Behandelter Abschnitt Jes 13,1 - 14,23
Zweiter Abschnitt: Jesaja 13-27
Einführung
Wir kommen nun zum zweiten Abschnitt des Buches Jesaja. In den ersten zwölf Kapiteln steht, wie wir gesehen haben, Israel im Vordergrund; in diesem zweiten Abschnitt sind es die Nationen. Alle Völker, die einen wie die andern, jedes zu seiner Zeit, werden die Regierungswege Gottes, denen niemand entfliehen kann, zu spüren bekommen. Die Menschen und die Völker werden früher oder später Dem im Gericht begegnen müssen, dessen Heiligkeit die Seraphim verkündeten.
Gott beschäftigt sich in seinen Regierungswegen immer zuerst mit jenen, die Ihm am nächsten stehen, mit jenen, die die meisten Vorrechte besitzen. Deshalb beginnt Jesaja mit Israel; danach prophezeit er über die Völker, die mit Israel in Kontakt standen; und schließlich erstrecken sich seine Aussprüche auf alle Nationen. „Der Ewige der Heerscharen hat es beschlossen, und wer wird es vereiteln? Und seine ausgestreckte Hand – wer könnte sie abwenden?“ (Jes 14,27).
Wenn Er auf diese Weise mit seinem Volk beginnt, was wird dann erst aus seinen Feinden werden? Wenn der Gerechte mit Not gerettet wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen? Ernste Fragen, die sich jetzt auf eine besondere Weise an die Christenheit richten.
Noch eine andere Bemerkung: Dieser zweite Abschnitt des Buches schließt, wie der erste, mit einem Lied. Wenn Gott die Nationen züchtigen wird, tut Er dies mit dem Vorsatz seines Herzens, sie am Ende, zusammen mit seinem Volk, zu segnen, nämlich dann, wenn der Ersehnte aller Völker gekommen sein wird. Was fordern die Menschen, und wonach seufzen sie heute mehr denn je? Ist es nicht nach dem Kommen eines mächtigen Mannes, der überall Gerechtigkeit, Frieden, Überfluss und Freude hinbringt? Der Ungläubige schaut nur auf die Erde und sieht den Befreier niemals erscheinen. Der Glaube schaut nach oben und sieht dort in den Himmeln Den, der vor bald zweitausend Jahren schon einmal gekommen, aber von der Welt verworfen worden ist und der bald in Herrlichkeit und Macht wiederkommen wird.
Während wir seine Wiederkunft erwarten, belehrt uns das prophetische Wort im Voraus über die Ereignisse, die sich zutragen müssen, um nach der Vernichtung seiner Feinde zur Aufrichtung seines Reiches zu führen. Ereignisse, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben, können eine teilweise Erfüllung einiger Prophezeiungen sein, wie zum Beispiel die Vernichtung des Assyrers vor Jerusalem unter der Regierung Hiskias.
Dennoch lenkt die Prophetie unsere Blicke auf die Zeiten des Endes und der Vollendung des Zeitalters hin, die zur Erhöhung des Christus und zu seiner Herrschaft führen werden. Dieses Reich wird nicht nur Israel und sein Land umfassen, wie es die Juden erwarten, sondern es wird sich über das ganze Universum erstrecken.
Jesaja 13-14,23
Die erste Stadt, über die der Herr einen Ausspruch macht, ist Babel, die Stadt Nebukadnezars. Dieser König hat diese Stadt in seinem Hochmut durch die Stärke seiner Macht „zum königlichen Wohnsitz und zu Ehren seiner Herrlichkeit“ erbaut (Dan 4,30). In diese Stadt, die voll Götzenbilder war, hatte der König die heiligen Geräte, die aus dem Tempel Gottes in Jerusalem geraubt worden waren, gebracht. An diesen Ort hatte er auch die Gefangenen Zions weggeführt, weit entfernt von dem Ort, wo der Herr seinen Namen hingesetzt hatte.
In ihrer leidvollen Verbannung sagten sie: „An den Flüssen Babels, da saßen wir und weinten, indem wir Zions gedachten. An die Weiden in ihr hängten wir unsere Lauten. Denn die uns gefangen weggeführt hatten, forderten daselbst von uns die Worte eines Liedes, und die uns wehklagen machten, Freude: (Singt uns eines von Zions Liedern!). Wie sollten wir ein Lied des Ewigen singen auf fremder Erde? Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, so vergesse meine Rechte! Es klebe meine Zunge an meinem Gaumen, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich Jerusalem nicht erhebe über die höchste meiner Freuden!“ (Ps 137,1-6).
Könnte der Herr die Verwüstung der Stadt, wohin Er seinen Namen gesetzt hatte, und die Gewalt, die seinem Volk, das Er erlöst hatte, angetan wurde, vergessen? Könnte Er sich dem Gebet und den Tränen seines Volkes gegenüber taub stellen? Könnten die Ausdrücke der höchsten Not, die die Treuen im eben zitierten Psalm äußern, sein Herz kalt und gleichgültig lassen?
Nein! Das ist unmöglich. Wenn Er auch sein Volk wegen dessen Ungerechtigkeiten züchtigen musste, ist Er dennoch gegenüber Jerusalem und ihren Kindern von Mitleid bewegt. Er wird gegen jene, die zum Unglück mitgeholfen haben und die es, von ihrem wilden Hass gegen sein Volk geleitet, erbarmungslos geschlagen haben, in großem Zorn entbrennen. Er wird seinen Zorn gegen jene wenden, die es verwüstet haben. O Babylon! Nun trifft es dich, und du wirst zerstört werden. „Glückselig, der dir dasselbe vergilt, was du uns getan hast!“, sagte der Psalmist.
Der Hochmut Babels ist sehr alt. Er hat sich schon damals in der Ebene von Sinear gezeigt, als man einen Turm baute, dessen Spitze bis zum Himmel reichen sollte. Dieses Unternehmen wurde durch das Gericht Gottes und die Verwirrung der Bauleute beendet. Derselbe Hochmut zeigte sich aufs Neue in der großen Stadt der Chaldäer, deren Sturz der Prophet hier ankündigt. Dieser erfolgte später durch die Hand der Meder und Perser.
Der Stolz Babels erscheint ganz am Ende der Zeit noch einmal. Denken wir nur an das Babylon in der Offenbarung, auf dessen Stirn der Name „Geheimnis“ geschrieben ist! Was wir hier in Bezug auf das damalige Babel haben, kann man in gleicher Weise auf das moderne Babylon anwenden. Dieselben Grundsätze finden sich sowohl im einen als auch im andern: die Üppigkeit; der Hochmut, der sich bis zum Himmel erhebt; der Götzendienst und der Hass gegen das Volk Gottes. Das Ende des einen wird auch das Ende des andern sein: eine Verwüstung vom Allmächtigen! (Jes 13,6; Off 18,8).
Finden wir beim Lesen der ersten Verse dieses 13. Kapitels nichts, um die Herzen der Geliebten des Herrn zu erfreuen? Doch, die Gnade unseres Gottes erstrahlt darin in hellem Glanz und beleuchtet den Schauplatz des Gerichts, das hier angekündigt wird. Vor allen Dingen denkt Gott an sein Volk, das zerstreut und gezüchtigt ist und die Folgen seiner Ungerechtigkeiten tragen muss.
Wenn der Herr das Gericht über seine Feinde ausführen wird, ist es zur Befreiung seiner Geliebten. Eine Fahne, das Signal zur Besammlung, wird auf einem kahlen Berg, wo nichts sie verdecken kann, aufgestellt. Sie wird aufgestellt, damit jeder sie sehen kann und dass alle seine Geheiligten, die Gott fürchten, seine Edlen, sich versammeln. Babel mag sie lange Zeit streng gefangen gehalten haben, aber nichts wird Gott daran hindern können, sie unter das herrliche Zepter Immanuels zu versammeln.
Wenn Babel gerichtet sein wird, wird das Volk Gottes das Lied der Befreiung, das wir in Kapitel 14 ab Vers 3 finden, singen. Auf ähnliche Weise wird auch, wenn das Babylon der Offenbarung gerichtet sein wird, das Lied von der Hochzeit das Lammes in den Himmeln gesungen werden. Was der Seher Johannes hörte, war eine Stimme einer großen Volksmenge und wie ein Rauschen vieler Wasser und wie ein Rollen starker Donner (Off 19).
Wir können hier nicht alle Einzelheiten aufzählen, die in diesen beiden Kapiteln enthalten sind. Wir müssen aber noch auf den Unterschied zwischen dem Gericht, das gegen das Land Israel ausgesprochen wurde, und jenem, das wir hier finden, aufmerksam machen. Beim Ersteren sind die bebauten Felder und die fruchtbaren Weinberge des Landes, das Gott seinem Volk gegeben hatte, den Herden und ihren Hirten überlassen. Hier wird das Gericht, das Babel erreichen wird, derart sein, dass nicht einmal der Araber dort sein Zelt aufschlagen wird und Hirten ihre Herden dort nicht lagern lassen werden. Man wird dort nur Schakale und wilde Hunde finden. Dort wird alles den Wüstentieren überlassen.
Trauriges und demütigendes Ende einer Stadt voll von Ehrgeiz und solchen, die einst die Völker beherrschten! Endlich werden die Söhne Jakobs in die Ruhe des verheißenen Landes eingeführt sein. Sie werden jene, die sie einst gefangen weggeführt hatten, zu Knechten und Mägden nehmen. Aber das Geschlecht der Übeltäter wird nie mehr erwähnt werden. Babel und seine Kinder werden ausgefegt „mit dem Besen der Vertilgung, spricht der Ewige der Heerscharen“.