Ephesus
Wir werden uns nun die erste der sieben Versammlungen genauer ansehen (2,1–7). Zunächst wollen wir beachten, dass Johannes aufgefordert wird, an den Engel der Versammlung in Ephesus zu schreiben. Die Anrede ist nicht mehr: „den Heiligen und Treuen in Christus Jesus, die in Ephesus sind“ (Eph 1,1). Es ist auch nicht an die Heiligen mit den Aufsehern und Dienern, wie das Wort an die Versammlung in Philippi war. Warum ist das so? Die Wege des Herrn sind immer voller Gnade; aber sie sind auch gerecht, und die Versammlung war gefallen und fiel weiter, so dass Er sie nicht mehr in seiner vertrauten Liebe ansprechen konnte wie früher. So gab es ein Abweichen von Ihm selbst der ernstesten Art, und Johannes ist angewiesen, nicht die Versammlung, sondern ihren Engel oder Vertreter anzusprechen. Die Engel, von denen in diesen Briefen die Rede ist, waren Menschen und dürfen nicht mit der Klasse der geistigen Wesen, die Engel genannt werden, verwechselt werden.17 Der Apostel Johannes wird vom Herrn eingesetzt, um ihnen eine Botschaft zu übermitteln, und es würde allen Wegen Gottes widersprechen, einen Menschen als Boten zu den Engeln im gewöhnlichen Sinn des Wortes einzusetzen. Engel agierten oft zwischen Gott und Menschen, aber nicht Menschen zwischen Ihm und Engeln.
Aber es gibt keinen ausreichenden Grund zu behaupten, dass der Engel, der hier angesprochen wird, obwohl er ein Mensch ist, notwendigerweise in einer solchen offiziellen Stellung ist wie ein Aufseher oder Ältester.18 Er könnte eine solche Aufgabe haben, oder auch nicht. „Der Engel“ enthält immer den Gedanken der Repräsentation. Im Alten Testament haben wir den Engel des Herrn, des Bundes und so weiter, und in Daniel lesen wir von Engeln, die mit Israel oder anderen Mächten identifiziert wurden. Im Neuen Testament haben wir die Engel der kleinen Kinder, die immer das Antlitz ihres Vaters im Himmel sehen, was eindeutig ihre Vertreter bedeutet (Mt 18,10). So heißt es von Petrus in Apostelgeschichte 12,15, dass es sein Engel war.
Wir können daraus schließen, dass der Engel hier, obwohl er ein Mensch ist, auf die eine oder andere Weise der ideale verantwortliche Vertreter einer Versammlung ist. Daher könnte es heißen: Ich „werde deinen Leuchter von seiner Stelle wegrücken.“ Es wäre äußerst bedenklich, dies zu einem definierten offiziellen Ort zu machen, da dies nicht nur eine Neuheit einführen würde, sondern eine, die im Widerspruch zu allem steht, was sonst in der Schrift über die Versammlung gelehrt wird. Aber es wird nicht bezweifelt werden, dass wir in den Versammlungen tatsächlich eine bestimmte Person finden, die der Herr besonders mit der Versammlung identifiziert, um sie zu charakterisieren: Sie wird moralisch mit ihr identifiziert und erhält vom Herrn entweder Lob oder Verurteilung entsprechend dem Zustand der Versammlung.
Hier wird der Engel direkt mit dem Zustand der Versammlung belastet. Da die Anrede an ihn und nicht an die Versammlung gerichtet war, wurden sie sozusagen in eine größere Entfernung vom Herrn gebracht. Was für ein Zeugnis für den schrecklichen Zustand, in den die Versammlung geraten war! Er konnte diese Versammlungen nicht mehr direkt ansprechen. Er hatte früher sogar direkt zu den Korinthern gesprochen. Denn, schuldig wie sie waren, hatten sie Ihn nicht so geliebt und dann nachgelassen. Aber hier lautet die Botschaft: „dass du deine erste Liebe verlassen hast“ (V. 4). Doch wenn die Versammlung nicht treu war, so hatte Er wenigstens in Johannes einen treuen Diener; und er ist es, der in erster Linie angesprochen wird. Und man sollte sich immer daran erinnern, dass sich die Versammlung seitdem nie wieder von diesem Versagen und diesem Ort der verhältnismäßigen Entfernung erholt hat.19 Die Versammlung, das Haus Gottes, ist hier auf der Erde eine völlige Ruine. Und in der Ruine ist das erste, was uns betrifft, dass wir es vor Ihm empfinden.
Dies berührt in keiner Weise das ewige Heil; aber die Gewissheit des Heils wird missbraucht, wenn sie dazu benutzt wird, das zu mindern, was Gott zusteht. In der Tat gibt es vor der Bekehrung nie ein wirkliches Empfinden für die Sünden; denn wenn es so sein könnte, würde es von absoluter Verzweiflung begleitet sein. Aber nachdem wir nicht nur die Bekehrung, sondern den vollkommenen Frieden haben, können wir es ertragen, unsere Sünde anzuschauen, und wir können es ertragen, sie gründlich zu beurteilen. Ein heiliger Engel kennt Gott nicht, wie wir Ihn kennen sollten – ich sage nicht, wie wir es tun, obwohl auch das wahr ist. Ein Engel dringt in die Wunder der Macht Gottes ein, „gehorsam der Stimme seines Wortes“ (Ps 103,20). Aber die Tiefen Gottes kommen zum Vorschein, erstaunlicherweise über unsere Sünde, und in seinem Einziggeborenen, zwar „von Engeln gesehen“ (1Tim 3), aber in lebendiger Beziehung zu uns.
Dem Engel der Versammlung in Ephesus schreibe: Dieses sagt der, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt (2,1).
Hier stellt sich der Herr als der vor, „der die sieben Sterne in seiner Rechten hält und inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt“. Er spricht von sich selbst als jemandem, der Autorität über alle Vertreter des himmlischen Lichts hat und unter den Gefäßen seines Zeugnisses umhergeht. Der Repräsentant ist angesprochen; die Versammlung ist trotzdem verantwortlich und wird entsprechend behandelt. Er ist gekommen, um zu untersuchen, um zu richten – natürlich noch nicht die gottlose Welt, sondern – die Versammlung in Ephesus. Welch ein Unterschied zwischen einem solchen Anblick wie diesem und dem Blick, den wir von Ihm und auch von der Versammlung in Epheser 1,2 haben! Dort sitzt Er zur Rechten Gottes in den himmlischen Örtern, und auch dort hat Gott uns in Christus Jesus in die himmlischen Örtern versetzt. Hier wandelt Er inmitten der Leuchter. Seine Hand wird gebraucht; denn niemand außer Ihm könnte den Schwierigkeiten begegnen. Aber ist es nicht ernst, dass Er gerade dieser Versammlung so vorgestellt wird, der Paulus die Fülle seiner himmlischen Gnade, die Fülle ihres eigenen Segens in Ihm eröffnet hatte? Aber hier ist Er gleichsam gezwungen, zu wandeln und seine Autorität zu rechtfertigen, nicht unter denen, die Ihn nicht kennen, sondern dort, wo seine Liebe einst gut bekannt war – leider jetzt vergessen und entehrt.
17 Origen und Andreas haben die letztere Bedeutung angenommen, aber Epiphanius und andere lehnen sie ausdrücklich ab. Viele Moderne nehmen an, dass der Begriff von der Synagoge abgeleitet ist [...]. Wenn das jedoch so ist, kann mit dem Engel der Versammlung nicht einmal ein Presbyter gemeint sein, geschweige denn der Vorsitzende oder Vorsteher der Presbyter, wie Vitringa argumentiert, sondern eher das, was man Schreiber oder Küster nennt. Die neutestamentliche Bezeichnung für diesen Chazan oder Engel der Synagoge scheint ὑπηρέτης zu sein, der die Sorge für die Bücher und so weiter hatte (Lk 4,20). Der Vorsteher, oder ἀρχισυνάγωγος, war ganz verschieden; und von diesen gab es mehrere (Apg 13,15, vgl. Lightfoot., Opp. ii. S. 279, 310). Einige hingegen meinten, dass Abgesandte von den Versammlungen in Asien zu Johannes gesandt worden sein könnten, dass sie daher ἄγγελοι ἐκκκλησιῶν genannt wurden (wie die Jünger des Johannes, die zum Herrn gesandt wurden [Lk 7,24]; andere, die vom Herrn selbst gesandt wurden, während er hier auf Erde war [Lk 9,52], und die Kundschafter, die von Josua gesandt wurden [Jak 2,25], und dass der Herr sie dementsprechend in den Botschaften anspricht, die Er an die Versammlungen zu schreiben befiehlt. Aber ich ziehe die Vorstellung von Vertretern vor, da sie am besten mit der Prophezeiung als Ganzes übereinstimmt.↩︎
18 Wir wissen aus Apostelgeschichte 20,17.28, dass in der Versammlung in Ephesus ordnungsgemäß Älteste oder Aufseher ernannt wurden, wie es jedenfalls in Versammlungen üblich war, wo ein Apostel oder ein apostolischer Delegierter wie Titus sie zu diesem Zweck besuchen konnte. Aber wir haben keinen Grund zu glauben, dass „Engel“ jemals ein offizieller Titel für einen obersten Vorsteher war. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das Missverständnis dieses Begriffs die Erfindung des Episkopats nahegelegt oder bestätigt hat, das zunächst eher kongregational als diözesan war. Ignatius betont diesen Würdenträger sogar in der reduzierten Form seiner wenigen echten Briefe so sehr, dass man den Eindruck bekommt, er sei bestrebt, eine vergleichsweise neue Institution zu beglaubigen. Es ist sicher, dass die Heilige Schrift sie nicht gutheißt, es sei denn, sie steht in diesem prophetischen Buch mit geheimnisvollen Symbolen – eine prekäre Grundlage für eine äußerst wichtige Anklage, die in den Schriften, die sich mit Fragen der Herrschaft befassen, ignoriert wird.↩︎
19 In diesem Sinn können wir verstehen, wie die Versammlungen, die diesen Botschaften Christi ein taubes Ohr zuwandten, wie sie es gewiss bald taten, aufhörten, von Gott anerkannt zu werden, und so der streng prophetische Teil, was nach diesem geschehen wird (ἃ μέλλει γίνεσθαι μετὰ ταῦτα), in einer unausgegorenen oder teilweisen und langwierigen Weise seitdem gelten konnte, während in einem vollen und endgültigen Sinn das absolute Abschneiden des ungläubigen heidnischen Bekenntnisses und das kurze Gericht der Letzteren bleibt, wenn der prophetische Teil pünktlich nach dem Buchstaben ausgeführt wird. Dies scheint durch die zur Beschreibung dieses anormalen kirchlichen Zustands verwendete Formulierung ἅ εἰσιν, „was ist“, die leicht eine unbestimmte Verlängerung zulässt, sehr bestätigt zu werden. Es sind nicht die sieben Versammlungen und auch nicht die Botschaften an sie, sondern eine Formulierung, die sowohl auf ihren damaligen Zustand als auch auf den langwierigen Zustand des Verderbens, in dem wir uns jetzt befinden, leicht anwendbar ist.↩︎