Behandelter Abschnitt Ri 11
Dennoch lernen wir auch von den Geringsten, durch die Er zu wirken sich herabließ, dass, obwohl zweifellos ein höchst demütigender Zustand in Israel herrschte, Gottes Rechte für sein Volk aufrechterhalten wurden. Jephta gibt sich die größte Mühe, zu beweisen, dass er das Recht eindeutig auf seiner Seite hat, wenn er vorangeht. Dies ist ein wichtiges Prinzip. Es war nicht nur so, dass das Volk von den Ammonitern unwürdig unterdrückt wurde, sondern Jephta wagte es nicht, in den Krieg zu ziehen, noch bekleidete ihn der Geist Gottes mit Energie für den Kampf, bis er die Gewissheit erlangte, dass die Sache gerecht war, und das gründete sich auf die Handlungen Gottes mit den Kindern Israels beziehungsweise mit Ammon. Dies ist äußerst lehrreich.
Nichts rechtfertigt in der Arbeit des Herrn ein Abweichen von seinen Gedanken oder seinem Willen. Es spielt keine Rolle, welche Linie eingeschlagen wird, kein gutes Ende wird jemals von Gott anerkannt werden, wenn der Weg nicht nach seinem Wort und seiner Gerechtigkeit verläuft. Sogar der Mann, der vielleicht vor allen anderen die Gefahr von unüberlegten Gelübden in der Freude über eine göttliche Befreiung veranschaulicht, und das betrifft ihn am ehesten, war das genaue Gegenteil von unüberlegt, als er seinen Dienst für das Volk Israel antrat. Hören wir, welch feierlichen Appell Jephta an die Ältesten richtet, bevor er handelt. Zweifellos ist der Wunsch nach seiner eigenen Wichtigkeit und Erhöhung nur zu offensichtlich; aber als er den Dienst selbst antritt, sorgt er nicht nur dafür, dass Israel das Recht empfindet, unbestreitbar bei ihnen zu sein, sondern auch, dass dies bekannt wird und auf das Gewissen seines Gegners einwirkt.
„Und Jephta sandte Boten zum König der Kinder Ammon und ließ ihm sagen: Was haben wir miteinander zu schaffen, dass du gegen mich gekommen bist, mein Land zu bekriegen? Und der König der Kinder Ammon sprach zu den Boten Jephtas: Weil Israel mein Land genommen hat, als es aus Ägypten heraufzog, vom Arnon bis an den Jabbok und bis an den Jordan; und nun gib die Länder in Frieden zurück“ (V. 12.13). Die Antwort war jedoch falsch. Der König der Ammoniter sprach nicht aufrichtig. Es stimmte nicht, dass die Kinder Israels diese Ländereien eingenommen hatten, wie behauptet wurde. Die Ammoniter hatten sie verloren, bevor die Kinder Israels sie von anderen nahmen, die sie rechtmäßig angreifen und plündern durften; aber Gott hatte verboten, dass die Kinder Israels weder Ammon noch Moab noch Edom plünderten. Gott hielt sich sogar an das ferne Band der Verbindung – ein höchst eindrucksvoller Beweis und ein Zeugnis für die Wege unseres Gottes. In alten Zeiten gab es eine Verbindung zwischen Ammon und Moab und den Kindern Israels: eine Wolke der Unehre und Schande hing über ihnen; dennoch gab es eine Verbindung, und Gott wollte, dass wenigstens diese nie vergessen würde. Jahre mögen vergehen, Hunderte von Jahren, aber moralische Prinzipien und sogar natürliche Beziehungen verlieren nicht ihre Kraft. Und es war von größter Bedeutung, dass sein Volk darin geschult werden sollte. Das Land mochte gutes Weideland sein, die Versuchung groß, die Provokation seitens Moab oder Ammon sehr groß. Nach menschlichen Maßstäben mag es ein gerechtes Recht auf Eroberung geben; aber all das würde Gott nicht genügen, der auch in den Kämpfen seines Volkes alles entscheiden muss. Gott lässt es nicht zu, dass Israel, weil dieser oder jener ein Feind ist, sich an die Stelle seiner Feinde setzt. Er steht dazu, dass sie niemals einen Feind haben dürfen, es sei denn, es ist der Feind Gottes. Welch eine Ehre, wenn es Israel erlaubt ist, nur die Sache Gottes zu verteidigen! Es ist ihnen nicht erlaubt, Feldzüge aus eigenem Antrieb zu unternehmen. Welchen Mut und welche Zuversicht dürfen sie dann hegen!
So wurde Israel der Krieg damals aufgezwungen. Der König von Ammon hatte vergessen oder nie nach der wirklichen Gerechtigkeit der Sache geforscht. Er wusste, dass diese Ländereien einst sein Land gewesen waren und dass die Kinder Israels sie nun besaßen. Mehr wusste er nicht und wollte es auch nicht wissen. Aber das war weit entfernt von der wahren und vollständigen Geschichte des Falles. Tatsache war, dass einige andere Rassen und Völker den Ammonitern dieses Land entrissen hatten. Nun war es für die Kinder Israels völlig rechtmäßig, sie als Eindringlinge und Fremde zu behandeln, die keinen rechtmäßigen Anspruch hatten, keinen triftigen Grund, warum sie zurückgegeben werden sollten. Denn wir müssen uns genau daran erinnern, wenn wir den Umgang Gottes mit dem Heiligen Land und mit seinem Volk Israel betrachten: Gott hatte das Land Israel immer für das auserwählte Volk bestimmt. Hatte Er nicht ein Recht, dies zu tun? Die Kanaaniter hätten sich daraus zurückziehen können; die Ammoniter hätten sich andere Länder suchen können. Die Welt war groß genug für alle. Es gab zu dieser Zeit, wie zu jeder anderen, reichlich Platz, um sich hier und dort anzusiedeln; und wenn der Grund, warum sie sich nicht bewegten, darin lag, dass sie sich nicht um das Wort Gottes kümmerten, dann mussten sie die Konsequenzen ihres Unglaubens tragen. Sie glaubten nicht, dass Gott seine Ansprüche durchsetzen würde. Sie hatten keinen Glauben an die Verheißung Gottes an Abraham oder an seine Nachkommen. Aber es kam die Zeit, in der Gott nach dieser Verheißung handeln würde, und in der diejenigen, die den Anspruch Gottes anzweifelten, die Strafe dafür zahlen mussten.
Zweifellos waren die Kinder Moab, Ammon und Edom, zumindest aus Gründen der Verwandtschaft, von der Strafe ausgenommen, der Gott die Völker Kanaans unterwarf. Wenn einige von ihnen Land weggenommen hatten, das den Ammonitern gehörte, war es in diesem Fall für Israel offen und völlig rechtmäßig, diese Eindringlinge aus dem Land zu vertreiben und das in Besitz zu nehmen, was ihre Beute war. Wenn Ammon nicht versuchen konnte oder wollte, es vorher zurückzubekommen, hatten sie keinen Anspruch darauf, es jetzt von Israel zu fordern. Nach diesem Prinzip setzt sich Jephta also für die Gerechtigkeit dieser Sache ein, die nun durch das Schwert zwischen Ammon und Israel entschieden werden sollte. Deshalb wird es mit großer Sorgfalt erklärt.
„So spricht Jephta“, war seine Antwort, „Israel hat nicht das Land Moabs noch das Land der Kinder Ammon genommen“ (V. 15). Nichts rechtfertigt ein Abweichen vom Wort Gottes. Es kommt nicht darauf an, was das scheinbare Gut ist, das gewonnen werden soll, oder was das Unheil sein mag, das vermieden werden soll: Der einzige Ort, der einem Gläubiger gut ansteht, ist der Gehorsam. So sagt er: „als sie aus Ägypten heraufzogen, da wanderte Israel durch die Wüste bis zum Schilfmeer, und es kam nach Kades; und Israel sandte Boten zum König von Edom und ließ ihm sagen: Lass mich doch durch dein Land ziehen! Aber der König von Edom gab kein Gehör. Und auch zum König von Moab sandte es; aber er wollte nicht. So blieb Israel in Kades“ (V. 16.17).
Und was tat Israel? Empörte es sich darüber? Nein, das war nicht der Fall: Sie nahmen die Beleidigung geduldig hin; das waren Menschen, die berufen waren, Zeugen der irdischen Gerechtigkeit zu sein. Wie viel mehr sind wir, Brüder, die wir die Nachfolger dessen sind, der nichts anderes kannte als ein Leben in ständiger Betrübnis und Schande zur Ehre Gottes! Das ist unsere Berufung; aber wir sehen sogar in Israel, dass sie außerhalb der Grenzen, der sehr engen Grenzen, in denen Gott sie dazu berief, die Vollstrecker der göttlichen Rache zu sein, ruhig ertrugen und erduldeten, was sie am besten konnten; und es gab solche, die die Gedanken Gottes verstanden und genau wussten, warum sie nicht dazu berufen waren, es zu tun. Sie nahmen es ruhig hin und zogen weiter ihres Weges. „Und es wanderte durch die Wüste und umging das Land Edom und das Land Moab und kam von Sonnenaufgang her zum Land Moab; und sie lagerten jenseits des Arnon und kamen nicht in das Gebiet Moabs, denn der Arnon ist die Grenze Moabs“ (V. 18). Es war ein weiter Weg und äußerst unbequem. Wer zweifelte an der Unfreundlichkeit der Moabiter und Edomiter? Es war bekannt, und es war auch so beabsichtigt; aber trotz alledem würden die Kinder Israels, wie Jephta zeigte, nicht gegen das Wort Gottes handeln.
Die moralische Bedeutung dieser Sache war sehr groß, denn wenn sie einfach den Willen und das Wort Gottes taten, wer konnte sich ihnen in den Weg stellen? Das Ziel des Königs von Ammon war es, die Kinder Israels ins Unrecht zu setzen. Jephta beweist auf großartige Weise, dass das Recht ganz auf ihrer Seite war. „Und Israel sandte Boten zu Sihon, dem König der Amoriter, dem König von Hesbon, und Israel ließ ihm sagen: Lass uns doch durch dein Land ziehen bis an meinen Ort!“ (V. 19). Sie wollten nicht mit dem König von Hesbon kämpfen, der ein Amoriter war, es sei denn, er wäre tatsächlich im Heiligen Land. Doch es war von Gott, dass diese Amoriter sie zu ihrem eigenen Verderben nicht friedlich durchziehen lassen wollten. Das wiederum macht den Fall Israels noch deutlicher, denn man hätte annehmen können, dass die Amoriter sicher aus dem Weg geräumt werden müssten, da dieses höchst böse Volk ausdrücklich der Vernichtung geweiht war. „Aber Sihon traute Israel nicht, es durch sein Gebiet ziehen zu lassen; und Sihon versammelte sein ganzes Volk, und sie lagerten in Jahza; und er kämpfte gegen Israel. Und der Herr, der Gott Israels, gab Sihon und sein ganzes Volk in die Hand Israels, und sie schlugen sie. So nahm Israel das ganze Land der Amoriter, die jenes Land bewohnten, in Besitz: Sie nahmen das ganze Gebiet der Amoriter in Besitz, vom Arnon bis an den Jabbok, und von der Wüste bis an den Jordan“ (V. 20–22).
Das war der eindeutige und sichere Anspruch Jephtas. Israel hatte diese Ländereien gar nicht von Ammon genommen. Sie hatten sie von den Amoritern genommen. Wenn der Amoriter sie in erster Linie von Ammon bekommen hatte, was zweifellos der Fall war, war dies keine Angelegenheit zwischen Israel und Ammon, sondern zwischen Ammon und Sihon. Es war die Sache der Ammoniter, ihre Ansprüche so gut sie konnten gegen die Amoriter zu verteidigen. Wenn sie sie nicht wiedergutmachen konnten, wenn sie ihr Land verloren hatten und es nicht zurückgewinnen konnten, was hatte Israel mit ihren Angelegenheiten zu tun? Die Kinder Israels waren in keiner Weise dafür verantwortlich. Sie hatten das Land durch den provozierten Kampf gewonnen, in den der Amoriter sie hineingezogen hatte. Sie hatten Frieden gesucht, und Sihon wollte Krieg haben. Das Ergebnis war, dass der Amoriter sein Land verlor. So hatte Sihon in der Tat die Israeliten gegen ihren Willen angegriffen, die ihm das Land abgenommen hatten. Der Anspruch der Kinder Israel auf dieses Land war also unanfechtbar.
Gott selbst hatte die Dinge so angeordnet. Er wusste sehr wohl, dass die Anwesenheit der Amoriter in ihrer Nähe eine ständige Gefahr und ein Übel sein würde. Er ließ es zu, dass es kein Vertrauen in die friedlichen Absichten Israels geben sollte, gerade um sie in den Besitz des Landes zu bringen. So hatte der König von Ammon seinen alten Anspruch verloren und konnte er Israels Recht auf die Eroberung nicht mehr in Frage stellen. Jephta sagte: „Und so hat nun der Herr, der Gott Israels, die Amoriter vor seinem Volk Israel vertrieben, und du willst uns vertreiben?“ (V. 23). Der König von Ammon mochte die Israeliten angreifen und die Willkür des Schwertes erneuern, aber er war ungerecht, das Land von Israel zu fordern. „Nimmst du nicht das in Besitz, was Kamos, dein Gott, dir zum Besitz gibt? So auch alles, was der Herr, unser Gott, vor uns vertrieben hat, das wollen wir besitzen“ (V. 24).
Nachdem er auf diese Weise seinen Anspruch auf das Land mit der Begründung, es sei ammonitisch, vollständig widerlegt hatte, während es in Wirklichkeit von den Amoritern erobert worden und so in Israels Hand übergegangen war, gibt er ihnen nun eine Warnung vor den Schlägen, die Gott einem mächtigeren König als ihm selbst zugefügt hatte. „Und nun, bist du etwa besser als Balak, der Sohn Zippors, der König von Moab? Hat er je mit Israel gerechtet oder je gegen sie gekämpft? Während Israel in Hesbon wohnte und in seinen Tochterstädten, und in Aroer und in seinen Tochterstädten, und in allen Städten, die längs des Arnon liegen, dreihundert Jahre lang“ (V. 25.26). So wurde bewiesen, dass Israel, in welchem Licht auch immer betrachtet, einen gültigen Anspruch hatte, nicht nur aufgrund der langen Zeit des Besitzes, sondern aufgrund eines Rechts, das auf ihrer Eroberung eines der Feinde beruhte, die Gott selbst der Vernichtung hingegeben hatte, aber eines Feindes, der sie mutwillig angegriffen hatte, als sie ihn unversehrt gelassen hätten, wie sie es jetzt mit dem Ammoniter tun. In jeder Hinsicht war also der von Israel eroberte Boden sicher und konnte nicht mit Recht angefochten werden. Der König von Ammon hatte überhaupt keinen gerechten Anspruch.
Als der König von Ammon so bewiesen hatte, dass er ohne Recht zu den Waffen gegriffen hatte, war er nur umso grimmiger, wie es bei Menschen üblich ist, wenn sie eines Unrechts überführt werden, zu dem sie sich verpflichtet haben. „Da kam der Geist des Herrn über Jephta; und er zog durch Gilead und Manasse und zog nach Mizpe in Gilead, und von Mizpe in Gilead zog er gegen die Kinder Ammon. Und Jephta gelobte dem Herrn ein Gelübde“ (V. 29.30).
Hier tritt die Unbesonnenheit des Mannes auf den Plan, deren Folge im höchsten Maß schmerzhaft war. Wir hatten die Macht Gottes, die in der Befreiung wirkte, aber der Mensch allein ist unfähig, auch nur ein sicheres Gelübde vor dem Herrn abzulegen; und wer könnte hier die bittere Frucht der Unbesonnenheit nicht voraussehen? Der Mensch ist so schwach und irrend, wie Gott mächtig und gut ist: Diese beiden Dinge kennzeichnen das Buch vom Anfang bis zum Ende. In diesem unbesonnenen Gelübde sagt Jephta, „so soll das, was zur Tür meines Hauses herauskommt“ und so weiter (V. 31). Das gleiche Wort bedeutet „was auch immer“. Es gibt keinen Unterschied in der Form. Ich selbst bezweifle nicht, dass es im weitesten Sinne des Wortes ausgedrückt wurde: „so soll das, was zur Tür meines Hauses herauskommt, mir entgegen ...“ Er konnte, wenn er nachdachte, kaum erwarten, dass ein Ochse oder ein Schaf aus dem Haus kommen würde. Es war also ganz offensichtlich, dass Jephta sich in seinem Gelübde der größten Unbesonnenheit schuldig machte. „Wenn ich in Frieden von den Kindern Ammon zurückkehre –, es soll dem Herrn gehören, und ich werde es als Brandopfer opfern!“ (V. 31). Was dabei herauskam, wissen wir nur zu gut. Es war seine Tochter, und ich zweifle nicht daran, dass er in seinem entschlossenen, unbeugsamen Geist sein Gelübde erfüllte.
Alle sind sich bewusst, dass es viele gibt, die versuchen, die Schwierigkeit wegzuerklären oder abzuschwächen. Sie brauchen sich nicht um die Schwierigkeiten zu kümmern. Die Heilige Schrift verbürgt sich in keiner Weise für die Unbeflecktheit derer, die auch im Glauben gewirkt haben. Sie wirft keinen Schleier über das Unschöne und Bedrückende in denen, die den Namen des Herrn tragen, wie es der Mensch gern tut; zumal der Geist Gottes hier gerade den Zweck verfolgt, die schrecklichen Folgen eines Gelübdes zu zeigen, das so wenig vor Gott abgewogen und gar nicht als seine Führung angenommen wurde. Liegt andererseits nicht eine wahre Schönheit in der Dunkelheit, in der die Schrift eine so schmerzliche Angelegenheit behandelt? Wir wissen, dass die Menschen es zu einer Frage machen, über die geniale Geister spekulieren können. Der geistliche Mensch versteht, wie es war. Wie das Gelübde ohne Gott war, so wurde eine Vorgehensweise zugelassen, die den Heiligen Geist am meisten beleidigte. Wir können daher leicht verstehen, wie die heilige Weisheit der Schrift Einzelheiten über eine Tatsache vermeidet, die dem Geist Gottes so sehr widerspricht, wie der Umgang eines Mannes mit einem menschlichen Wesen, ja mit seiner eigenen Tochter. Es scheint mir also, dass die Zurückhaltung des Heiligen Geistes ebenso auffallend gottgemäß ist, wie die Unbesonnenheit Jephtas eine ernste Warnung an den Menschen ist.