl sie nach dem Vorsatz Gottes vor Grundlegung der Welt in Christus gesehen und auserwählt wurde. Zwischen dem verborgenen Ratschluss Gottes und seiner Offenbarung und Ausführung besteht ein großer Unterschied. Bevor der Ratschluss Gottes in Bezug auf die Versammlung verwirklicht werden konnte, musste der Sohn verworfen und gekreuzigt werden. Er musste seinen Platz im Himmel einnehmen und, um die Gläubigen zu einem Leib zu taufen, den Heiligen Geist niedersenden. Das heißt natürlich nicht, dass einzelne Seelen nicht schon vor dem Tod Christi lebendig gemacht und errettet worden waren. Ohne Zweifel war das der Fall.
Adam und viele tausend andere im Lauf der Zeiten wurden durch das Opfer Christi errettet, obwohl dieses Opfer noch nicht vollbracht war. Aber die Errettung einzelner Seelen und die Bildung der Versammlung durch den Heiligen Geist sind zwei verschiedene Dinge. Leider wird dieser Unterschied nicht genug beachtet, und selbst da, wo er der Lehre nach verteidigt wird, findet man nur selten die praktischen Ergebnisse, die aus einer so hohen Wahrheit hervorgehen sollten. Der einzigartige Platz der Versammlung, ihr besonderes Verhältnis zu dem „zweiten Menschen“, dem Herrn „vom Himmel“ (1Kor 15,47), ihre besonderen Vorrechte und Würden - alles das würde, wenn es durch die Kraft des Heiligen Geistes aufgenommen und erfasst würde, reiche und liebliche Früchte hervorbringen (s. Eph 5,23-32).
Wenn wir nun das vorliegende Bild betrachten, können wir uns eine gewisse Vorstellung von den Ergebnissen machen, die aus dem Verständnis über die Stellung der Versammlung hervorgehen sollten. Wie viel Liebe schuldete Eva dem Adam! Welche Nähe genoss sie! Wie eng war die Gemeinschaft! Wie nahm sie teil an allen seinen Gedanken! In all seiner Würde, in all seiner Herrlichkeit war sie vollständig eins mit ihm. Er herrschte nicht über sie, sondern mit ihr. Er war Herr der ganzen Schöpfung, und sie war eins mit ihm, ja, sie wurde, wie bereits bemerkt, in ihm gesehen und gesegnet. Um des „Mannes“ willen wurde sie ins Dasein gerufen. Zuerst wurde der Mann geschaffen, dann die Frau in ihm gesehen und aus ihm gebildet.
In Psalm 8 finden wir eine schöne Darstellung des Menschen, den Gott über das Werk seiner Hände gesetzt hat: „Wenn ich anschaue deine Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du auf ihn Acht hast? Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt; und mit Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du unter seine Füße gestellt: Schafe und Rinder allesamt und auch die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was die Pfade der Meere durchzieht“ (Ps 8,4-9). Hier wird uns der Mensch ohne Erwähnung der Frau vorgestellt. Das ist durchaus richtig, denn die Frau wird im Mann gesehen.
In keinem Teil des Alten Testaments finden wir eine direkte Offenbarung des Geheimnisses der Versammlung. Der Apostel sagt ausdrücklich: „Das in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden ist, wie es jetzt offenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten (des Neuen Testaments) im Geist“ (Eph 3,5). Aus diesem Grund wird in Psalm 8 nur der „Mann“ vor unsere Augen gestellt, aber wir wissen, dass Mann und Frau gleichsam unter einer Überschrift betrachtet werden. Dies alles wird in den zukünftigen Zeitaltern sein vollkommenes Gegenbild finden. Dann wird der wahre Mensch, der Herr vom Himmel, seinen Platz auf dem Thron einnehmen und in Gemeinschaft mit seiner Braut, der Versammlung, über eine wiederhergestellte Schöpfung herrschen.
Die Versammlung, die lebendig aus dem Grab Christi hervorging, ist ein Teil von „seinem Leib, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen“. Der Herr Jesus als das Haupt und die Versammlung als der Leib machen einen Menschen aus, wie wir in Kapitel 4 des Epheserbriefes lesen: „Bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (V. 13). Da die Versammlung einen Teil von Christus bildet, wird sie in der Herrlichkeit einen besonderen, nur für sie allein bestimmten Platz einnehmen. Kein anderes Geschöpf stand Adam so nahe wie Eva, denn keins war ein Teil von ihm. Ebenso wird die Versammlung in der zukünftigen Herrlichkeit den allernächsten Platz bei Christus einnehmen.
Doch nicht nur, was die Versammlung sein wird, sondern auch was sie ist, ruft unsere Bewunderung hervor. Sie ist jetzt der Leib Christi. Sie ist jetzt der Tempel, in dem Gott selbst Wohnung gemacht hat. Wenn aber das die gegenwärtige und die zukünftige Würde der Versammlung ist, von der wir durch Gottes Gnade einen Teil bilden, dann geziemt uns ein heiliger, unterwürfiger und abgesonderter Lebensweg.
Möge der Heilige Geist diese Dinge unseren Herzen deutlicher offenbaren, damit sich unser Verantwortungsgefühl immer mehr vertieft, unserer hohen Berufung durch würdiges Verhalten zu entsprechen. „Damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisst, welches die Hoffnung seiner Berufung ist, welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen und welches die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, in der er gewirkt hat in dem Christus, indem er ihn aus den Toten auferweckte; (und er setzte ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern, über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, die sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt;)“ (Eph 1,18-23).
3 Das hebräische Wort, das hier mit „baute“ übersetzt ist, wird in der Septuaginta mit okodomesen wiedergegeben. In Epheser 2,20.22 sind die Worte „aufgebaut“ und „mitaufgebaut“ Ableitungen desselben griechischen Wortes..↩︎