DIE AUSÜBUNG DER GABE IM HAUS GOTTES
Bis hierher hat Paulus in diesem Brief das Thema behandelt, wie man sich im Haus Gottes im Bereich des Priestertums und des Amtes richtig verhält. Nun geht er dazu über, einige Leitprinzipien für diejenigen zu geben, die in einem dritten Bereich im Haus Gottes arbeiten: im Bereich der Gabe.
Wenn wir von der Ausübung einer geistlichen Gabe sprechen, beziehen wir uns hier vor allem auf den öffentlichen Dienst am Wort Gottes durch Predigen, Lehren und Ermahnen. Viele Gaben, die Christus den Gliedern seines Leibes gegeben hat, sind nicht für den öffentlichen Dienst am Wort bestimmt und werden daher in diesem Kapitel nicht behandelt. Beachten wir auch, dass der Dienst an der Wahrheit des Wortes Gottes nicht auf diejenigen beschränkt ist, die vollzeitlich im Dienst stehen, sondern auf alle, die das Wort Gottes öffentlich predigen und lehren.
In diesem Kapitel geht es also um den Arbeiter im Haus Gottes. Im Einklang mit dem Thema des Briefes legt Paulus dem Timotheus das richtige Verhalten derer vor, die dem Herrn in diesem Bereich dienen wollen.
Die Zeit verstehen (V. 1-5)
1Tim 4,1: Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden, indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen, …
Wenn der Diener des Herrn in seinem Dienst effektiv arbeiten möchte, muss er zuerst die Zeit verstehen, in der wir leben. Die Worte „Der Geist aber sagt ausdrücklich“ zeigen, wie wichtig dies ist. Deshalb beginnt Paulus mit diesem Punkt. Wir müssen wissen, wo wir uns in der Geschichte des christlichen Zeugnisses befinden, damit wir dem Herrn in unserer Zeit entsprechend dienen können. Es sollte allen klar sein, dass wir nicht in apostolischen Zeiten leben und auch nicht in Tagen großer Erweckung. Vielmehr befinden wir uns am Ende der Geschichte der Kirche auf der Erde – in einer Zeit, wo es in der Christenheit viel Abweichung, Verwirrung und Gleichgültigkeit gegenüber den Ansprüchen Christi gibt. Traurigerweise ist vieles von dem, was heute als Christentum durchgeht, nur noch schwerlich mit dem zu vergleichen, was wir in der Heiligen Schrift lesen.
Die Strömung des Abfalls
Diese Abweichung von Gottes Ordnung im Haus Gottes ist eine Folge des Abfalls vom Glauben. Abfall ist der offensichtliche Verzicht auf die zentralen Wahrheiten des Glaubens, die man einmal festgehalten und bekundet hat. Nur ein bloß bekennender Christ wird auf diese Weise vom Glauben „abfallen“ (Heb 6,6; 2Thes 2,3). Wahre Gläubige können jedoch von der Strömung des Glaubensabfalls erfasst werden und bestimmte biblische Grundsätze und Praktiken aufgeben. Sie können abgleiten und „aus der Gnade fallen“ (Gal 5,4) und ihre Standfestigkeit im Herrn aufgeben (2Pet 3,17), aber sie fallen nicht ab (2Thes 2,3: „Abfall“; Heb 6,6: „abfallen“). Sie können also „fallen (straucheln)“, aber sie „fallen nicht ab“.
Der Abfall in der Christenheit begann schon sehr früh in der Geschichte der Kirche und hat stetig an Dynamik zugenommen. Er wird seinen Höhepunkt nach der Entrückung der Kirche in den Himmel erreichen, indem der Antichrist („der Mensch der Sünde“) offenbart wird, der die Christenheit zu einem umfassenden Abfall von Christus verführen wird (2Thes 2,3). Ein Fortschreiten dieses Abwärtstrends zum Ende hin lässt sich in den Briefen in den folgenden Ausdrücken nachzeichnen:
„In späteren Zeiten“ (1Tim 4,1): Einzelne in der Christenheit fallen vom Glauben ab. „In den letzten Tagen“ (2Tim 3,1; 2Pet 3,3): Die Masse der Christenheit folgt.
„Am Ende der Zeit“ (Jud 18): Der Abfall wird immer deutlicher und offenkundiger.
„Die letzte Stunde“ (1Joh 2,18): Der Abfall ist so gründlich, dass jede rechtgläubige christliche Lehre, die von den Aposteln gelehrt wurde, aufgegeben wird.
Paulus verschwendet keine Zeit damit, Timotheus von dieser Abwärtsentwicklung des christlichen Bekenntnisses näher zu berichten. Er sagt lediglich: „Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden.“ Diese Abkehr von der Wahrheit ist die Folge davon, dass Menschen (bloße Bekenner ohne göttliches Leben), die mit dem äußeren Zeugnis des Christentums verbunden sind, abtrünnig werden und dann andere auf denselben Weg führen. Was mit „einigen“ Abtrünnigen begann (1Tim 1,3; 4,1; 2Tim 2,18), hat sich auf „viele“ ausgeweitet (2Pet 2,2), bis sich „alle“ (in bestimmten Regionen) abwenden (2Tim 1,15).
Betrügerische Geister und Lehren von Dämonen
Der Abfall beinhaltet nicht nur, dass man die Wahrheit aufgibt, sondern auch, dass man den Irrtum aufnimmt. So sagt Paulus weiter: „… indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen.“ Das zeigt: So etwas wie ein Vakuum in den Dingen Gottes gibt es nicht; wenn die Wahrheit unsere Herzen nicht ausfüllt, werden andere Dinge diese Leere ausfüllen. In diesem Fall sind es die Lehren der Dämonen. Man beachte, wie es anfängt: Zuerst „achten“ sie auf diese Fehler (1Tim 4,1) und dann kommt es aus ihrem Mund „durch die Heuchelei von Lügenrednern“ (1Tim 4,2). So werden böse Lehren, die man im Kopf hat, also schließlich zu bösen Lehren, die man verkündet. Es ist der Unterschied zwischen dem geistlichen Aussatz „am Kopf“ und dem geistlichen Aussatz „im Bart“. Es ist bezeichnend, dass es zuerst am Kopf und dann im Bart erwähnt wird (3Mo 13,29).
Diese Lehren, die von Dämonen gelehrt werden, werden durch menschliche Vertreter geäußert. „Betrügerische Geister“ beeinflussen den Verstand der Menschen und bringen sie auf verdorbene und abweichende Ideen. Diese Menschen formulieren sie dann zu einem
Lehrsystem und präsentieren sie ihrem ahnungslosen Publikum, das sie schluckt. So bahnt sich der Abfall seinen Weg durch die Christenheit, bis das Ganze mit Irrtümern durchsäuert sein wird (Mt 13,33). Dass Dämonen im Haus Gottes gefunden werden und den Verstand der Menschen beeinflussen, ist ziemlich erschreckend, aber so etwas beweist nur die Größe des Verderbens.
Wenn in der Schrift von Irrlehren die Rede ist, stehen diese bezeichnenderweise gewöhnlich im Plural („Lehren“). Umgekehrt steht die Wahrheit in der Einzahl („Lehre“: 1Tim 4,6.13.16; 5,17; 6,3 usw.). Das zeigt: Schlechte Lehren sind selten allein unterwegs; sie haben Begleiter. Eine schlechte Lehre wird eine andere hervorbringen, bis sie zu einem ausgeklügelten System des Irrtums wird. Das heißt, wenn wir einen Aspekt der Wahrheit falsch verstehen, wirkt sich das auf einen anderen Teil unseres Verständnisses aus und der Irrtum wird sich verstärken. Die Wahrheit hingegen wird in der Einzahl genannt, weil sie als ein harmonisches Ganzes verstanden werden soll, das ineinander übergeht. Daher müssen wir jede einzelne Schriftstelle im Licht aller anderen Stellen der Schrift auslegen.