Behandelter Abschnitt Ri 6
Nun finden wir die Gnade Gottes, die eingreift, um einen Befreier zu erwecken, als die Midianiter das Volk Gottes sieben Jahre lang in die Sklaverei geführt hatten. „Und die Hand Midians wurde stark über Israel. Vor Midian richteten sich die Kinder Israel die Klüfte zu, die in den Bergen sind, und die Höhlen und die Bergfestungen“ (V. 2). So tief waren sie noch nie gesunken. Im Land Gottes, in ihrem eigenen Land, wie Fremde und Flüchtige zu sein, war eine brennende Schande für Israel. Aber es gab noch eine tiefere Not. Sie hatten den Herrn vergessen und waren mehr zu Baal übergelaufen, als je zuvor bekannt war: daher auch die Notwendigkeit, zu dem zu erwachen, den Gott gebrauchen wollte. Was war das vor Gott? Gideon empfand dies, und er fühlte es umso mehr, da er wusste, dass ihre Knechtschaft gegenüber Midian das Werk des Herrn war, der aufgrund des moralischen Zustands Israels gezwungen war, sein Volk in einen so verachtenswerten Zustand zu bringen. Was muss Gott empfunden haben, so mit denen umzugehen, die Er liebte!
„Und es geschah, wenn Israel gesät hatte, so zogen Midian und Amalek und die Söhne des Ostens herauf, sie zogen herauf gegen sie. Und sie lagerten sich gegen sie und verdarben den Ertrag des Landes bis nach Gaza hin; und sie ließen keine Lebensmittel in Israel übrig, weder Kleinvieh noch Rind, noch Esel. Denn sie zogen herauf mit ihren Herden und mit ihren Zelten, sie kamen wie die Heuschrecken an Menge; und sie und ihre Kamele waren ohne Zahl; und sie kamen in das Land, um es zu verderben. Und Israel verarmte sehr wegen Midian; und die Kinder Israel schrien zu dem Herrn“ (V. 3–6).
Wie bewegend ist es, meine Brüder, diese so oft wiederholte Geschichte zu finden! Jeder andere als Gott hätte sich geweigert, auf ein solches Schreien zu hören, zumindest von einem solchen Volk. Denn hatten sie nicht immer und immer wieder gesündigt, waren gezüchtigt worden und hatten geweint? Waren sie nicht zurückgegangen, hatten geweint und waren erlöst worden; dann wieder in Sünde gefallen, hatten wieder geweint, waren wieder erlöst worden – immer geweint, immer erlöst und immer wieder zurückgefallen, in eine größere Tiefe als je zuvor? Nur Gott konnte Geduld empfinden und einem solchen Volk zartes Erbarmen zeigen. Denn wenn sie unter der großen Not, die der Herr wegen ihrer Sünden über sie brachte, weinten, so antwortete Er doch nicht weniger, betrübt über sie und mit ihnen leidend. „Und es geschah, als die Kinder Israel wegen Midian zu dem Herrn schrien, da sandte der Herr einen Propheten zu den Kindern Israel; und er sprach zu ihnen: So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe euch aus Ägypten heraufgeführt und euch herausgeführt aus dem Haus der Knechtschaft; und ich habe euch errettet aus der Hand der Ägypter und aus der Hand all eurer Bedrücker, und ich habe sie vor euch vertrieben und euch ihr Land gegeben. Und ich sprach zu euch: Ich bin der Herr, euer Gott; ihr sollt nicht die Götter der Amoriter fürchten, in deren Land ihr wohnt. Aber ihr habt meiner Stimme nicht gehorcht. Und der Engel des Herrn kam und setzte sich unter die Terebinthe, die in Ophra war, das Joas, dem Abieseriter, gehörte. Und Gideon, sein Sohn, schlug gerade Weizen aus in der Kelter, um ihn vor Midian in Sicherheit zu bringen“ (V. 7–11).
Beachte das zweifache Vorgehen des Herrn. Er schickt zuerst einen Propheten, dann einen Engel; der eine, um ihnen ihre Sünde ins Gewissen zu reden, der andere, um einen Erlöser zu erwecken. Er liebt es, sein Volk von den erbärmlichen Folgen seines Versagens zu befreien, aber Er will, dass sie das Böse zuerst anerkennen.
Gideon wusste also aus Erfahrung, wie der Zustand des Volkes war. Sein Zustand war im Kleinen das, was der des Volkes im Allgemeinen war. Er schlug gerade Weizen aus in der der Kelter, zweifellos aus Angst vor den Midianitern. Die gewöhnlichste Pflicht eines Mannes in Israel konnte nicht ohne die Furcht vor diesen mächtigen und zahlreichen Feinden getan werden; aber „der Engel des Herrn erschien ihm und sprach zu ihm: Der Herr ist mit dir, du tapferer Held“ (V. 12). Es gibt also eine Kraft, die sich auf das Wort des Herrn stützt. Welch eine Ermutigung für sein Ziel! Was! Der Mann, der in der Kelter Weizen ausschlug? Das soll die Wahl Gottes sein, um das Joch von Midian zu brechen? Welch eine Gnade von Seiten Gottes! „Und Gideon sprach zu ihm: Bitte mein Herr, wenn der Herr mit uns ist“ – denn das ist sein Fundament – „wenn der Herr mit uns ist“ – nicht bloß „mit mir“. Er verbindet das Volk mit dem Namen des Herrn, nicht bloß mit sich selbst – das untrügliche Zeichen wahren Glaubens und wahrer Liebe. „Wenn der Herr mit uns ist, warum hat denn dies alles uns betroffen? Und wo sind alle seine Wunder, die unsere Väter uns erzählt haben, indem sie sprachen: Hat der Herr uns nicht aus Ägypten heraufgeführt? Und nun hat der Herr uns verlassen und uns in die Hand Midians gegeben“ (V. 13). Beides war wahr. Es war der Herr, der gesegnet hatte, und es war der Herr, der uns in die Hände der Midianiter gegeben hatte; und gerade diese Tatsache, so überwältigend sie auch war, ist es, die Zuversicht gibt. Wäre es nur so gewesen, dass die Midianiter über Israel gesiegt hätten, wäre das nichts für den Glauben gewesen, sondern in der Tat eine Verleugnung des Herrn und ihrer Beziehung zu Ihm. Aber bei Gideon war es nicht so. Er sieht, dass ihre Bedrängnis das Werk des Herrn war, weil sie gesündigt hatten. Aber derselbe Herr, der sein Volk in die Hände der Midianiter gab, sagte nun zu dem zitternden Sohn Manasses: „Der Herr ist mit dir, du tapferer Held!“ (V. 12).
Eine Schwierigkeit stellte sich für seinen Geist dar. Sein Herz war zweifellos nicht ohne Übung, wie all diese Dinge sein konnten. Es war nicht so, dass er zweifelte; aber er wünschte, eine Erklärung dafür zu bekommen. Er erkannte die Lage der Dinge vor Gott, und der Herr sah ihn an und sagte: „Geh hin in dieser deiner Kraft“ (V. 14). War das nicht genug, dass der Herr mit ihm war – derselbe der Herr, der Israel an seine Feinde ausgeliefert hatte? Der Gott Israels erklärte sich ihm gegenüber, um sie jetzt zu befreien und die Macht der Midianiter zu vernichten.
„Geh hin in dieser deiner Kraft und rette Israel aus der Hand Midians! Habe ich dich nicht gesandt? Und er sprach zu ihm: Bitte, mein Herr, womit soll ich Israel retten? Siehe, mein Tausend ist das ärmste in Manasse, und ich bin der Jüngste im Haus meines Vaters. Und der Herr sprach zu ihm: Ich werde mit dir sein, und du wirst Midian schlagen wie einen Mann“ (V. 14–16). Er bittet um ein Zeichen, das ist wahr; und der Herr antwortet. Ich bin weit davon entfernt, zu leugnen, dass es eine Schwäche im Glauben Gideons gab; und es ist auch nicht anzunehmen, dass es hier nicht einen Nachteil gab, wie bei allen anderen, die vor uns gegangen sind. Aber wenn man all das zulässt, muss man zugeben, dass wir, nachdem der Herr sich zu seiner Schwäche gnädig herabgelassen hatte, die Kraft Gottes in seinem Herzen und seinen Wegen am Werk finden.
Aber es ist eine große Lektion, auf die unsere Aufmerksamkeit hier gelenkt werden kann, dass die Macht, mit der Gott zu seiner Ehre wirkt, in keiner Weise ein Bewusstsein von mitgeteilter Macht ist. Nie zuvor hatte Gideon seine eigene Nichtigkeit so empfunden, seine Familie arm, er selbst am ärmsten. Und nun gibt es ein weiteres und tieferes Empfinden. „Da sah Gideon, dass es der Engel des Herrn war, und Gideon sprach: Ach, Herr, Herr, da ich ja den Engel des Herrn gesehen habe von Angesicht zu Angesicht! Und der Herr sprach zu ihm: Friede dir! Fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben“ (V. 22.23). Er wurde durch das Bewusstsein der Gegenwart Gottes gestärkt – die gewohnte Wirkung, wie wir sie im Alten Testament immer wieder finden, wenn jemand dem Engel des Herrn, wie Er dort genannt wird, sah.
Gideon, gestärkt durch das, was das Todesurteil über sein Wesen verhängt hatte, baut im Vertrauen auf das ihm gegebene Wort einen Altar und nennt ihn Jahwe-Schalom. So ergreift er das Wort des Friedens und handelt prompt danach; und wenn er dies einmal allein als eine Frage zwischen ihm und Gott getan hat, wird ein anderes großes moralisches Prinzip sichtbar. Es gibt keine Grundlage für irgendeine Befreiung entsprechend Gott, es gibt keine richtige Grundlage für sein Eingreifen, als die Beseitigung aller Schranken zwischen Gott und uns. Das ist die erste Notwendigkeit – Frieden, dann Wirken; aber es gibt keinen sicheren Dienst, bis die Person in Sicherheit und in Frieden ist.
Andererseits wird Gott, bevor er einen Diener nach seinem eigenen Sinn bei Fremden oder Feinden gebrauchen kann, ihn zu Hause anfangen lassen. Das ist der nächste Punkt, der in Gideons Geschichte nachvollziehbar ist. Wie kann man in der Fremde handeln, wenn in der Familie Sünde und Unehre vor Gott herrscht? „Und es geschah in jener Nacht, da sprach der Herr zu ihm: Nimm den Stier deines Vaters, und zwar den zweiten, siebenjährigen Stier; und reiße den Altar des Baal nieder, der deinem Vater gehört, und die Aschera, die daneben ist, haue um; und baue dem Herrn, deinem Gott, einen Altar auf dem Gipfel dieser Bergfestung mit der Zurüstung; und nimm den zweiten Stier und opfere ein Brandopfer mit dem Holz der Aschera, die du umhauen wirst. Und Gideon nahm zehn Männer von seinen Knechten und tat, wie der Herr zu ihm geredet hatte. Und es geschah, weil er sich vor dem Haus seines Vaters und vor den Leuten der Stadt fürchtete, es am Tag zu tun, so tat er es bei Nacht“ (V. 25–27). Dennoch wurde es getan. „Und als die Leute der Stadt frühmorgens aufstanden, siehe, da war der Altar des Baal umgerissen, und die Aschera, die daneben war, umgehauen, und der zweite Stier war als Brandopfer auf dem erbauten Altar geopfert. Und sie sprachen einer zum anderen: Wer hat das getan? Und sie forschten und fragten nach, und man sprach: Gideon, der Sohn des Joas, hat das getan. Da sprachen die Leute der Stadt zu Joas: Gib deinen Sohn heraus, dass er sterbe, weil er den Altar des Baal umgerissen hat und weil er die Aschera, die daneben war, umgehauen hat! Und Joas sprach zu allen, die bei ihm standen: Wollt ihr für den Baal rechten, oder wollt ihr ihn retten? Wer für ihn rechtet, soll getötet werden bis zum Morgen. Wenn er ein Gott ist, so rechte er für sich selbst, weil man seinen Altar umgerissen hat“ (V. 28–31).
So ehrt Gott die Kompromisslosigkeit des Glaubens. Der Herr erklärte Gideon ausdrücklich seinen Willen. Er hatte nichts anderes als den Tod zu erwarten, wenn es nicht der Wille des Herrn gewesen wäre; aber, komme, was wolle, „wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1Joh 2,17). Gideon war zufrieden, alle Folgen zu ertragen. Ich sage natürlich nicht, dass er diese gesegneten Worte des Johannes für uns definitiv vorhersehen konnte; aber er hatte die innere Gewissheit, dass es nichts anderes als Gehorsam gibt; und der Herr hatte seinen Willen über seine eigene Schande zu Hause deutlich gemacht. In der Tat wäre die Ungereimtheit enorm gewesen, dass ein Mann auszieht, um mit den heidnischen Feinden Israels zu handeln, während in seinem eigenen Vaterhaus Baal angebetet wird. Zweifellos war die Schwierigkeit für einen Sohn groß, so kühn mit dem Götzendienst seines Vaters zu handeln; und umso größer für jemanden, der nicht vor sich selbst verbarg, wie gering er war, wie wir finden, als der Engel kurz zuvor erschien, und darauf hinwies, was die Vorurteile der Familie und der ganzen Umgebung erschüttern würde. Denn nichts verwundet mehr als das, wenn die Religion als nichts behandelt wird.
Wiederum, was auch immer der Schein sagen mag, nichts ist so wahrhaft demütig wie der Gehorsam; noch ist etwas so fest wie der Glaube. Es gibt viele Menschen, die zu denken scheinen, dass der Wille des Menschen das Einzige ist, das stark ist. Das ist ein großer Irrtum. Der Eigenwille – das Wirken und die Energie des Fleisches – ist nur krampfhaft; er vergeht bald, und zwar in dem Maß seiner Gewalttätigkeit. Aber wer „den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“. Es gibt keinen Bestand, außer im Gehorsam Ihm gegenüber. Gideon zog dann in dieser seiner Kraft aus. Er hatte seine Kraft im Haus seines Vaters gezeigt, bevor sie sich außerhalb zeigen konnte, und er gewinnt einen neuen Namen über dem falschen Gott, bevor er einen Schlag gegen die Midianiter führt, obwohl man sie jetzt in Jisreel versammelt sieht, denn der Satan war angestachelt; und der Herr begegnet wieder seinen Schwierigkeiten, indem Er ihm äußere und wiederholte Zeichen gibt, wie wir am Ende von Richter 6 sehen.