Hermann Menge (1841-1939)
Versliste
Hierauf fuhr Hiob in seiner Rede so fort:
„O dass es mit mir noch so stände wie in den früheren Monden, wie in den Tagen, wo Gott mich behütete, –
als seine Leuchte noch über meinem Haupte strahlte und ich in seinem Licht durch das Dunkel wandelte,
so, wie es mit mir in den Tagen meines Herbstes (d.h. meiner Vollreife oder: Vollkraft) stand, als Gottes Freundschaft über meinem Zelt waltete,
als der Allmächtige noch auf meiner Seite stand, meine Söhne (oder: Kinder) noch rings um mich her waren,
als meiner Füße Tritte sich in Milch badeten und jeder Fels neben mir Bäche von Öl fließen ließ!“
„Wenn ich (damals) hinaufging zum Tor der Stadt und meinen Stuhl auf dem Marktplatz aufstellte,
da traten die jungen Männer zurück, sobald sie mich sahen, und die Greise erhoben sich und blieben stehen;
die Fürsten (oder: Vornehmen) hielten an sich mit ihrem Reden und legten die Hand auf ihren Mund;
die Stimme der Edlen verstummte, und die Zunge blieb ihnen am Gaumen kleben.
Denn wessen Ohr mich hörte, der pries mich glücklich, und jedes Auge, das mich sah, legte Zeugnis für mich ab;
denn ich rettete den Elenden, der um Hilfe schrie, und die Waise, die sonst keinen Helfer hatte.
Der Segensspruch dessen, der verloren schien, erscholl über mich, und das Herz der Witwe machte ich jubeln.
In Gerechtigkeit kleidete ich mich, und sie war mein Ehrenkleid: wie ein Prachtgewand und Kopfbund schmückte mich mein Rechttun (= meine Ehrenhaftigkeit).
Für den Blinden war ich das Auge und für den Lahmen der Fuß;
ein Vater war ich für die Armen, und der Rechtssache des mir Unbekannten nahm ich mich gewissenhaft an;
dem Frevler (oder: Rechtsverdreher) zerschmetterte ich das Gebiss und riss ihm den Raub aus den Zähnen.
So dachte ich denn: ‚Im Besitz meines Nestes werde ich sterben und mein Leben werde ich lange wie der Phönix erhalten;
meine Wurzel wird am Wasser ausgebreitet liegen und der Tau auf meinen Zweigen nächtigen;
mein Ansehen wird unverändert mir verbleiben und mein Bogen sich in meiner Hand stets verjüngen.‘
Mir hörten sie zu und warteten auf mich und lauschten schweigend auf meinen Rat.
Wenn ich gesprochen hatte, nahm keiner nochmals das Wort, sondern meine Rede träufelte auf sie herab.
Sie warteten auf meine Rede wie auf den Regen und sperrten den Mund nach mir auf wie nach Frühlingsregen.
Ich lächelte ihnen zu, wenn sie mutlos waren, und das heitere Antlitz vermochten sie mir nicht zu trüben.
Sooft ich den Weg zu ihnen einschlug, saß ich als Haupt da und thronte wie ein König in der Kriegerschar, wie einer, der Leidtragenden Trost spendet.“
Als Jesus nun mit der Unterweisung seiner zwölf Jünger zu Ende gekommen war, zog er von dort weiter, um in ihren (= den dortigen) Städten zu lehren und zu predigen.
Als aber Johannes im Gefängnis von dem Wirken Christi hörte, sandte er durch seine Jünger Botschaft an ihn
und ließ ihn fragen: „Bist du es, der da kommen soll (d.h. der verheißene Messias), oder sollen wir auf einen andern warten?“
Jesus gab ihnen zur Antwort: „Geht hin und berichtet dem Johannes, was ihr hört und seht:
Blinde werden sehend und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt, und Armen wird die Heilsbotschaft verkündigt (Jes 35,5-6; 61,1),
und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt (oder: nicht irre wird)!“
Als diese nun den Rückweg antraten, begann Jesus zu den Volksscharen über Johannes zu reden: „Wozu seid ihr damals (oder: jüngst) in die Wüste hinausgezogen? Wolltet ihr euch ein Schilfrohr ansehen, das vom Winde hin und her bewegt wird?
Nein; aber wozu seid ihr hinausgezogen? Wolltet ihr einen Mann in weichen Gewändern sehen? Nein; die Leute, welche weiche Gewänder tragen, sind in den Königsschlössern zu finden.
Aber wozu seid ihr denn hinausgezogen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: einen Mann, der noch mehr ist als ein Prophet!
Denn dieser ist es, auf den sich das Schriftwort bezieht (Mal 3,1): ‚Siehe, ich sende meinen Boten (= Engel) vor dir her, der dir den Weg vor dir her bereiten soll.‘
Wahrlich ich sage euch: Unter den von Frauen Geborenen ist keiner aufgetreten, der größer wäre als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
Aber seit den Tagen (= dem Auftreten) Johannes des Täufers bis jetzt bricht das Himmelreich sich mit Gewalt Bahn, und die, welche Gewalt anwenden, reißen es an sich.
Denn alle Propheten und das Gesetz haben bis auf Johannes geweissagt,
und wenn ihr es annehmen wollt: Er ist Elia, der da kommen soll (vgl. 17,12; Mal 3,23; Lk 16,16).
Wer Ohren hat, der höre!
Mit wem soll ich aber das gegenwärtige Geschlecht vergleichen? Kindern gleicht es, die auf den öffentlichen Plätzen sitzen und ihren Gespielen zurufen:
‚Wir haben euch gepfiffen, doch ihr habt nicht getanzt; wir haben ein Klagelied angestimmt, doch ihr habt euch nicht an die Brust geschlagen (= nicht getrauert)!‘
Denn Johannes ist gekommen, der nicht aß und nicht trank; da sagen sie: ‚Er hat einen bösen Geist (oder: er ist von Sinnen).‘
Nun ist der Menschensohn gekommen, welcher isst und trinkt; da sagen sie: ‚Seht, der Schlemmer und Weintrinker, der Freund der Zöllner und Sünder!‘ Und doch ist die Weisheit (Gottes) gerechtfertigt worden durch ihre Werke.“
Damals (oder: darauf) begann er gegen die Städte, in denen seine meisten Wunder geschehen waren, Drohworte zu richten, weil sie nicht Buße (vgl. 3,2) getan hatten:
„Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida! Denn wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die in euch geschehen sind, so hätten sie längst in Sack und Asche Buße getan.
Doch ich sage euch: Es wird Tyrus und Sidon am Tage des Gerichts erträglicher ergehen als euch!
Und du, Kapernaum, wirst doch nicht etwa bis zum Himmel erhöht werden? Nein, bis zur Totenwelt wirst du hinabgestoßen werden (Jes 14,13.15). Denn wenn in Sodom die Wunder geschehen wären, die in dir geschehen sind, so stände es noch heutigen Tages.
Doch ich sage euch: Dem Lande Sodom wird es am Tage des Gerichts erträglicher ergehen als dir!“
Zu jener Zeit hob Jesus an und sagte: „Ich preise dich (oder: danke dir), Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen (oder: Gelehrten) und Klugen verborgen und es Unmündigen geoffenbart hast;
ja, Vater, denn so ist es dir wohlgefällig gewesen! –
Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden, und niemand erkennt den Sohn als nur der Vater, und niemand erkennt den Vater als nur der Sohn und der, welchem der Sohn ihn (oder: es) offenbaren will.“
„Kommt her zu mir alle, die ihr niedergedrückt und belastet seid: ich will euch Ruhe schaffen!
Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig (oder: liebreich) und von Herzen demütig: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen (Jer 6,16);
denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“
Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren ward! Der Tag, an dem meine Mutter mich geboren hat, bleibe ungesegnet!
Verflucht sei der Mann, der meinem Vater die frohe Botschaft brachte: „Ein Kind, ein Sohn ist dir geboren!“ und ihn dadurch hoch erfreute (oder: ihm Glück dazu wünschte)!
Diesem Manne möge es ergehen wie den Städten, die der HERR erbarmungslos zerstört hat: er höre Wehgeschrei am Morgen und Kriegslärm zur Mittagszeit!
Warum hat er (d.h. Gott) mich nicht schon im Mutterschoß sterben lassen, so dass meine Mutter mein Grab geworden wäre und ihr Schoß mich immerfort getragen hätte!
Warum nur bin ich aus dem Mutterschoß zur Welt gekommen? Doch nur, um Mühsal und Herzeleid zu erleben und damit meine Tage in Schande vergingen!
Denn so hat der Hohe und Erhabene gesprochen, der da ewiglich thront und dessen Name ‚der Heilige‘ ist: „In der Höhe und im Heiligtum (oder: im Heiligen) wohne ich und bei denen, die zerschlagenen und gebeugten Geistes sind, um neu zu beleben den Geist der Gebeugten und zu erquicken das Herz der Zerschlagenen.
So hat der HERR weiter gesprochen: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße: was für ein Haus wäre es, das ihr mir bauen könntet, und welches wäre die Stätte, wo ich ruhen (= wohnen) soll?
Hat doch meine Hand dies ganze Weltall geschaffen, so dass dies alles entstanden ist“ – so lautet der Ausspruch des HERRN. „Ich blicke aber nach dem hin, der demütig und zerschlagenen Geistes ist und der (in Ehrfurcht) bebt beim Gedanken an mein Wort.
Seht, wir preisen die selig, welche geduldig ausgeharrt haben. Vom standhaften Ausharren Hiobs habt ihr gehört und von dem Ausgang, den der Herr ihm bereitet hat (Hiob 42,10-17); erkennet daraus, dass der Herr reich an Mitleid und voll Erbarmens ist.
Ich sage das nicht, weil ich mich in Not befinde (oder: befunden habe); denn ich habe gelernt, in welcher Lage ich mich auch befinde, mir genügen zu lassen;