Behandelter Abschnitt Mt 1,1-25
Einleitung
Dieses Evangelium stellt Christus vor uns in dem Charakter des Sohnes Davids und Abrahams, d. h. in Verbindung mit den dem Volk Israel gegebenen Verheißungen, zugleich aber auch als Immanuel, Jehova-Heiland; denn das war der Christus, und Er würde, wenn Er von Israel aufgenommen worden wäre, die Verheißungen erfüllt haben, und Er wird dieselben später zu Gunsten dieses vielgeliebten Volkes erfüllen. Dieses Evangelium ist daher in der Tat die Geschichte der Verwerfung Christi durch das Volk, und folglich die Geschichte der Verurteilung des Volkes selbst, insoweit es seine Verantwortlichkeit betraf (denn die Ratschlüsse Gottes können nimmer ihren Zweck verfehlen), sowie die Darstellung von dem, was Gott seinem Vorsatz gemäß nunmehr einführen wollte.
In dem Maß, wie sich der Charakter des Königs und des Reiches entwickelt und die Aufmerksamkeit der Leiter des Volkes erregt, widersetzen sich dieselben und berauben sowohl sich als auch das ihnen anhangende Volk all der Segnungen, die an die Gegenwart des Messias geknüpft waren. Der Herr kündigt ihnen die Folgen davon an und zeigt seinen Jüngern, welchen Charakter das Reich, nach seiner Verwerfung, hienieden annehmen wird, sowie die Herrlichkeiten, die für Christus und für die Seinigen mit Ihm daraus hervorgehen würden. In seiner Person und im Blick auf sein Werk wird auch die Grundlage der Versammlung offenbart - die Kirche, als durch Ihn selbst gebaut. Mit einem Wort, im Anschluss an seine Verwerfung durch Israel tritt zuerst das Reich vor unsere Blicke, so wie es jetzt ist (Mt 13), dann die Kirche (Mt 16) und endlich das Reich in Herrlichkeit (Mt 17).
Schließlich, nach seiner Auferweckung, werden die Apostel durch den auferstandenen Herrn mit einem neuen Auftrag ausgesandt, der sich an alle Nationen richtet.
Kapitel 1
Der Zweck des Geistes Gottes in diesem Evangelium ist, den Herrn als den einzuführen, der die Verheißungen Israels sowie die Weissagungen, die sich auf den Messias beziehen, erfüllen sollte; und jeder aufmerksame Leser wird sich davon getroffen fühlen, wie oft der Nachweis ihrer Erfüllung geführt wird. Er beginnt daher mit dem Geschlechtsregister des Herrn, indem Er zu dessen Ausgangspunkt David und Abraham wählt, als die beiden Stämme, denen das messianische Geschlechtsregister entsprang und denen die Verheißungen gegeben worden waren. Das Geschlechtsregister ist in drei Abschnitte geteilt, die drei großen Teilen der Geschichte des Volkes entsprechen:
1. von Abraham bis zur Aufrichtung des Königtums in der Person Davids,
2. von dieser Aufrichtung bis zur Gefangenschaft und
3. von der Gefangenschaft bis auf Jesum.
Man wird bemerken, dass der Heilige Geist in diesem Geschlechtsregister schwere Sünden erwähnt, die von Personen begangen wurden, deren Namen angeführt sind, indem Er so die unumschränkte Gnade Gottes verherrlicht, die einen Heiland geben konnte in Verbindung mit Sünden, wie die eines Juda, dann in Verbindung mit einer armen, in die Mitte seines Volkes eingeführten Moabitin, und endlich in Verbindung mit Verbrechen, wie diejenigen Davids.
Das von Matthäus gegebene Geschlechtsregister ist das gesetzliche, d. h. das des Joseph, von welchem Christus nach dem Gesetz der Juden der rechtmäßige Erbe war. Der Evangelist hat drei Könige aus der Verwandtschaft Ahabs weggelassen, um in jedem Abschnitt die 14 Geschlechter zu haben; auch fehlen Joahas und Jojakim, ohne dass jedoch durch diesen Umstand der Zweck des Geschlechtsregisters in irgendeiner Weise berührt würde. Es handelte sich darum, es so zu geben, wie die Juden es anerkannten, und alle diese Könige waren allgemein bekannt.
Matthäus erzählt in Kürze die Ereignisse, die auf die Geburt Jesu Bezug haben, Ereignisse, die nicht allein für die unmittelbar dabei beteiligten Juden, sondern auch für uns von unendlicher und ewiger Wichtigkeit sind, und in denen es Gott wohlgefiel, seine eigene Herrlichkeit mit unserem Interesse, mit dem Menschen, zu verknüpfen. Maria war mit Joseph verlobt. Ihre Nachkommenschaft war folglich, was die Erbschaftsrechte betrifft, gesetzlich diejenige des Joseph; allein das Kind, das sie in ihrem Schoß trug, war göttlichen Ursprungs, empfangen durch die Kraft des Heiligen Geistes. Der Engel des Herrn wurde als das Werkzeug der Vorsehung gesandt, um das zarte Gewissen und das gerechte Herz Josephs zu beruhigen, indem er ihm mitteilte, dass das, was Maria empfangen hatte, vom Heiligen Geist sei.
Es ist bemerkenswert, dass der Engel bei dieser Gelegenheit Joseph als „Sohn Davids“ anredet. Der Heilige Geist richtet so unsere Aufmerksamkeit auf die Verwandtschaft Josephs (der für den Vater Jesu angesehen wurde) mit David, während Maria seine Frau genannt wird. Zu gleicher Zeit gibt der Engel dem Kind, das geboren werden sollte, den Namen Jesus, d. h. „der Herr, der Erretter“. Er wendet diesen Namen an auf die Befreiung Israels aus dem Zustand, in welchen dieses Volk durch die Sünde gekommen war, indem er sagt: „Denn er wird sein Volk erretten“ (V. 21); er zeigt dadurch deutlich, dass der Titel „Herr“ in dem Wort Jesus oder Jehoschua enthalten war, denn Israel war das Volk des Herrn. Alle diese Umstände ereigneten sich, um zu erfüllen, was der Herr durch den Mund seines Propheten geredet hatte: „Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären; und sie werden seinen Namen Emmanuel nennen, was verdolmetscht ist: „Gott mit uns“ (V. 23).
Was uns also in diesen wenigen Versen durch den Geist Gottes vorgestellt wird, ist folgendes: Jesus, der Sohn Davids, empfangen durch die Kraft des Heiligen Geistes; der Herr, der Erretter, der Israel von seinen Sünden errettet; Gott mit seinem Volk; Er, der diese wunderbaren Prophezeiungen erfüllte, die mehr oder weniger klar die äußere Linie eines Rahmens andeuteten, den der Herr Jesus allein auszufüllen vermochte.
Joseph, ein gerechter Mann, von Herzen einfältig und gehorsam, unterscheidet ohne Schwierigkeit die Offenbarung des Herrn und gehorcht ihr.
Die eben angeführten Titel kennzeichnen den Charakter dieses Evangeliums, d. h. des Weges Christi, der darin dargestellt ist. Und wie wunderbar ist diese Offenbarung von Ihm, durch den die Worte und Verheißungen des Herrn erfüllt werden sollten! Welch eine Wahrheitsgrundlage für das Verständnis dieser herrlichen und geheimnisvollen Person, von der das Alte Testament genug gesagt hatte, um das Verlangen zu wecken und den Geist des Volkes, dem Er gegeben wurde, in Verwirrung zu bringen! Geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz, Erbe aller Rechte Davids nach dem Fleisch, auch Sohn Gottes, der Herr, der Erretter, Gott mit seinem Volk - wer konnte das Geheimnis der Natur Dessen, in dem alle diese Dinge vereinigt waren, erfassen oder ergründen?
Sein Leben zeigt, wie wir sehen werden, in der Tat den Gehorsam des vollkommenen Menschen neben den Vollkommenheit und der Macht Gottes.
Die Titel Jesu, die wir oben nannten: Erbe Davids, Erretter seines Volkes und Emmanuel, und die wir in Vers 20 -23 finden, stehen in Verbindung mit seiner Herrlichkeit in der Mitte Israels. Seine Geburt durch den Heiligen Geist erfüllte betreffs seiner, als eines auf Erden geborenen Menschen, Ps 2,7: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Der Name Jesus und seine Empfängnis durch die Kraft des Heiligen Geistes gehen ohne Zweifel über dieses Verhältnis hinaus, aber sie sind doch in besonderer Weise mit seiner Stellung in Israel verknüpft. In dem Evangelium Lukas, wo sein Geschlechtsregister bis auf Adam verfolgt wird, ist das weitere Verhältnis deutlicher dargestellt; aber da ist der Titel „Sohn des Menschen“ besonders angemessen.