Behandelter Abschnitt Jes 21
Jesaja 21
Dieses Kapitel enthält drei Aussprüche: Der erste bezieht sich auf die Wüste des Meeres (Jes 21,1-10), der zweite auf Duma (Jes 21,11.12) und der dritte auf Arabien (Jes 21,13-17).
Die ersten zehn Verse stellen eine zweite Prophezeiung über Babel dar; denn es ist ganz klar jene Stadt, von der hier die Rede ist. Vers 9 beweist dies unwiderlegbar, wenn wir es nicht schon in den andern Versen bemerkt haben. Der Name, der ihr hier gegeben wird, ist bemerkenswert: die Wüste des Meeres. Das ist eine doppelte Anspielung, die sich auf ihren aktuellen traurigen Zustand und auf jenen, in den sie wirklich fallen wird, bezieht. Babel war in moralischer Hinsicht eine Wüste, wo für Gott und die, die Ihm angehören, nichts zu finden war; eine Wüste inmitten einer aufgewühlten Welt, in der es keine Ruhe und keinen Frieden gibt. Die Feinde dieser Stadt, die Meder und Perser, würden hinaufziehen – zahlreich wie die Schiffe des Meeres – und sie in ein Jammerbild verwandeln und eine Wüste aus ihr machen.
In einer solchen Stadt konnten die Treuen nur seufzen und weinen, wie einst über das Babylon der Offenbarung, auf dessen Stirn das Wort „Geheimnis“ steht, gewehklagt wird (Off 17). Diese Stadt ist auch eine Wüste und wird zur nackten Einöde gemacht. Der Ausspruch, der vor uns liegt, kündigt an, dass all ihr Seufzen aufhören wird; auch jenes, das aus den Herzen ihrer Bedrückten aufsteigt, wird ein Ende finden, denn sie wird zerstört werden, und ihr Fall wird die Befreiung der Gefangenen bedeuten.
Zwei furchtbare Feinde werden gegen sie hinaufziehen: die Meder und die Perser. Die Letzteren werden Elam genannt, wie übrigens auch an anderen Stellen in der Schrift. Hier werden klar die Einnahme und die Zerstörung Babels geschildert, wie sie uns im Buch des Propheten Daniel berichtet werden (Dan 5). In der belagerten Stadt gab der König Belsazar ein großes Festmahl. Man aß, man trank: eine Nacht der Ausschweifung, die mit Schrecken und Tod enden sollte. Die Reiter bei Paaren, das heißt die weiter oben genannten zwei Mächte, näherten sich, von Gott gesandt, und erreichten ihr Ziel genau zur richtigen Zeit. Es war der Augenblick, da der von seinem Hochmut geblendete König Belsazar, der sich bis zum Äußersten auf die Festigkeit seiner Mauern und die Stärke seines Heeres verließ, befahl, die Gefäße, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel Gottes weggenommen hatte, herbeizubringen, und sie entheiligte, indem er mit seinen Großen Wein daraus trank. In genau dieser Nacht wurde Babel eingenommen, sein elender König getötet und das Königtum Darius, dem Meder, gegeben. Babel ist gefallen! Alle seine geschnitzten Bilder und seine Götzen sind zerschmettert.
Der Prophet befindet sich in großer Angst. Schrecken hat ihn beim Anblick dessen, was geschehen wird, befallen. Schaudern hat ihn ergriffen. Sein frommes Herz ist in großer Bestürzung, als er vom Gericht hört, das die schuldige Stadt, in der sein Volk in Gefangenschaft ist, ereilen wird. Ganz im Gegensatz dazu wird im Himmel und bei den Heiligen Freude herrschen, wenn das Babylon der Endzeit fallen wird. Seine Zaubereien werden noch mehr dem Gericht verfallen sein als alle Treulosigkeiten des alten Babel in den Ebenen Sinears.
Dieses Gericht ist das Zeichen für die Befreiung der Gefangenen, die in seinen Mauern seufzten (Jes 21,10). Nun kann sich das Herz Gottes gegen jene, die Er „seine Gedroschenen“ und „Sohn seiner Tenne“ nennt, weit öffnen. Es ist sein Volk, das in die Gefangenschaft nach Babel weggeführt wurde. Gott musste es wegen seiner Sünden strafen. Es brauchte heftige und wiederholte Schläge, um den Weizen vom Stroh und von der Spreu zu trennen. Aber jetzt, wo das Ziel erreicht ist, kann dieser treue Gott, dessen Liebe zu seinem Volk sich nicht geändert hat, ihnen alles mitteilen, was Er sich an Gutem, ja Vorzüglichem, für sie vorgenommen hat. Der Herr der Heerscharen ist immer noch der Gott Israels. Kostbare Ermunterung für die, die zu allen Zeiten geprüft worden sind.
Der Ausspruch über Duma. Dieser Name scheint auf das Land Edom hinzudeuten, da sich die Stimme von Seir aus hören lässt. Edom war Esau, der Bruder Jakobs. Nach dem Tod seines Vaters nahm er alle in Kanaan erworbenen Güter und ging hinweg, um im Gebirge Seir, das er besaß, zu wohnen. In seinen Augen war es vorzüglicher als das Land, das der Herr seinen Vätern Abraham und Isaak als Erbteil versprochen hatte. Dadurch zeigte er einmal mehr, dass er ein Unheiliger war.
Dort wurde seine Nachkommenschaft zahlreich, und seine Söhne wurden Führer, große Männer, die in der Welt Erfolg hatten, aber Feinde des Volkes Gottes waren. Der Prophet Obadja teilt uns mit, dass man sich in Edom über das Unglück Jakobs gefreut habe. Der letzte der Propheten, Maleachi, klärt uns darüber auf, dass Gott den Esau, nach einer langen Zeit der Geduld, gehasst hat. Es konnte nicht anders sein, denn er hat sich ohne irgendein Anzeichen zur Umkehr immer hassenswert gezeigt.
Als der aufmerksame Wächter in Babel wie ein Löwe gerufen hatte, hörte man nicht zu und nahm seine Warnungen nicht zu Herzen. Hier im Land Edom macht man sich über ihn lustig und verspottet seine Rufe: „Wächter, wie weit ist’s in der Nacht? Wächter, wie weit in der Nacht?“ Genauso wird es in den letzten Tagen Spötter geben, „die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Ankunft?“ (2Pet 3,3). Wenn du ein Wächter bist, gut, dann sag uns, wie weit ist’s in der Nacht? Seit langem schon kündest du uns das Gericht an. Wir haben es noch nicht kommen sehen! – Auf eine solche Frechheit gibt es nur eine kurze und ernste Antwort: „Der Morgen kommt, und auch die Nacht.“
Der Morgen ist für die, die wachen, die Nacht für jene, die sich in der Finsternis befinden. Weil sie ungläubig sind, hat der Fürst dieser Welt ihre Augen verblendet und zieht sie mit sich fort in die äußere Finsternis. Für diese Letzteren gibt es kein Licht. Aber Gott ist größer als der Mensch, größer selbst als all seine Bosheit und Anmaßung. Noch lässt Er seine Gnade auf diesen finsteren Schauplatz leuchten: „Wollt ihr fragen, so fragt! Kehrt wieder, kommt her!“ Ich werde euch nicht hinauswerfen: Kehrt um! Es ist die Gnade, die euch einlädt: Kommt her!
Der Ausspruch über Arabien. Im vorhergehenden Ausspruch finden wir das Wort des Herrn über die Nachkommen Esaus. Hier treffen wir dasselbe Wort über die Nachkommenschaft Ismaels, des Sohnes Hagars, der Ägypterin, an. Kedar, der in diesen Versen besonders erwähnt wird, ist einer der zwölf Stammesfürsten unter den Söhnen Ismaels. Er wird mehrmals in der Schrift erwähnt, und es scheint, dass er zu einer wichtigeren Persönlichkeit wurde als seine Brüder, obwohl er nicht der Erstgeborene war. Er war ein starker und tatkräftiger Mann, ein Bogenschütze wie sein Vater. Durch seine Geschäfte erwarb er Reichtümer und Ruhm, wie wir es auch in den Propheten Hesekiel (Hes 27,21) und Jeremia (Jer 49,28) sehen. Seine Zelte waren besonders schwarz, denn Gott nimmt sie als Beispiel, um uns ein Bild von dem zu geben, was ausgesprochen schwarz ist (Hld 1,5).
Vor dem Herrn ist die Zeit seiner Herrlichkeit genau bemessen. Sie ist von sehr kurzer Dauer! Ein Jahr, wie man die Tage eines Tagelöhners zählt, um ihm seinen Lohn zu zahlen. Ein Jahr, nicht mehr, nicht weniger, und alle diese Herrlichkeit wird verschwinden, denn der Herr, der Gott Israels, hat gesprochen, und was sein Mund sagt, wird seine Hand gewiss ausführen.
Man kann stark, mutig und reich sein, aber was bleibt davon übrig, wenn der Hauch des Herrn darüber hinwegstreicht? Wenn wir in Duma das Bild eines Menschen haben, der über Gott spottet, so finden wir in Kedar das Bild des Materialisten, der sich überhaupt nicht um Gott kümmert und nach seinem Gutdünken handelt, als ob Er nicht existierte. Die Nachkommenschaft Ismaels hatte ihr Zuhause in der Wüste gefunden, und das genügte ihnen. Dennoch ist der Mensch, der nur die Erde besitzt, arm zu nennen!