Laodizea
Wir haben bereits den starken Gegensatz zwischen dem Zustand von Sardes und der vorherigen Ordnung der Dinge bemerkt. Grobe Verderbnis, offenes Böses, Verfolgung, Hass gegen die Heiligkeit und Wahrheit Gottes, falsche Propheten hatten in Thyatira geherrscht, obwohl dort ein Überrest gefunden wurde, und zwar ein treuer Überrest. Wenn Thyatira das finstere Mittelalter vorbildet, in dem der Herr seine treuen Heiligen in den Winkeln und Ecken der Welt versteckt hatte, so haben wir in Sardes ein richtiges Bild der Dinge – einen Namen, dass sie leben, doch der Tod ist fast überall; dennoch gab es auch in Sardes solche, die ihre Kleider nicht besudelt hatten. Wenn es einen so deutlichen Unterschied zwischen Sardes und Thyatira gibt, dann gibt es eine ebenso starke Trennungslinie zwischen Philadelphia und Laodizea.
Und dem Engel der Versammlung in Laodizea schreibe: Dieses sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes (3,14) „Dem Engel der Versammlung in Laodizea“, nicht „der Laodizeer“. (Bei der ersten müsste es also heißen „der Versammlung in Ephesus“; 2,1).
Schauen wir uns den Charakter an, den Gott von dieser Versammlung beschreibt und was Er über ihren Zustand ans Licht bringt. Wenn es zwei Versammlungen gibt, die in einem stärkeren Gegensatz zueinander stehen, dann sind es sicherlich diese letzten beiden. Der Grund dafür ist meiner Meinung nach Folgender: Wenn Gott in irgendeiner besonderen Weise wirkt und seine Gnade in einer neuen Form und in einem neuen Licht erscheinen lässt, dann zieht das seit dem Abgleiten der Christenheit immer einen besonders dunklen Schatten nach sich. So sahen wir in Philadelphia ein helles Bild. Sie waren schwach, aber sie würden sich in Frieden auf Ihn verlassen; denn der Herr hatte die Tür geöffnet, und Er würde sie geöffnet halten. Christus war ihre ganze Zuversicht, im Gegensatz zu den anmaßenden Religiösen, die zur gleichen Zeit auftreten und behaupten, das Volk Gottes zu sein, ohne sich um Christus zu kümmern. Die Versammlung hätte durch den Heiligen Geist ein echtes Zeugnis für die neue Schöpfung sein sollen, deren einzige Quelle und leuchtendes Vorbild Christus ist. Aber sie hatte gänzlich versagt und nie so sehr wie in dieser letzten Phase. Denn wenn wir uns Laodizea ansehen, was für einen Unterschied finden wir da!
Spricht der Herr hier davon, auf ihre Not zu warten, den Schlüssel Davids zu haben und sich als Gegenstand ihrer Zuneigung vorzustellen – als der Heilige und Wahrhaftige, in seiner moralischen Größe, die das ganze Herz dazu aufruft, Ihn anzubeten? Spricht Er jetzt nicht in einem anderen Ton? „Dieses sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes.“ Das Ende des hochmütigen Bekenntnisses war nahe. Er war der „Amen“, der einzige Garant der göttlichen Verheißung, der einsame „treue und wahrhaftige Zeuge“, als alles andere versagt hatte. Diese Beschreibung seiner Person setzt voraus, dass die, an die er schrieb, völlig ungläubig waren und die alten Dinge wiederbelebt hatten, die im Grab Christi begraben worden waren.
Sogar ein Heiliger wie Hiob war nicht in der Gegenwart Gottes, wenn er so sehr an sich selbst dachte: „Denn wenn das Ohr von mir hörte, so pries es mich glücklich, und wenn das Auge mich sah, so legte es Zeugnis von mir ab“ (Hiob 29,11). Wir können sagen, dass er in seiner eigenen Gegenwart war und nicht der Gottes. Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn wir sehen, dass ein Mensch innehält, um sich selbst zu betrachten, sei es sein gutes oder sein schlechtes Ich. Sogar wenn er sich bekehrt hat, warum sollten wir dann bei unserer Veränderung verweilen? Das heißt nicht, dass wir die Dinge vergessen sollen, die dahinten liegen (womit übrigens nicht unsere Sünden gemeint sind, sondern unser Fortkommen): Wenn der Herr uns einen Schritt nach vorn gebracht hat, dann deshalb, damit wir Ihm näherkommen und in der Erkenntnis Gottes zunehmen. Damit ist immer eine Zunahme an Selbsterkenntnis verbunden, aber niemals in der Art der Selbstbeweihräucherung. Da wir Christus angehören, ist Er es, der uns glücklich demütig hält.
Als Hiob am Ende wirklich in die Gegenwart Gottes gebracht war, lag er im Staub. Er wusste nicht, was es heißt, vor Gott durch und durch nichts zu sein, bis er dorthin gebracht wurde und sein Auge Ihn sah. Vorher hatte er mehr auf das geschaut, was Gott in ihm hervorgebracht hatte, aber jetzt sah er, dass er selbst wie Staub war. Danach finden wir sogar, dass er für seine Freunde betet, auch finden wir dort Brandopfer. Auch das war der Geist der Fürbitte und der Anbetung. Es scheint mir, dass dies der Geist war, in den die Versammlung in Philadelphia gebracht worden war. Sie verstanden Anbetung, weil sie in ihrem Maß den kannten, der von Anfang an war. Der Herr liebt an uns, dass wir in Christus stark sind und in allen Dingen zu Ihm heranwachsen.
In Laodizea gab es keinen solchen Gedanken – nichts wie einen Zugang zu den Reichtümern der Gnade des Herrn. Es gibt nichts, in dem wir unseren Mangel so sehr spüren sollten wie in der Anbetung, gerade weil wir sie so sehr schätzen. Es ist ein geistliches Empfinden, wenn auch ein schwaches, das uns unsere geringe Kraft der Anbetung vor Augen führt. Sei gewiss, dass der Geist der Anbetung unsere wahre Kraft zum Dienst ist. So sagt der Herr in Johannes 10,9: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden.“ Es ist nicht mehr der jüdische Schafshof und die Knechtschaft des Gesetzes, sondern die vollkommene Freiheit, hineinzugehen zur Anbetung und hinauszugehen zum Dienst, überall Nahrung und Segen zu finden. Wie lieblich ist der Gedanke, dass die Zeit kommt, in der wir hineingehen und nie mehr hinausgehen werden! Es wird immer Dienst in unmittelbarer Verbindung mit dem Herrn selbst sein – der Genuss der Gegenwart Gottes und des Lammes – eine ewige Anbetung. Und lass mich noch einmal fragen: Für wen wäre das eine willkommene und glückliche Verheißung? Für die, die die Anbetung hier auf der Erde geschätzt und genossen haben; wie in Psalm 84,5: „Stets werden sie dich loben.“ Der Ort, wo der Herr wohnte, war sogar in die Herzen derer eingegraben, die dorthin gingen – „in deren Herzen gebahnte Wege sind“. Sie spürten, dass sie dorthin kommen mussten, wo Gott war, und dort wohnten sie.