Behandelter Abschnitt Off 6,15-17
Und die Könige der Erde und die Großen und die Obersten und die Reichen und die Starken und jeder Knecht und Freie verbargen sich in die Höhlen und in die Felsen der Berge; und sie sagen zu den Bergen und zu den Felsen: Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn gekommen ist der große Tag seines39 Zorns, und wer vermag zu bestehen? (6,15–17).
Jede Klasse von Menschen ist durch diese bevorstehenden Gerichte aufgewühlt. Es ist nicht wirklich der große Tag des Zorns des Lammes, und doch denken die Menschen, dass er es sei. Sie fürchten, dass der letzte Tag schon gekommen ist.
Bei vielen hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass dieses Siegel die Erscheinung des Herrn im Gericht am Ende des Zeitalters beschreibt. Das hat sie dazu veranlasst, die Beschreibung als einen wörtlichen Bericht über die himmlischen und irdischen Veränderungen zu verstehen, die dieses große Ereignis begleiten. Aber es gibt keine solide Grundlage für solche Gedanken. Erstens ist das siebte Siegel noch nicht geöffnet, so dass es sich nicht um das Ende handeln kann, selbst wenn man das Konzept annähme, das die Posaunen als eine Kostprobe von einem anderen Standpunkt aus gesehen werden. Auch kommt kein Wort vor, das auf die Gegenwart des Herrn anspielt. Es gibt ein großes Erdbeben; aber das Erscheinen Jesu ist unvergleichlich ernster als jeder mögliche Aufruhr in der Welt.
Der Unterschied wird deutlich, wenn wir diese Verse mit Kapitel 19,11–21 und mit 1. Thessalonicher 5; 2. Thessalonicher 1; Lukas 17,24-37 und so weiter vergleichen. Von der sechsten Posaune ganz zu schweigen, gibt es unter der siebten Schale (die sicherlich nicht vor dem sechsten Siegel ausgegossen wird) ein Erdbeben, von dem der Heilige Geist in noch stärkerer Form spricht. Dennoch wissen wir, dass dies vor dem Tag des Herrn geschieht, denn alle gehen davon aus, dass die Schalen ausgegossen werden, bevor der Herr wie ein Dieb kommt. Warum dann nicht erst recht das sechste Siegel? Wären diese Erschütterungen unter dem siebten Siegel gegeben worden, so hätte es vielleicht einen haltbareren Grund gegeben ‒ wie es ist, gibt es wirklich keinen.
Es gibt auch diesen deutlichen Unterschied zwischen dem sechsten Siegel und den Stellen in Matthäus 24, Markus 13 und Lukas 21, mit denen es manche in Verbindung bringen würden, dass in den Letzteren ausdrücklich gesagt wird, dass der Sohn des Menschen in den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit kommen wird, in den ersteren aber, wie schon bemerkt, keine Spur davon zu finden ist. Es wird unter dem sechsten Siegel beschrieben, dass alle Menschen in ihrem Schrecken zu den Bergen und Felsen sagen (ist das wörtlich, nachdem sie von ihren Plätzen bewegt worden waren?): „Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn gekommen ist der große Tag seines Zorns, und wer vermag zu bestehen?“ (V. 16.17). Aber es ist eine Offenbarung, nicht von dem, was Gott über die Zeit oder die Umstände verkündet, sondern über der Beunruhigung der Menschen und ihrer Wirkung auf ihr Gewissen. Wenn man das, was Johannes in der Vision sah, als viele physische Realitäten versteht, die dann in der buchstäblichen Sonne, dem Mond, den Sternen und dem Himmel geschehen werden, ist das aus meiner Sicht eine Meinung, die ohne angemessene Überlegung angenommen wurde. Wäre es denn nötig, den Fall der Berge und Felsen zu beschwören, wenn die Sterne wirklich auf die Erde fielen? Könnten die Menschen oder der Globus eine solche Erschütterung überleben? Außerdem ist es klar, dass die Beschreibung auf jeden Fall auf Stellen im Alten Testament anspielt (siehe Jes 13,3.4; Hes 32,7.8; Joel 2). In Letzterem wird deutlich gesagt, dass die darin vorhergesagten Zeichen vor dem großen und furchtbaren Tag des Herrn geschehen, und das erste erfüllte sich durch den Fall Babylons in der Vergangenheit, obwohl es auch Vorbilder einer ernsteren und universellen Katastrophe am Ende gibt.
All dies ist meines Erachtens entscheidend dafür, dass das sechste Siegel, entsprechend seiner natürlichen Stellung in der Prophezeiung, keineswegs den großen Tag des Herrn bedeutet, sondern zunächst in Symbolen und dann in einfacher Sprache eine überwältigende Revolution darstellt, die die bestehenden Institutionen und die staatliche Ordnung umstürzt. Die Autoritäten – die höchsten, die geringeren und die untergeordneten – werden zerschlagen. Das Entsetzen ist allgemein. Sie glauben, die letzte Abrechnung sei gekommen. Nicht der Herr, sondern ihr schlechtes und aufgewühltes Gewissen nennt es den Tag seines Zorns. Aber wenn dieser Tag kommt (wie in Kap. 19), sind sie frech wie Löwen. Die Häufigkeit des göttlichen Gerichts wirkt auf die harten Herzen der Menschen ein. Und so werden sie, obwohl die Trompeten noch nicht geblasen sind und die Gerichte immer intensiver werden, wenn der Herr persönlich kommt, anstatt die Berge anzurufen, um sie zu bedecken, im Kampf gegen Ihn selbst gefunden. Als ihr Gewissen noch nicht so verhärtet war, waren sie erschrocken, doch wenn der große Tag kommt, sind sie in offener Auflehnung gegen Christus.
Was für ein Gebilde ist doch das Herz des Menschen! Und was für eine unendliche Barmherzigkeit, die uns dazu gebracht hat, nicht in dem Gedanken an seinen Zorn (obwohl der Herr es gewähren mag, dass dies benutzt werden kann, einige Menschen zu erwecken), sondern durch seine Gnade, den Frieden zu genießen, den Er durch das Blut seines Kreuzes gemacht hat! Er wird uns in der vollen Entfaltung unserer himmlischen Herrlichkeit bei sich haben, wenn alle diese Gerichte hier auf der Erde geschehen. Droben zu sein in der Gegenwart dessen, der dann alles Erforderliche lenken und schließlich ausführen wird – das wird unser Teil sein.
Der Herr schenke es uns, dass wir jetzt in seiner Gnade wandeln und nicht in den Geist der Welt hineingezogen werden, noch für unsere eigenen Rechte einstehen. Wenn sündige Menschen anfangen, über ihre Rechte zu reden, so mögen sie daran denken, dass in den Augen Gottes das Einzige, worauf sie ein Recht haben, das ist, dass sie für immer verlorengehen. Wenn Er so mit uns umginge, wann und wie könnten wir dann gerettet werden? Aber Er hat uns alle unsere Ungerechtigkeiten vergeben und uns die Freude geschenkt, für seine Rechte einzustehen. Lasst uns Ihm und seinem Kreuz treu sein!
39 Die Vulgata hat mit guter Autorität, wie wir gesehen haben, „ihren“ Zorn (ipsorum, nicht ipsius). Aber ich nutze diese Gelegenheit, um zu sagen, dass es, so wertvoll die besten lateinischen Kopien als Stütze alter und ausgezeichneter Lesarten auch sind, eine gefährliche Sache zu sein scheint, alle MSS. und jede andere Version und alle frühen Autoren außer denen, die nur die Vulgata wiedergeben, anzulehnen, wie es Herr Elliott tut, indem er ihren quattuor partes (V. 8) folgt. Es gibt wirklich keinen anderen Grund als die Erfordernisse seines Systems. Um mit den Tatsachen übereinzustimmen, hätte es nach seiner Anwendung nicht das vierte, sondern das ganze Römische Reich sein müssen. Daher wird Hieronymus’ offensichtliches Versehen angenommen, und es wird argumentiert, dass er antike Zeugen gehabt haben muss, die jetzt verloren sind! Aber das ist höchst unvernünftig, wenn wir sehen, dass Hieronymus oft locker ist. Um allein dieses Kapitel zu nehmen: Wird behauptet, dass vocem in Vers 1, die Auslassung von „et“ in Vers 2, singulae in Vers 9, insulae in Vers 14 auf ursprünglicher Autorität beruhen? Sind sie nicht offensichtlich auf eine bloße Nachlässigkeit in der Wiedergabe zurückzuführen? Und warum wird quattuor partes einer höheren Quelle zugeschrieben? Das Wunder ist, dass wir in Vers 8 nicht einige der späteren griechischen Manuskripte haben, die vom Lateinischen beeinflusst wurden, wie vielleicht 26 in den Versen 1 und 2. Wir wissen, dass es in den besten Abschriften der Vulgata gelegentlich stupende Fehler gibt, wie in 1. Korinther 15,51 und Hebräer 11,21. Warum sollte man ihm in diesem Vers einen Platz geben, der in keinem anderen Vers des Alten oder Neuen Testaments für ihn beansprucht wird? Außerdem, entspricht es der Analogie dieses Buches oder irgendeines anderen Buches, von vier Teilen zu sprechen, wenn das gesamte Reich gemeint wäre? Die versuchte historische Antwort der Vierteilung erscheint mir äußerst dürftig. Dies ist natürlich Ansichtssache. Aber es ist ernst, wenn der Autor von seiner Theorie so begeistert ist, dass er seinen Lesern anbietet, „wohl wissend, dass, wenn die Prophezeiung hier von der Geschichte abweicht, sie auch von sich selbst abweicht und widersprüchlich ist: Denn das ganze Pferd wird mit dem fahlen todähnlichen Farbton dargestellt, nicht nur sein vierter Teil“ (H. A., i. 201). Das ist kühner, als der Mensch mit Gottes Wort sein sollte, es sei denn, es gäbe unendlich schwerwiegendere Gründe gegen den Text. Die Folgerung aus dem Pferd habe ich, denke ich, als nicht stichhaltig erwiesen.↩︎