Barmherzigkeit und Friede und Liebe sei euch vermehrt! (V. 2).
Dies ist die einzige Stelle, an der den Gläubigen allgemein Barmherzigkeit gewünscht wird. Wenn der Apostel an Einzelne schreibt, zum Beispiel an Timotheus und Titus, sagt er „Barmherzigkeit“, aber wenn er an die Gläubigen im Allgemeinen schreibt, „Gnade und Frieden“.
Warum erwähnt Judas hier Barmherzigkeit? Weil sie den Trost zutiefst brauchten. Ein Mensch sollte immer das tiefe Bedürfnis nach Barmherzigkeit empfinden, besonders im Angesicht der Gefahr und auch im Empfinden der persönlichen Unwürdigkeit. Jetzt gibt Judas all diesen Gläubigen den Trost, weil sie in unmittelbarer Gefahr standen. Ich kenne keine Gläubigen, die mehr in Gefahr sind als wir, denn die Gnade hat uns gegeben, für die Ehre und den Namen Christi zu empfinden und Vertrauen in die Schriften als das Wort Gottes zu haben. Wir sollten nicht ein einziges Wort darin als toten Buchstaben betrachten. Ich nehme nicht an, dass es hier eine einzige Person gibt – Bruder oder Schwester –, die an einem einzigen Wort zweifelt, das Gott geschrieben hat. Es wäre heutzutage schwierig, sich überhaupt in einer solchen Gesellschaft zu befinden.
Die Leute denken, dass Inspiration ein sehr lebendiger Begriff ist, und dass wir die Irrtümer jener guten Männer, die die Bibel geschrieben haben, zulassen müssen. Was können wir von solchen Männern erwarten, selbst wenn sie gelehrt sind? Sie urteilen aus sich heraus, nicht nach Gott und auch nicht nach dem Heiligen Geist. Viele dieser Männer haben, denke ich, das Christentum nicht aufgegeben; aber sie sind vom Geist des Unglaubens verfinstert. Die Gesinnung der heutigen Zeit ist so schlecht oder schlimmer als in jedem anderen Zeitalter seit dem Tod und der Auferstehung des Herrn. Es gibt eine Sache, die sie kennzeichnet, und das ist Gesetzlosigkeit. Mangelnder Respekt vor allem, was man nicht versteht, und die Entschlossenheit, seinen eigenen Weg zu gehen – das ist Gesetzlosigkeit. Ich kenne nichts Schlimmeres. Es ist das, was die ganze Christenheit charakterisieren wird. Jetzt wirkt sie in Einzelnen, und sie wirkt auch weitgehend in ganzen Gesellschaften, aber sie wird bald der herrschende Geist werden. Und das ist der bezeichnende Name des Antichrists, der Gesetzlose. Christus war der Mensch der Gerechtigkeit, Christus ist der Mensch, der allem seinen Platz entsprechend Gott gibt, und Christus ist der, der Gott seinen Platz gibt. In Bezug auf alles und jeden Menschen war Er der Mann der Gerechtigkeit; die Gesetzlosigkeit hat nichts anderes als sich selbst als großes Ziel, ein gefallenes Ich – ein von Gott gefallener Mensch. Die Gefahr ist in der heutigen Zeit groß, und so war es auch, als Judas seinen Brief schrieb. Deshalb heißt es Barmherzigkeit, nicht nur „Friede und Liebe“, sondern Barmherzigkeit sei vermehrt. Es ist ein sehr nachdrückliches Wort.