Behandelter Abschnitt Jes 2-4
Jesaja 2-4
Diese drei Kapitel bilden den zweiten Teil des ersten Abschnitts dieses Buches. Er beginnt und endet mit „dem Tag des Herrn“: „Und es wird geschehen am Ende der Tage.“ Am Ende der Tage der Geschichte des ersten Menschen, am Ende seiner Sünde, seiner Schwachheit und seiner Torheit, da kommt der Tag, an dem die Macht deszweiten Menschen, des letzten Adam, alles dieses durch seine Gerechtigkeit, seine Kraft und seine Weisheit ersetzen wird. Welch ein glücklicher Tag, der die endgültige Segnung über das Volk Gottes und sogar über die ganze Erde herbeiführen wird. Aber leider auch ein Tag, der nur durch Gericht eingeführt werden kann, denn das Haus Jakob wollte nicht im Licht Gottes wandeln.
Wir haben hier das erste Gesicht des Propheten; eine wunderbare Vision über das Ende aller Wege Gottes mit Juda und Jerusalem; ein Gesicht, das uns sogar den Segen enthüllt, der über alle Nationen ausgegossen werden wird.
Das Volk kann sich vom Herrn abgewandt, seine heiligen Gebote übertreten, seine Ohren vor der Stimme seiner Propheten verschlossen, seinen Messias verworfen und getötet haben; es kann bis an die äußersten Enden der Erde zerstreut worden sein; Jerusalem kann erniedrigt, gedemütigt, von den Nationen während Jahrhunderten mit Füßen getreten worden sein; aber nichts, gar nichts wird die Erfüllung dessen verhindern können, was der Herr, der Gott Jakobs, sich in Bezug auf diese Stadt vorgenommen hat. Dort hat es Ihm gefallen, seinen Namen wohnen zu lassen. Bald wird Jerusalem über alle Städte der Nationen erhoben werden, und alle Völker werden zu ihm strömen. Eine glückliche Zeit, eine Zeit des Friedens!
Die Wichtigkeit der Verse, die dieses Thema einleiten, wird durch die Tatsache, dass sie fast Wort für Wort im Buch des Propheten Micha wiederholt werden, genügend bewiesen (Mich 4,1-3). Der Heilige Geist hat sie sowohl dem einen als auch dem andern dieser beiden Propheten eingegeben. Der Glaube freut sich darüber; der Ungläubige hingegen sieht darin nur eine bloße Wiederholung und beraubt sich bewusst des ganzen Segens, den Gott jedem zur Verfügung stellt.
Da Jerusalem eine solche Herrlichkeit zuteilwerden wird, wie sollte dann das Verhalten des Hauses Jakob sein? Aber Israel kennt seinen Gott nicht, es ist ein Volk ohne Verstand, und es ist wegen seiner Ungerechtigkeiten verstoßen worden (Jes 2,6). Weil es nicht im Licht Gottes wandeln wollte und sich den Gräueltaten der Nationen zugewandt hat, muss es die Folgen seiner Torheit tragen. Das Land ist mit den Reichtümern der Nationen gefüllt – aber auch mit ihren Götzen. Daher die Entrüstung des Propheten, der ausruft: „Du wirst ihnen nicht vergeben“ (Jes 2,9).
Das Gericht wird sich über das Volk ergießen, der Mensch aus dem Volk wird gebeugt und der Große erniedrigt werden; ein Gericht, das beim Volk Gottes beginnen und sich nachher auf die Nationen ausweiten wird. Was soll man mit dem Menschen tun? Man müsste ein für alle Mal mit ihm Schluss machen. Seine Geschichte hat auf dem Hügel Golgatha ihr Ende gefunden. Es gibt nichts mehr für ihn zu tun. Er hat im vollsten Ausmaß gezeigt, was er ist.
Das dritte Kapitel ist eng mit dem vorhergehenden verbunden; es ist eigentlich nichts anderes als seine Fortsetzung. Es schildert den völligen Verfall, in den Jerusalem und Juda geraten sind. Die Vernichtung des Hochmuts und der Bosheit des Menschen wird überall stattfinden. Aber der Prophet spricht die Gerichte zuerst über Jerusalem und Juda aus, denn sie sind es, die Gott am nächsten stehen und deshalb die größte Verantwortung tragen. Gegen sie richten sich die furchtbarsten Schläge der Gerechtigkeit. Wird es mit der Christenheit bald auch so sein? Sie ist gegenüber dem Volk Israel unendlich bevorzugt gewesen, und dennoch begeht man in ihrer Mitte dieselben Dinge wie sie auch jenes Volk verübte, das so schreckliche Gerichte erlitten hat.
Im ersten Vers stellt sich Gott in seiner ganzen Autorität vor: Er ist der Herr; und in seiner ganzen Macht: Er ist der Herr der Heerscharen. Er nimmt aus der Mitte des Volkes Gottes jede Stütze und jede Unterstützung weg, so dass die Menschen keine Nahrung zu ihrer Stärkung und nichts zu ihrer Erquickung finden. Er nimmt auch den Helden und den Kriegsmann hinweg. Es gibt niemanden mehr, der für das Volk streiten kann; keine Richter mehr, die fähig sind, ihm zu zeigen, was gut und was böse ist; keine Propheten mehr, die ihnen die Gedanken Gottes kundtun; keine Seher mehr, um eine Antwort Gottes zu geben (Mich 3,7); keine Ältesten mehr, die Erfahrung besitzen; keine Obersten über fünfzig mehr, um das Volk zum Sieg zu führen; keinen einzigen angesehenen Mann mehr, dessen Wandel Gott verherrlicht; keine Ratgeber mehr, die das Volk Gottes unterweisen, wie es sich in den schwierigen Umständen verhalten soll; keine geschickten Künstler mehr, nur die schlechten Arbeiter bleiben übrig (Phil 3,2); keinen mehr, der auftreten kann, um den Feind in die Flucht zu schlagen und das Volk von seinen Fallstricken zu befreien.
Ach, welch eine traurige Beschreibung! Es ist die Umkehrung alles dessen, was Gott zum Wohl seines Volkes eingesetzt hat und was gut und schicklich ist.
Junge, unerfahrene Leute üben Gewalt über das Volk aus. Kinder, die gehorchen lernen müssten, herrschen über dasselbe. Einer bedrückt den andern, und jeder seinen Nächsten. Und schließlich wird dieses Bild dadurch vervollständigt, dass wir den Knaben gegen den Greis frech auftreten sehen. Inmitten eines solchen Verfalls kommt es dem Volk nicht einmal in den Sinn, zu dem Einzigen aufzuschauen, der sie befreien könnte, zum Herrn, der sich trotz allem selbst nicht geändert hat.
Nein, es sucht seine Hilfe beim Menschen: „Du hast ein Kleid, unser Vorsteher sollst du sein“ (Jes 3,6). Hier haben wir die Hilfsquelle, der man vertraut. Wahrhaftig eine armselige Sache! Das Volk anerkennt, dass alles im Verfall begriffen ist, denn es sagt: „Dieser Einsturz sei unter deiner Hand.“ Dennoch rechnet es mit dem, der ihm von keinerlei Nutzen sein kann, denn das, was für die Befreiung des Volkes unerlässlich ist, fehlt dem Menschen, den es dazu auserwählt hat. Er ist kein Arzt, um die Wunden, die die Sünde verursacht hat, zu verbinden und zu heilen. Er hat kein Brot, um das Volk zu ernähren. Er besitzt den Mantel des Propheten nicht, um die Gedanken Gottes mitzuteilen und zu verkünden, was geschehen wird. Die Menschen sind gefallen und ihre Zunge zeugt gegen sie: Wehe ihnen!
Mitten in diesem ganz wirren Zustand richtet der Herr seine Augen auf einen treuen Überrest, den Er gern anerkennt (Jes 3,10). Er vergisst nichts, was für seinen Namen getan wird, und Er wird es vergelten. Diese Worte sind voll Ermunterung für die, die treu sein möchten, und zwar zu allen Zeiten. Trotz Verwirrung und Unordnung ändert Gott nichts an seiner Regierung, und die Taten der Gerechten und der Übeltäter werden auf den Waagschalen des Heiligtums gewogen, und jede wird ihren gerechten Lohn erhalten.
Von Vers 13 an steht der Herr da, um zu rechten, und Er tritt auf, um die Völker zu richten. Zuerst wird Er mit denen, die an der Spitze seines Volkes stehen, ins Gericht gehen: mit den Ältesten und den Fürsten. Ach! Sie führten das Volk in die Irre und beuteten es aus, um sich auf dessen Kosten zu bereichern. Er wird auch mit dem weiblichen Teil des Volkes rechten: mit den Töchtern Zions. Er hat alles, was sie betrifft, bis in die kleinsten Einzelheiten gesehen, und Er macht hier eine lange und sehr genaue Aufzählung der Eitelkeiten, in denen sie sich gefielen und die zum moralischen Verfall des Volkes beitrugen.
Beim Lesen dieses Abschnitts ist es an uns, zu fragen, ob der Heilige Geist, wenn Er die Torheit der Töchter Zions beschreibt, nicht gleichzeitig die Leichtfertigkeit der heutigen Frauen in der Christenheit schildert. Man müsste von diesen Worten gewiss nichts wegfallen lassen, sondern eher noch Weiteres hinzufügen. War dies die Zeit, sich in solchen Eitelkeiten zu gefallen, wenn das Gericht unmittelbar bevorstand, wie es auch heute der Fall ist?
Mit den perfektionierten Waffen, über die die Menschheit heute verfügt, den äußerst mörderischen Waffen, die von einem Augenblick zum andern eingesetzt werden können, was wird da von den Menschen aus den Völkern, die sich ihrer Zivilisation rühmen, übrigbleiben, wenn ein neuer Krieg stattfinden wird? Trauer, Wehklagen und Trostlosigkeit werden das Los der Frauen sein, die diese Massenmorde überleben werden.
Die Zahl der Männer wird so vermindert sein, dass an jenem Tag sieben Frauen einen einzigen Mann ergreifen und sagen werden: „Wir wollen unser eigenes Brot essen und uns mit unseren eigenen Kleidern bekleiden; nur lass uns nach deinem Namen genannt werden, nimm unsere Schmach hinweg“ (Jes 4,1). Solche Worte benötigen keine Erklärung; sie zeigen uns sehr eindrücklich, wohin der Stolz der Töchter Zions führen wird.
Diese Dinge sind auch geschrieben, um uns, die wir das Ende der Zeitalter erreicht haben, als Warnung zu dienen. Wie wird der Zustand der Christenheit sein, wenn Gott mit ihr ins Gericht gehen wird?
Mit Kapitel 4 langen wir am Ende des zweiten Teils des ersten Abschnitts an.
Die Kapitel 2 bis 4 sind in gewisser Hinsicht das Vorwort des ganzen Buches. Wegen der Gerechtigkeit und der Heiligkeit Gottes zeigen sie die Schuld seines Volkes und das Gericht, das unerbittlich über dasselbe hereinbrechen muss, deutlich an. Aber die wunderbare Gnade Gottes erhellt ebenfalls diesen Schauplatz, und sie scheint mitten in dieses düstere Bild hinein.
Die ersten Verse von Kapitel 2 verkünden die zukünftige Herrlichkeit Zions und den Segen, der sich, ausgehend von Jerusalem, auf alle Völker erstrecken wird.
In Kapitel 4, das dieses Thema abschließt, lernen wir Den kennen, der die Zierde und der Schmuck dieser ganzen herrlichen Szene sein wird. Sein Name wird hier „Spross“ genannt. Er ist der Anfang; Er ist auch die Quelle des Lebens, der, den uns das Johannesevangelium als den ewig Seienden offenbart. Er ist es, durch den und für den alle Dinge sind, der hier mächtig zugunsten der Übriggebliebenen aus Israel wirkt. Es sind diese Gerechten, von denen uns in Kapitel 3 berichtet wird.
Mit zärtlicher Fürsorge wacht Er während dieser Zeiten des Gerichts über sie, und Er bewahrt und erhält sie im Blick auf den Segen, der während seiner ruhmreichen Herrschaft über die ganze Erde ausgegossen wird. Während dieser schrecklichen Zeiten, wenn der Wagen seiner Regierung auf die Erde vorrücken wird, werden die Räder dieses Wagens, die voller Augen sind, nur die Übeltäter zermalmen (Hes 1,18).
Der zweite Vers unseres Kapitels ist von großer Schönheit. Wenn es scheint, als habe das Gericht alles zerstört, erscheint Er, der „Spross“, in seiner ganzen Herrlichkeit auf dem Schauplatz. Er bringt die Segnung auf das Land Israel, und alle, die zum Leben eingeschrieben sind, werden sich vollkommen daran erfreuen.
Dann wird es über jeder Wohnstätte des Berges Zion und über seine Versammlungen eine Decke geben, die sie schützen wird, genauso wie Israel in der Wüste am Tag durch die Wolkensäule und in der Nacht durch die Feuersäule beschützt wurde. Es ist der Herr selbst, der durch die Offenbarung seiner Herrlichkeit der Schutz des Berges Zion sein wird. Glückliche Zeiten für jene, die treu gewesen sind, als das Volk seinen Gott verließ!