Behandelter Abschnitt Heb 5,11-12
Dritte Warnung vor dem Abfall vom Glauben (Heb 5,11 - 6,20)
Die Gefahr der geistlichen Unreife (V. 11-14)
In den Kapiteln 5,11 bis 6,20 hält der Schreiber inne, um vor Abfall vom Glauben zu warnen. Dieser Exkurs kann, so wie die anderen in diesem Brief zu demselben Thema, als Einschub betrachtet werden.
Der Schreiber erkannte, dass das Thema über das Priestertum Melchisedeks für die Hebräer schwer zu verstehen sein könnte, und führte das Problem auf ihre geistliche Unreife zurück. Sie waren in ihrem geistlichen Wachstum behindert worden und deshalb wies er sie zurecht mit den Worten:
Heb 5,11.12: 11 Über diesen [Melchisedek] haben wir viel zu sagen, und es ist mit Worten schwer auszulegen, weil ihr im Hören träge geworden seid. 12 Denn obwohl ihr der Zeit nach Lehrer sein müsstet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise.
Die Hebräer verstanden die christliche Offenbarung der Wahrheit nur langsam, weil sie von ihren alten Beziehungen zum Judentum behindert wurden. Sie klammerten sich an die schwachen und dürftigen Elemente des Judentums (wenn nicht in der Praxis, so doch zumindest im Herzen), und das erschwerte es ihnen, die einfachsten Grundsätze des Christentums zu verstehen. Als der Herr Jesus am Kreuz hing, sprach Er selbst ein regierungsmäßiges Gericht aus: Blindheit sollte über diese irdische Religion (das Judentum) kommen (Ps 69,24.25). Falls sie in Gemeinschaft mit dieser Religion blieben, würden sie die Blindheit erben, die mit diesem Gericht einherging. Offensichtlich begann dieses Gericht unter ihnen seine Wirkung zu entfalten (2Kor 3,14-16).
Folglich betrachtete der Briefschreiber die Hebräer als geistlich Unmündige (infants = „Kleinkinder“), die die Grundlagen des Evangeliums von Grund auf neu lernen mussten. Die Korinther waren in ihrem Wachstum zurückgeblieben und wurden aufgrund ihrer Fleischlichkeit als „Unmündige“ (babes = „Babys“) betrachtet (1Kor 3,1); die Hebräer hingegen galten aufgrund ihrer
Gesetzlichkeit als „Unmündige“ (Heb 5,13). Sie mussten neu unterwiesen werden in Dingen, die er „die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes“ nennt. Diese Elemente sind die grundlegenden Lehren über Christus als König und Messias Israels. Es ist die Wahrheit, die in seinem irdischen Wirken vor dem Kreuz bekannt wurde – im Wesentlichen das, was in den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) zu finden ist. W. Kelly sagt:
Diese [Elemente] werden als „der Anfang der Aussprüche Gottes“ bezeichnet und bedeuten das, was Gott in Christus während seines Lebens auf der Erde gegeben hat. Nicht darin inbegriffen sind die Erlösung und das, was dem Christentum seinen wahren, unverwechselbaren Charakter verleiht: sein Versetztsein in den Himmel und die Gabe des Geistes. […]
Mit dem „Wort von dem Anfang des Christus“ ist in Wirklichkeit das gemeint, was in den Tagen seines Fleisches offenbart und zur rechten Zeit als sein Dienst in den Evangelien aufgeschrieben wurde.2
Die Tatsache, dass die Hebräer in diese ersten Grundsätzen „wieder“ unterwiesen werden mussten, deutet darauf hin, dass sie sich zurückentwickelt hatten. Sie hatten gewusst und anerkannt, dass der Herr Jesus der Messias war, aber irgendwie waren sie über diese Dinge verwirrt worden und schienen sie nun in Frage zu stellen. Deshalb mussten sie darüber noch einmal belehrt werden. Das zeigt uns: Wenn wir in der Wahrheit Gottes nicht voranschreiten, werden wir uns von ihr entfernen. Wenn wir keine Fortschritte machen, werden wir uns zurückentwickeln. Die Hebräer zögerten und ihre Sinne wurden vernebelt, und das würde sie schließlich dazu bringen, zu ihren früheren Überzeugungen zurückzukehren.