Behandelter Abschnitt Klgl 4,1-2
Das feine Gold wird verdunkelt
Der Kummer, der in der Klage des vierten Kapitels zum Ausdruck kommt, hat einen zutiefst geistlichen Charakter. Es sind nicht mehr die zeitlichen Sorgen des Volkes von Juda und Jerusalem, die den Propheten beschäftigen, sondern ihr unglücklicher Zustand, da sie sich von Gott entfernt haben und kein Zeugnis mehr für Ihn auf Er- den sind. Die Vergangenheit und die Gegenwart stehen in lebhaftem Gegensatz zueinander. Welche Gnade hat sich in vergangenen Ta- gen an ihnen offenbart! Jetzt, ach, wie tief sind sie gefallen!
Wie wurde verdunkelt das Gold, verändert das gute, feine Gold! Wie wur- den verschüttet die Steine des Heiligtums an allen Straßenecken! Die Kin- der Zions, die kostbaren, die mit gediegenem Gold aufgewogenen, wie sind sie irdenen Krügen gleichgeachtet, dem Werk von Töpferhänden! (4,1.2).
Seit Eva ihre Hand ausstreckte und von dem nahm, was Gott verboten hatte, ist jede Haushaltung durch Versagen gekennzeichnet. „Doch der Mensch, der in Ansehen ist, bleibt nicht; er gleicht dem Vieh, das vertilgt wird“ (Ps 49,13). Jede neue Prüfung, die Gott dem Menschen angedeihen ließ, war nur der Anlass, das unheilbare Übel seines Her- zens noch mehr zu offenbaren. Unter der Haushaltung des Gewissens ‒ von Adam bis Noah ‒ erfüllten Verderbnis und Gewalt die Erde. Un- ter der Zeit der Regierung, von Noah bis Abraham, verließ der Mensch den, der der wahre Lenker des Universums ist; und da der Mensch Gott nicht in Erkenntnis haben wollte, verehrte und diente er dem Geschöpf mehr als dem Schöpfer (Röm 1). Unter der Verheißung und dem Gesetz, von Abraham bis Christus, übertrat der Mensch jedes Gebot und brach jedes Versprechen; und schließlich gipfelte seine furchtbare Eigensinnigkeit und Rebellion in der Kreuzigung des Fürs- ten des Lebens. Unter der Gnade, der gegenwärtigen Haushaltung des
Heiligen Geistes, hat er eben diese Gnade in Lüsternheit verwandelt und jede der Versammlung anvertraute Wahrheit verdorben.
Wenn man die lange Zeitspanne von Abraham bis Christus in die zahlreichen Abschnitte unterteilt, so ist jeder von ihnen ein Zeugnis desselben traurigen Versagens. Die Tage der Patriarchen waren Zeuge des Verrats der Söhne Jakobs und des daraus resultierenden Abstiegs nach Ägypten. Die Wüste war ein vierzigjähriges Zeugnis der Treue Got- tes und der Unzuverlässigkeit des Menschen. Die Tage der Richter be- stätigten dieselbe Geschichte, während die Geschichte der Königreiche Juda und Israel die Verlogenheit des menschlichen Herzens noch deut- licher machte. Von Zeit zu Zeit wirkte Gott in Kraft und Gnade und schenkte Erweckung und Segen; aber bald wurde das Volk seines Ge- setzes überdrüssig und gab sich dem hin, was ihnen wohlgefiel, bis es kein Heilmittel mehr gab (Jer 30,13), und Assyrien und Babylonien ver- schlangen das begünstigte Volk. „Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind ge- schrieben worden zu unserer Ermahnung“ (1Kor 10,11). Die Geschichte Israels hat sich in vieler Hinsicht bei der bekennenden Kirche wieder- holt; denn „wie im Wasser das Angesicht dem Angesicht entspricht, so das Herz des Menschen dem Menschen“ (Spr 27,19). Nur ist in der Christenheit die Verderbnis noch abscheulicher und die Abkehr von Gott noch krasser. Doch Er hat sich, gepriesen sei sein Name, selbst nie ohne ein Zeugnis gelassen. Und wie in der vergangenen Haushaltung, so hat Er auch in dieser immer wieder mit Macht gewirkt, indem er be- sondere Erweckungen herbeiführte und so diejenigen, die unter den Toten schliefen, zu neuer Aktivität und wahrhaftigem Urteil über das, was sie in seinem Wort verurteilt sahen, erweckt. Aber wie schnell nimmt die offenbarte Energie des Geistes ab, weil die nächste Genera- tion in die alten oder noch schlimmeren Wege zurückfällt. Was in Josua 24,31 für Israel vorausgesagt wird, hat sich seit der Himmelfahrt des Herrn Jesus und dem Kommen des Heiligen Geistes durch die Jahrhunderte hindurch stets wiederholt:. „Und Israel diente dem HERRN alle Ta- ge Josuas und alle Tage der Ältesten, die Josua überlebten und die das ganze Werk des HERRN kannten, das er für Israel getan hatte.“ Doch die nachfolgenden Generationen verfielen bald in äußere Formen und Weltlichkeit. Das feine Gold wird bald verdunkelt, und die Frische der frühen Tage geht verloren. Doch das muss nicht so sein. Wenn man da- rauf achtet, ein gutes Gewissen vor Gott zu bewahren, wenn man auf die ersten Anfänge des Abweichens vom Ort der Gemeinschaft achtet, und vor allem, wenn man betend und abhängig ist, muss der Tau der Jugend niemals verlorengehen; oder wenn doch, dann nur, um der rei- feren Gnade eines geisterfüllten Alters Platz zu machen. Das gilt für Bewegungen ebenso wie für Einzelpersonen; nur ist die Schwierigkeit hier größer, weil die Bewegungen aus Einzelpersonen bestehen und die Masse nur dadurch, dass der Einzelne in Gemeinschaft mit Gott weiter- geht, die Frische erhalten kann.