Behandelter Abschnitt Off 3,14
Das Sendschreiben an Laodizäa
Laodizea bedeutet „die Volksgerechte“, die Religion, die allen gerecht wird, nur nicht dem Herrn selbst. Wir haben bei Philadelphia erwähnt, dass aus der Sardeskirche zwei auseinandergehende Entwicklungen hervorgegangen sind: die eine, Philadelphia, die sich enger um den Herrn Jesus scharenden Gläubigen, die andere, die ungläubige Reform in der bloß formellen Namenchristenheit, woraus das heutige Laodizea entstanden ist, die christliche Form, die Christus beiseiteschiebt, aber die Welt zu verbessern und zu verchristlichen meint.
Zugleich mit den politischen Freiheitsbestrebungen setzte auch die kirchliche freisinnige Reformbewegung zur Lockerung, ja Untergrabung der christlichen Lehre, ein. Mit Hilfe der Bibelkritik, der Entwicklungslehre usw., die bis zur völligen Leugnung der Wahrheit des göttlichen Wortes und der Gottessohnschaft des Herrn Jesus Christus führte, hat sie ungeheuren Schaden angerichtet. Diese Lehren sind die direkten Erzeuger und Wegbereiter des kirchlichen Abfalls geworden.
Doch hat die direkte Leugnung der Heiligen Schrift gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Wirkung verloren, indem sie nichts mehr als „Steine“ bot, und zudem hat der Herr dieser Leugnung entgegengewirkt, indem Er, wie Er vorausgesagt hat (Lk 19,40), „die Steine schreien ließ“. Er bestätigte durch die archäologischen Ausgrabungen die Wahrheit der Bibel bis in die Anfänge der Menschheit zurück. Ferner hat Gott durch besonders mächtige Zeugen für weitreichende Erweckung des Glaubens selbst in den Kreisen der Intellektuellen und der Hochschulen gesorgt.
So hat man sich jetzt von der platten Leugnung der Bibel wieder abgewendet, soweit man nicht einfach aus der Kirche austritt. Man lässt Christus und das Christentum wieder gelten, oft zwar nur als unser Ideal und Vorbild, dann wieder als Heiland und Gottes Sohn, nicht aber als den Gegenstand des Herzens. Die christliche Lehre ist vielfach schattiert und nicht mehr die klare biblische Wahrheit. Man hat daraus eine allgemeine religiöse Lehre gemacht, die die so wichtigen Kernwahrheiten wie die Buße, das Verloren sein des Menschen von Natur und damit die Notwendigkeit der Sühnung durch das Kreuz, mehr oder weniger verschleiert. Man findet sich mit der bloßen „Form der Gottseligkeit“ ab und leugnet die wahre Kraft, d. h. die wahre Grundlage des Heils. Diese Lehre, Modernismus genannt, verlegt in den Menschen einen göttlichen Funken, der lediglich geweckt und entwickelt werden muss.
Nun kommt aber in neuerer Zeit noch etwas Wichtiges hinzu. Alle christlichen Kreise haben endlich den großen Schaden und die Schmach, hervorgerufen durch die starke Zerrissenheit und Uneinigkeit der Kirche, eingesehen. Namentlich ist die Erkenntnis durchgedrungen, dass dies für die Verkündigung des Evangeliums unter Heiden und Juden ein großes Hindernis ist. Darum hat schon seit geraumer Zeit, ausgehend von den Kirchen in den Missionsländern, eine Bewegung zum Zusammenschluss eingesetzt.
Sofern die Kinder Gottes sich im Interesse der Einheit des Zeugnisses Jesu zusammenschließen würden, indem sie unter Buße und Bekenntnis vor dem Herrn zurückgehen würden bis zu dem Punkt, wo dieser Weg angefangen hat, wäre dies sehr erfreulich, denn auch dem Herrn ist diese Zersplitterung ein großer Schmerz. Jetzt aber ergreift diese Zusammenschlussbewegung die ganzen Kirchen, die aus Gläubigen und Ungläubigen bestehen. Diese Bewegung umfasst nun fast den gesamten Weltprotestantismus, auch die modernistischen und sogar die freidenkenden Kreise, aber auch manche Irrtumskreise, wie z. B. die in England und Amerika zahlreichen Unitarier (Ein-Gott-Lehre), sowie die östlichen Kirchen und streckt auch Fühler aus zur Römischen Kirche und sogar zu den Juden. Sie hat bereits zu einem Weltkirchenbund mit einem 90köpfigen Weltkirchenrat und besonderer Verfassung geführt, dem heute 148 „Kirchen“ der ganzen Welt angehören. Rom und die russische Kirche halten sich allerdings fern, erstere, weil sie unabänderlich die Rückkehr der andern in ihren Schoß verlangt.
Bei einer so stark in Bezug auf Bekenntnis und Form auseinandergehenden Vereinigung, in der Gläubige und Ungläubige nebeneinander zu finden sind, ist ganz von selbst die Folge, dass man sich hauptsächlich mit den Problemen dieses Erdenlebens beschäftigt, und nur wenig mit den geistlichen, himmlischen Dingen. Man steckt sich zum Ziel, eine gewisse Geltung in der Welt zu erlangen, dass sich eine dogmatische Angleichung vollzieht, indem man sich entgegenkommt und gewisse Lehrpunkte aufgibt und dass vor allem die entschiedeneren Kreise die Wahrheit aufgeben müssen.
Dass damit Hand in Hand geht, dass die Getreuen, die nichts von der göttlichen Wahrheit aufgeben wollen, als Eigenbrötler von der großen Masse Feindschaft erfahren.
Wenn man aufmerksam in das Kirchenleben und dessen Schrifttum hineinsieht, muss man mit Erschrecken wahrnehmen, wie weit selbst die gläubigen Kreise von der göttlichen Wahrheit abgeglitten sind. Dies ist Laodizea in voller Form, äußerlich in Glanz und Blüte, innerlich ohne Halt und ohne Kraft.
„Und dem Engel der Versammlung in Laodizea schreibe: Dieses sagt der Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes“ (3,14).
Hier stellt sich der Herr als der vor, dem das maßgebende Schlusswort zukommt, der, wenn auch die Kirche als sein Zeugnis sich gewandelt hat und untreu geworden ist, derselbe Unwandelbare ist und bleibt, für den es nur die eine, von Ihm offenbarte Wahrheit gibt, nämlich die von dem Schöpfergott, dem von Anfang an bis ans Ende allein die Autorität des Urteils zukommt. Wenn auch die Menschen glauben, dass die Wahrheit gemäß der menschlichen Entwicklung sich fortwährend verändere, stellt der Herr fest, dass es nur eine Wahrheit gibt, nämlich diejenige, die Er selbst offenbart hat, die jederzeit vollständig und unwandelbar ist und auf der Er in jeder Lage beharrt.