Behandelter Abschnitt Eph 5
Wir haben festgestellt, daß der lehrmäßige Teil des Briefes bei Kapitel 4, 16 endet. Von da an bis Kapitel 6, 9 haben wir den praktischen Teil; dann folgt ein Schlußabschnitt, der dem geistlichen Kampf gewidmet ist.
Lies nun Kapitel 5 und 6 bis Vers 9, wo wir die praktischen Einzelheiten des christlichen Lebens finden. Zunächst möchte ich etwas über Ermahnungen sagen.
Wenn wir den Brief an die Römer und den an die Kolosser untersuchen, finden wir, daß diese Briefe ganz anders aufgebaut sind als der Philipperbrief. Im letzteren ist der Apostel vorwiegend ein Hirte, der auf die Seelen der Philipper achthat. Aber im Epheser-, Römer- und Kolosserbrief ist er ein Lehrer; darum haben wir dort Belehrungen, gefolgt von Ermahnungen. Warum werden uns in den Briefen eigentlich Ermahnungen gegeben? Läßt du dich immer direkt von Ermahnungen leiten? Nein, sondern mehr davon, daß du deinen Geist mit Christus Selbst in Verbindung bringst und mit der Gnade Gottes, die sich in deiner Berufung zeigt. So lesen wir im Titusbrief: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, auf daß wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben.“ Das bedeutet, daß ich den sittlichen Wert der Gnade, in der ich stehe, erkenne und dadurch lerne, „besonnen, gerecht und gottselig zu leben“, und das zunächst ohne Ermahnungen.
Im Petrusbrief hören wir genau das gleiche. „Da nun dies alles aufgelöst wird, welche solltet ihr dann sein“, und wiederum: „ ... da ihr dies erwartet, befleißigt euch“. Dies ist keine Ermahnung, fleißig zu sein, nein, das Auge der Seele wird auf die Herrlichkeit gerichtet und auf die Auflösung aller gegenwärtigen Dinge, und dann heißt es: „ ... welche solltet ihr dann sein!“ So entspringt unsere praktische Kraft im Alltag der Gnade unserer Berufung.
Das gleiche haben wir im 1. Buch Mose. Dort gab es keine Ermahnungen, aber die Patriarchen lebten heilig (sicherlich durch den Geist) kraft ihrer Berufung. Einer von ihnen wurde von dem „Gott der Herrlichkeit“ berufen. Ähnlich spricht Joseph: „ ... wie sollte ich dieses große Übel tun und wider Gott sündigen?“ Er hatte keine Ermahnungen oder Vorschriften, aber er blickte auf Gott. So wirst du in deinem täglichen Leben meistens nicht nach Ermahnungen oder Vorschriften leben, sondern auf Christus blicken. Aber wozu sind dann die Vorschriften da? Aus verschiedenen Gründen:
Zunächst dienen sie als Prüfsteine. Wenn jemand vom rechten Weg abweicht, können sie nützlich sein, indem man versucht, ihm zurechtzuhelfen. In solch einem Fall ist es sehr gut, sich durch eine klare Ermahnung der Schrift leiten zu lassen.
Zweitens bedient Gott sich in Seinem Wort lebendiger Wirklichkeiten. Wenn die Lehre des Wortes mir sagt, daß Gott sich auch mit mir beschäftigt, so sagen Seine Gebote (Vorschriften, Ermahnungen) mir, daß gerade ich es bin, den Gott damit meint. Gott enthüllt nicht ein unbestimmtes Licht, das vor mir hin und her flimmert. Er wendet sich an mich, eine verderbte Kreatur, und sagt: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr.“
Drittens liegt eine große Schönheit in den Ermahnungen: sie verherrlichen in einem hohen Maße die Lehre; sie sind der Ausdruck des verborgenen sittlichen Wertes, der in der Lehre liegt. Zum Beispiel: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes.“ Die Lehre hatte mich schon gelehrt, daß ich den Geist als Siegel der Erlösung erhalten hatte. Die Ermahnung sagt mir, daß der Geist, den ich empfangen habe, empfindlich gegenüber dem geringsten Kontakt mit Unheiligkeit ist. So wird die Lehre durch die Ermahnung verherrlicht.
Viertens will ich dir weiter sagen, was Ermahnungen ausrichten. Sie zeigen dir, daß deine Heiligkeit zu der entsprechenden Haushaltung passend sein muß. Du wirst sagen: Ist Heiligkeit nicht Heiligkeit? Nein, sage ich, ohne zu zögern. Wir können darüber nur urteilen in dem Licht, das Gott darüber gibt. Ist es denn jetzt unheilig für einen Juden, mit einem Heiden Handel zu treiben? Nein, das ist es nicht. Doch unter dem Gesetz durften sie es nicht wagen, miteinander zu essen. So kann Heiligkeit in ihrer Form variieren.
Nimm nun einmal an, ich suchte ein gutes Gewissen zu bewahren, einfach weil mein Gewissen Böses verurteilt, und ich verhielte mich sittlich einwandfrei, weil sich Sittlichkeit geziemt - wäre das christliche Sittlichkeit? Es gibt keine christliche Heiligkeit außer jener, die sich von der christlichen Wahrheit herleitet. Wenn du anfängst, das auf dich anzuwenden, wirst du merken, daß du einiges zu tun hast! Du wirst den Herrn Jesus mit jeder Kleinigkeit deines Lebens in Verbindung bringen müssen. Wie erlangten die Alten ein gutes Zeugnis? Waren es Ermahnungen, aufgrund deren Abraham sich von seines Vaters Haus und von seiner Verwandtschaft trennte oder Mose auf Ägypten verzichtete? Es war Gott, der sich ihnen geoffenbart hatte. Ermahnungen und Vorschriften werden dich nie zu einem Christen machen. Die Seele muß mit der Offenbarung Gottes in Kontakt kommen.
„Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt hat.“ Angenommen, ich bin ein guter Nachbar, nur um mein Gewissen rein zu erhalten; würde das den Anforderungen dieser Vorschrift entsprechen? „Wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt hat.“ Ich nehme den Herrn Jesus als mein großes Vorbild. Nimmt dies nicht Mose die Sittenlehre aus der Hand? Das stellt meine Grundsätze auf einen ganz und gar anderen Boden. Ich soll in Liebe wandeln, weil Christus mich geliebt und Sich Selbst für mich hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch. Der Herr hat dich nicht nur in dem ganzen Wert Seines Blutes dem Vater dargestellt, sondern auch in dem Wohlgeruch Seines Opfers. Bist du angenommen worden, weil du in dir selbst gerecht bist? Nein, sondern du bist „angenehm gemacht in dem Geliebten“. Wenn der Hohepriester mit Blut in das Allerheiligste trat, war er in eine balsamische, würzige Wolke von Weihrauch gehüllt. War es eine ungern gewährte Annahme, die das Opfer Christi erfuhr? Nein, es war eine überaus freudige Annahme. Und du lebst in dem ganzen Wert jener Annahme. Könnte ich wohl in die Atmosphäre, in die ich versetzt bin, einen einzigen Glaubensblick tun und dann zurückkehren und meinen Feindseligkeiten nachgehen?
Du weißt, daß dein erneuertes Gewissen nie damit zufrieden sein würde, nur zu tun, was richtig ist. Die Beweggründe deiner Handlungen müssen gereinigt sein. Das, was Christus getan hat, fordert es einfach von dir. Diese Unreinigkeiten, von denen ich in Vers 3 lese, geziemen Heiligen nicht. Muß ich mich von der Unreinigkeit lösen, weil es eben Unreinigkeit ist? Nein, sondern weil sie Heiligen nicht geziemt. So fährt Paulus fort: „Denn einst wäret ihr Finsternis; jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn.“ Ich weigere mich, etwas mit Unreinigkeit zu tun zu haben, weil ich einst in der Finsternis war, nun aber verwandelt bin. Ich bin eine neue Kreatur, ein Kind des Lichts.
Hier halte ich wieder inne, um dich zu fragen: Möchtest du diese wunderbare Fülle einschränken? Möchtest du Christus verlassen, wenn es um die praktischen Einzelheiten des Lebens geht? Wir können ohne Ihn nichts tun.
Wenn wir uns in Kapitel 6 über den geistlichen Kampf und die Waffenrüstung Gedanken machen, befinden wir uns genauso in Seiner Gemeinschaft wie in den Einzelheiten des Lebens oder wie in den himmlischen Örtern zu Beginn des Briefes. Darin liegt etwas Erhabenes. Wenn mir Gott durch eine Lehre entfaltet wird, folgt eine Ermahnung, um mir den moralischen Wert zu zeigen, der in der Lehre verborgen liegt. Die Frucht des Lichts besteht in aller Gütigkeit (in den Tugenden des Wohlwollens) - Gerechtigkeit (in Lauterkeit und Ehrbarkeit) - und alles ist mit Wahrheit verbunden (Vers 9). Wir finden Güte und Gerechtigkeit in der Welt, aber wir werden sie nicht mit der Wahrheit verbunden sehen, außer in der Haushaltung des Glaubens. Diese Dinge werden uns gegeben, um uns in der Praxis Christus ähnlich zu machen. Ein alter Schreiber sagt das so: „Christus Selbst ist die Grundlage aller Gebote für einen Christen.“ Wir verabscheuen eine Veredelung der Seele, wenn sie durch irgend etwas Geringeres als Christus geschieht. Christus möchte uns nüchtern, wahrhaftig und ehrbar haben.
„Jetzt aber seid ihr Licht.“ Und was für eine Art von Licht? Licht „in dem Herrn“. Du hast nicht den Funken entzündet, der von Mose her in dir ist, sondern von dem Herrn des Lichts her ist das geschehen. Du hast einen Strahl von Ihm empfangen, und du sollst darin wandeln und beweisen, was Jesus wohlgefällig ist. Ich bin überzeugt, daß wir danach nicht mehr nach dem „Warum“ der Vorschriften im Neuen Testament fragen. Wir sehen ja, wie jede Kleinigkeit mit unserem gepriesenen Herrn in Verbindung steht, und der Geist bringt meinen Herrn Jesus herab, um meinen Wegen das Siegel Seiner Person und Seines Wohlgefallens aufzuprägen.
Du wirst hier oft entdecken, daß der Geist nicht mit einer bloßen Verwerfung des Bösen zufrieden ist. Er besteht auf der Pflege des Guten. „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute.“ Da haben wir das Negative und das Positive beisammen. Das Böse wird hinweggetan, und das Gute tritt an seine Stelle. „Und habet nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber strafet sie auch“, weil ihr den alten Menschen abgelegt habt. Aber seid ihr nur ein leeres, entkleidetes Etwas? Nein, ihr habt den neuen Menschen angezogen. So wie der alte Mensch sich das, was einem anderen gehörte, einfach aneignete, sollst du jetzt für den arbeiten, den du vorher hattest berauben wollen. Mose hat so etwas nie von mir verlangt. Wird Christus sich nach Mose richten? Wird Er Sich an irgend etwas anderem als an Sich Selbst messen? In all diesem liegt ein hoher Adel. Wir sollten die Sittlichkeit in ihrer Erhabenheit aufrechterhalten. Mose würde sie herunterziehen. Ich sage dies nicht, wenn wir Mose gleichsam durch den Filter Christi sehen, wie zum Beispiel in der Bergpredigt. Würde Mose von dir gefordert haben, dein Leben für jemand anders hinzugeben? Christus sagt es, weil Er Selbst es auch getan hat. „Deshalb sagt es“ (ich möchte lieber „es“ in Vers 14 haben); es ist die Stimme und Sprache des Lichtes. Das Licht, das jetzt scheint, ist das Licht Christi. „Und der Christus wird dir leuchten.“ Ein besonderes sittliches Licht ist jetzt aufgegangen.
„Sehet nun zu, wie ihr sorgfältig wandelt, nicht als Unweise, sondern als Weise, die gelegene Zeit auskaufend.“ Wie soll das Verständnis zur Ausübung kommen? In der Philosophie der Schulen? Ich muß ein Verständnis für den Willen des Herrn haben. Er bewahrt dich, ich wiederhole es, als ein himmlisches Wesen in Gemeinschaft mit Christus; als einen Menschen, der über die Erde wandelt, bewahrt Er dich ebenfalls als mit Christus verbunden. Wenn Er dich auf den Kampfplatz schickt, hüllt Er dich ein in Christus, Er zieht dir gewissermaßen Christus an. Wer als nur der Heilige Geist könnte in das Getriebe dieser Welt herniederkommen und dich durch alles hindurch in Gemeinschaft mit Christus bewahren! So könnte der alte Mensch trunken werden von Wein. Der neue Mensch hat den Heiligen Geist, um sich mit Ihm zu füllen. Wenn der alte abgetötet werden soll, muß der neue „kultiviert“ werden.
Und wie wird sich dieses Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist äußern? „In Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern.“ Daran wird ein Gefäß erkannt, das mit dem Heiligen Geist erfüllt ist. Es ist noch dasselbe Gefäß, nur verwandelt. Einst war es mit Wein gefüllt. Nun strömt es in einem Geist der Danksagung über mit Liedern für den Herrn. Wir empfanden vielleicht, angeregt durch den Heiligen Geist, eine inbrünstige Hochstimmung. Nun finden wir uns plötzlich in einer wunderbaren Stille und offenbaren eine ganz unauffällige Tugend, indem wir einen geringen Platz einnehmen. Gerade in diesem Lebensstil liegt eine besondere Schönheit. Können wir davon je genügend entzückt und bezaubert sein? Wir wissen nicht, was wir am meisten bewundern sollen, den lehrmäßigen oder den praktischen Teil des Epheserbriefes.
Jetzt geht Paulus auf Einzelheiten ein und wendet sich an Ehemänner und Ehefrauen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, wie tief wir da in Gemeinschaft mit Christus sind. Erhalten eine Frau und ihr Mann in der Ehe nicht ihre Bestätigung von Christus? Manche gute Ehefrau denkt nie an den Herrn Jesus. Ist das dann eine christliche Ehefrau?
Hier möchte ich einen kleinen Abstecher machen und auf einen Titel hinweisen, der dreimal in diesem Brief wiederkehrt. Christus wird in Kapitel 1, 4 und 5 „das Haupt“ genannt; aber jedesmal erscheint das Wort unter einem anderen Aspekt.
In Kapitel 1 geht es um das Haupt des Leibes. Er ist als Haupt über alle Dinge Haupt der Versammlung, der wesentlichste Teil des geheimnisvollen Menschen.
In Kapitel 4 geht es um das Haupt, das Einfluß ausübt, das seinen Gliedern Wirksamkeit verleiht. „Aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung ... das Wachstum des Leibes bewirkt“.
Hier in Kapitel 5 sehen wir Ihn von einer anderen Seite, als das Haupt, das Autorität ausübt. „Denn der Mann ist das Haupt des Weibes, wie auch der Christus das Haupt der Versammlung ist.“ In Vers 32 sollte es besser heißen: „Dies ist das große Geheimnis.“ Nachdem Paulus dann die Ehefrauen auf ihre üblichen Pflichten hin angesprochen hat, tut er in Kapitel 6 das gleiche mit den Kindern. „Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn, denn das ist recht.“ Sogar zu Moses Zeiten war dies eine ehrenvolle Pflicht. Aber hier wird es erwähnt, weil es recht im Blick auf den Herrn ist. Dadurch wird es aus der gesetzlichen Verheißung herausgenommen, und der Herr Selbst gibt ihm eine neue Bestätigung.
Ebenso ist es mit den Vätern. Ein Vater sollte der christliche Diener seines Kindes sein. Damit meine ich, daß er in jeder Stunde darauf achten sollte, daß seinem Kind die Zucht und Ermahnung des Herrn zuteil wird. Er sollte ihm Christus darreichen.
Was die Diener anbetrifft - wie schön ist das! - sie sollen gehorchen. Auf den Charakter ihres Herrn kommt es gar nicht an. Sie verrichten ihre Arbeit „als dem Herrn“. Bist du je von jenem Vers im Jakobusbrief (Kapitel 1, 9) beeindruckt worden, wenn du siehst, wie die Leute ihre Stellung behaupten und hast dich gefreut im Gedanken daran, daß diese Unterscheidungen einst aufhören werden? Ich will nur kurz auf 1. Timotheus 6 hinweisen, wo wir das gleiche finden. Es sollte die geheime Freude unserer Herzen sein, daß bald die hohen Stellungen zusammen mit der Gestalt dieser Welt der Vergangenheit angehören werden.
Nun zu den Herren. Mache dich nicht des Drohens schuldig. Die gebieterische Art von Herren und Herrinnen ist hassenswert. Wie behandelt dich denn dein Meister im Himmel?
Hier endet der praktische Teil. Aber sage, verleiht er dir nicht eine besondere Würde. George Herbert faßt es in die folgenden Worte: „Wer einen Raum auskehrt und tut es Deinen Gesetzen zuliebe, veredelt diese Handlung.“ Es ist genau das gleiche in einem Wandel mit Christus, wenn du in wahrer Gemeinschaft mit Ihm droben bist. Es ist derselbe Jesus, der dich umschließt, umfaßt und auf jedem Schritt deiner Reise bereichert - und das alles für Seine eigene Ewigkeit.