Behandelter Abschnitt 1Joh 5,1-5
Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist. Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn dies ist die Liebe Gottes, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube.
Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?
In den obigen Versen legt der Apostel die Wurzel der Dinge bloß, um die es hier geht. In den Beziehungen von Bruder zu Bruder gibt es eine noch weitaus wichtigere Frage, nämlich die Frage: In welcher Beziehung steht mein Bruder zu Gott? Wir haben es in den Versen 1–5 dieses Kapitels mit dem gleichen Gegenstand zu tun, den Johannes schon in Kapitel 4 behandelt hat. Es ist sehr wichtig, eine göttliche Antwort auf die Frage zu erhalten: Wer ist mein Bruder? Denn um diese Frage geht es hier. Vielen ernsten, frommen Christen scheint es große Schwierigkeiten zu bereiten, diese Frage zu beantworten. Zweifellos trägt die Zerrissenheit unter den Kindern Gottes, die einst „in eins“ versammelt waren, zu dieser Schwierigkeit bei. Fragen wir nun: Sind die Personen, die mit mir zu derselben religiösen Gemeinschaft gehören, meine Brüder?
Bei allen, die so denken, strahlt die von Gott bei uns erwartete Bruderliebe zu denen aus, die der gleichen Gemeinschaft angehören, gleichgültig, ob diese den Gedanken Gottes entspricht oder nicht. Sogar wenn diese Gemeinschaft richtig stände, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass der gegenwärtige Zustand des Verfalls innerhalb der Versammlung eine Beleidigung Gottes darstellt und den Pfad für die meisten Christen unsicher macht. daher kann man einer Gemeinschaft aus Parteigeist angehören, anstatt nach Gottes Gedanken zu fragen. Wir sollten empfinden, wie schmerzlich diese Verwirrung und Unordnung in den göttlichen Dingen ist und welche Gefahr, von seinem Willen abzuirren, damit verbunden ist.
Lasst uns nicht das wesentliche Merkmal vergessen, das einen Gläubigen kennzeichnet: durch Gottes Gnade von der Welt zu Gott hin abgesondert zu sein. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Absonderung vom Bösen, sondern um Absonderung in Christus zu Gott selbst hin. Eine Heiligung ist vollkommen unzulänglich, wenn wir sie ohne Gott vollziehen wollen und nur darum bemüht sind, uns von diesem oder jenem Bösen fernzuhalten. Man mag wohl von tausend bösen Dingen abgesondert sein, in einer Sache aber einen verhängnisvollen Kompromiss geschlossen haben, und kann sich daher nicht in wahrer Gemeinschaft mit Gott und seinem Willen befinden. Eine solche Absonderung kann noch so gut gemeint sein, sie ist nicht restlos echt und verlässlich, obwohl der Betreffende mit sich selbst sehr zufrieden sein mag. Denn wenn man Gott und sein ganzes Wort außer Acht lässt, besteht ohnehin die starke Neigung, viel von sich selbst zu halten. Ist dagegen das Herz auf Gott selbst und auf Christus aus gerichtet, dann wird man zu wahrer Demut geleitet.
Was uns allen Not tut, ist, durch die Gnade vollkommen glücklich zu sein, aber gleichzeitig nichts von uns selbst zu halten. Diese beiden Segnungen werden nur durch das Bewusstsein der Gegenwart Christi vor Gott für uns in Einklang gebracht. Es kommt vor, dass jemand augenscheinlich demütig, aber nicht abgesondert (heilig) ist; umgekehrt mag jemand offensichtlich einen heiligen Wandel führen und dennoch weit von der Demut entfernt sein. Beides ist jedoch nicht nach den Gedanken Gottes. Im einen Fall geht es um eine vorgetäuschte Demut, im anderen um Scheinheiligkeit. Man betrügt sich selbst. Christus allein vermittelt Wirklichkeitssinn. Traue niemals denen, die sich selbst für demütig oder heilig halten! Sie erinnern uns an die alttestamentliche Bezeichnung der „allzu Gerechten“ (Pred 7,16). Solche Menschen hat es immer gegeben bis in die Gegenwart, doch ihnen ist nicht zu trauen. Es handelt sich meistens um Menschen, die ein Bekenntnis haben, aber in ihrem Wandel nicht damit übereinstimmen.
Wir werden hier aber der äußerst wichtigen Frage gegenübergestellt, wer die sind, die wir lieben sollen. Der Apostel beantwortete diese Frage zu einer Zeit, in der die Schwierigkeiten mehr und mehr überhandnahmen, um uns Gewissheit über den diesbezüglichen Willen Gottes zu geben. Der Zustand innerhalb der Versammlung war zwar damals bereits bedenklich, aber im Vergleich zu unseren Tagen des Verfalls immer noch verhältnismäßig geordnet. Der Apostel gibt uns ein Erkennungszeichen, das sich nicht an der äußerlichen Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft orientiert. Wir finden heutzutage Gotteskinder innerhalb der verschiedensten Benennungen um uns her. Leider ist es Satan gelungen, sie dahin zu bringen, sich mit fast jedem kirchlichen Bösen unter der Sonne zu verbinden, so dass die wahre Gemeinschaft gemäß dem Wort Gottes völlig unmöglich gemacht worden ist. Sogar Kinder Gottes scheuen sich größtenteils vor den Konsequenzen wahrer Treue.
Wir haben daher einen unfehlbaren Prüfstein umso nötiger, um die zu erkennen, die wir zu lieben berufen sind. Und er lautet: „Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist“ (V. 1). Ein solcher Mensch ist ein Kind Gottes und damit mein Bruder. Wir sollen jeden lieben, der aus Gott geboren ist, jeden, „der da glaubt“.
Es ist auch beachtenswert, auf welche Art der Glaube von so jemandem hier beschrieben wird. Der Apostel Johannes weist hier nicht, wie in Kapitel 4,17, auf Christus in der Herrlichkeit hin. Er beschäftigt sich nicht einmal mit dem Tod und der Auferstehung Christi, auch die Erlösung bleibt hier unerwähnt. Er stellt die Person Jesu selbst vor, und zwar in der denkbar einfachsten Weise als den „Christus“. Wie passend und weise ist das von Seiten Gottes! Es gibt viele, die wohl eine Menge über die Aussprüche und Handlungen des Herrn wissen, aber an seiner Person vorübergehen. Es handelt sich dabei nicht um wahre Gläubige. Welche Bedeutung kommt dem einfachsten Gläubigen zu, der treu zu der Person des Herrn steht! Wer nicht glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist überhaupt kein Gläubiger. Wer Ihn so in Wahrheit als den Christus bekennt und an Ihn glaubt, mag über seine vielen Ämter gänzlich unwissend sein; er mag Gottes Absichten und Ratschlüsse in Bezug auf die Herrlichkeit nicht kennen. Doch er hat den wahren Gegenstand des Glaubens ergriffen. Er mag das Hohepriestertum Christi nur mangelhaft erkennen, ebenso von seiner Sachwalterschaft, seiner Stellung als Haupt des Leibes, der Versammlung, und als Herrscher über alle Dinge, ja von vielen großen Tatsachen, die Ihn betreffen, nur wenig verstehen, von denen das Neue Testament voll ist. Dieser Mangel an Erkenntnis ist aber kein Beweis dafür, dass er kein Kind Gottes ist; er muss diese Dinge nach und nach kennenlernen.
Das Wort gibt uns hier den richtigen Anhaltspunkt dafür, auf welcher Grundlage unsere Beziehung zu Gott beruht, und weist unserer Liebe die richtige Richtung. „Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist“, das heißt der Gesalbte Gottes, den Gott in die Welt gesandt hat, um Menschen das ewige Leben zu geben und ihr Heiland zu werden, ist unser Bruder. Der inspirierte Apostel gibt hier die unterste Stufe an, auf der man unseren Herrn der Wahrheit gemäß betrachten kann. Es geht nicht um die verschiedenen Herrlichkeiten Christi in der Herrlichkeit, auch nicht um die Wertschätzung dessen, was dem Glauben in seinem Sühnungswerk vorgestellt wird. Der Apostel unterstützt den Gedanken nicht, dass nur dieser oder jener, der das ganze Evangelium der Herrlichkeit Christi sogleich erfasst, ein wahrer Gläubiger ist. Ebenso wenig gibt er dem Gedanken Raum, dass nur die Gegenstände der Liebe sind, die in der gleichen Weise wie Saulus von Tarsus auf dem Weg nach Damaskus zum Glauben gekommen sind. Johannes, der beim Schreiben dieses Briefes am Ende des apostolischen Zeitalters stand, wurde dazu inspiriert, den Glauben der einfältigen Gläubigen zu stärken, die bis dahin noch nie von diesen Dingen gehört hatten. Er wollte ihnen zeigen, dass sie von Gott als seine Kinder anerkannt wurden und sie somit ein Recht auf die Liebe der Kinder Gottes hatten, die hier allen Gläubigen eindringlich ans Herz gelegt wird.
Eine geistliche Engherzigkeit in dieser Hinsicht ist eine Gefahr, auf die der Geist Gottes hinweist und die Er als eine Verunehrung Gottes verurteilt. Nicht die Zugehörigkeit zu einer kirchlichen Gemeinschaft, sondern das göttliche Leben macht den aus Gott Geborenen zum Gegenstand der Liebe aller, die gleicherweise aus Gott geboren sind. Im Gegensatz zur Engherzigkeit wird hier der Grundsatz umfassendster Gnade aufgestellt. Wenn Gott das Herz eines Menschen erleuchtet hat, an Jesus als den Christus zu glauben, sollen wir ihn von Herzen aufnehmen, anerkennen und lieben als einen aus Gott Geborenen, auch wenn er vielleicht unter erschwerten Umständen lebt und daher noch wenig über die Wahrheit Gottes gehört hat. Da Jesus, der Christus, der Gegenstand seines Glaubens geworden ist, wer wären wir dann, ihn nicht freudig anzuerkennen als jemanden, der aus Finsternis und Tod in das ewige Leben geführt worden ist? Er mag nur eine geringe Erkenntnis besitzen, doch unsere Pflicht ist es, das Werk Gottes an ihm voll anzuerkennen. Denn ein solches ist sicherlich geschehen, wenn seine Seele auf der gesegneten Person Jesu als dem Christus ruht. Er ist genauso aus Gott geboren wie der Bruder, der anscheinend so schnelle Fortschritte in der Erkenntnis mancher der tiefsten Wahrheiten des Neuen Testaments gemacht hat. Wir werden aufgerufen, den einen Bruder nicht minder als den anderen zu lieben. Wir sollen sie in aufrichtiger, wahrer und göttlicher Weise lieben. Das ist das Wesen der Liebe, die uns hier auferlegt wird, wenn wir auch nicht wagen, davon zu reden, inwieweit wir dieser Liebe nachgekommen sind.
Das Gesagte ist von großer, praktischer Bedeutung. Denn manche Christen sind keineswegs so liebenswürdig und angenehm im Umgang wie andere. Alle derartigen natürlichen Unterschiede sind aber keinerlei Maßstab für die Liebe, von der der Heilige Geist hier redet. Christus gestaltet die Gegenstände seiner Gnade unabhängig von deren alter Natur und Charakterveranlagung. Wenn die Liebe dann vorherrscht, dient es umso mehr zum Preise Gottes, wenn natürliche Gründe zur Abneigung vorhanden waren. Das Leben in Christus erhebt sich über alles, was aus dem Fleisch kommt, und dadurch wird Gott geehrt, nicht der Mensch. Mancher Gläubige ist durch falsche Gedanken irregeführt worden, anstatt in der Wahrheit befestigt zu werden.
Der eine wurde vielleicht nie darüber belehrt, dass wir nach der Bekehrung erst damit anfangen, die Gedanken Gottes aus der Heiligen Schrift kennenzulernen. Ein anderer wurde zu seinem Nachteil dahin geführt, wie ein Jude an prächtigen Bauwerken und herrlicher Musik im Rahmen von Gottesdiensten seine Freude und Bewunderung zu finden; er meint, dass seine Gebete Gott besonders wohlgefällig wären, wenn sie in einer Kathedrale dargebracht würden. Sollte euch keiner bekannt sein, der selbst als Gläubiger so verblendet und unwissend bezüglich der Freiheit des Evangeliums ist, so kann der Schreiber dies jedenfalls von sich aus der Erinnerung an sein eigenes Leben bezeugen.
Es ist eine bekannte und nicht zu bezweifelnde Tatsache, dass sehr vielen Gotteskindern die Wege Gottes völlig unbekannt sind. Sollte ich aber jemanden in diesem Zustand deswegen geringschätzen? Ganz gewiss nicht. Handelt es sich um jemand, der aufrichtig und wahrhaft an Jesus als den Christus glaubt, so muss mein Herz ihm die gleiche ungeheuchelte und warme Liebe entgegenbringen wie dem Bruder, der mit der Wahrheit sehr vertraut ist und treu in den Wegen Gottes wandelt. Die Liebe muss allerdings dem Zustand des Betreffenden angepasst sein. Das erfordert die Leitung des Geistes zur rechten Unterscheidung und Rücksichtnahme. Ist mein Bruder schwach im Glauben, leicht verwundbar und niedergeschlagen? Oder ist er stark genug, ein klares Wort zu ertragen und Nutzen daraus zu ziehen? Es ist stets eine Gefahr, ihm die religiösen Gewohnheiten eines Gläubigen wegzunehmen und ihn zu verurteilen, ohne zugleich die Leere in seinem Herzen durch das Einpflanzen der Wahrheit auszufüllen. Sie werden alle von Gott gelehrt sein, so sagt uns sowohl das Alte als auch das Neue Testament. Wir benötigen seine Leitung, um als Werkzeuge seiner Gnade in Weisheit zu handeln, wenn es gilt, einen Mangel in jemandem durch eine vollständigere Erkenntnis Christi und Gottes zu beheben. Das ist sicher der vortrefflichere Weg.
Wenn wir einem geistlich wenig fortgeschrittenen Gläubigen gegenüber den Pomp, die Aufmachung und das äußere Gepränge einer Kathedrale verurteilen wollten, würden wir ihn wahrscheinlich zurückstoßen, da er an diese „armseligen Elemente“ gewöhnt ist und sie für das Richtige hält. Andererseits sollten wir auch nicht den geringsten Eindruck erwecken, als billigten wir als Christen diese jüdischen Elemente; das wäre unaufrichtig und heuchlerisch und würde lediglich seinem Fleisch und Aberglauben Vorschub leisten. Das alles zeigt jedoch, wie viel Gnade erforderlich ist, wenn man einem Gläubigen begegnet, der selbst nur eine mangelhafte Kenntnis der Gnade hat. Wie oft versagen wir auf diesem Gebiet! Gläubige, die in der Gnade befestigt sind, sind auch bereit, mit den Schwachheiten anderer Nachsicht zu üben. Haben wir es aber mit solchen zu tun, die nur wenig Erkenntnis der Gnade besitzen, dann benötigen wir selbst viel Gnade, um ihnen gottgemäß begegnen zu können. Da sie von Gott geliebt werden, besteht keinerlei Grund für uns, sie nicht ebenfalls zu lieben, ja im Gegenteil, wir haben allen Grund, sie zu lieben. Gott liebt alle, die aus Ihm geboren sind; das ist die Grundlage für unsere Liebe und der Schlüssel bei Schwierigkeiten dieser Art. Jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist.“
Das Bild einer Familie lässt uns diesen Grundsatz leicht erkennen. Wenn jemand ein Haus aufsucht, für dessen Familienhaupt er große Hochachtung empfindet, welche Auswirkung wird das wohl auf seine Einstellung zu dessen Kindern haben? Sicherlich wird er sie alle lieben. Das eine Kind mag vielleicht ziemlich laut und unbändig sein, allerlei Neckereien im Sinn haben und sich öfters mit seinen Geschwistern streiten; während ein anderes vor allen anderen höflich und anziehend wirkt. Die Frage lautet aber: Liebe ich sie alle? Das ist sicher der Fall, wenn ich ihre Eltern liebe.
Wenn das Auge einfältig und von Liebe erfüllt ist, offenbart sich ihm das göttliche Leben und die göttliche Güte in den Kindern Gottes. In der Regel stehen unserer Liebe, die wir ihnen schuldig sind, nur geringfügige Hindernisse entgegen. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass auch wir den anderen durch unser Fehlverhalten wohl manche Übung verursachen. Aber selbst wenn diese Schwierigkeiten zehnmal größer wären, so ändert das nichts an dem Wort, das hier für dich und mich niedergeschrieben wurde: Wenn wir Gott lieben, haben wir auch seine Kinder zu lieben, und zwar nicht nur die, die wir täglich sehen, sondern auch die anderen, die wir nicht sehen. Was auch an Befremdendem, an Fehlern oder gar Verkehrtem in Erscheinung treten und auch zu tadeln sein mag, das alles darf lediglich die Art und Weise beeinflussen, wie wir ihnen unsere Liebe beweisen. Wir dürfen nie dem Gedanken Raum geben, dass wir sie nicht zu lieben hätten.
Die Umstände mögen so betrüblich sein, dass wir nur noch zum Gebet Zuflucht nehmen können; lasst uns dann aber in Liebe vor Gott für sie eintreten im Gebet. Lasst uns auch überlegen, inwieweit unsere Liebe die Probe besteht gegenüber den Gläubigen, von denen wir annehmen, dass sie im Unrecht sind. Ist es uns ernst damit, ihr Bestes zu suchen, ihnen die Wahrheit nahezubringen, damit sie von Vorurteilen und Voreingenommenheit befreit werden? Wir können in der Gegenwart Gottes unsere Liebe stets zum Guten mitwirken lassen. Es ist schlecht um unsere Liebe bestellt, wenn wir nicht über das Unrecht bei unseren Brüdern geübt sind und die Wahl geeigneter Mittel zur Abhilfe vor Gott erwägen, wie Er sie uns auf das Herz legen mag. Das scheint mir die klare Schlussfolgerung aus dem Grundsatz zu sein, den der Apostel in diesem Vers niederlegt.
Ein weiterer Grundsatz wird uns in Vers 2 vorgestellt: „Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.“ Man könnte sich kaum etwas vorstellen, das der menschlichen Logik krasser widerspricht. Die Theoretiker würden es ein Kreisargument oder einen Zirkelschluss nennen, was als eine schlechte Art des Argumentierens gilt. Was hat aber die menschliche Logik mit der Wahrheit, mit der Gnade Christi und mit der Liebe zu Gott und zu seinen Kindern zu tun? Kann man durch Logik das ewige Leben erklären? Es geht hier nicht um Vernunftschlüsse, sondern um den Glauben. Es braucht uns nicht zu wundern, dass Menschen, die nicht über logische Argumentationen und wissenschaftliche Folgerungen hinauskommen, verblendet, ja blind und ohnmächtig charakteristischen Wahrheiten im Wort Gottes gegenüberstehen. Sie beurteilen seine Liebe und ihre Ergebnisse als unverständlich oder falsch, gemessen an den Regeln ihrer dialektischen Logik. Wortstreit bietet aber einem Menschen keine Nahrung; wollte er daraus Brot für dieses Leben finden, so bliebe doch wahr, „dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was aus dem Mund des Herrn hervorgeht“ (5Mo 8,3). Der Gläubige hat durch Gottes Wort den Weg des Lebens und der göttlichen Liebe sowie die Wirksamkeit des Heiligen Geistes gefunden. Er beugt sich daher diesem wunderbaren Wort. Und dieses sagt ihm: „Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.“ So sind die verschiedenen Seiten der Wahrheit zusammengefasst. Es ist die Einstellung des durch den Glauben gereinigten Herzens; sie kommt nicht nur von Gottes Seite herab, sondern steigt auch wieder zu Ihm hinauf. Sie verbindet die Gedanken des Herzens und den Gehorsam mit der Liebe zu Gott und der Liebe zu seinen Kindern. Darin liegt ein wirksamer Schutz dagegen, dass man andere täuscht oder sich täuschen lässt.
Wenn die Art, wie der Apostel an unsere Liebe appelliert, auch den Anschein eines Zirkelschlusses erweckt und in den Ohren der Logiker fremdartig klingen mag, so könnte sie doch nicht göttlicher und seiner würdiger sein. Der Mensch kann sie nicht verstehen, denn „die Liebe ist aus Gott“, und wir müssen die Liebe in unseren Herzen haben, um solche Worte verstehen zu können. Man kann die Handlungsweise Gottes nie verstehen, wenn man nicht der neuen Natur teilhaftig ist, die Er allen mitteilt, die sowohl im Gehorsam wie in seiner Liebe wandeln. Das Leben Christi wird dem mitgeteilt, der an Ihn glaubt. Hat der Gläubige die Gewissheit dieses Lebens erlangt, empfängt er weiteres Verständnis durch den Heiligen Geist, der als Kraftquelle im neuen Menschen wirkt. Je mehr wir die uns zuteil gewordene Gnade wertschätzen, umso eindrucksvoller wird uns die Wahrheit.
Wir werden mit Lob erfüllt, indem wir erkennen, dass sie uns aus der göttlichen Gnade in Christus zufließt und dass alle drei Personen der Gottheit, Vater, Sohn und Heiliger Geist, daran beteiligt sind. Wir stellen fest, wie die Gnade uns von dem schlichten Glauben an Jesus als den Christus weiterführt in die Tiefen der göttlichen Natur und uns nötigt, die Wahrheit zu ergreifen, indem wir gleichzeitig die in ihr enthaltenen Wunder der Gnade bedenken und den täglichen Prüfungen nicht ausweichen.
Es gibt wohl keinen Brief im Neuen Testament, der so stark auf das Herz des Gläubigen einwirken soll wie dieser. Wird er im Glauben gelesen, so gibt es gewiss nichts, was unser Bleiben in der Liebe stören könnte. Christus hat alles getan, um diese Frage für alle Zeit zu regeln. Die Wahrheit des Evangeliums ist die Grundlage dafür, dass Gott in uns bleibt und wir in Ihm. Auf ihr beruht auch die praktische Ausübung der Liebe den Kindern Gottes gegenüber; wir kennen sie, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Die in Christus offenbarte göttliche Liebe wird einem armen Sünder zuteil und gibt ihm die Gewissheit, dass er der Gegenstand einer vollkommenen Liebe ist, die die edelste menschliche Zuneigung weit überstrahlt. Er ist ja nicht nur ein Heiliger geworden, sondern ein Kind Gottes.
Gott allein konnte in dieser Weise lieben, und Christus, sein Sohn, kam hernieder, um diese Liebe völlig zu offenbaren. Um dies zu tun und gleichzeitig unsere Sünden auszutilgen, starb Er als Opfer für uns. Das war keine Gabe, wie der Mensch oder die Welt zu geben vermögen. Diese Gabe wurde nicht nur durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes gekrönt, der nun in uns und bei uns bleibt, sondern auch dadurch, dass wir nun in dieser Welt sein können, wie Er jetzt vor dem Vater ist. Das Problem alles Bösen in uns und an uns ist durch seinen Tod beseitigt. Wir besitzen sein Auferstehungsleben als unser Leben, sein Vater ist unser Vater und sein Gott unser Gott; und das alles, während wir uns noch in dieser Welt befinden, die Christus ans Kreuz schlug. Bald wird Er kommen, um uns zu sich zu nehmen, dass wir dort seien, wo Er ist.
Doch es befinden sich viele um uns her, die ebenfalls Kinder Gottes sind wie auch wir, und Gott ruft uns auf, sie ebenso zu lieben, wie Er sie liebt. Da sie sich in der gleichen Beziehung und Stellung befinden wie wir, ist der Weg dazu frei. Wenn Gott sie liebt, dann lieben auch wir sie, da wir seine Kinder sind. Und Er macht diese Liebe zu einem Gebot. Wenn wir unseren Bruder, alle Kinder Gottes, nicht lieben, dann lieben wir auch Ihn nicht, sondern betrügen uns selbst. Damit wird diese Frage zu ihrem Ende geführt.
Wie soll sich die Liebe zu den Kindern Gottes nun zeigen? Sie lässt sich von der Liebe zu Gott und dem Halten seiner Gebote nicht trennen. Die Liebe zu ihnen ist nicht echt, wenn wir in der Liebe zu Gott und in der Befolgung seiner Gebote versagen. Das ist eine beachtliche und herzerforschende Wendung in der Beweisführung über die Bruderliebe. Sollten wir diese Worte nicht ernstlich erwägen? Wie wird unserer Trägheit und Gleichgültigkeit dadurch Einhalt geboten! Sollte sich ein Kind Gottes in ein Unrecht Gott gegenüber verstrickt haben, etwa in eine Irrlehre oder eine praktische Verfehlung, was ist dann zu tun? Würde es der Liebe entsprechen, das Böse gutzuheißen, darüber leichtfertig hinwegzugehen oder gar als Bruder sich eins mit ihm zu machen? „Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten.“ Es spricht nicht von wahrer Liebe zu den Kindern Gottes, wenn wir uns über die Gebote Gottes hinwegsetzen und damit beweisen, wie wenig wir Ihn lieben. Hier wird der Grundsatz des Gehorsams auf eine neue Art festgelegt, um einen Missbrauch der Liebe zu verhindern gegenüber denen, die gesündigt haben und damit einen Tadel herausfordern. Spielen wir mit der Sünde oder gehen über das Gott zugefügte Unrecht leichtfertig hinweg unter dem Vorwand, die Kinder Gottes zu lieben, dann haben wir keinerlei Gewissheit über die Echtheit unserer Liebe; sie ist vielmehr uns und ihnen zu einem Fallstrick geworden. Wenn wir aus irgendeinem Grund in den Ungehorsam Gottes Willen gegenüber hineingeraten sind, dann empfinden wir unsere Verkehrtheit und unser Pfad ist unsicher geworden. Die Freude an der Gemeinschaft mit Ihm ist unterbrochen, und wir stehen in der Gefahr, die Kinder Gottes nicht mehr zu lieben, sondern ihnen willfährig zu sein. Es stimmt dann nicht mehr, dass wir sie auf eine gottgemäße Weise lieben. Bringen wir hingegen im Glauben Gott in unsere Schwierigkeiten hinein als den, dem unser Herz gehört, dann folgt daraus das Halten seiner Gebote, und diese gestatten uns nicht, Menschen nachzugeben, wenn es um seinen Willen geht. Wir haben dann die Gewissheit, dass wir seine Kinder so lieben, wie es nach seinen Gedanken ist. Somit gibt uns dieser Vers einen wichtigen Prüfstein an die Hand, um uns vor Ihm zu beurteilen. Er zeigt uns eine Seite der Wahrheit, die tief in uns eindringt und die behandelte Frage gemäß seinem Wort entscheidet. „Denn dies ist die Liebe Gottes, dass wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer“ (V. 3). Der Heilige Geist gibt uns hier in diesem Vers einen weiteren Prüfstein, der dem in Vers 2 gegenübergestellt wird. Wenn wir ungehorsam sind, so stehen wir weder in der Liebe zu Gott noch in der Liebe zu seinen Kindern. Die Liebe aus Gott ist gehorsam und erstreckt sich zugleich auf alle seine Kinder, nicht nur auf unsere Gruppe oder Gemeinschaft. Der Gehorsam kann nicht von der Liebe getrennt werden. Ist kein Gehorsam vorhanden, so fehlt auch die Liebe; ist göttliche Liebe vorhanden, so wird sie auch vom Gehorsam begleitet. „Und seine Gebote sind nicht schwer“. So schätzt der Apostel seine Gebote ein, und mit ihm alle, die im Vertrauen auf Gottes Gnade vor Ihm wandeln. Es ist die Wahrheit, die uns vom Heiligen Geist mitgeteilt wird. Im gleichen Sinn sagte der Herr in Matthäus 11, dass sein Joch sanft und seine Last leicht ist. Die Kinder Gottes haben aber auf ihrem Weg ständig ein großes Hindernis zu überwinden, das vielleicht alle anderen Schwierigkeiten überragt.
Zunächst wird man an das Fleisch denken, aber das meine ich nicht. So viel uns das Fleisch auch zu schaffen macht, so gibt es doch ein Übel noch ernsterer Natur. Wenn bei Gläubigen das Fleisch in Erscheinung tritt, so wird dies ein Schamgefühl und ein Bewusstsein ihres verkehrten Handelns bei ihnen hervorrufen. Doch die Welt umgibt uns wie ein heimtückischer Sumpf. Wenn sie in ihrer trügerischen Art auf uns einwirkt, erkennen wir vielleicht gar nicht den Grund, weshalb wir geistliche Müdigkeit empfinden und unfähig sind, die Liebe des Vaters zu genießen und zu erwidern. Ein solcher Zustand der Weltförmigkeit entfremdet auch die Kinder Gottes untereinander auf mancherlei Weise und wirkt umso verderblicher, je mehr er Einfluss gewinnt. Hat das Herz die Welt liebgewonnen, dann entfernt es sich von den Kindern Gottes, mit denen Gott es durch denkbar innigste Familienbande vereinen möchte, und die Liebe kann nicht mehr in der Kraft des Geistes ständig ausströmen. Die Welt gebietet einem solchen Austausch göttlicher Liebe energisch Einhalt; denn sie liebt in ihrer selbstsüchtigen, herzlosen Art nur das Ihre. Welch eine große Gefahr besteht daher für die Gläubigen, die nach den Annehmlichkeiten und der Ehre dieser Welt trachten! Sie gereicht ihnen in jedem Fall zu einem gefährlichen Fallstrick. Der Gläubige, der gute Beziehungen zur Welt pflegen möchte, muss ihr gefällig sein und betrübt damit den Heiligen Geist.
Die Kinder dieser Welt können die Liebe der Kinder Gottes nicht ertragen, denn sie verurteilt das Wesen der Welt. Sie wollen mit der Liebe zu den Brüdern nichts zu tun haben und fragen den Gläubigen erstaunt, ob diese einfachen Leute wirklich seine Gefährten sind: Wie kann man nur mit solchen Menschen eine innige Freundschaft unterhalten? Wenn ein Gläubiger auf seine Stellung in der Welt Wert legt, sind daher Schwierigkeiten unvermeidbar. Die weltlichen Herren und Damen, die du umwirbst, gestatten es dir nicht, ihnen mit deinen vertrauten Glaubensbrüdern Schande zu bereiten, denn sie verachten diese. Das ist der Charakter des Geistes dieser Welt. Und du, als ein Kind Gottes und Erbe des Himmels, solltest nach Ehre in den Augen derer trachten, die den Herrn der Herrlichkeit kreuzigten? In ihrer Gegenwart vermeidest du dann sorgfältig, dich als Bruder von ärmlichen Kindern Gottes zu bekennen, obwohl sie einst mit Christus über die Welt herrschen werden!
Ist das Liebe zu Gott und zu seinen Kindern? Hältst du Christus die Treue, wenn du so ängstlich bemüht bist, mit der Welt gut zu stehen? Unter solchen Umständen empfindest du allerdings seine Gebote als mehr oder weniger drückend. Stimmt das? Wohin führt dich denn dein Weg? Sind die ehrenwerten Weltmenschen etwa Kinder Gottes? Das willst du nicht gerade behaupten, aber sie sind doch nette Leute. Selbst wenn du hoffen solltest, dass sie einst Kinder Gottes werden, weißt du nicht, dass die Freundschaft dieser Welt Feindschaft gegen Gott ist? „Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes“ (Jak 4,4). Verfolgen diese „netten Leute“ nicht die gleichen Grundsätze und Praktiken, aufgrund derer der Sohn Gottes von der Welt hinausgeworfen wurde?
Wir sollten die Welt so betrachten, wie Gott sie sieht. Es ist unerheblich, wie viel Zeit verflossen ist, seitdem die Welt den Herrn gekreuzigt hat. Diese Sünde steht noch ebenso lebendig vor Gottes Augen wie damals, als die schreckliche Tat vollbracht wurde. Die Welt hat seit jenem Tag ihrer größten Schuld keine wahre Veränderung erfahren. Die Welt nimmt entweder die Beziehungen des Christentums für sich selber in Anspruch, oder sie leugnet sie denen ab, die wirklich glauben. „Welche Anmaßung, Gott seinen Vater zu nennen!“ sagen sie. Doch der Herr sagte: „Gerechter Vater! – und die Welt hat dich nicht erkannt“ (Joh 17,25). Die Welt meint, Gott einen Dienst zu tun, wenn sie diese „anmaßenden Menschen“ verfolgt, die Gott als ihren Vater bezeugen und deren Christus sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen. „Das Schlimmste ist, dass sie behaupten, Gott sei nur ihr Vater und nicht auch der unsere!“ Was ist anstößiger in den Augen der Welt, als wenn der Trennungsstrich gezogen wird und wir bezeugen, himmlische Segnungen und Vorrechte zu besitzen, die die Welt nicht hat!
Wendest du ein, dass dieses Bild der Weltförmigkeit nicht ganz auf dich zutrifft? Du hast aber einen Sohn oder eine Tochter und wünschst ihnen, dass sie eine gute Stellung in der Welt einnehmen. Du hast die Welt zwar aufgegeben, soweit sie dich betrifft; aber wie steht es mit deinen Kindern? Auf diese Weise wird oft die Weltförmigkeit in den Herzen der Eltern offenbar. Es fehlt der ernste Wunsch, dass auch das Kind in Christus erfunden und ein echtes Kind Gottes wird. Als praktisches Ziel steht den Eltern zunächst vor Augen, den Kindern eine gute Stellung in der Welt zu verschaffen, obwohl sie auch dafür beten, dass die Kinder errettet werden. Gleichzeitig wird aber unermüdlich darauf hingearbeitet, die Kinder im irdischen Leben voranzubringen. Was ist das anders als das Wesen der Welt, in welcher Form es sich auch zeigen mag? Vielleicht wird dieses alles nicht gesagt, aber die Handlungsweise beweist, womit die Herzen beschäftigt sind. Mir scheint, dass dieser Gedanke die Verbindung zwischen den Versen 3 und 4 herstellt.
Die Gebote Gottes erscheinen hauptsächlich deswegen schwer, weil der böse Einfluss der Welt sich geltend macht. „Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt“ (V. 4). Das ist ein herzerforschendes Wort, wenn wir bedenken, in welchem Maß die Gotteskinder mit der Welt liebäugeln. Im Allgemeinen besteht in christlichen Kreisen nur eine sehr vage Vorstellung davon, was die Welt eigentlich ist. Man wird manchmal dadurch schockiert, dass auf die Frage, was unter der Welt zu verstehen sei, selbst nüchterne, wahre Christen zugeben, sie getrauten sich nicht, eine Antwort darauf zu geben. Nicht wenige sind der Annahme, die Welt als solche existiere nicht mehr, da ja auch die Volksmassen getauft würden und daher, mit Ausnahme der offenbar Gottlosen, das Christentum die Stelle der Welt zur Ehre Gottes eingenommen habe; wenn dies auch nicht von jedem einzelnen Menschen persönlich gesagt werden könne, so doch im moralischen Gesamteindruck. Wir dürfen uns aber nicht durch Satan oder den äußeren Schein täuschen lassen, selbst wenn die Welt sich in einem viel besseren Zustand befände, als es tatsächlich der Fall ist.
Christus ist stets der wahre Prüfstein der Wahrheit. Gibt es etwa irgendein Land unter der Sonne, für dessen Bewohner Christus das Leben und das alleinige Ziel bedeutet? Wo Er so anerkannt und in einfältigem Glauben geschaut wird, da ist niemals die Welt zu Hause. Christus vermittelt ein lebendiges Bewusstsein von der Liebe des Vaters und der damit verbundenen Ruhe des Herzens. Wo dieses Bewusstsein durch den Heiligen Geist genossen wird, da ist die Welt nicht zu finden. Wo aber andere Gegenstände und nicht Christus das Herz anziehen und beherrschen, wo die Liebe des Vaters unbekannt ist oder als eine Unmöglichkeit angesehen wird, da ist die Welt in ihrer unveränderten Opposition zu finden. Kann es daher für einen Gläubigen eine wichtigere Frage geben – sofern sie nicht im Glauben bereits geordnet ist – als Herz, Gewissen und unsere Wege im Licht des Wortes Gottes diesbezüglich zu prüfen?
Die Welt gewinnt in kleinen Dingen sehr leicht einen Einfluss auf uns, auch wenn wir in der Hauptsache treu zu wandeln begehren. Es ist eine große Gefahr, vor der Prüfung im Licht der Heiligen Schrift zurückzuschrecken, wenn wir bei uns selbst Unklarheit im Wandel feststellen. Die göttliche Liebe verpflichtet uns auch zur gegenseitigen Hilfe, sobald wir klar sehen, und nicht der lieblosen Gewohnheit nachzugeben, bei dem einen oder anderen Bruder Widersprüche auszuspionieren. Wir wollen solche Fehler bei den anderen dann gern als Entschuldigung für unsere eigene Verbindung mit der Welt im Wandel und in der Anbetung vorbringen. Eine solche Handlungsweise hat aber nichts mit der Gesinnung Christi zu tun.
Hier in unserem Abschnitt haben wir die Zusicherung, dass es nicht etwa der Mystiker in seiner Weltabgeschiedenheit oder nur hochgeistliche Menschen sind, sondern: „alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt“. Ist das nicht Ermutigung und Ansporn zugleich für das einfältigste Kind Gottes? Sind sie nicht alle aus Gott geboren? Hier wird der Grundsatz eindeutig festgelegt: Kein einziger echter Christ ist von diesem Vorrecht, aber auch von der damit verbundenen Verantwortung, ausgeschlossen. Da jeder Gläubige jetzt ein Gegenstand der Liebe Gottes und ein Angehöriger seiner Familie ist, überwindet er die Welt. „Und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ (nicht: unser Dienst oder unsere Aufopferung, nicht einmal unsere Liebe, sondern:) „unser Glaube“. Glaubst du das, lieber Mitchrist? Sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus ist es, durch den wir zu Gott gebracht worden sind. Durch ihn werden wir auch von Gott bewahrt und befähigt, den Feind zu erkennen und abzuwehren. Und durch ihn ruhen wir auch gehorsam in der Liebe dessen, der sich herabgelassen hat, uns seine Freunde zu nennen.
Der Glaube ist also der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wie das zugeht, erklärt der Apostel im nächsten Vers: „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ Hier ist nicht, wie in Vers 1, nur von „Christus“ die Rede. Es ist derselbe Jesus, aber der Apostel geht weiter auf die persönliche Würde des Herrn ein. Ähnlich ist es mit dem Wachstum der erretteten Menschen. Zunächst glaubt man daran, dass Er Jesus, der Christus, ist. Vielleicht wurde dem Glauben dann mehr über Ihn vorgestellt; aber es war jedenfalls eine frohe Kunde, auf der Grundlage göttlicher Autorität zu erfahren, dass Jesus von Gott gesalbt (Christus) und in die Welt gesandt wurde zum ewigen Heil der Gläubigen. Dieser Jesus ist der Christus. Doch in Vers 5 wird von seiner Herrlichkeit gesprochen, die Er außerhalb dieser Welt als der ewige Sohn Gottes besitzt.
Das geht weit darüber hinaus, dass Er der Christus oder der Gesalbte auf dieser Erde war. Er war der Sohn Gottes, ehe die Welt war; und wenn auch die Welt und sein irdisches Volk Ihn verwarfen, so wird doch seine Herrlichkeit als der Sohn Gottes Himmel und Erde überdauern. Er, der herniederkam, war selbst Gott, der sich aus Liebe erniedrigte. Und Er, der nach vollbrachtem Werke auffuhr, war der Mensch, der über das ganze Weltall erhöht ist als Jesus, der Sohn Gottes. Er, der Gott und Mensch in einer Person ist, erfüllt jetzt das Herz des Gläubigen und wird einst alle Dinge erfüllen. Wir sehen Ihn nicht mehr nur als den, der mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt ist, der umherging, wohltuend und heilend alle, die vom Teufel überwältigt waren. Wir sehen Ihn in himmlischer Herrlichkeit und sind befähigt, Ihn in seiner ewigen Beziehung zu Gott, wie auch zu uns und zu allem anderen, wertzuschätzen.
Dieser Titel des Herrn wird hier benutzt, um das Wesen des Glaubens zu beschrieben, der die Welt überwindet, und wie könnte er auch anders sein? Seine Gnade hat unsere Herzen einst, als wir verloren waren, angezogen, schenkte uns Leben und führte Ihn in den Tod für unsere Sünden. Dann trat das neue Leben in Tätigkeit im Anschauen einer göttlichen Herrlichkeit, die alle falsche Herrlichkeit des Menschen und dieser Welt in den Schatten stellt und verschwinden lässt. Wir lernten seine Liebe kennen, die uns in praktische Verbindung zum Vater und zum Sohn führte. Sie ruft in uns nun eine neue Gesinnung hervor, die in Übereinstimmung ist mit der völlig neuen Stellung, in die seine unumschränkte Gnade uns als Gläubige gebracht hat. Das Leben, das wir empfangen, kann nicht anders, als sich zu seiner Quelle zu erheben. Je mehr wir daher die Gnade kennenlernen, umso mehr Kraft teilt der Heilige Geist diesem Leben mit, so dass unsere Wertschätzung für Christus und sein Wort zunimmt.
Wir sehen wie bedeutsam die Wahrheit ist, dass Er nicht nur der Gesalbte ist, der in seinem göttlichen Erbarmen in diese Welt kam, sondern zugleich der Sohn Gottes, und dass Er eine persönliche Herrlichkeit besitzt, die von seiner Sendung in diese Welt völlig unabhängig ist. Sie erscheint durch die Unwissenheit und Verachtung, die die Welt Ihm zu ihrem eigenen Verderben entgegenbrachte, nur noch umso strahlender. Er ist der Sohn des Menschen, der in die tiefsten Tiefen hinabstieg, um Gott selbst im Blick auf die Sünde zu verherrlichen und die Verlorenen zu retten. Doch wie Er bereits vor der Erschaffung der Himmel und der Erde Gottes Sohn war, so wird Er es auch in Ewigkeit bleiben, wenn diese vergangen sein werden. Diese Herrlichkeit des Herrn Jesus wird uns nun als das vorgestellt, was unserem Glauben bei all den Schwierigkeiten seitens der Welt Kraft verleiht. Denn „wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“
Wir dürfen hier an einen Gläubigen denken, der bei seiner Bekehrung noch nicht in der Wahrheit völlig zur Ruhe gekommen war. Nachdem er ihre Kostbarkeit geschmeckt hatte, wurde er vom Heiligen Geist dahin geführt, den Herrn Jesus nicht nur in seinen persönlichen Bedürfnissen, sondern in seiner Beziehung zu Gott und zu seiner Herrlichkeit besser zu erkennen. Es bewahrheitet sich das Wort des Herrn: „denn wer hat, dem wird gegeben werden“ (Mt 13,12). „Aber die Seele des Fleißigen wird reichlich gesättigt“ (Spr 13,4). Vor allem wird er die Freude genießen dürfen, die Liebe und die Vollkommenheiten des Herrn besser zu erkennen. Dieser Glaube vermittelt die Kraft, alles zu überwinden, was die Welt uns an Hass und Drohungen, aber auch an Anziehendem, Annehmlichkeiten und Ehre bietet. Der Glaube erblickt in der Welt stets den mörderischen Hass gegen den Sohn Gottes. Sollten wir uns aber vor dem, was wir verabscheuen, fürchten? Keineswegs, denn „in der Welt habt ihr Bedrängnis, aber seid gutes Mutes, ich habe die Welt überwunden“ (Joh 16,33).
Die ständig sich vertiefende Erkenntnis der Herrlichkeit Christi ist das beste Bewahrungsmittel gegenüber der Welt. Weil Satan, ihr Fürst unaufhörlich bemüht ist, uns mit seiner List zu verführen und zu schädigen, brauchen wir alle unseren Herrn, den Sohn Gottes und Überwinder, in dem Kampf, dem wir gerade durch die Segnungen, die wir in Ihm empfangen haben, ständig ausgesetzt sind. Die Gewissheit, dass der Gott des Friedens den Satan unter unsere Füße zertreten wird, ist vortrefflich. Wollten wir uns aber allein auf diesem endgültigen Sieg ausruhen, so würde uns das zu einem Fallstrick werden. Wir sind hier zurückgelassen, um Satan bei jeder Gelegenheit in die Flucht zu schlagen, wie auch Josua das Volk Israel ermahnte. Wir müssen in den kleinen täglichen Dingen treu sein, wenn wir in den großen Schwierigkeiten überwinden wollen.
Darum drückt der Herr auch in jedem seiner Sendschreiben an die sieben Versammlungen in Kleinasien die Erwartung aus, Überwinder vorzufinden. Er gibt jeweils besonders passende Verheißungen, um die Treuen zu stärken, da er sich auf die Versammlungen in ihrer Gesamtheit wegen ihres Abweichens nicht mehr verlassen konnte. Beachten wir auch, dass der Herr, wenn Er sich nach der Verurteilung der Bileams‑Gesinnung und des Nikolaitentums in Pergamus der noch schamloseren Jesabel in Thyatira zuwendet, sich gerade dort als der Sohn Gottes vorstellt, als der Fels, auf den Er seine Versammlung baut, die von den Pforten des Hades nicht überwältigt wird. Es ist das Leben Christi, das uns zur Gemeinschaft mit dem Vater und mit Ihm selbst befähigt. Um aber die Welt zu überwinden und die göttliche Gemeinschaft genießen zu können, muss der Glaube an den Sohn Gottes durch Gnade lebendig und stark sein. Dann werden wir auch die sogenannte christliche Welt (wie viele sich nicht schämen, sie zu bezeichnen) zunehmend schmerzlicher und widerwärtiger empfinden als das unverhüllte, krasse Heidentum. Denn so sehen es auch der Vater und der Sohn. Die Kirchenväter verdrehten die Wahrheit, indem sie lehrten, dass Menschen sich nur taufen zu lassen brauchten, ohne Rücksicht auf ihr böses Leben; denn durch die Taufe würden ihre Qualen in der Hölle gemildert werden. Wenn sie nur ein Ohr gehabt hätten, um zu hören, hätten sie wissen müssen, dass der Herr das genaue Gegenteil angeordnet hatte: „Jener Knecht aber, der den Willen seines Herrn kannte und sich nicht bereitet noch nach seinem Willen getan hat, wird mit vielen Schlägen geschlagen werden; wer ihn aber nicht kannte, aber getan hat, was der Schläge wert ist, wird mit wenigen geschlagen werden“ (Lk 12,47.48).
O lasst uns unerschütterlich und mit Herzenseinfalt an dem Glauben festhalten, dass Jesus der Sohn Gottes ist, damit auch wir die Welt überwinden!